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Tagesspiegel stellt Karl Lauterbachs wissenschaftlichen Ruf in Frage

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll als Wissenschaftler nicht richtig in Erscheinung getreten sein. Diese These hat der „Tagesspiegel“ veröffentlicht – es ist womöglich ein Angriff aus den eigenen Reihen.

Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister beim G7-Treffen in Berlin, 20.05.2022

IMAGO / Chris Emil Janßen
„Bei Gesundheitsminister #Lauterbach finden sich kaum Anzeichen einer fundierten akademischen Vergangenheit“, mit diesen Worten bewirbt der Tagesspiegel seine aktuelle Geschichte. Die Redaktion habe für diese selbst nach Lauterbachs Publikationen gesucht und Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern geführt – vor allem aus seiner Zeit am Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft der Universität Köln, das er ab 1996 selbst aufbaute. Bevor er auf diese Professorenstelle berufen wurde, so der Tagesspiegel, sei er wissenschaftlich nicht so in Erscheinung getreten, dass diese Berufung „zwingend“ gewesen sei.

Der Hauptvorwurf des Tagesspiegels lautet, dass Lauterbach bis dahin nicht als Erstautor in einem anerkannten, wissenschaftlichen Magazin publiziert habe. Auch habe er sich laut ehemaligen Mitarbeitern wenig mit epidemiologischen Methoden beschäftigt. Der Auftritt in den Medien sei ihm – schon damals – wichtiger gewesen als die wissenschaftliche Arbeit. Die Zahl und Qualität der veröffentlichten Arbeiten ist in der akademischen Welt ein wichtiger Grad, an dem Wissenschaftler gemessen werden.

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Lauterbachs „h-Index“ ist mit 24 indes ordentlich. Dieser wird über die Datenbank Scopus ermittelt und wertet die Publikationen aus, die ein Akademiker in seiner Karriere veröffentlicht hat. Allerdings beruht dieser Wert auch auf Arbeiten, die er mit dem Institut im Rücken veröffentlicht hat. Wie viel davon auf ihn direkt zurückgeht, werden nur die Mitarbeiter bewerten können, die am Entstehungsprozess dieser Arbeiten beteiligt waren.

Interessant ist, dass ausgerechnet der Tagesspiegel das Thema aufgebracht hat. Die Hauptstadt-Zeitung steht der SPD nahe. Sie wird oft von Sozialdemokraten genutzt, um sogenannte U2-Meldungen zu platzieren. U2 bedeutet, dass ein Politiker einem Journalisten eine Information zukommen lässt und will, dass dieser sie auch veröffentlicht – allerdings ohne dass der Politiker selbst im Text als Quelle erscheint. Stattdessen bemüht der Journalist die „gut informierten Kreise“ oder Ähnliches als Quelle. Es spricht also viel dafür, dass der Tagesspiegel aus Reihen der SPD mit Material über Lauterbach gefüttert wurde und wird.

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Der Gesundheitsminister hat sich jüngst in der SPD nicht nur Freunde gemacht. Zu oft drängt er in die Öffentlichkeit, ohne das Wohl seiner Partei im Auge zu haben: Etwa mit seinem Schwurbeln von „Absoluten Killervarianten“, die uns im Herbst bevorstünden. Oder als er ankündigte, die Beiträge der Krankenkassen würden steigen – strategisch klug gesetzt, kurz vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Vor allem aber nehmen ihm die Genossen das Scheitern der Impfpflicht im Bundestag übel. Die Strategie, die Abgeordneten schreiben selbst einen Antrag, den er fachlich berät und der dann eine Mehrheit im Bundestag findet, ging grandios in die Hos‘. Warum das zuständige Ministerium nicht selbst einen, möglichst wasserdichten, Antrag formulierte, stand nach der Pleite im Raum. Und steht da immer noch.

Die Publikation des Tagesspiegels nun passt zu solchen Vorwürfen. Denn in den Medien stark vertreten sein zu wollen, aber die Mühen der Ebene zu scheuen – das zieht sich als roter Faden durch Lauterbachs Laufbahn. So erhielt er seine Approbation als Arzt in Deutschland laut Spiegel erst 2010. Ihm fehlen und fehlten die verpflichtenden 18 Monate als „Arzt im Praktikum“. Die Approbation erhielt Lauterbach erst, als diese Hürde per Gesetz wegfiel. Als Gesundheitsminister mehren sich die Stimmen aus seinem Haus, Lauterbach würde sich nur für Corona interessieren. Andere Baustellen wie die davonlaufenden Kassenbeiträge, Fachkräftemangel im Arzt- und im Pflegeberuf oder der Kampf gegen multiresistente Krankenhauskeime interessierten ihn hingegen nicht.

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Als Lauterbachs härteste Kritikerin trat bisher seine Ex-Frau Angela Spelsberg auf. Die Ärztin und Epidemiologin warnte bereits 2013 davor, ihm Macht zukommen zu lassen. Er verfolge nur seine eigenen Interessen wie „Geld und Karriere“ – und das rücksichtslos. Lauterbach kündigte an, gegen die von ihr aufgestellte Behauptung vorgehen zu wollen, er habe keinen Unterhalt für die gemeinsamen vier Kinder zahlen wollen. Das sei ein Eingriff in die Privatsphäre. Der entsprechende Artikel ist denn heute auch auf Bild.de nicht mehr zu finden.

Aufgrund seines Lebenslaufs hätte sich eine frühere Karriere Lauterbachs aufgedrängt: Arbeiterkind, Studium und Vorträge in Harvard, mehrere Buch-Veröffentlichungen … Doch Gerd Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel hielten ihn konsequent an der Seitenlinie. Lediglich Peer Steinbrück machte ihn 2013 zum potenziellen Minister in seinem Schattenkabinett. Als Lauterbach kurz vor der Corona-Pandemie gemeinsam mit Nina Scheer um den Vorsitz der SPD kandidierte, landete er auf Platz vier von sechs, mit etwas mehr als 31.000 Stimmen. 14,6 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 53,3 Prozent.

Nach einigen bekannt gewordenen Fällen der Affenpocken nimmt Lauterbach wieder die Rolle des Mahners und Warners an, die ihn berühmt gemacht hat. In den ersten drei Monaten des Ukraine-Krieges hatte ihm diese öffentliche Aufmerksamkeit weitgehend gefehlt. Auch sind die Affenpocken ein Grund, die Arbeit im Ministerium weiterhin liegen zu lassen. Dass er die Beitragserhöhung der Krankenkassen nicht verhindern will, hat Lauterbach bereits angekündigt.

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