Welcher Sozialismus ist denn der Richtige, Frau Reichinnek?

Heidi Reichinnek verkauft Matcha-Latte-Kommunismus als Klassenkampf, kennt aber weder Marx noch die DDR-Geschichte. Ihr „demokratischer Sozialismus“ bleibt Phrasen-Populismus fürs NGO-Prekariat. Am Ende läuft ihr Modell auf das altbekannte Schema hinaus: Umverteilen, bis nichts mehr da ist.

picture alliance / Chris Emil Janßen | Chris Emil Janssen

In Fragen des Marketings ist Heidi Reichinnek einsame Spitze, sie würde auch einen Gulag noch wie ein Pionierferienlager aussehen lassen. Intellektuell oder inhaltlich ist sie eher „Migräne“ als Dauerzustand. Sie überzeugt nicht, aber sie ist dreist in der Verteidigung des ersten Signalsystems. In ihrem Stern-Interview gab sie Kostproben ihres Matcha-Latte-Kommunismus und trällerte dabei munter „Wacht auf, Tätowierte dieser Erde“ als Rap vor sich hin. Klassenkampf macht einfach Spaß, vor allem, wenn hohle Sprüche genügen, weil man ohnehin nicht die Handwerker, die Arbeiter, die Angestellten erreichen will und kann, sondern das NGO-Proletariat und das Uni-Prekariat in den Innenstädten, nicht so sehr in den Studiengängen der Naturwissenschaften oder der Medizin, sondern mehr so die, die so irgendetwas mit Kommunikation oder Kultur- und Sozialwissenschaften oder Gender machen.

Früher, als die Linken noch über marxistisches Wissen verfügten, hätte die Genossin Heidi Reichinnek aus Mitleid ein Bier spendiert bekommen, wenn sie allen Ernstes meint: „Wir wollen das Wirtschaftssystem ändern, nicht das politische System umstürzen.“ Na gut, sie bemüht sich halt, hätten die marxistisch auch nur halbwegs gebildeten Genossen mit ein wenig Resignation in der Stimme gestöhnt. Gut marxistisch könnte man die Genossin natürlich fragen, ob sie schon einmal etwas von der Dialektik von Basis und Überbau in der Gesellschaft gehört hat, ob ihr der Begriff Produktionsweise auch nur irgendetwas sagt, die, wie man weiß, auf den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen einer Gesellschaft beruhen, zu den übrigens auch die Eigentums- und Machtverhältnisse zählen.

Was von Deutschland übrigbleibt
Die SED hat gewonnen
Der französische Marxist Louis Althusser unterschied zwischen den „ideologischen Staatsapparaten“ und den „repressiven Staatsapparaten“. Im „Elend der Philosophie“ schrieb Karl Marx: „Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Wobei wir beim Elend der Genossin Heidi angekommen sind.

Wichtiges Element der Wirtschaft, der Produktionsverhältnisse, sind die Eigentumsverhältnisse. Reichinnek behauptet in ihrem Tiktok-Populismus der Ahnungslosigkeit, dass der Kapitalismus nicht vom Grundgesetz geschützt sei, aber laut Artikel 14 ist das Eigentum geschützt, und bestimmte Eigentumsverhältnisse bedingen bestimmte Produktionsverhältnisse und mithin bestimmte Produktionsweisen. Wenn man als Kommunist oder als „Linker“ vom Kapital spricht, sollte man zuvor „Das Kapital“ von Karl Marx gelesen haben. Lassen wir die Phrase vom „demokratischen Sozialismus“ mal beiseite, der eine contradictio in adjecto darstellt. Demokratisch wäre, die Wähler zu überzeugen im Wettstreit der Ideen, nicht, den politischen Gegner, den Rechten, den Klassenfeind des passiven Wahlrechts zu berauben, weil man im Wettbewerb nicht gewinnt. Sozialismus geht nicht demokratisch, sondern letztlich nur über Diktatur.

Ein wenig Wissen über die Geschichte der DDR oder des sozialistischen Systems würde sie vor Sätzen schützen wie diesen: „Na ja, das in der DDR war kein Sozialismus. Also nicht so, wie ihn sich meine Partei vorstellt.“ Was war er dann? Und der Stern fragt nicht nach. Die Westlinke lebte und lebt ausgezeichnet von der Behauptung, dass die im Osten einfach zu doof waren, den richtigen, den demokratischen Sozialismus aufzubauen. Wie in Venezuela oder in Kuba, vielleicht? Da sind sie auch zu blöd. Auch alles Ossis, auch alle zu blöd für den richtigen Sozialismus. Alle blöd, außer Heidi, aus Jan, außer Iris.

Nur noch stilles Gedenken
Die Erben der Mauerbauer regieren fröhlich wieder mit
Würde Reichinnek die Geschichte des Sozialismus kennen von Marx über Hilferding, über Bucharin, über Ota Šik und andere, dann wüsste sie, das auch der „real existierende Sozialismus“ nicht eine einzige Betonfläche, nicht monolith ist, sondern in seiner Geschichte immer wieder versucht worden ist, einen Sozialismus mit menschlichen Antlitz, einen demokratischen Sozialismus zu gestalten, dass immer wieder versucht worden ist, eine Wirtschaftsordnung hervorzubringen, wie man in der Neuen Ökonomischen Politik in der Sowjetunion, im Wirken von Nikolai Bucharin, im neuen Ökonomischen System der Leitung und Planung in der DDR, im Neuen Ökonomischen System des Ota Šik in der CSSR besichtigen kann.

Deren, und auch der Sozialismus, wie ihn sich ihre „Partei vorstellt“, ist gescheitert. Den Grund dafür findet sie paradoxerweise im „Kapital“ von Karl Marx, eigentlich schon in den Politisch-Ökonomischen Manuskripten: Weil Ideologie nicht den Wettbewerb ersetzen kann, der auf Eigeninitiative beruht – und die wiederum auf dem Konzept der Freiheit des Individuums, in diesem Fall als Unternehmer. Es hat nicht nur den banalen Grund der Lebenszeit, die einem zugemessen ist, dass Karl Marx mit seiner Analyse des Kapitalismus nicht fertig wurde, weil der Kapitalismus in dem Momente, in dem Marx über ihn schrieb, sich bereits veränderte, und Marx keine politische Ökonomie des Sozialismus verfasste – die fehlt eigentlich bis heute, weil wir es hier mit einem Oxymoron zu tun haben – ganz gleich, wie der Sozialismus ist, den sich ihre Partei vorstellt. Wahrscheinlich läuft der demokratische Sozialismus, wie ihn sich Heidi Reichinnek und ihre Partei vorstellt, darauf hinaus, dass umverteilt wird, bis nichts mehr zum Umverteilen da ist. Sozialismus als Hütchenspiel.

Die letzte Linke, die übrigens etwas von Ökonomie verstand und vom Marxismus – bei aller Kritik – ist dann doch Sahra Wagenknecht.

Konkret kann uns Reichinnek nichts über die DDR, nicht über den Sozialismus mitteilen – und dass sie politische Verhältnisse von wirtschaftlichen Verhältnissen trennt, erzählt nur, dass ihre Partei keine Partei, sondern nur noch eine einzige Party ist. Und ein bisschen antisemitisch ist sie auch, sagt Reichinnek: „Es gibt Antisemitismus in dieser Gesellschaft, und damit gibt es ihn auch in der Linken.“

Vielleicht wollte sie auch sagen – zumeist bei den Linken.

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Kommentare ( 71 )

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Fieselsteinchen
3 Monate her

Reichinnek greift mit ihrem Gekeife Wählerstimmen ab. Ansonsten gilt “Keine Ahnung von gar nichts.” Die Linke erlebt jetzt, in der “UnsereDemokratie” ihre Morgendämmerung und will sich a den Fleischtöpfen, zwangsweise von den deutschen Steuerzahlern gefüllt, satt fressen. Da die Dummheit und gewollte Uninformiertheit in Kombination mit dem Zeitgeist “Sozialismus” attraktiv machen, sehe ich, solange man den Steuerzahler noch melken kann, nicht, warum es nicht in Dummschland funktionieren sollte. Wer nicht lernen will, muss eben zum 3. Mal fühlen. So what! Und wenn es dann auch nicht klappt, wird das 4. oder 5. Mal sicher erfolgreicher! Versprochen und ein Hoch auf… Mehr

Dieter
3 Monate her

„Wir wollen das Wirtschaftssystem ändern, nicht das politische System umstürzen.“
nun gut, wenn sie offen bekennent zugeben würde, das politische System stürzen zu wollen, käme wohl selbst unser verfassungsschutz nicht umhin, zumindes eine randnotiz bzgl der Verfassungsfeindlichkeit zu machen…
taqiya…

Siggi
3 Monate her

Die Linke taugt doch nichts. Sie wird auch mit der CDU/CSU koalieren, wenn es an die Töpfe gehen kann. Wir brauchen nun unendlich die AfD, damit der Irrsinn ein Ende hat.

Dietrich
3 Monate her

Welcher Sozialismus ist der richtige?
Der von Marx ist eine Theorie. Tote? Eher nicht oder wenige.
Jetzt die Praxis:
Der von Stalin? 15–30 Millionen Tote.
Der von Mao? 70–90 Millionen Tote.
Der von Pol Pot? 2 Millionen Tote.
Der DDR? Geschätzt 600 Tote durch Fluchttote und Hinrichtungen. (Klingt beinahe harmlos, war es aber nicht.)
Jetzt will uns die Heidi mit ihrem Sozialismus beglücken. Ohne mich. Es gab genügend sozialistische Unfälle im 20. Jahrhundert. Das reicht. Den neu aufgewärmten Murks braucht niemand mehr.

Fieselsteinchen
3 Monate her
Antworten an  Dietrich

Dunkele Erinnerungen an den Stabü-Unterricht, irgendwie kam unser tiefdunkelrot gefärbter Agitprop-Einpeitscher auf Kampuchea/Kambodscha. Sogar die einzige Unterrichtsstunde, der ich mental folgte. Von den Massenmorden und Gräueln der Roten Khmer wussten wir, Dresdner Schüler, nichts oder irritierend falsch wurde es mit den Amerikanern in Vietnam verbunden, wobei die Vietnamesen als Befreier hervorgehoben wurden, was letztlich im gewissen Sinn auch stimmte. Kurz: besagter Lehrer sagte plötzlich, dass das eben nicht der “richtige” Kommunismus sei, in China nebenbei auch nicht. Selbstredend war die “Tätärä” auf dem richtigen Wege! (Das muss irgendwann zu Zeiten der Zugfahrt Honeckers durch Ostasien geschehen sein,). Und jetzt kommt… Mehr

Hieronymus Bosch
3 Monate her

Der hiesige Kommunismus kann sich nicht mehr auf Marx berufen, für den die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen war. Auch die typischen Begriffe, wie Entfremdung, später Warefetischismus oder Verdinglichung bei Lukacs, sind völlig obsolet geworden. Heute spricht man vom digitalen Kapitalismus oder Überwachungskapitalismus, aber das ist eine ganz andere Dimension, von der diese Frau garantiert nichts versteht. Also bleibt nur die linke Gartenparty, bleiben ein paar Phrasen aus den Geschichtsbüchern und ansonsten dümmliche Gesichter!

Haba Orwell
3 Monate her

> sondern das NGO-Proletariat und das Uni-Prekariat in den Innenstädten, nicht so sehr in den Studiengängen der Naturwissenschaften oder der Medizin, sondern mehr so die, die so irgendetwas mit Kommunikation oder Kultur- und Sozialwissenschaften oder Gender machen

Bevölkerungsentität der Dichtenden:innen und Tatöwierten:innen. Möchte noch irgend jemand ernsthaft den westlichen Zerfall leugnen, den nicht gerade der Islam verursachte, sondern die Dekadenz im kurz währenden Wohlstand einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg? Man ging damit nicht vernünftig um, jetzt ist der Wohlstand fast schon vorbei.

S. Leihkauf
3 Monate her

Was, wenn mal jemand sagt: Der nationale Sozialismus war gar kein richtiger nationaler Sozialismus.

Ralf Poehling
3 Monate her

Jetzt komme ich aus dem Grinsen gerade nicht mehr heraus. 🙂 Eine konservativ-liberale Website regt sich ausgerechnet darüber auf, dass eine Linke keinen Marx kennt… Ihr solltet euch viel eher darüber freuen, dass man auf der linken Seite bereit ist, den alten Marx endlich mal beiseite zu schieben und darüber nachzudenken, wie man eine Welt herstellt, in der gute Arbeit auch korrekt bezahlt wird. Das klappt nämlich hinten und vorne nicht. Da kann ich selbst ein Lied von singen! Und um jetzt mal Tacheles zu reden: Man wirft der linken Seite ja immer vor, sie würde über den Sozialstaat den… Mehr

Haba Orwell
3 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

> Ihr solltet euch viel eher darüber freuen, dass man auf der linken Seite bereit ist, den alten Marx endlich mal beiseite zu schieben und darüber nachzudenken, wie man eine Welt herstellt, in der gute Arbeit auch korrekt bezahlt wird.

Das sicherlich nicht Westeuropas Linke, die sich liebend gerne an Very Big Kapital mit Agenden wie Klimagedöns und exzessive Migration verkaufen. Dort geht es eher um üppiges Bezahlen der politisch korrekten Tattoos(:innen) und allerlei krude Sozialexperimente aus der 1968-Kiste. Bloß richtige Arbeit meiden, ist ja was für die Boomer.

Ralf Poehling
3 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

Ich war damals hautnah dabei, Auge in Auge. Aber gegen zwei in die Trade Center fliegende Flugzeuge in Dauerschleife auf allen Kanälen war einfach kein ankommen. Nicht von links, aber auch nicht von rechts. Dass die linke Seite, die waren ja damals bei uns dran, dann in die alte Mottenkiste gegriffen hat und das seitdem durchzieht, kann ich denen nicht übel nehmen. Das ist zwar nicht treffsicher und hat zu viele Nebenwirkungen, aber warum die das machen ist mir vollkommen klar. Ich stehe ja mit dem gesamten Spektrum national und international in permanentem Austausch und versuche da eine gangbare Lösung… Mehr

Peter Pascht
3 Monate her

In einer freien Witschaft gilt:
erzielte Verkaufpreis = Herstellerpreis(investierte Abeit) + Vekaufgewinn (Mehrwertschöpfung)
Verkaufen = Konkurenz
Vekaufgewinn wird erzielt aus der Konkurenz durch
besserer Waren als Andereeffizienttere Herstellprozesse als AndereIn der sozialistischen Theorie von Marx gib es keinen Verkaufgewinn über den Herstellerpreis hinaus, denn das ist „kapitalistisch“.
Deswegen gib es im Sozialismus:
keine besserer Waren als Anderekein effizientere Herstellprozesse als AndereDa ist es völlig egal, ob Genossin Heidi Reichinnek meint „nicht das politische System umstürzen“,
Das „Wirtschaftssystem“ des Sozialismus funkioniert nicht,
denn es generiert keinen Forschritt.
Was Marx sagte ist falsch !!!

Last edited 3 Monate her by Peter Pascht
MaxVanMoritz
3 Monate her

Man schaffe lieber den Kapitalismus ab, weil dieser jede Marktwirtschaft erwürgt! Es ist nicht die Eigentumsfrage sondern die Monopolfrage!
Gab es das in der Geschichte? Ja, für knapp 300 Jahre in Deutschland!