Demokratie wie ein Supermarkt

Merkel werden im Gegensatz zu Trump keine unangenehmen Fragen von Journalisten gestellt. Kurden dürfen gegen Erdogan demonstrieren, Petry in Frankfurt nicht auftreten, in der geschützten Werkstatt. Roland Tichy und Fritz Goergen lasen Sonntagsblätter.

Die Radiowerbung für die aktuelle Ausgabe der Welt am Sonntag läuft seit gestern. Das Werbeversprechen: wie der Besuch der deutschen Kanzlerin beim US-Präsidenten wirklich war. Robin Alexanders zweiseitiges Stück – „Trumps Amerika bleibt für Merkel NEULAND“ – ist eine unkritische Eloge auf Angela Merkel verbunden mit Rügen für ungebührliches Benehmen von Donald Trump. Der kurze Bericht auf Seite 1 lebt mehr von den Bildchen als vom Text. Der Satz provoziert die Frage, ob die Redaktion nicht mehr die eigene Berichterstattung meint als die Kanzlerin: „Der Besuch von Angela Merkel bei Donald Trump war zum Erfolg verdammt.“ Welcher Erfolg bitte?

Das Beste dieser WamS ist Dirk Schümer über die Niederlande – „Demokratie wie ein Supermarkt“. Perfekt auf den Punkt gebracht in einer Formulierung wie dieser:

„Die niederländische Supermarktdemokratie ist kompliziert, aber bunt; die deutsche Variante mit wenigen Patrteien ist bequem, aber grau.“

Wer Mark Rutte nicht kannte, kennt ihn nach diesem Satz:

„Mark Rutte ist der ideale Profi für diese Politik des breiten Sortiments: kein Alphatier, sondern ein lächelender Filialieter, der sich aber – siehe die polizieliche Härte gegen Erdogans Minister – auch für Recht und Ordnung einzusetzen weiß.“

Schümer erklärt anschaulich, wie die Supermarktdemokratie enstand, weil die Niederländer schon länger nicht mehr zufrieden waren „mit den drei Grundmilieus der Politik, die ab 1900 zur Versäulung ihres Landes geführt hatten: Christen, Sozialisten, Liberale.“ Wie Nachhilfeunterricht in deutscher Politik lesen sich Schümers Zeilen:

„Mit dem Wohlfahrtsstaat und der Verstädterung zerfaserten die festen Milieus, und neue Parteien kamen auf. Neben den Sozialdemokraten stiegen die radikaleren Linkssozialisten auf, die kühlen Wirtschaftsliberalen bekamen Konkurrenz von den staädtischen Yuppies, die Lust auf Basisdemokratien und Haschischfreigabe verspüren … Heute haben die Holländer … noch viel mehr Optionen …“

Von der pulverisierten Partij van de Arbeid erzählt Schümer, deren Ex-Parlamentarier sagt: „Wir haben eine Politik des vergangenen Jahrhunderts gemacht.“

Im WamS-Interview mit Cem Özdemir lernen wir, dass er keine Frage beantwortet – schon ganz Altpolitiker. Das Portrait von Annegret Kramp-Karrenbauer  „‚AKK‘, die Frau mit dem Spitznamen wie ein Schnellfeuergewehr“ ist ein Homestory.

Lesenswert die Geschichte von Susanne Gaschke über die Fraktionen des Feminismus, Tenor: „Die Feinheiten unserer Feminismus-Debatten sind Peanuts angesichts der wahren Bedrohung: das Frauenbild des fundamentalistischen Islam.“

Keine Übereinstimmung mit den USA, nirgends
Pleite - Was Merkel von der Trump-Expedition mitbringt
Wer darf in Deutschland Wahlkampf machen? Am Samstag feierten ca. 30.000 Kurden und Deutsche kurdischer Herkunft ihr Neujahrsfest. Das ist der Anlass, klar, die Wirklichkeit geht anders: Es war eine Demonstration gegen Erdogan und seinen Wahlkampf um das Präsidialamt. Tatsächlich sind die Kurden in der Türkei eine verfolgte Minderheit und man mag ihrem Anliegen mit Sympathie begegnen. Es fällt ein Fahnenmeer auf. Demonstranten schwenkten Fahnen mit dem Porträt Abdullah Öcalans, Anführer der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Partei ist in Deutschland seit 1993 als Terrororganisation verboten. Zudem ist seit kurzem auch das öffentliche Zeigen von Öcalan-Porträts untersagt. Die Polizei hat nicht eingegriffen, klar, auf den Straßen hat sie längst ihr Recht verloren. Sie will aber Videos auswerten; da werden sich aber viele fürchten. Klar, dass die türkische Regierung dagegen protestiert und den deutschen Botschafter einbestellt; denn sie darf in Deutschland nicht demonstrieren lassen. Ist aber auch gemein. Was ist demokratisch, was undemokratisch?

Die Frankfurter Neue Presse titelt: “Petry in Frankfurt unerwünscht“. Ist sie das? Jedenfalls hat der dortige Wirtschaftsclub Rhein-Main eine Veranstaltung mit ihr aus Sicherheitsgründen abgesagt, nachdem Antifagruppen Protest angekündigt haben. Klar, die Polizei ist längst zu schwach, Grundrechte durchzusetzen, das zieht sich durch. Der Oberbürgermeister von der SPD bedauert das nicht, sondern freut sich darüber. Wahlkampf mit Konkurrenz, das geht ja gar nicht. Meinungsfreiheit und Wahlkampf. Igitt.

Ist jetzt also Petry in Frankfurt unerwünscht wie ein Erdogan-Kabinettsmitglied, und darf deshalb nicht und die Kurden schon?

Wer sind denn nun diese Frankfurter, die Petry für unerwünscht halten? In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung analysiert Marc Felix Serrao mit Daten des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, wer denn deren Wähler sind. Es sind keineswegs „Abgehängte“, wenig Gebildete und Randständige, wie die gängige politische Psychopathologisierung vorgibt. Sie sind sogar überdurchschnittlich gebildet und einkommensstark. Es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich Sorgen machen um Zuwanderung, Kriminalität und sozialen Zusammenhalt.

Vermutlich ist die Gruppe gerade größer geworden, nachdem die Kurden-Demo durch war und die Polizei ihre Unfähigkeit demonstrierte, dem Recht Wirkung zu verschaffen. Besonders ängstlich sind sie nicht, wie die Überschrift „Die ängstliche Mitte“ suggeriert: Klimawandel, Ausländerfeindlichkeit und Gesundheitsfragen lassen sie eher kalt. Meinungsumfragen unterschätzen die Anhängerschaft, weil es wohl unter dem Druck der veröffentlichten Meinung zu gefährlich erscheint, bei Umfragen seine wahren Präferenzen zu zeigen. Die AfD selbst beziffert ihr Potential auf 20 Prozent der Wahlberechtigten – die FAS findet das nicht überhöht. Und mittlerweile ergänzt vermutlich ein neues Potential diese Wählergruppe: Jene, die den Umgang des Staates mit den Grundrechten, insbesondere auf eine bestimmte Partei bezogen, für undemokratisch halten.

Außerdem im Wirtschaftsteil eine kluge Analyse über den Freihandel. In den 1940er Jahren waren es die Intellektuellen ihrer Zeit, Raymond Aron, Friedrich August von Hayek bis H.G.Wells die für Freihandel eintraten; der freie Kapitalismus versteht sich seither als Antiprotekionismus. Es ist eine kluge Analyse, die deutlich macht, wie Donald Trump diese Ordnung der Globalisierung gefährdet. Es ist eine Zeitenwende.
Leider findet sich von dieser lesenswerten Untersuchung nichts im politischen Teil des Blattes, da herrscht die übliche Freude vor, wie Angela Merkel Trump heimgeleuchtet habe. Im Ressort Leben erhält man Rat, was man tun muss, wenn sich Kinder verschlucken oder andere Malaisen erleiden. Man hat es mit Interesse gelesen und hofft, es nicht gebrauchen zu müssen. GELD geht der Frage nach, warum die Aktien-Kurse steigen, obwohl in den USA die Zinsen anspringen. Die Antwort ist simpel: Nicht um die Alternative Zinspapiere gegen Aktien geht es, sondern der dahinterstehende wirtschaftliche Optimismus treibt die Aktien. Das wäre ja gesund. Der Technikteil widmet sich den raffinierten Techniken von Klos und Pissoirs. Für den, der´s wissen will.

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Kommentare ( 22 )

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Wolfsohn
7 Jahre her

Wie heißt der Typ vo der FAZ? Demago?

Veronika Hack
7 Jahre her
Antworten an  Wolfsohn

Habe wieder zu schnell geschrieben.

Veronika Hack
7 Jahre her
Antworten an  Wolfsohn

Nochmal lesen

Keno tom Brok
7 Jahre her

Lieber Hasenfurz (eigentlich eine komische Anrede, aber freundlich gemeint) – danke für die Spatengabel, ich habe meine heute entrostet. Bald geht ja die Gartenarbeit/Landwirtschaft wieder in vollem Umfang los. Ich bin froh, dass Sie über eigenen Boden und Selbstversorgung verfügen – das wünsche ich jedem Bürger hierzulande in Anbetracht der kommenden stürmischen Zeiten. Und bzgl. Dumm-wie-…-Gutmenschen : letzte Woche protzte mein (Noch-)Nachbar mit dem Zweitwagen auf Kredit, sein Haus steckt noch mit 120.000 € in der Kreide, Erstwagen auch auf Kredit gekauft, ebenso Einbauküche für 10.000 € usw. usf. Aber allles für supergünstige Zinsen, jau! Ein Leben wie aus dem… Mehr

Mercatore59
7 Jahre her

Die sieht immer so aus.

Mercatore59
7 Jahre her

sie wird 20% und mehr bekommen …,
aber hat sie auch soviel gute Leute fürs
Parlament!?

Silverager
7 Jahre her
Antworten an  Mercatore59

Ja.

Illusionslos
7 Jahre her

Merkel hat Trump heimgeleuchtet ? Kann man einen besseren Beweis liefern, dass die Presse falsch berichtet hat ? War es nicht umgekehrt, mit verweigertem Handschlag und dem Schlag ins Kontor, mit der Abhöraffäre habe man etwas gemeinsam ? Merkel hat nichts erreicht und Trump hat ihr seine Verachtung deutlich gezeigt, indem er auch noch seine Tochter an ihre Seite setzte, was Merkel deutlich irritierte.
Es waren Merkels Gesichtszüge die mehrfach entgleisten, während Trump fröhlich vor sich hin grinste.

Poco100
7 Jahre her

Ds gibt es dann einen Dissens zwischen ihrem wie Sie zu Recht sagen katastr. Eindruck u. dem „Jubelchor“ der Einheitspresse, wo es teilweise Artikel gibt, bei denen nicht ein einziger Buchstabe mit den eigentliche Realitäten u. Ereignissen mehr übereinstimmt.

Illusionslos
7 Jahre her
Antworten an  Poco100

Wie diese Elite und Einheitspresse denkt, fasste Gerhart Baum bei Anne Will in einem einzigen Satz zusammen. Zu der Feststellung, dass 40% der Bürger in DE die EU ablehnen, sagte er :“Was geht in deren Köpfen vor ?“
Fazit : 40% der Bürger sind seiner Meinung nach doof.

Mercatore59
7 Jahre her
Antworten an  Illusionslos

Meiner gefühlten Meinung nach sind zwar auch große Teile der Bevölkerung doof (was Politik angeht), aber es ist wohl eine andere Bevölkerungsgruppe, als sie Gerhart Baum meint.
Wusste gar nicht, dass der noch lebt.
Und jetzt auch noch im ÖR, – donnerwetter.

zsolt
7 Jahre her
Antworten an  Mercatore59

Ich wäre froh wenn ich mit 84(!) so gut beieinander bin wie er.

Cornelius Angermann
7 Jahre her

Das wäre dann nicht „organisierte Kooperation“ sondern organisiertes Verbrechen!

Kopfbrettbohrer
7 Jahre her

Die Antifa erhält nicht unerhebliche Beträge aus dem 100Mio.-Topf des Bundesfamilienministeriums für den „Kampf gegen Rechts“ (nicht gegen „Rechtsextremismus“, sondern gegen „Rechts“ – und das ist mittlerweile jeder, der nicht links ist). Auch einige Bundesländer (Thüringen) sind fleißig dabei.

Keno tom Brok
7 Jahre her

Lieber Herr Tichy, lieber Herr Goergen – bei folgendem Satz in Ihrem – formidablen – Artikel bin ich doch zusammengezuckt: „Zudem ist seit kurzem auch das öffentliche Zeigen von Öcalan-Porträts untersagt. Die Polizei hat nicht eingegriffen, klar, auf den Straßen hat sie längst ihr Recht verloren. Sie will aber Videos auswerten; da werden sich aber viele fürchten.“ Die Polizei hat also auf den Straßen schon längst ihr Recht verloren, wie Sie nonchalant, aber völlig richtig konstatieren. – Aber: Haben eigentlich nicht wir deutschen Bürger damit unseren Rechtsstaat verloren? Leider deckt sich diese Feststellung mit meinen alltäglichen Erfahrungen. Und das empfinde… Mehr

hasenfurz
7 Jahre her
Antworten an  Keno tom Brok

Es ist doch eine bittere Erkenntnis und ein Treppenwitz angeblicher Demokratie, daß anständige Bürger, von vorne bis hinten überwacht, kontrolliert und gegängelt, ihre Häuser vor dem ach so friedlichen und uns beglückenden Islam verrammeln müssen um sich selbst zu schützen, weil der Staat das Gewaltmonopol auf seinem Grund und Boden verloren hat, und sich dabei noch als „Nazis“ beschimpfen lassen müssen… Ich finde, Schulz sollte zu seinem Kanzler-Wahlkampf ehrliche Produktwerbung machen, so in etwa: „Jetzt 30% mehr trojanischer NWO-Freihandel und krypto Gesetze zur Entrechtung des Bürgers“ oder „Garantiert 50% islamisch-willkommenscremiger als Merkel – Euer Maddin vonner SPD“. Oder gleich die… Mehr

Keno tom Brok
7 Jahre her
Antworten an  hasenfurz

@Hasenfurz – Dieselbe Wut verspüre ich auch, sei es bei St. Maddin oder Goldman-Sachs oder offensichtlicher Entrechtung / Enteignung des Bürgers (was von Links-Grünen-Mitte-Gutmenschen leuchtenden Auges nicht nur begrüßt, sondern noch dumm=klatschend begeistert forciert wird). Was soll ich Ihnen sagen … ich besitze ein bißchen Grund und Boden, ein wetterfestes Häuschen und dazu Landwirtschaft. Hoffentlich verfügen Sie auch über dergleichen Absicherung … damit die Hoffnung wenigstens nicht ganz stirbt und man doch ein Fünkchen Glauben an das Leben bewahrt, und sei dies nur in Form von Pellkartoffeln mit Speckstippe. (Ist ja auch schon mal was!) All das (s. o.) nimmt… Mehr

Gerd Dammhirsch
7 Jahre her

Dieser Robin Alexander verspielt seinen Sympathiebonus für sein Buch „Die Getriebenen“ bei mir fast wieder, wenn man sieht, wie er im „Weißen Haus“ am Pult des Präsidenten posiert und das auch noch bei Twitter postet:

Robin Alexander ‏Verifizierter Account @robinalexander_ 17. März

Okay, eine Frage lasse ich noch zu. @welt

https://twitter.com/robinalexander_/status/842747303777783808?ref_src=twsrc%5Etfw

Peinlich und kindisch!

Und das ist die „Vierte Gewalt“, die tagtäglich die Moralkeule schwingt und über alle, außer sich selbst, richtet!

Rosebud
7 Jahre her
Antworten an  Gerd Dammhirsch

Der Herr ist Hundertprozentiger Merkelianer und hat in seinem Buch, getrieben von der Bewunderung für Merkel, einen Deckel auf alle weiterführenden Fragen gelegt die Merkel als Hauptschuldige kennzeichnen.

Silverager
7 Jahre her
Antworten an  Rosebud

Das sehe ich nach der Lektüre seines Buches genau so. Ich glaube ja vieles. Aber dass die Merkel dumm oder „getrieben“ sei, das kann mir nicht mal der Herr Alexander weismachen.
Bei Anne Will ist ihr rausgerutscht, sie habe da einen Plan …
Genau so ist es. Obwohl sie ihren Plan nicht erklärt hat, ahne ich Schreckliches. Na, mehr als eine Ahnung ist es wohl doch.