Marschflugkörper können auch mittlere und kleine Mächte einsetzen

Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, die „Moskwa“, ist gesunken. Das hat am Donnerstagabend das russische Verteidigungsministerium bestätigt. Zum Einsatz kamen dabei nach ukrainischen Berichten zwei Neptun-Seezielflugkörper.

IMAGO / Xinhua
Die am 14.04.2022 gesunkene Moskwa während einer Militärübung im September 2013

»Während das Schiff … in Richtung des Zielhafens geschleppt wurde, verlor es aufgrund von Schäden am Rumpf das Gleichgewicht, als nach einer Munitionsexplosion ein Feuer ausbrach. Angesichts der unruhigen See ist das Schiff gesunken«, so zitierte die staatliche Nachrichtenagentur TASS das russische Verteidigungsministerium.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Das mit Abstand größte und feuerstärkste Kriegsschiff der russischen Schwarzmeerflotte wurde am Mittwoch südlich von Odessa zerstört. Zunächst meldeten ukrainische Stellen am Mittwochabend, es sei gelungen, dem russischen Raketenkreuzer „erheblichen Schaden“ zuzufügen. Dabei seien zwei Neptun-Seezielflugkörper zum Einsatz gekommen. Später am Abend bestätigte das russische Verteidigungsministerium die Beschädigung der „Moskwa“. Munition habe infolge eines Feuers an Bord gezündet, zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti offizielle Stellen. Das Schiff sei „schwer beschädigt“ – die 500-köpfige Besatzung sei vollständig evakuiert worden.

Der 187 Meter lange Kreuzer sollte alle maritimen Aktionen Russlands im Schwarzen Meer anführen. Das Schiff verfügte über hohe Feuerkraft und Flugabwehr und wäre für den Schutz von Seelandeoperationen von zentraler Bedeutung. Es galt zudem als Garant für die russische Vormachtstellung im Schwarzen Meer. Ohne die Moskwa ist Russlands Schwarzmeerflotte stärker durch Raketen und Drohnen gefährdet, denn das Schiff war als einziges mit einer wirkungsvollen Luftabwehr ausgestattet und konnte anderen Schiffen Luftschutz bieten. Ähnliche Schiffe der russischen Marine können nicht ins Schwarze Meer, weil die Türkei die Meerenge am Bosporus für Kriegsschiffe für die Dauer des Krieges gesperrt hat.

Der abgefeuerte Marschflugkörper ist offenbar in der Lage, Ziele mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometer zu treffen, und kann so niedrig fliegen, dass er nicht vom Radar entdeckt werden kann. Er kann außerdem eine Steuerung mithilfe des GPS mit Trägheitsnavigation kombinieren, um die Genauigkeit der Navigation zu verbessern; der Marschflugkörper verfügt über einen aktiven Radarsucher an Bord, um sein Ziel in der letzten Phase vor dem Aufprall genau zu erkennen und anzusteuern.

Für Russlands Marine ist die Zerstörung ein Desaster und wird auch militärisch erhebliche Folgen haben. Die »Moskwa« der Slawa-Klasse ist zwar alt – sie wurde 1982 in Dienst gestellt -, wurde aber 2010 überholt.

Das "Russian Warship" von der Schlangeninsel
Symbolträchtiger ukrainischer Triumph: Russisches Flaggschiff im Schwarzen Meer zerstört
»Es ist die einzige Schiffsklasse, über die die russische Marine derzeit verfügt, die über ein Luftabwehrsystem mit großer Reichweite verfügt«, so Dr. Sidharth Kaushal, Forschungsbeauftragter für Seemacht am Royal United Services Institute (RUSI), dem 1831 gegründeten und ältesten britischen Sicherheitsforschungsinstitut. Sie stelle eine mobile Luftabwehrbasis mit großer Reichweite für den Rest der Flotte sowie Kommando- und Kontrollsysteme bereit. Diese Fähigkeiten könnten nicht einfach ersetzt werden.

Die russische Marine hat in diesem Krieg bisher eine relativ geringe Rolle gespielt. Sie wird vor allem als zusätzliche Quelle für Marschflugkörper eingesetzt, um Ziele in der gesamten Ukraine anzugreifen. Die »Moskwa« verfügte zwar nicht über solche Raketen, aber sie trug die Anti-Schiffs-Raketen, die sie im Kalten Krieg zu einer Speerspitze gegen die amerikanischen Trägerflotten machten. »Diese Schiffe würden die amerikanische Trägerflotte vollständig neutralisieren«, schrieb der russische Historiker Andrej Subow am Donnerstag in einem Facebook-Post mit der Überschrift »Das unrühmliche Ende des Ruhms«. Er erinnerte damit an die Worte seines Vaters, der den Bau der Moskwa und anderer großer Marine- und Zivilschiffe beaufsichtigte.

Subow erinnerte sich, dass sein verstorbener Vater – ein Admiral – den schweren Kreuzer als Abschreckung sah, die niemals eingesetzt werden sollte. »Gott sei Dank hat er nicht gesehen, wie die heutigen russischen Strategen seinen Stolz ausgenutzt haben«, sagte er. »Es ist an sich schon ein großer militärischer Fehler, ein Abschreckungsschiff als Feuerunterstützung für eine amphibische Landung einzusetzen.«

Die Schwarzmeerflotte sei seit Beginn des Krieges am 24. Februar mehrfach zum Angriff auf Odessa aufgebrochen, doch habe sie ihn nicht durchgeführt. Das liege, so Kaushal, zum großen Teil daran, dass die Landungstruppen mit 3.000 Mann zu klein wären, um einen größeren Landangriff zu bewerkstelligen. Zu diesem Landangriff ist es einem Bloomberg-Bericht zufolge bisher nicht gekommen, weil die russischen Streitkräfte bei Mykolajiw, dem Tor zu Odessa und den größten Schwarzmeerhäfen der Ukraine, immer wieder blockiert wurden. Wären sie durchgebrochen, hätte die Moskwa eine Sicherung für einen Landangriff bilden können.

Bloomberg zitiert eine Quelle aus dem russischen Verteidigungsministerium, nach der es mit oder ohne »Moskwa« sehr schwierig wäre, Odessa vom Meer aus anzugreifen, und wertete dies als einen eher symbolischen Verlust. Russland verfüge nur über eine kleine Anzahl von Schiffen dieser Klasse und habe nicht die Schiffbaukapazitäten wie zu alten Sowjetzeiten.

Die Moskwa werde mittelfristig wahrscheinlich nicht ersetzt werden. Denn die Stadt Mykolajiw verfügt nicht nur über die einzige Werft in der ehemaligen Sowjetunion, die in der Lage ist, einen Flugzeugträger zu bauen. Dort sitzt auch der Hersteller von Gasturbinentriebwerken für große Schiffe wie die Moskva. Solche Triebwerke sind wichtig, weil sie ein besseres Leistungsgewicht haben und nicht nur den zusätzlichen Schub erzeugen, der nötig ist, um ein 11.490 Tonnen schweres Schiff wie die Moskwa anzutreiben, sondern auch die elektrischen Energiemengen bereitzustellen, die für komplexe Systeme auf modernen Kriegsschiffen immer wichtiger wird, wie kausal hinweist.

Nach ukrainischem Raketenangriff
Jetzt bestätigt auch Russisches Verteidigungsministerium: Flaggschiff "Moskwa" ist gesunken
Insbesondere die neue Generation von Energiewaffen und Railguns benötigen große Mengen an elektrischer Energie, die nur von einer Gasturbine oder einem nuklearbetriebenen Motor bereitgestellt werden kann. Russland hat nach eigenen Angaben Programme zur Entwicklung von beidem. Doch die Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, behindern erheblich die weitere Entwicklung. Diese Marineschiffe sind auf erhebliche Mengen an importierten Teilen und Technologien aus anderen Ländern angewiesen.

Die Bedrohung von Schiffen durch Raketen sei eine alte Tatsache, schreibt der Missile-Experte Sidharth Kaushal vom Sicherheitsforschungsinstitut RUSI. Neu sei jedoch die wachsende Zahl der Akteure, die sie einsetzen. Neben der Ukraine hätten sowohl die Hisbollah als auch die Houthis in ihren Konflikten mit Israel und Saudi-Arabien ältere Anti-Schiffs-Marschflugkörper aus chinesischer Produktion gegen teure Schiffe eingesetzt. Die wachsende Zahl von Instrumenten zur Verfolgung von Zielen auf See, darunter kommerzielle Satellitennetzwerke, Open-Source-Daten und relativ billige Möglichkeiten wie Drohnen, bedeute, dass ein Angriff auf maritime Ziele in Reichweite nicht mehr nur Großmächten vorbehalten sei.

In dem Maße, so Kaushal, in dem die Fähigkeit zunehme, Schiffe auf See mit Marschflugkörpern anzugreifen und sie im Hafen mit ballistischen Raketen zu zerstören, könnte auch die militärische Machtprojektion für alle Großmächte schwieriger werden.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 14 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

14 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Regenpfeifer
2 Jahre her

Ich wundere mich sowieso, warum die Ukraine so auf die Lieferung schwerer Waffen drängt statt auf die Lieferung einiger 1000 Marschflugkörper -letztere wären doch viel effektiver? Sieht man ja auch am Beispiel der Moskwa: zwei Marschflugkörper und das ganze Kriegsschiff ist weg.
Sollte mit Panzern und Nachschubtransportern doch dasselbe sein, oder?

Or
2 Jahre her

„Das Schiff verfügte über hohe Feuerkraft und Flugabwehr und wäre für den Schutz von Seelandeoperationen von zentraler Bedeutung.“

Scheint wohl nicht viel genutzt zu haben.

Roland Mueller
2 Jahre her

Die russische Luftwaffe wird die ukrainischen Abschussvorrichtungen in Odessa aller Voraussicht nach in den nächsten Tagen mit schweren Bunkerknackern in Schutt und Asche legen. Danach gibt es keinen Grund mehr für eine Landung in Odessa von der See aus.

Alf
2 Jahre her
Antworten an  Roland Mueller

Hier spricht wohl der Experte.
Bisher wurden Wohngebäude und zivile Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt.
„Landung“ in Odessa?
Da haben Putin und seine Schergen sich wohl verzockt,

Hans Wurst
2 Jahre her
Antworten an  Roland Mueller

Bunkerknacker? Ihnen ist schon klar, daß es sich um Marschflugkörper mit mobilen Abschußrampen handelt. Nicht um atomare Langstreckenraketen in unterirdischen Raketensilos?

Aljoschu
2 Jahre her

Wir erleben gerade eine militärische Zeitenwende, die alle bisherigen Entwicklungen in den Schatten stellt: Die hochpreisigen Maschinen des klassischen Luft-, Land-, und Seekrieges werden zunehmend obsolet! Seitdem zumeist von einem Menschen tragbare, intelligentere und vor allem vergleichsweise kostengünstige Systeme wie Panzerfäuste, Stingerraketen, Bazookas und bombenbestückte kleine Drohnen in die Lage versetzt worden sind, schwerste Panzer, Hubschrauber und selbst hochinvestive Jagdflugzeuge sowie prestigeträchtige Kriegsschiffe innerhalb Sekunden zu Schrott zu verwandeln, gilt nicht mehr in der Kriegsführung, was gestern noch galt. Insbesondere die Staaten, die zu träge, zu bräsig, zu ideologisch bigott waren, mit der allgemeinen Entwicklung in der elektronischen Kampfführung mitzuhalten,… Mehr

Thorsten
2 Jahre her

Es ist ein prestigeträchtiger Verlust, besonders da es die zentrale Luftabwehr der Schwarzmeerflotte stellte. Damit ist für Russland klar, dass es erst mal seine Luftabwehr verbessern muss.
Ich vermute, dass eine NATO-Waffe eingesetzt wurde und auch Koordinaten geliefert wurden.
Vermutlich gab es viele Opfer. Bestimmt mehr als offiziell zugegeben wird.
Insgesamt ein typisches Verlustbild: zuerst gibt es einen schweren Treffer, dann brechen Brände aus und Munition explodiert. Am Ende sinkt das Schiff. Erinnert an die Hood, Bismarck und Yamato …

Hans Wurst
2 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Die Neptun ist die ukrainische Weiterentwicklung einer sowjetischen Antischiffsrakete.
Die Hood explodierte nach einer Treffersalve und sank in weniger als 3 Minuten, der genaue Grund für das Sinken der Bismarck ist bis heute ungeklärt. Ein Vergleich verbietet sich jedoch schon deswegen, weil die Schiffe komplett anders konzipiert und konstruiert waren. Beide hätten vermutlich aufgrund ihrer massiven Gürtelpanzerung einem Raketentreffer besser standgehalten als die Moskwa.

EinBuerger
2 Jahre her

Ich denke, der Krieg ist für Putin ein Desaster. Und natürlich ändern sich Kriegswaffen, und welche wie effektiv sind, laufend. Der Krieg Aserbaidschan gegen Armenien hat gezeigt, dass türkische Drohen sehr effektiv sind. Umgekehrt wird natürlich versucht werden, Abwehrwaffen gegen solche Raketen und Drohnen zu entwickeln. Das alles kostet sehr viel Geld.
Genau wie die derzeitige politische Entwicklung könnte auch die militärische ergebnisoffen sein: Man weiß nicht, wer in ein paar Jahren wie stark sein wird.
Jetztfalls ist das ein weiterer zentraler Bestandteil des Great Game, welches derzeit sicherlich eröffnet ist.

GrinansPere
2 Jahre her

Mein Gott, eine weitere Ölpest wird die Folge sein.
Warum ?
Aus reinen Prestigegründen.

Die russische Marine hat in diesem Krieg bisher eine relativ geringe Rolle gespielt. Sie wird vor allem als zusätzliche Quelle für Marschflugkörper eingesetzt, um Ziele in der gesamten Ukraine anzugreifen. Die »Moskwa« verfügte zwar nicht über solche Raketen,…

Ehrlich, liebe Gretas und Luisas, wo bleibt da der Aufschrei ?

alter weisser Mann
2 Jahre her

Hatten wir ja schon vor 40 Jahren im Falklandkrieg
Argentien – Exocet vs. GB – Luftabwehrzerstörer Sheffield
Ein glücklicher Treffer reicht gelegentlich, die Zerstörung eines so empfindlichen Gerätes wie ein Schiff auszulösen, aber nicht für den Sieg im Krieg.

Last edited 2 Jahre her by alter weisser Mann
Gerd07
2 Jahre her

Ich kann mich nur wiederholen: Nur weil die Russen einen Schweren Kreuzer verloren haben, muss das nichts für große Überwasserschiffe allgemeinen bedeuten. Nicht jede Marine ist Teil einer korrupten Diktatur!

Turnvater
2 Jahre her
Antworten an  Gerd07

Alles hat seine Zeit und sein erstes mal.

Denken Sie daran, wenn eines Tages der erste westliche Flugzeugträger schwer getroffen oder versenkt werden wird.

alter weisser Mann
2 Jahre her
Antworten an  Gerd07

„Nicht jede Marine ist Teil einer korrupten Diktatur!“
Ja und was half das z.B. der Sheffield? Gelten für Demokratien andere technische Einsatzgegebenheiten?
Für große Überwasserschiffe wie Schlachtschiffe hat „das“ längst etwas bedeutet. Es ist z.B. auch nicht davon auszugehen, dass Flugzeugträger lange überleben, wenn sie nicht nur vor relativ wehrlosen Ländern aufkreuzen.