Wenige Hundert demonstrieren gegen Antisemitismus, Tausende für die Vernichtung Israels

TE-Reporter besuchten gestern mehrere Demos in Berlin. Während wenige hundert Personen nur dank massivem Polizeiaufgebot friedlich für Israel demonstrieren konnten, zieht ein antisemitischer Mob durch die Straßen und grölt unverhohlen die schlimmsten judenfeindlichen Parolen. Das ist das Bild, das Deutschland in diesen Tagen wieder in die Welt sendet. Von Larissa Fußer und Pauline Schwarz.

IMAGO / Future Image

Am Samstag fanden in Berlin vier Demos zum aktuell aufgeflammten Nahost-Konflikt statt. Drei waren pro-palästinensisch, eine pro-israelisch. Zur größten pro-palästinensischen Demo kamen ca. 3.500 Personen, zur pro-israelischen nur ca. 500. Während die Solidaritätsbekundungen mit Israel friedlich blieben, kam es auf Pro-Palästina-Demos zu massiven Gewaltausbrüchen und zu Ausschreitungen.

Wir besuchten die pro-israelische Demo am Potsdamer Platz, die vom Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Berlin veranstaltet wurde. Als wir dort ankommen, sehen wir gerade Jörg Rensmann, Programmdirektor des MFFB, mit der Polizei reden. Der Veranstaltungsort war gut bewacht, ca. 15 Polizei-Wannen umstellten den Platz. Die umliegenden Straßen waren aber nicht abgesperrt worden – was zur Folge hatte, dass während der Demo im Minutentakt aus vorbeifahrenden Autos Palästina-Flaggen herausgestreckt und Sprüche wie „Fuck Israel, ihr scheiß Juden“, „Lang lebe Palästina“ und „Ihr seid alle Kindermörder“ geschrien wurden. Wir selbst wurden als „Hurensöhne“ beschimpft und bekamen zahlreiche Mittelfinger entgegengestreckt. Angehalten wurde von der Polizei nur die „Kindermörder“-rufende Frau, die zusammen mit einer Kopftuch-tragenden Fahrerin und einem Kleinkind unterwegs war. Gegen sie erhob die Polizei Anzeige und nahm weitere Zeugenaussagen auf.

— Norbert Gundacker (@n_gundacker) May 15, 2021

Das beschimpfte Demo-Publikum war sehr bunt. Neben vielen Israel-Flaggen gab es eine Regenbogenflagge, auf die ein Davidstern gedruckt war, und eine Transfrau, die ein Plakat der queeren WMFA („WoMen Fight AntiSemitism“) in die Luft streckte. Außerdem waren mehrere Transparente mit dem Spruch „Gegen jeden Antisemitismus“ zu sehen – eines davon trug zusätzlich das Symbol der Antifa. Die Antifa schien allgemein gut vertreten zu sein – immer wieder konnten wir kleine Antifa-Plakate oder Sticker bei Demo-Teilnehmern entdecken.

Die Veranstalter bauten ein Windzelt auf und befestigten daran ein „Free Gaza from Hamas“-Banner. Vor dieser Kulisse begrüßte Jörg Rensmann alle Teilnehmer und erteilte verschiedenen Rednern das Wort – darunter bekannte Gesichter wie Volker Beck (Grüne) und Seyran Ateş.

Die Stimmung war geladen. Mike Dellberg von der Jüdischen Gemeinde Berlin konstatierte gleich zu Beginn, dass sich der Hass in Deutschland gegen Synagogen, auf den Straßen und in den Sozialen Medien im Moment so stark anfühle „wie leider bislang noch nie“.

Diese Aussage unterstütze auch Ruven Gastel, Sprecher des Jungen Forums DIG Berlin, der mit entschlossener, teils wütender Stimme rief: „Wir stehen hier. Eigentlich müssten wir aber in Neukölln stehen! Dort können wir uns aber nicht mehr hin trauen, denn dort grassiert der antisemitische Mob mit Verbindungen ins Milieu der organisierten Kriminalität und zu Terrororganisationen!“

Das eigentliche Problem, so Seyran Ateş, sei der arabische und türkische, kurz muslimische Antisemitismus. Dieser sei vor allem unter Muslimen verbreitet, die sich selbst gerne als Opfer stilisieren. Sie bete für die Freiheit Palästinas, das bedeute aber vor allem die Freiheit von der Hamas und anderen islamistischen Organisationen.

Volker Beck griff direkt die deutschen Medien an: „Wer den Konflikt [mit der Besatzung] beginnen lässt, der lügt und spricht die Unwahrheit. Der Konflikt beginnt mit dem Überfall der arabischen und islamischen Staaten auf Israel am Tag seiner Gründung 1948. Und der Kern des Konfliktes ist es, dass ein Teil der arabischen und muslimischen Welt die Existenz Israels […] nicht bereit ist zu akzeptieren. Und solange das so ist, kann es keine Frage sein, wo wir stehen.“

Zuletzt richtete sich die Kritik der Redner direkt an die Politik. Der aus Israel stammende Rapper und Buchautor Ben Salomo rief ins Mikrofon: „Wir sind hier heute nur diese paar hundert anständige Menschen, weil man unsere Familien damals ermordet hat und das wird heute mit deutschem Geld weiterfinanziert“. Und zwar, so Salomo, in den UNRWA Camps und in den palästinensischen Gebieten, in denen Kinder schon vom Kindergartenalter an Judenhass erlernen. Salomo weiter: „Ist das was Deutschland aus dem Holocaust gelernt hat? Dass man den nächsten Holocaust einfach einer Proxy-Organisation überlässt?“

Sichtlich angefasst griff Jörg Rensmann zum Abschluss die Kritik an der deutschen Finanzierung der UNRWA auf. Deutschland, so Rensmann, sei „der größte einzelstaatliche Finanzier der UNRWA“. Jeder im Publikum müsse aktiv werden und den Politikern klarmachen, dass die Indoktrination von Kindern durch die UNRWA der Vorbereitung antisemitischen Terrors diene und nicht länger haltbar sei. Nach nur zwei Stunden beendete Rensmann die Veranstaltung und die Menge löste sich wütend, aber friedlich, auf.

Währenddessen sah es bei den Palästina-Demos in Neukölln ganz anders aus.

Gleich drei verschiedene Demonstrationen zogen am Samstag, dem „Tag der Nakba“, als Teil der „Palästinensischen Kampfwoche“ durch Berlin, nachdem schon bei Demonstrationen am Freitag und Mittwoch offen gegen Israel gehetzt wurde. Am Kottbusser Tor wurden am Freitag von den etwa 800 Teilnehmern immer wieder „Intifada bis zum Sieg“ und „Kindermörder Israel“-Parolen gebrüllt und in arabischen Sprechgesängen sogar zum Angriff auf Tel Aviv aufgerufen. Als die Demo weiter Richtung Hermannplatz zog, ertönten dann auch noch wiederholt die Aufrufe „Khaybar Khaybar, ya yahud, Jaish Muhammad, sa yahud“, was soviel heißt wie „Juden, erinnert euch an Khaybar, die Armee Mohammeds kehrt zurück“ und auf die islamische Geschichtsschreibung bzw. Legende anspielt, laut der in einer Oase zahlreiche Juden von der Armee Mohammeds massakriert und versklavt wurden.

Diese aggressiven und gewaltverherrlichenden Aufrufe waren aber anscheinend nur der Vorgeschmack auf die Gewalteskalation bei der größten der drei Demos, die am Samstagmittag unter dem Motto „Tag der politischen Gefangenen Palästinas“ mit etwa 3.500 Teilnehmern startete. Der Veranstalter war kein geringerer als die PFLP-Organisation „Samidoun Deutschland“, die von Israel im Februar 2021 als Terrororganisation eingestuft wurde. Da das in Deutschland anscheinend kein Grund ist, eine Demo nicht zu gestatten, konnten die Anti-Israel-„Aktivisten“ ungestört losziehen, kamen allerdings nicht besonders weit. Schon nach einer halben Stunde beendete die Polizei die Demo offiziell, weil sich die Teilnehmer nicht mal ansatzweise an die Corona-Regeln hielten – Lautsprecherdurchsagen auf Deutsch und Arabisch wurden vollständig ignoriert. Laut Polizei ließ sich etwa ein Drittel der Teilnehmer, also ca. 800-1.200 Personen, aber auch davon nicht beirren und verwandelte die Sonnenallee – wo es unter Beteiligung der Migrantifa Berlin schon am 1. Mai zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war – abermals in eine großflächige Kampfzone.

Die Polizei stand unter Dauerattacken – Flaschen, Steine, Baustellenschilder, Fliesen, Böller und sonstiger Pyrotechnik wurde ihnen entgegengeschleudert. „Aktivisten“ schlugen auch direkt auf Polizeibeamte ein und schrien sie an, sie seien „noch schlimmer als Juden“. Gleichzeitig wurden Israelis als Kinder-, Frauen- und Babymörder beschimpft, sowie die Bombardierung Tel Avivs gefordert. Die Polizei nahm unter heftiger Gegenwehr und Befreiungsversuchen immer wieder einzelne Demonstranten fest, wirkte angesichts der schieren Masse aber ziemlich überfordert – etwa 600 Polizisten standen einem doppelt so großen wütenden Mob gegenüber. Die Polizei forderte die aufgebrachte Menge vergeblich auf, den Bewurf zu unterlassen und die Fahrbahn freizumachen: „Wir haben Verletzte und Rettungswagen, die nicht durchkommen“. Es hagelte weiter Pflastersteine, teilweise von Jugendlichen und Kindern, die lachend vor der Polizei davonliefen – sie trugen unter anderem die Flaggen von Palästina, dem Iran, dem Libanon, der Türkei und der Sowjetunion.

Die Aggression richtete sich aber nicht nur gegen die Polizei, sondern auch gegen die vielen anwesenden Journalisten. Sie wurden als „Zionisten- und Lügenpresse“ und als „Hurensöhne“ bezeichnet, anwesende Kamerateams bedrängt und geschubst. Ein Bild-Reporter wurde als „Scheiß Jude“ beschimpft, auf einen Tagesspiegel-Journalisten und seinen Kameramann flogen während einer Aufnahme Böller, die direkt zwischen ihren Füßen explodierten und auch ein Journalist der Welt wurde, während er gerade filmte, heftig von einem Gegenstand getroffen. Eine israelische Reporterin, die einem RTL-Team gerade ein Interview geben wollte, wurde live vor der Kamera mit einem großen Böller beworfen, nachdem „Demonstranten“ mitbekommen haben, dass die junge Frau hebräisch spricht. Insgesamt wurden etwa 15 Journalisten und drei Kamerateams aktiv an ihrer Pressearbeit gehindert und teilweise körperlich angegriffen, zwei Journalisten wurden leicht verletzt.

Laut Jüdischem Forum wurde am Rande der Demo außerdem eine queere Person von den Demonstranten attackiert und geschlagen – ein Fakt, den die sympathisierende Gruppe „Queers For Palestine“ zur Kenntnis nehmen sollte.

Es wurden insgesamt 93 Polizisten verletzt, 59 Personen wurden festgenommen.

Dass ein wütender antisemitischer Mob beinahe ungehindert durch die Straßen ziehen, Polizeibeamte und Journalisten verletzen und offen zum Mord an Juden aufrufen kann, ist eine Schande für unser Land. Wo sonst an jeder Ecke zum Kampf gegen Nazis und Antisemitismus aufgerufen wird, herrscht auf dieser Seite auf einmal das große Schweigen – auch die Tagesschau spricht in ihrem Bericht mit großem blinden Fleck von einer „angespannten Stimmung“ bei den ausgeschrittenen Protesten in Berlin, verschweigt aber den offenen und massiven Antisemitismus und berichtet weder von angegriffenen Kollegen noch Polizisten.

Obwohl in ganz Deutschland Synagogen und friedliche Pro-Israel Demonstranten von der Polizei vor Übergriffen geschützt werden müssen, geht kein breiter Aufschrei durch die Gesellschaft. Von der Bundeskanzlerin, die tagelang abgetaucht ist, hört man nur völlig Halbgares. Dabei war es schon lange und ist es besonders jetzt Zeit, endlich zu Handeln und zu zeigen, dass Merkels Satz „Die Sicherheit und Existenz Israels ist eine deutsche Staatsräson“ nicht nur eine leere Floskel ist.

Uns so wird abermals ein Bild von Deutschland in die Welt gesendet: Einige Hundert demonstrieren für Israel – und Tausende rufen ungehindert und unsanktioniert zur Vernichtung Israels auf. Die Medien spielen herunter, die Politik drischt seit Jahren die immer gleichen Phrasen und Deutschland finanziert weiterhin den Terror gegen Israel mit und stimmt in der UN immer wieder gegen Israel. Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man mittlerweile annehmen, die deutsche Politik macht genau das Gegenteil von dem, was sie in Sonntagsreden sagt.


Von Larissa Fußer und Pauline Schwarz. 

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