Jens Spahn: „War nie Ziel, … dass es zu Infektionsschutz gegenüber Dritten kommt“

In der Corona-Enquete erklärt Spahn plötzlich, die Impfung sei nie dafür gedacht gewesen, Infektionen zu verhindern – obwohl er 2021 noch das Gegenteil behauptete. Das ist jetzt das Ende jedweder Glaubwürdigkeit. Sofern bis gestern überhaupt noch eine bestanden hat.

Screenprint: phoenix

Im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags sitzt Jens Spahn als ehemaliger Gesundheitsminister vor der Corona Enquete Kommission. Thema ist die Maskenbeschaffung. Der Kauf von Masken ist eines der vordergründig simpelsten, aber dann durch kunstvolle Politik eines teuersten und umstrittensten Kapitel staatlichen Krisenhandelns. Und doch sind es zwei Sätze zur Impfung, die wie ein politischer Kurzschluss wirken. Spahn sagt über die Impfstoffe, sie seien in Studien getestet worden und würden „bis heute im Markt gewissermaßen getestet werden“. Und er sagt den Satz, der jedem vernünftigen Menschen alles zusammenzieht: „Es war nie Ziel, auch der WHO nicht, dass es bei der Impfstoffentwicklung – dass es zu Infektionsschutz gegenüber Dritten kommt.“

Dieses „nie“ steht völlig quer zu dem, was Spahn selbst im September 2021 öffentlich sagte. Damals erklärte er, die Corona Impfung schütze vor Ansteckung. „Wer sich nicht impfen lässt, der wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erkranken“, so Spahn. Und er setzte Herdenimmunität als Zielmarke: „Herdenimmunität wird immer erreicht. Die Frage ist ja nur, wie: ob durch Impfung oder Ansteckung. Die Impfung ist definitiv der sicherere Weg dorthin.“

Damit ist der Widerspruch nicht rhetorisch, sondern dokumentiert. Früher Schutz vor Ansteckung und Herdenimmunität, heute: nie Fremdschutz, dazu der Hinweis auf ein „bis heute“ laufendes Testen „im Markt“. Wer diesen Wechsel hört, hört nicht Feinjustierung. Er hört Rückbau.

MEP im EU-Paralement, TE-Autor und Kritiker der ersten Stunde, Friedrich Pürner, greift genau diese Stelle auf und stellt Spahns Satz und die Folgen der damaligen Debatte auf X nebeneinander. Wortgetreu: „Kaum zu glauben, was Spahn hier über die COVID-Impfung sagt: „Es war nie Ziel – auch nicht der WHO bei der Impfstoffentwicklung –, dass es zu einem Infektionsschutz gegenüber Dritten kommt.“ Millionen von Menschen wurden gegängelt, ausgegrenzt, beschimpft und diskreditiert – aufgrund des angeblichen Fremdschutzes. Auch Spahn hat in einer seiner Reden auf den Fremdschutz verwiesen.“

Verschwörungstheorien werden Wirklichkeit

Auch der frühere FDP-Politiker Marcel Luthe setzt genau hier an und macht aus den beiden Aussagen Spahns eine Anklage, ebenfalls wortgetreu: „Eindrucksvoll, zu welcher intellektuell-moralischen Leistung Jens Spahn fähig ist: er räumt zwei „Verschwörungstheorien“ als zutreffend ein, nach denen das gesamte Impfregime klar rechtswidrig war, weil es a) keinen Fremdschutz (und auch keine eigene Immunität) gibt und b) der klinische Test der Nebenwirkungen („Sicher und nebenwirkungsfrei“) bis heute an den Menschen stattfindet, die man mit der Lüge von der Wirksamkeit zu irregeleiteten Labortieren gemacht hat. Und verdrängt vollständig, dass er selbst es war, der als Gesundheitsminister all diese Lügen verbreiten ließ, um die eigenen Abgeordnetenkollegen und die Bürger zu täuschen. Offen ist nur, warum er das getan hat.“

Es lässt sich kaum in Worte fassen, was diese Aussagen in ihrer Tragweite bedeuten – und welche Trümmer sie auf einem ohnehin schon riesigen Trümmerberg ab nun noch hinterlassen werden.

Weiter verteidigt Spahn die Maskenpolitik mit: „Lieber Geld ausgeben als Menschenleben riskieren“. Er beschreibt den Druck im Frühjahr 2020, fehlende Blaupause, Bilder aus Bergamo, New York und London. Und er sagt: „Wir hatten am Anfang von allem zu wenig und am Ende von allem zu viel – besser als andersherum.“ Die Sachverständigen zeichnen ein anderes Bild. Margaretha Sudhof, die im Auftrag von Karl Lauterbach die Maskenbeschaffung untersuchte, spricht von einem „Drama in Milliardenhöhe“. Spahn habe sich über den Rat seiner Fachabteilungen hinweggesetzt und Beschaffungsvorgänge an sich gezogen, für die weder Mandat noch fachliche Vorbereitung bestanden hätten. Verträge seien teils rudimentär, widersprüchlich, ohne klare Leistungsbeschreibungen und beschäftigten den Bund bis heute vor Gericht. Sudhofs Befund lautet: nicht „Team Staat“, sondern „Team Ich“.

Spahn entscheidet als „Team-Ich“ – ohne Kompetenz

Der Bundesrechnungshof bestätigt die Dimension mit Zahlen: Rund 5,8 Milliarden Masken wurden beschafft, aber nur etwa 1,7 Milliarden tatsächlich verteilt. Mehr als drei Milliarden Masken wurden vernichtet oder stehen vor der Entsorgung. Der reine Warenwert der unbrauchbaren Masken liege bei rund 3,5 Milliarden Euro, dazu Lager, Logistik und Vernichtungskosten in dreistelliger Millionenhöhe.

Im politischen Schlagabtausch wird es noch deutlicher. Paula Piechotta von den Grünen sagt, es sei der Eindruck entstanden, das Ministerium habe wahllos Geld ausgegeben, das der Steuerzahler verdienen müsse. Spahn antwortet: „Frau Kollegin Piechotta, nicht ich habe Geld ausgegeben, sondern der Bund hat beschafft.“ Piechotta widerspricht mit Verweis auf den Bundesrechnungshof und nennt „mehr als 43 Milliarden Euro“ für Masken, Tests und Betten, während Spahn zuvor von 5,9 Milliarden Euro gesprochen hatte. Ihr Satz: „Es ist gut, dass wir jetzt sehen, dass Sie kein Gespür mehr dafür haben, wie viel Geld das war.“

Aus dem Sudhof-Sonderbericht stammen die Eckdaten: vorgesehen waren 500 Millionen Euro Budget, am Ende schloss Spahn Kaufverträge für 6,4 Milliarden Euro ab. Insgesamt wurden 5,7 Milliarden Masken für 5,9 Milliarden Euro gekauft. Es wurde das 22 Fache an FFP Masken und das 20 Fache an MNS Masken bestellt, was nötig gewesen wäre. Von allen Masken ist bereits die Hälfte vernichtet oder zur Vernichtung vorgesehen. Weniger als ein Drittel, etwa 1,7 Milliarden Stück, wurde in Deutschland verteilt.

Wir sind alle nur Laborratten

Und genau in dieses Gesamtbild fallen Spahns zwei Impfsätze. „Nie“ Fremdschutz und „bis heute“ Markttest, gesprochen in einem Raum, in dem zugleich über Milliarden, Verantwortung, Verfahren und „Team Ich“ gestritten wird. Es ist diese Kombination, die das Vertrauen nicht hebt, sondern komplett beendet haben, weil sie den Eindruck nährt, dass sich politische Aussagen nachträglich in genau dem Moment verändern, in dem sie überprüfbar werden.

Friedrich Pürners Aussage ist eine Diagnose über das Muster des nachträglichen Umdeutens. Wortgetreu: „Wenn der Gedächtnisverlust weiterhin so schnell voranschreitet, wird Spahn bald erklären, dass Masken niemals für die Öffentlichkeit gedacht waren, Drostens PCR-Test völlig unzuverlässig war und 2G lediglich eine Empfehlung gewesen sei.“

Mehr muss man aus den vorliegenden Aussagen nicht herausarbeiten. Spahn hat sie selbst geliefert: erst 2021 Schutz vor Ansteckung und Herdenimmunität, jetzt „nie“ Fremdschutz. Und dazu der Satz, der bleibt: „bis heute im Markt gewissermaßen getestet werden“. Das ist keine Nebensache. Das ist jetzt das Ende jedweder Glaubwürdigkeit. Sofern bis gestern überhaupt noch eine bestanden hat. „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ (Buchtitel Jens Spahn)

Wir werden ihm aber nicht verzeihen. Wer zweimal lügt, dem zu glauben ist fahrlässig. Gratulation an Friedrich Merz für so einen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Da haben sich zwei gefunden, die die Lüge zur Wahrheit umdeuten wollen.

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