„Bürokratieabbau“ per Mausklick – Wie die Bundesregierung Verantwortung abgibt

Die Bundesregierung verspricht - mal wieder - Bürokratieabbau. Die Arbeit wird allerdings nicht den Ministerien, sondern den Bürgern aufgebürdet. Eine wieder einmal millionenteure Online-Meldestelle soll sammeln, wo Regeln und Bürokratie überflüssig sind.

Getty Images, Screenshot "EinfachMachen" - Collage: TE

Das neue Online-Portal „EinfachMachen“ wurde gemeinsam von der Bundesregierung ins Leben gerufen. Statt „einfach zu machen“ und Vorschriften zu streichen, sollen erst einmal Bürger und Unternehmen melden, wo Regelungen im Alltag als belastend empfunden werden.

Dies soll über ein Online-Formular geschehen, in dem Betroffene Hinweise auf übermäßige Bürokratie einreichen können.

Der Bürokratieabbau beginnt damit nicht bei politischen Entscheidungen, sondern bei der Erfassung von Beschwerden – das Meldeportal, das wenig Nutzer finden wird, dient als Feigenblatt für die Untätigkeit der Regierung. Das Meldeportal ist Baustein in der Modernisierungsagenda von Kanzler Merz.

Wunderwaffe? Nein, Agendaverwaltung

Modernisierungsagenda trifft es ganz gut. Doch das Portal ist kein Bürokratieabbau, sondern nur Agendaverwaltung. Weder werden Regeln gestrichen, noch vereinfacht. Vielmehr wird dem Bürger eine neue Bürde aufgesetzt. Er soll die Aufgabe der Behörden übernehmen, indem er sich „mit sieben Klicks“ durch das System arbeitet.

Das Meldeportal gibt weder schnell noch eindeutig Auskunft darüber, ob und wie die gemeldeten Probleme tatsächlich weiterverfolgt werden. Wer zum Beispiel, wie Tichys Einblick, einen Vorschlag einreicht, wird nicht über den Eingang seines Schreibens, über die Bearbeitung oder eine Weitergabe informiert. Man meldet ins bürokratische Nirvana. Mit der ersten Meldung ist die Seele zwar beruhigt, der Frust heruntergeschrieben – doch die weiteren Schritte bleiben unklar. Die Bundesregierung scheint der festen Überzeugung zu sein, dass das reicht.

Mitte Dezember wurde das Portal als „Beta-Version“ öffentlich gemacht – wie DIE ZEIT berichtet, sollen die Kosten bis zum Jahresanfang in einem „niedrigen einstelligen Millionenbereich“ liegen.

Wer das Portal öffnet und die einzelnen Schritte durchläuft, merkt schnell, dass der angebliche Bürokratieabbau zunächst mit zusätzlichen bürokratischen Aufwand beginnt.

Das Anliegen muss anfänglich beschrieben, thematisch eingeordnet und nach Art des Aufwands kategorisiert werden. Nutzer sollen angeben, ob ihr Problem mit einer Verwaltungsleistung oder einer Behörde zusammenhängt und wem eine Vereinfachung nutzen würde. In der Zukunft, so träumen die beteiligten Ministerien – gleich drei Stück – davon, dass das alles eine KI übernimmt. Eine KI zur Bürokratieabbauwunschmeldungserfassung – sicherlich auch mit bürokratischem Hang zur Arbeitsvermeidung.

Zudem sollen öffentlich zugängliche Dashboards zeigen, wo Bürokratie besonders häufig gemeldet wird. Sichtbar wird damit nicht die Lösung des Problems, sondern das altbekannte Ausmaß.

In der Verwaltung nichts Neues

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger spricht von einem „weiteren Beitrag zur Staatsmodernisierung.“ Mit dem Portal schaffe man erstmals eine zentrale Anlaufstelle für Bürokratiesorgen. Die Betroffenen wüssten selbst am besten, wo der Staat zu kompliziert geworden sei.

Auffällig ist, dass bei all dem eine klare politische Festlegung fehlt. Weder ist benannt, welche Regelungen konkret entfallen sollen, noch nach welchen Kriterien Bürokratie tatsächlich abgebaut wird. Es gibt keine verbindlichen Abbauziele und keine automatischen Konsequenzen aus den eingehenden Meldungen. Die Hinweise landen letztlich wieder in jenen Ministerien, die für den Regelbestand verantwortlich sind.

Wer in dem Portal einen Durchbruch beim Bürokratieabbau sieht, dürfte enttäuscht werden. Der Ökonom Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft sieht mit der Einführung des neuen Portals keinen grundlegenden neuen Ansatz, um dem Bürokratieabbau einen Schritt näherzukommen, schildert er dem zdfheute.

Unternehmen und Verbände würden bürokratische Hürden bereits seit Jahren benennen und dabei auch im direkten Austausch mit Ministerien stehen.

Für die Wirtschaft ist das Meldeportal daher keine neue Erkenntnisquelle, sondern bestenfalls ein zusätzlicher Kanal. Bereits seit 2006 können Vorschläge zum Bürokratieabbau beim nationalen Normenkontrollrat eingereicht werden.

Unklar bleibt zudem, wie die eingehenden Meldungen konkreten Gesetzen oder Verordnungen zugeordnet werden sollen und welche konsequenten Entscheidungen folglich daraus getroffen werden. Die brutalsten Bürokratieaufbaugesetze werden sowieso nicht im Bundestag beschlossen, sondern Deutschland seitens der EU aufoktroyiert. So zum Beispiel die EU-Entwaldungsverordnung, das Lieferkettengesetz und der Green Deal.

Dass der Staat für seinen angeblichen Bürokratieabbau ein weiteres Verfahren benötigt, sagt viel über das Verständnis von Bürokratieabbau aus. Tatsächlich entsteht eine neue Ablage „Papierkorb“.

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Kommentare ( 4 )

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moorwald
1 Stunde her

Wann hätten Bürokraten je an ihrer eigenen Abschaffung gearbeitet? Wie das Sprichwort lautet:
Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen…

Thomas Blobel
1 Stunde her

Meine Frau war mit unserem kleinen Sohn für einen Kinderausweis auf dem Einwohnermeldeamt. Ein Fotoapparat für biometrische Digitalfotos ist dort vorhanden. Leider war der Junge zu klein, um den Aufnahmebereich der Kamera zu erreichen.
Die Bitte einen Tritthocker kurz auszuleihen, wurde von der Mitarbeiterin nicht erfüllt. Unfallverhütungsvorschriften stünden dem entgegen. So lange solche Mitarbeiter/Vorschriften den öffentlichen Dienst beherrschen, können wir eigentlich einpacken.

roffmann
1 Stunde her

Zum Demokratieabbau braucht es einen Verwaltungsjuristen , der mit engagierten Leuten eine Gruppe bildet , die sich zu einem Amt ausweitet , dessen Amtschef besagter Verwaltungsjurist wird = Staatssekretär ! Der vergrößert sein Amt zu einem Ministerium und ER ist dann Demokratie-Abbau-Minister !

Peter Gramm
1 Stunde her

Früher wurden die Karteileichen in Leitzordner abgelegt und heute eben in Dateien. Geändert hat sich gar nichts, lediglich der Ablageort. Die ganze Digitalisierung ist eine Schimäre. Solange die Regeln von weltfremden Akteuren gestaltet werden ändert sich in unserer Gesellschaft nichts. Es wird eher immer chaotischer. Am besten sieht man dies an den automatisierten Antwort-e-mails nach dem Motto….“schön dass sie hier sind….wir freuen uns….leider haben wir momentan sehr viel zu tun….usw usf….“.Furchtbarer menschengemachter Kokolores der nur vom Chaos ablenken soll.