Merz spielt in Berlin den starken Mann – in Brüssel ist er der Zahlmeister ohne Hebel. Sein Russland-Plan wird zerlegt, Deutschland wird ausgespielt, und übrig bleibt das Programm der anderen: EU-Schuldenunion, entkernte Parlamente, deutsche Haftung. Führung? Fehlanzeige.
picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Es gibt Politiker, die haben sehr spezifische Talente. Friedrich Merz gehört sicher dazu. Er hat eine starke ausgeprägte Neigung mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen frohen Mutes in die Schlacht zu ziehen, nicht ohne vorher seine Truppen durch flammende und vollmundige Reden ermutigt zu haben, um dann nach einem eher kurzen Gefecht als vollständig Geschlagener und gedemütigt das Feld zu verlassen.
Tross und Artilleriepark in Feindeshand, die meisten Fahnen auch und die Hälfte der Truppen gefallen oder desertiert, der Feldherr selbst mit Mühe und Not entkommen, so sehen die Schlachten meist aus, die Friedrich Merz schlägt.
Das galt schon seit der Wahlniederlage der Ampel-Regierung: Erst ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Schuldenbremse, dann wird sie mit den Stimmen der CDU weitgehend ausgehebelt. Nicht viel anders sieht es in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus, wo letztlich die SPD, die fast alle sinnvollen Reformen radikal ablehnt, das Heft in der Hand hält.
Auf einem Feld allerdings schien Merz doch noch eine leidlich gute Figur zu machen, auf dem Feld der Außenpolitik. Während Scholz eher ungeschickt agierte und auch von Deutschlands Partnern meist nicht sehr ernst genommen wurde, trat Merz sehr viel kraftvoller auf und mit Wadephul stand ihm ein Außenminister zur Seite, der vielleicht auf dem Trampolin eine schlechtere Figur machen würde als seine anmutige Vorgängerin, aber zum ersten Mal seit recht langer Zeit wieder die Würde seines Amtes zu verkörpern schien.
Aber wie man jetzt sieht, war auch das eine Illusion.
Merz macht im Grunde genommen immer wieder die gleichen Fehler. Er legt sich auf einen bestimmten Plan fest und bekennt sich sehr lautstark, mit Inbrunst und siegessicher dazu, denkt aber weder darüber nach, welche Schachzüge seine Gegner unternehmen könnten, um ihn auszumanövrieren, noch hat er einen Plan B in der Tasche für den Fall, dass er mit seinen ursprünglichen Absichten scheitern sollte.
So ging es ihm jetzt auch auf dem Gipfel in Brüssel. Die Idee, das eingefrorene russische Auslandsvermögen für die Finanzierung der Ukraine zu verwenden, war von Anfang an riskant. Letztlich wird ein möglicher Frieden ja zwischen Moskau und Washington ausgehandelt; die Europäer haben darauf nur wenig Einfluss, und in einem solchen Friedensvertrag könnte durchaus die Rückgabe der russischen Vermögenswerte vereinbart werden. Würden die Europäer den Mut haben, einen solchen Friedensvertrag scheitern zu lassen, nur um an das russische Geld zu kommen? Wohl kaum. Dazu kam der Umstand, dass Belgien, das faktisch die Aufsicht über die Bank hat, die das meiste russische Geld verwaltet, sich dem Plan von Anfang an widersetzte.
Aber Merz setzte auf diesen und keinen anderen Plan, eine Rückfallposition besaß er nicht. Also kam es, wie es kommen musste, in einem kombinierten Angriff der Belgier und Italiener – wohl mit starker französischer Unterstützung hinter den Kulissen – wurde Deutschland wie in Brüssel freilich üblich an die Wand gespielt, und die Südeuropäer bekamen das, was sie sich schon immer wünschten, mehr gemeinsame europäische Schulden, also eigentlich Euro-Bonds.
Sicher, es gibt in der jetzigen prekären Situation kaum eine Alternative zu einer finanziellen Unterstützung der Ukraine, wenn man einen raschen und sofortigen militärischen Zusammenbruch des Landes vermeiden will. Auf die USA kann man ja nicht mehr setzen. Aber es wäre sehr viel besser gewesen, wenn sich eine Koalition der Willigen und noch halb solventen Länder entschlossen hätte, an Brüssel vorbei die Finanzierung zu übernehmen. Zum einen wäre es ehrlicher gewesen, weil die Kosten sofort in den nationalen Budgets aufgetaucht wären, so dass den Wählern, die man jetzt einmal mehr hinter die Fichte führt, klar geworden wäre, welche Opfer man von ihnen erwartet, zum anderen hätte man es auf diese Weise vermeiden können, das seit dem fatalen Corona-Fonds ohnehin schon halb offene Tor zur Hölle – zu einer immer höheren gemeinsamen Verschuldung der EU – noch weiter aufzustoßen.
Namentlich in Italien hat man seit langem daraufgesetzt, in Zukunft Staatsausgaben über gemeinsame europäische Schulden finanzieren zu können, wie das ja in Gestalt des Corona-Fonds schon einmal gelang – und auch in Frankreich neigt man stark zu einer solchen Lösung.
Die europäische Schuldenunion wird vollendet – zu Lasten Deutschlands
Gemeinsame europäische Schulden haben den Vorteil, dass sie bei der nationalen Schuldenbilanz nicht zählen; außerdem hofft man sicher darauf, dass im Ernstfall Deutschland und die Niederlande den größeren Teil des Schuldendienstes übernehmen werden, auch wenn Frankreichs Chancen, sich einer Beteiligung an den Kosten ganz zu entziehen, geringer sind als im Fall Italiens, so dass gemeinsame EU-Schulden letztlich auch für Frankreich ein riskantes Experiment bleiben. Aber für ein Land, das zur Zeit noch nicht einmal einen ordentlichen Haushalt durch das Parlament bringt, ist das natürlich cura posterior. Hauptsache, es steht jetzt und heute Geld zur Verfügung, ohne dass die offizielle französische Staatsverschuldung noch mehr steigt als ohnehin schon. Auch wäre es allzu peinlich gewesen, wenn Frankreich gegenüber einer möglichen Koalition der Willigen hätte erklären müssen, dass man das Geld lieber in die französischen Renten statt in Waffen für die Ukraine stecken wolle. Diese Bankrotterklärung bleibt unseren Nachbarn jetzt erspart.
Durch die Beschlüsse in Brüssel wurde freilich endgültig ein Pfad beschritten, der die Kompetenzen der nationalen Parlamente in Finanzfragen immer mehr einschränken wird. Die EU wird früher oder später eigene Steuern erheben müssen, um ihre sicher immer weiter wachsenden Schulden zu bedienen – eine Reduktion der Schulden durch Rückzahlung ist kaum vorstellbar – und auf die Höhe und Ausgestaltung dieser Steuern wird der Wähler in den einzelnen Nationalstaaten kaum noch einen maßgeblichen Einfluss haben. Dazu ist die gesamte EU zu stark als technokratisch-postdemokratisches System konstruiert. Damit wird die Demokratie letztlich ausgehebelt und zu einer bloßen Fassade, eine Entwicklung, vor der das deutsche Verfassungsgericht 2009 in seinem Lissabon-Urteil noch den Mut hatte, sehr explizit zu warnen – heute hätten die Richter diesen Mut wohl nicht mehr – lässt sich jetzt faktisch gar nicht mehr aufhalten. Darauf zu hoffen, wäre sinnlos.
Der schiefe Brüsseler Kompromiss wird mittelfristig die Unterstützung für die Ukraine stark schwächen, auch in Deutschland
Allerdings ist die Lage heute doch eine andere also vor 15 Jahren. Damals konnte Merkel die Eurorettung noch weitgehend hinter dem Rücken der Bürger über die Bühne bringen. Es reichte ein kraftvolles „Es gibt keine Alternative“, um die meisten Kritiker zum Schweigen zu bringen oder in die toxische rechte Ecke zu stellen. Das ist heute anders. Viele Wähler sind in Deutschland schon heute nicht mehr wirklich bereit, größere Opfer für einen Krieg zu bringen, den die Ukraine vermutlich ohnehin nicht mehr gewinnen kann.
Der schiefe und für Deutschland sehr ungünstige Brüsseler Kompromiss. den Merz ausgehandelt hat, wird diese Skepsis verstärken, weil man heute anders als bei der Eurorettung die Gefahren die, von solchen Arrangements für Deutschland ausgehen, nicht mehr einfach unter den Teppich kehren und verbergen kann. Dazu ist das Misstrauen vieler Bürger gegenüber den Parteien und dem Staat selbst viel zu groß geworden.
Damit aber wird die deutsche Regierung unter Druck kommen. Sie wird unter diesem Druck letztlich auf den Kurs der USA einschwenken müssen, die Ukraine zu einem Frieden zu zwingen, der vor allem den Interessen Putins entgegenkommt. Das kann und muss man mit Nachdruck beklagen. Aber da Frankreich auch bereits begonnen hat, sich auf diesen Pfad zu bewegen, wie die jüngsten Äußerungen von Macron erkennen lassen, ist diese Entwicklung jetzt kaum noch aufzuhalten.
Wenn man die eigenen Bürger zu Opfern für einen Krieg außerhalb der eigenen Grenzen bewegen will, muss man wenigstens zu ihnen ehrlich sein und ihnen klar sagen, was man von ihnen verlangt. Überdies muss man zeigen, dass man bereit und in der Lage ist, die nationalen Anliegen in Europa auch gegen Partnerländer, die ihrerseits stets und oft recht rücksichtslos massiv eigene Interessen vertreten, zu verteidigen. Dass die deutschen Regierungen dazu in den letzten 15 Jahren in der EU je in der Lage waren, lässt sich nicht wirklich erkennen. Also wird man auch die Opferbereitschaft der eigenen Bürger nicht wirklich mobilisieren können.
Angesichts der erheblichen Gefahren, die von einem Land wie Russland ausgehen, ist das weiß Gott nicht gut, aber es ist nicht absehbar, wie man dieser misslichen Lage entkommen könnte. Dazu fehlen sowohl die politische Kompetenz wie die Bereitschaft, sich einer offenen Konfrontation mit den „frenemies“ in der EU zu stellen.

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