Kein Wahlrecht mehr in den letzten 18 Lebensjahren. Der DIW-Präsident fordert mal wieder. Oder doch nicht? Wenn man satirische Vorschläge eines Mannes nicht mehr von den ernst gemeinten unterscheiden kann, hat der Mann ein sehr ernstes Problem.
picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Der gregorianische Kalender zeigt derzeit Anfang Oktober. Das wissen Sie sicher, lieber Leser, aber für unsere Zwecke ist es dennoch sinnvoll, noch einmal kurz daran zu erinnern: Anfang Oktober.
Nicht der 1. April.
„Wenn die Menschen in den ersten 18 Jahren nicht wählen dürfen, dann sollten sie in den letzten 18 Jahren ihres Lebens auch nicht wählen dürfen.“
Anfang Oktober also, im Jahre des Herrn 2025, befand es Marcel Fratzscher für richtig, diese Aussage zu machen. Wer das nicht glauben mag, kann es sich anhören. Oder auch anschauen. In diesem Clip hier sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) den Satz ganz am Anfang – und dann nochmal bei Minute 01:10.
Alle, wirklich alle Medien der Republik stürzten sich geradezu begierig darauf. Fratzscher wurde mit seiner Forderung rauf- und runterzitiert. Auch die Kommentarspalten mit den Publikumsreaktionen explodierten förmlich. Und nur die wenigsten waren nett.
Der Vorschlag hat, bei allem Respekt, ein paar logische Schwächen. Zum einen ist unklar, woher das Wahlamt wissen soll, ab wann sich ein bisher wahlberechtigter Bürger in den letzten 18 Jahren seiner irdischen Existenz befindet. Dafür bedürfte es nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft wohl erheblicher prophetischer Kompetenzen.
Marcel Fratzscher hat schon häufig vorgeführt, dass er in volkswirtschaftlichen Fragen selbst über derartige Fähigkeiten zu verfügen meint. Ob allerdings der gemeine deutsche Beamte auf solches Wissen in Bezug auf den Todeszeitpunkt von Wahlberechtigten zugreifen kann, erscheint im Moment eher unwahrscheinlich. Das wäre für den Fratzscher-Vorschlag, wie die Juristen sagen, ein Verfahrenshindernis.
Zum anderen müsste bei jeder Herabsetzung des Mindestwahlalters, zum Beispiel von 18 auf 16, gerechterweise auch das Höchstwahlalter heraufgesetzt werden. Dann dürften unsere Senioren nur in den letzten 16 Jahren ihres Lebens nicht mehr mit abstimmen und hätten zwei Wahljahre gewonnen. Das würde es zu berücksichtigen gelten.
So oder so erscheint der Vorstoß irgendwie noch nicht ganz ausgereift.
Weder die deutsche Journalistenschar noch die unzähligen Kommentatoren auf den Internetseiten und in den Sozialen Medien haben deshalb aber auch nur eine Sekunde daran gezweifelt, dass Fratzscher das trotzdem völlig ernst gemeint hat. Warum sollten sie auch?
Der DIW-Präsident ist für, sagen wir mal vorsichtig: exotische Vorschläge und Aussagen berüchtigt. Vor ein paar Jahren forderte er, dass die reichen Bundesländer über den sogenannten Länderfinanzausgleich noch viel mehr Geld an die ärmeren Bundesländer überweisen sollen als bisher schon. Fratzscher wollte also diejenigen belohnen, die schlecht wirtschaften und die Kohle verprassen – und diejenigen bestrafen, die gut mit dem Steuergeld ihrer Bürger umgehen.
Ebenfalls vor ein paar Jahren, auf dem Gipfel der Asylkrise, gab der Mann im Brustton der Überzeugung die Prognose ab: „Die Flüchtlinge werden die Renten der Babyboomer zahlen.“ Das war schon damals gewagt bis durchgeknallt. Was heute aus dieser „Prognose“ geworden ist, wissen wir ja: Jetzt sollen die Rentner länger arbeiten, um die Kosten der Masseneinwanderung zu bezahlen.
Angesichts dieser Vorgeschichte kann man es nun wirklich niemandem verübeln, wenn Fratzschers neuester Vorschlag betreffend das Wahlrecht für Senioren allgemein für bare Münze genommen wurde.
Doch ausgerechnet diese Aussage, getätigt Anfang Oktober und nicht an einem 1. April, will der Herr nun gar nicht so gemeint haben. Er zeigt sich sogar tief beleidigt, dass sein „Humor“ nicht verstanden worden sei:
Marcel Fratzscher hat vor kurzem ernsthaft einen „Boomer-Soli“ gefordert: also einen Steueraufschlag in Höhe von etwa zehn Prozent auf alle Alterseinkünfte (Renten, Pensionen und andere Einkommen) über einem Freibetrag von 1.000 Euro pro Monat. Damit sollten „arme Rentner“ unterstützt werden.
Der Mann hat also ohne jeden Anflug von Humor vorgeschlagen, dass Rentner, die ihr Leben lang viel gearbeitet und für ihr Alter vorgesorgt haben, diejenigen subventionieren, die weniger gearbeitet und weniger vorgesorgt haben. Das ist sozusagen derselbe Vorschlag wie beim Länderfinanzausgleich, nur diesmal bezogen auf die Renten.
Diese Idee hat Fratzscher allerdings nicht zurückgenommen. Dabei ist sie kein bisschen weniger absurd als die Idee mit dem eingeschränkten Wahlrecht für Rentner. Man kennt sich echt nicht mehr aus.
Fratzscher hat vor kurzem auch ernsthaft ein soziales Pflichtjahr für Alte gefordert. Das wäre sozusagen ein Wehrdienst, ersatzweise Zivildienst, für Pensionäre. Denn: „Die ältere Generation muss vor allem ihrer Solidarität gegenüber der jungen Generation wieder gerechter werden.“
Auch diese Idee ist ernst gemeint. Die Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet, den Wohlstand des Landes geschaffen und Kinder großgezogen haben, sollen jetzt notfalls also mit Anfang 70 nochmal zum Sturmgewehr greifen, um „ihrer Solidarität gegenüber der jungen Generation wieder gerechter werden.“
Kein Humor. Keine Pointe.
Marcel Fratzscher macht es uns wirklich schwer. Was bei ihm ernst gemeint ist und was nicht, lässt sich für den durchschnittlich intelligenten Außenstehenden bei aller Liebe nicht erkennen. In demselben Gespräch, in dem er die Wahlrechtseinschränkung für Senioren angeblich als „Witz“ einbringt, trägt er noch folgende – ernst gemeinte – Ideen vor:
• Wahlrecht ab der Geburt
• weniger Mieterschutz für Rentner, die in großen Wohnungen leben
• Klima-Soli für alle
• und nochmal das soziale Pflichtjahr für Baby-Boomer.
Wie gesagt: Wir haben Anfang Oktober. Der 1. April ist schon lange vorbei, oder lange noch nicht da, je nachdem. Woher sollen wir arme Bürger bloß wissen, wann der Herr Fratzscher nun einen Scherz macht und wann nicht?
Wenn alle Ideen gleich irre sind, kommt man da schnell durcheinander.

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Wer bestimmt dann das Lebensalterende, ab dem die 18 Jahre rückgerechnet werden? Fratscher unser Herrgott?
Mann, was für ein Voxxtroxxel!
Was wir in diesem Land alles finanzieren, einfach unglaublich!!!
Deal: Wenn der/die Alte nicht mehr wählen darf, dann kriegt er/sie volle Rente, basta. Berechnung: Durchschnitt 81/82, davon 18 abziehen, und schon hat man das Rentenalter. O.k.?
Er ist doch von der Agitprop-Fraktion -wen wunderts also. Kann dann auch weg. Derweil laßt in labern…
Marcel Fratscher ist der deutsche Jim Cramer – ein prototypischer Kontraindikator.
Kann denn den Mann keiner mal therapieren?
Wenn der Vorschlag wirklich ernst gemeint ist, scheint Herr F. hellseherische Fähigkeiten zu haben, Will heißen, wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist bereits klar, ab wann genau dieser Mensch dann nicht mehr wählen darf. Ab dem Zeitpunkt kann er dann zurückrechnen, bis er die verbliebenen 6570 Tage aufgebraucht hat. Was aber, wenn er länger lebt? Oder gilt das maximal erreichbare Alter? Fragen über Fragen, Herr Fratzscher.
Ist natürlich etwas dumm, aber ich erinnere, wer in der griechischen Polis wählen durfte. Bürger (nicht Fremde), die genug Geld und Grundbesitz hatten. Wie wärs, wenn nur der wahlberechtig ist, der sozusagen Nettozahler beim Staat ist?
In jedem anderen Staat wäre dieser Herr in einer geschlossenen Anstalt, in der BRD gilt dieser als Experte.
Wer als erwachsener Mensch so etwas sagt, muss wirklich gehörig einen an der Waffel haben. Das Niveau ist in etwa dasselbe wie Grönemeyers „Kinder an die Macht“. Zwar ist es nur ein dämlicher Liedtext, aber leider inzwischen wahr geworden.
Wenn man die letzten 18 Jahre nicht wählen darf, müssen die Menschen genau 18 Jahre nachdem ihnen das Wahlrecht entzogen wurde, erschossen werden, damit sie keine Nachteile durch Überschreitung der 18 Jahre erleiden. Um ganz sicher zu gehen erschießt man gleich jeden am 18. Geburtstag. Da ist auch die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie vor Ablauf der 18 Jahre sterben und somit durch eine geringere wahlrechtslose Zeit bevorteilt werden. Muss ich das noch als Humor kennzeichnen?
Er wird als Newcomer Comedian in der ZDF Sendung „Die Anstalt“ auftreten.