Baerbock: „Egal, was meine deutschen Wähler denken, ich möchte für die Ukraine liefern“

In einer Diskussion zum Erfolg der westlichen Bemühungen um eine freie Ukraine legte Annalena Baerbock unerwartet ihr Politikverständnis offen. Die Ukraine hat für sie absoluten Vorrang vor den deutschen Wählern. Im Winter werde es „wirklich hart für Politiker“.

IMAGO / photothek

Ob es aus Ungeschick passiert oder Absicht ist, bleibt unklar. Aber sicher ist, Außenministerin Annalena Baerbock nimmt kein Blatt vor den Mund, zumindest von Zeit zu Zeit. Auf dem Forum 2000, das am Mittwoch in Prag begann und sich im Wesentlichen um den Umgang mit dem Ukraine-Krieg dreht, sagte Baerbock einige Worte, die ihre „deutschen Wähler“ aufhorchen lassen müssen. Hier die deutsche Übersetzung der auf Englisch gegebenen Antwort:

„Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ‚Wir stehen an eurer Seite, so lange, wie ihr uns braucht‘, dann will ich auch liefern. Egal, was meine deutschen Wähler denken: Ich möchte für die Ukraine liefern. Und deshalb ist es für mich immer wichtig, immer sehr offen und eindeutig zu sein. Und das bedeutet, dass ich bei jeder Maßnahme, die ich ergreife, eindeutig machen muss, dass diese Maßnahme so lange hält, wie die Ukraine mich braucht.

(…)

Wir gehen nun auf einen Winter zu, in dem wir als demokratische Politiker herausgefordert werden werden. Menschen werden auf die Straße gehen und sagen: Wir können unsere Energiepreise nicht bezahlen. Und ich werde sagen: Ja, ich weiß, wir werden euch also mit sozialen Maßnahmen helfen. Aber ich will nicht sagen: Okay, dann beenden wir die Sanktionen gegen Russland. Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, und das bedeutet, dass die Sanktionen auch über den Winter bleiben werden, auch wenn es wirklich hart für Politiker wird.“

Zuvor hatte Baerbock sich sehr höflich für die „invaitation“ bedankt und einen schönen „afternune“ gewünscht. Es würde zu weit führen, das fehlerhafte Englisch der Ministerin (und vermeintlichen London-School-of-Economics-Absolventin) so weit durchzuanalysieren, wie ihr fehlerhaftes Deutsch hier bei TE untersucht wurde. Nur das eine vielleicht noch, das über Stilkritik hinausgeht: Die Energiepreise, von denen Baerbock spricht, gehören nicht zu den Kunden („wir können unsere Energiepreise nicht bezahlen“), sondern im Wesentlichen zu älteren und aktuellen Entscheidungen von Politikern sowie zu deren Aktivität oder Passivität im Angesicht einer heraufziehenden Krise, mitunter auch zu Fähigkeit und Unfähigkeit einzelner Minister. Zu denken wäre an Habecks nutzlos gesenkten Kopf in Katar.

Gelbwesten auf der Insel?
„Genug ist genug“: Proteste in Großbritannien gegen steigende Kosten
Um es „offen und eindeutig“ zu sagen: Deutsche und andere Politiker der EU wären verpflichtet, die russischen Ausfälle aus anderen Quellen wettzumachen. Das müsste das Hauptthema der Abend- wie der Morgennachrichten im Moment sein. Man hört aber nichts von solchen Anstrengungen. Nur die unzureichenden Pegelstände der Gaslager werden mit sorgenvoller Miene durchgegeben. Die Politik versagt Tag für Tag aufs Neue bei der Sicherstellung der Lebensgrundlagen der Bürger, wie auch Proteste in anderen Ländern, zuletzt Großbritannien, zeigen. Die Regierungspolitiker sollten sich also nicht wundern, wenn sie in diesem Winter wirklich „herausgefordert“ werden und die Zeiten für Politiker etwas „hart“ werden, wie Baerbock sich anscheinend schon sicher ist. Doch so hart können sie gar nicht werden, wie die Strom- und Gasrechnungen des Winters auf vielen Haushalten lasten werden.

Zuletzt muss man zugeben: Annalena Baerbock fühlt sich zwar dem deutschen Wählerauftrag nicht verpflichtet, sie will aber „solidarisch bleiben“. Solidarisch mit den durch die Energiekrise belasteten Deutschen. Das sagt sie zumindest einige Momente später, nachdem sie Putin einer hybriden Kriegsführung beschuldigt hat, der man nicht auf den Leim gehen wolle: „Wir bleiben solidarisch mit allen Menschen in unserem Land, so wie wir solidarisch mit allen Menschen in der Ukraine sind.“ Baerbock will sich, „unser Land“ und vor allem die EU nicht spalten lassen.

Die Staaten sind, das hört man auch an diesem Statement Baerbocks, Behältnisse für gesichtslose Menschen. Dass sie aber solidarisch mit der Masse der Demonstranten sein wird, die in diesem Winter auch vor die Parteizentralen der Grünen ziehen werden, darf bezweifelt werden. Es sind ja ihre politischen Gegner, wenn nicht Erzfeinde. Mit denen ist man bekanntlich nicht solidarisch, sonst würden die Gästelisten in deutschen Talkshows und die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformate anders aussehen und anders gemacht werden.

Doch sei das, wie es will, zumindest kann man Baerbock nun beim Wort nehmen und verlangen, dass Proteste gegen überhöhte Energiepreise nicht unter „staatsfeindlich“ oder „demokratie-verachtend“ eingestuft werden, nur weil eine weitgehend untätige, vielfach unfähige Regierung und die sie tragenden Parteien darin kritisiert werden.

Aber vermutlich ist all das nur „Schmu“, wie Baerbocks norddeutscher Ministerkollege und Parteifreund sagen würde. Denn viel „offener und eindeutiger“ kann eine Außenministerin ihre Wählerverachtung nicht mehr aussprechen. Das Politikverständnis Baerbocks ist nicht von Demokratie oder Repräsentation geprägt, sondern von der Erfüllung einer globalen Agenda. Sicher sollte eine Außenministerin oder ein Außenminister internationale Zusammenhänge im Blick haben, aber hier bekommt man das Gefühl, dass, was mit den Menschen in „unserem Land“ passiert, hinter solchen Überlegungen zurückstehen muss. Es erfährt jedenfalls nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie das Posieren auf den diplomatischen Bühnen der Welt.

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Kommentare ( 98 )

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Alliban
1 Jahr her

M.E. sollte in einer Demokratie die Umsetzung des Wahlprogrammes der Parteien oberste Priorität haben, woran sich die regierenden Politiker auch messen lassen müssen. In Koalitionen geht das sicherlich nur teilweise. Wenn das Wahlprogramm bereits nach der Wahl Makulatur ist, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien soll man denn sonst wählen soll. M.E. hat sich die Ignoranz des Wahlprogrammes seitens der regierenden Politiker und auch die fehlende Beurteilung der Umsetzung durch den Wähler in D etabliert. So hat Fr. Baerbock eigentlich nur das verbal ausgedrückt, was hier Usus ist. Ansonsten hätte der Wähler die Möglichkeit, Fr. Baerbock und ihre Partei… Mehr

Alrik
1 Jahr her
Antworten an  Alliban

Energie teurer zu machen und Atom- sowie Kohlekraftwerke abzuschalten stand alles im Wahlprogramm der Grünen… und dank Putins Hilfe steigt Deutschland sogar aus der Nutzung von Erdgas aus! Man kann also den Grünen beim besten Willen nicht vorwerfen sie würden ihr Wahlprogramm nicht umsetzen… 😉

Trump-Knarrenbauer
1 Jahr her

Lt. ARD-Deutschland-Trend (sofern man diesen „seriösen“ Umfragen überhaupt trauen kann) finden 90 % der Grün:_*Innen-Wähler:_*Innen die Sanktionen gegen Russland nach wie vor richtig – auch wenn dadurch die Energiepreise hoch bleiben, oder sogar noch weiter steigen … Spricht Bände dafür, wer diese Öko-Bande wählt! Wohlhabende Gutmenschen, die nur sich selbst und ihresgleichen sehen und wohl meinen, dass ihr eigener Wohlstand auf Ewigkeiten gesichert sei und unantastbar bleibt. Wenn sie sich DA aber mal nicht täuschen! Bin nur gespannt was passiert, wenn in den nächsten ein bis zwei Jahren dann die grüne Seifenblase endgültig zerplatzt. Wird ein seeehr böses Erwachen geben,… Mehr

Mr.Bolp
1 Jahr her

Baerbock und Habeck, das sind Dick und Doof der deutschen Politikgeschichte. Baerbock gibt ja auch unverhohlen zu, dass die Sanktionen gegen Russland nur einem schaden, den Deutschen selbst. Wem sie übrigens nützen, Habecks und Baerbocks Gönnern aus der grünen Energielobby, die sich jetzt mit Milliarden die Taschen vollstopfen können, Stichwort Energiekrise.

Timur Andre
1 Jahr her
Antworten an  Mr.Bolp

Die WEF will ausdrücklich höhere Energie und Lebensmittelpreise, die Grünen haben es im Programm.
Hier wird gezielt dekarbonisiert, bedingungsloses Grundeinkommen wird also in wenigen Jahren für Millionen zusätzlich absolut notwendig. Nur „bedingungslos“ wird es nicht, da kommen Digitaler ID und digitales Zentralbankgeld, und die Falle ist zu.

skifahrer77
1 Jahr her

… meine deutschen Wähler..“ Anscheinend hat Frau Baerbock auch noch nicht verstanden, dass sie nicht die Stellvertreterin der Grünen-Wähler, sondern die Außenministerin für ganz Deutschland ist. Ihre Pflicht wäre es, auch meine Interessen vertreten, auch wenn ich sie nicht gewählt habe. Aber Anhängern einer Räterepublik ist der Unterschied zwischen Demokratie und „Diktatur der Mehrheit“ nicht klar zu machen.

Robert Tiel
1 Jahr her
Antworten an  skifahrer77

Meine deutschen Wähler und vor allem, Nichtwähler.
Gemessen an der Wahlbeteiligung haben nur ca 15% der Wahlberechtigten grün gewählt.

Querdenker_Techn
1 Jahr her

Frau Baerbock scheint zu glauben, dass mit Geld alles zu erledigen, jedes Problem zu lösen ist. Wenn keine Energie zum Heizen auf dem Weltmarkt verfügbar ist, die Speicher leer sind, dann hilft auch ein prall gefülltes Konto nichts, es sei denn, man kann auswandern.

Snurf
1 Jahr her

Liebe Tichy-Redaktion, ich würde mir wünschen das Ihr öfters mal die Originalquellen verlinkt, das ist doch nicht so schwer. Ich habe mir angewöhnt, bei strittigen Themen oder Aussagen (einige Medien bestreiten oder unterlassen hier ja das „egal, was meine deutschen Wähler denken“) die Originalquelle zu prüfen.
Also hier ist sie: https://www.youtube.com/watch?v=78-_Ou5sH3k&t=5083s
Da zum Ukrainekrieg schon jeder alles gesagt hat, verzichte ich im Sinne der Effizienz an dieser Stelle auf meinen Senf (auch wenn es schwerfällt!).

Einblicker
1 Jahr her
Antworten an  Snurf

Darf ich vorstellen? Die neue Außenministerin der Ukraine.

November Man
1 Jahr her

Bärbock hat bei einer Diskussion gesagt, sie werde ihre versprochene Unterstützung der Ukraine erfüllen, „egal, was meine deutschen Wähler denken“.
Einer Frau, die Deutschland in der Welt vertritt, darf die Meinung der Deutschen nicht egal sein.

Daimondoc
1 Jahr her

Das Auswertige Amt versucht Baerbock zu schützen, und spricht von Desinformation.
Ich hoffe der Wähler hat nun endlich verstanden, Baerbock , hat sofort zurück zu treten denn sie vetritt in keins der Weise deutsche Interessen.
Für Deutschland sollte es kein Problem sein diese politische Dilettantin zu ersetzen.

Manuela
1 Jahr her

Auch Sarah Wagenknecht hat den richtigen Kommentar dazu auf Twitter geschrieben! Wenn die Deutschen nicht bald anfangen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren (und sich nicht mehr von einer Angstpsychose in die andere jagen lassen), werden sie es auf die ganz harte Art lernen müssen. Zuerst müssten sie einmal fragen (aber dazu braucht es die notwendige Neugierde), was denn Demokratie eigentlich ist und was ein Rechtsstaat leisten muss. Und da sehe ich schwarz. Viele wissen nicht einmal, wer der Souverän ist bzw. kennen das Wort nicht einmal. Ein kleiner Hoffnungsschimmer tut sich mir aber auf: Ich höre seit der vorigen… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Manuela
schwarzseher
1 Jahr her

Na und? Frau Baerbock war doch Vorsitzende einer Partei, die Deutschland Scheiße fand, die wünschte, daß das Land verrecken soll und die es abschaffen wollte und will. Und genau das macht sie doch jetzt. Mitleid mit meinen ehemaligen Mitbürgern ( jetzt nur noch Mitpaßinhabern )? Nein, nein, nein! Und obwohl ich die GRÜNEN eigentlich nicht ausstehen kann, bin ich jetzt sogar mit Frau Göring-Eckardt einer Meinung, nämlich, daß sich dieses Land drastisch verändern/untergehen wird und ich freue mich darauf. Eine Gesellschaft, die vier mal Merkel und die GRÜNEN wählt, seine Sprache verhunzt, nach immer neuen Geschlechtern sucht, die ganze Welt… Mehr