Tichys Einblick
erratische Aussagen eines Ministers

Die wachsende Verwirrung des Karl L.: „Seit zwei Jahren Rücksicht auf die Ungeimpften“

Der Bundesgesundheitsminister stolpert von einer grotesken Aussage zur nächsten. Sein neuester Streich: Er glaubt offenbar, Corona-Impfstoff gäbe es schon seit Anfang 2020.

IMAGO / Jürgen Heinrich
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schafft es, die Öffentlichkeit in Atem zu halten – sowohl mit seinem Handeln als Minister als auch mit immer neuen erratischen Aussagen. Seine neueste Volte: In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ vom 19. Januar war ihm offenbar die Geschichte des Corona-Impfstoffs und die Impfhistorie in Deutschland entfallen. Möglicherweise hat der Politiker das Zeitgefühl auch völlig verloren. In dem Interview versucht er zu begründen, warum er die Impfung für so wichtig hält, dass er eine Impfpflicht einführen will: eine angebliche Überlastung des Gesundheitssystems im Februar, die zwar seit 2020 immer wieder für den jeweils nächsten Zeitpunkt vorausgesagt wurde, tatsächlich aber nie eintrat.

„Das bereitet mir große Sorgen“, so Lauterbach: „Deswegen werbe ich ja so vehement für die Impfung. Diese Gefahr wäre mit mehr Einsicht der Ungeimpften vermeidbar gewesen. Seit zwei Jahren nehmen wir große Rücksicht auf die Ungeimpften und bringen als Gesellschaft – allen voran die Kinder – extrem große Opfer. Das geht nicht länger so weiter.“

Screenprint / Rheinische Post

Seit zwei Jahren – das wäre also seit Januar 2020. Bekanntlich traten damals die ersten Covid-19-Fälle in China auf, und fast alle deutschen Politiker hielten das Virus zu diesem Zeitpunkt für ein chinesisches Problem. Das Virus, verkündete der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei „milder als eine Grippe“. Wer damals vorsorgliche Einreisekontrollen forderte, den beschuldigten öffentlich-rechtliche Journalisten – beispielsweise beim Bayerischen Rundfunk – „Rechte“ zu sein, die Panik und Verschwörungstheorien verbreiten.

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Einen Impfstoff gab es bekanntlich erst ab Herbst 2020. Am 26. Dezember 2020 wurde die erste Deutsche gegen Corona geimpft, die damals 101-jährige Edith Kwoizalla aus einem Seniorenheim in Halberstadt. Die eigentliche Impfkampagne startete erst im Januar 2021 – also vor ziemlich genau einem Jahr. Vor zwei Jahren gab es in Deutschland also nur Ungeimpfte, Karl Lauterbach eingeschlossen.

Allerdings fragten die Interviewer der Rheinischen Post nicht nach, wie der Bundesgesundheitsminister zu seiner alternativen Geschichtsschreibung kommt. Und auch nicht, was er eigentlich mit der „großen Rücksicht gegenüber Ungeimpften“ meint. Dass sie vom Restaurantbesuch und dem Bahn-Fernverkehr ausgeschlossen sind, selbst wenn sie einen negativen Test vorlegen können? Dass sie in vielen Bundesländern selbst mit Negativtest nicht im Einzelhandel mit Ausnahme des Lebensmittelbereichs einkaufen dürfen? In Baden-Württemberg fiel jetzt gerade die G2-Regelung für den Einzelhandel. Allerdings nicht, weil Karl Lauterbach rücksichtsvoll sein wollte. Sondern weil Richter diese Einschränkung der Rechte Ungeimpfter schlicht als unverhältnismäßig und unbegründet verwarfen. Auch Lauterbachs Deutung, die Schulschließungen seien ein Opfer gewesen, das Kinder für die Ungeimpften hätten bringen müssen, wirkt reichlich bizarr.

In dem Interview war der Minister auch nicht gefragt worden, warum er jetzt für eine Impfpflicht plädiert, während er noch 2021 als Abgeordneter ganz anders argumentierte. Damals meinte er: „Eine Impfpflicht macht bei SarsCov2 so wenig Sinn wie bei Grippe. Wenn die Impfung gut wirkt, wird sie auch freiwillig gemacht. Dann ist keine Impfpflicht nötig. Wenn sie viele Nebenwirkungen hat oder nicht so gut wirkt, verbietet sich die Impfpflicht.“

Dass die derzeit eingesetzten Vakzine durchaus schädliche Nebenwirkungen haben können und speziell gegen Omikron nicht besonders gut wirken, dürfte niemand mehr ernsthaft bestreiten. Warum Lauterbach die Impfpflicht jetzt trotzdem will, erfährt die Öffentlichkeit bis jetzt nicht.

Abrupte Meinungswechsel, erratische Wortmeldungen: Das kannte die Öffentlichkeit von dem Abgeordneten und Talkshow-Dauergast Lauterbach schon lange. Jetzt, als Chef eines wichtigen Bundesministeriums, hat jede seiner Aussagen ein anderes Gewicht. Ein Bundesgesundheitsminister, der gar nicht so genau zu wissen scheint, seit wann in Deutschland eigentlich geimpft wird, wirkt auf die Bürger grotesk.

Als Minister kommt er auch deshalb zunehmend unter Druck, weil er nicht nur seine Meinung begründungslos wechselt und wichtige Daten durcheinanderwirft. Neuerdings steht er auch in dringendem Verdacht, den Bundesrat und die Öffentlichkeit beim Genesenen-Status getäuscht zu haben. In der Bundesratssitzung am 14. Januar bat er um Zustimmung zu einer Gesetzesänderung, die dem Robert-Koch-Institut (RKI) mehr Entscheidungsfreiheit bei der Festlegung des Genesenen-Status geben sollte. Gleichzeitig suggerierte er, der Genesenen-Status würde auch weitere 180 Tage dauern. Schon am nächsten Tag verkürzte das RKI über Nacht den Genesenen-Status auf 90 Tage. Und zwar rückwirkend. Zehntausende Genesene waren damit von einem Tag zum anderen vom öffentlichen Leben praktisch ausgeschlossen.

Von der Halbierung des Genesenenstatus, behauptete Lauterbach dann, habe er keine Ahnung gehabt. Das hätte das RKI in eigener Regie entschieden. Nur: Lauterbachs Staatssekretärin Sabine Dittmar kündigte eben diese Verkürzung schon Tage vor der Bundesratssitzung im Bundestag an. Entweder hätte Lauterbach also gelogen. Oder er würde bestätigen, dass er in einer zentralen Angelegenheit nicht mit seiner Staatssekretärin spricht. Beides würde ihn als Minister disqualifizieren.

Kurz vor seiner Berufung ins Kabinett erklärte Lauterbach übrigens im BILD TV-Talk, aus seiner Sicht spräche viel dafür, den Genesenenstatus über sechs Monate hinaus zu verlängern. Möglicherweise erinnert er sich aber auch daran nicht mehr.

Am Mittwochmorgen tagte der Gesundheitsausschuss des Bundestags. Die Abgeordneten hatten sich schon drängende Fragen zurechtgelegt, was der Minister über die Verkürzung des Genesenenstatus zu welchem Zeitpunkt wusste.

Lauterbach zog es vor, nicht zur Sitzung zu erscheinen.

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