Die Parteien holen Schützenhilfe für ihre Wahlrechtsreform

Unter dem Mantel der populären Senkung, also Rückführung der Abgeordnetenzahl auf die Wahlkreiszahl verstecken die Parteien ihren nächsten Schritt zur alleinigen Macht der Funktionäre.

dts Nachrichtenagentur

Der Leipziger Verfassungsrechtler Fabian Michl hält die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition trotz harscher Kritik für „demokratieförderlich“. „Wenn man von der reinen Verhältniswahl ausgeht, dann ist der Ampel-Vorschlag kein Problem“, sagte der Rechtsprofessor der Rheinischen Post (Samstag). „Es ist sogar demokratieförderlich, weil das Kräfteverhältnis der Parteien nun viel präziser abgebildet wird.“

Man könne dem Reformvorschlag also nicht vorwerfen, undemokratisch zu sein, so Michl. „Denn die Wahl in den Wahlkreisen wird von vornherein in ihrer Bedeutung relativiert.“ Der Ampel-Vorschlag sieht vor, die Sitze im Bundestag nur noch entsprechend der Zweitstimmenanteile bei den Wahlen zu verteilen. Überhang- und Ausgleichsmandate würden entfallen. Womöglich kommen aber nicht mehr alle Direktmandate zum Zug. Dass manche Sieger in den Wahlkreisen ihr Direktmandat nicht mehr automatisch erhalten, sieht der Jurist nicht als Problem.

„Der Vorschlag sagt ganz offen: Wir machen eine echte Verhältniswahl. Ich finde das sehr ehrlich. Eine personalisierte Verhältniswahl soll es nicht mehr geben“, sagte Michl, der an der Universität Leipzig Staats- und Verwaltungsrecht lehrt: „Die Wähler stimmen zwar weiterhin für Wahlkreiskandidaten, können aber nur bedingt darüber entscheiden, ob diese auch in den Bundestag einziehen. Die Grundvoraussetzung ist, dass das Mandat von der Stärke der jeweiligen Partei gedeckt ist.“ Und: „Das Grundübel des bisherigen Wahlsystems würde dadurch sehr schneidig beseitigt: Es gäbe keine Überhangmandate mehr.“

Damit sei auch die Größe des durch das bestehende Recht aufgeblähten Bundestags automatisch begrenzt. Er hat nach eigenen Worten auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, sollte die Union eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht anstrengen. „Die Wahlrechtsreform könnte eine lange Lebensdauer haben, jedenfalls wenn sie der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhält, mit der wir rechnen können“, so Michl. „Durchgreifende verfassungsrechtliche Einwände sehe ich jedenfalls nicht.“

Hier liefert ein aus Steuermitteln finanzierter Hochschuljurist, was die Funktionäre des Parteienstaats von seinesgleichen erwarten: Hilfe bei der Entfernung der Reste eines Wahlrechts, das leider von Anfang an die Rechte des Souveräns, leibhaftige Personen in ihrer persönlichen Verantwortung ins Parlament zu wählen, nur halbherzig verwirklichte und damit ihrer folgenden, permanenten Abwertung Vorschub leistete. Unter dem Mantel der populären Senkung, also Rückführung der Abgeordnetenzahl auf die Wahlkreiszahl verstecken die Parteien ihren nächsten Schritt zur alleinigen Macht der Funktionäre. Der Staatsjurist nennt das „ehrlich“ – ich nenne es abgefeimt.

(Basis: dts Nachrichtenagentur)

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 28 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

28 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
MHeller
1 Jahr her

Maaßen sollte den entkernten Kadaver der CDU hinter sich lassen und mit dem Rest der Werte-Union zur AFD wechseln. Was soll das alles noch? Merz wird weiter versuchen sich an den grün-woken Zeitgeist anzuwanzen.

Andreas aus E.
1 Jahr her

Irgendwo las ich den Vorschlag, je Wahlkreis die beiden Bestplazierten ins Parlament zu entsenden.
Ich finde, daß dieser Vorschlag etwas für sich hätte. Auch Vertreter kleiner Parteien hätten dann Chancen, das Affentheater mit Überhang und Ausgleich fiele weg und ganz zwanglos wohl auch der parteidiktatorische „Fraktionszwang“.

Nibelung
1 Jahr her

Vermutlich sind das die ersten Schritte zur Abschaffung der Bürger- Wahlen generell, denn dann wählen lediglich die Parteien im Bundestag den Kanzler und die Landesregierungen ihre Kandidaten für den Bundestag. Diese widerum benennen dann für ihre Länderparlamente in Eigenermächtigung die eigenen Abgeordneten ihrer Wahl und dann braucht man die dummen Wähler nicht mehr, die ehedem nichts verstehen, nur lästig sind und froh sein sollen, wenn man für sie stets das Beste willl, was sie dann festlegen und die Diktatur ist perfekt. Wäre nicht die Thüringen-Wahl mit der Absetzung eines gewählten Ministerpräsidenten gewesen könnte man ja noch unserem System etwas abgwinnen,… Mehr

luxlimbus
1 Jahr her

Svenja Stadler (SPD) in der Debatte um das neue Wahlrecht am 27.01.2023 im Deutschen Bundestag: „Denn ehrlich gesagt, wir brauchen mehr „wir“ und weniger „ich“!“
Ja, ja – die Partei, die Partei hat immer Recht! Was bedarf es da noch des Einflusses für ein Heer an individualistischen, unsolidarischen, egozentrischen Selbstdarstellern* (FKA: Parlamentarier)?! Totalitärer Textbausteine und Grundgesetz-Bashing (§38) vom Feinsten!

Watzmann
1 Jahr her

Kleine Anmerkung. Sollte ein vollständiges Verhältniswahlrecht eingeführt werden, dann müsste logischer Weise auch im Bundesrat das Stimmrecht der Bundesländer der Bevölkerungsverteilung entsprechend neu justiert werden. Diese Notwendigkeit sieht man wohl im Saarland und Bremen nicht!

Michael Schulz
1 Jahr her

Hat mal jemand darüber nachgedacht, das Parlament auf Bundes-Ebene ganz infrage zu stellen? Ich meine, wir schaffen uns mit diesem Apparat den Kaiser, den wir vor über hundert Jahren mit gutem Grund abgeschafft hatten. Denn die Weitergabe von Herrschaftsrechten durch Geburt war einfach unsinnig und hatte zu sehr schlechten Ergebnissen geführt. Wir alle erleben, dass die Weitergabe der Herrschaftsrechte über Parteibücher mindestens genauso katastrophale Ergebnisse liefert. Weil die Politiker schneller wechseln, wird es sogar noch schlimmer. Denn kein Partei-Führer will hinter sich in der zweiten Reihe Leute haben, die intelligenter, gerissener oder einfach nur besser sind. Das Risiko der eigenen… Mehr

StefanB
1 Jahr her

Persönliche Verantwortung zu tragen ist im linksgrünen Milieu verpönt. Die Partei trägt sie und die hat immer recht. Deshalb spielt der Abgeordnete auch nur eine untergeordnete Rolle – als Stimmvieh in der Demokratiesimulation. Im Übrigen ist er austauschbar. Ein Blick auf die Beispiele Berlin, Rheinland-Pfalz und die Bundesregierung reicht für diesen Befund aus.

Michael Schulz
1 Jahr her

Das Bundesverfassungsgericht ist fest in den Parteien verankert und die Parteien sind es, die das Bundesverfassungsgericht „bestücken“. Das bringt gar nichts mehr. Hat man doch bei den Urteilen zu Klima und Corona sehen können.

Rasio Brelugi
1 Jahr her

Im Artikel 20 (2) des Grundgesetzes steht: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Dieser Passus aus dem Grundgesetz gilt in Kommentaren als „Verfassung in Kurzform“ und sollte daher sehr ernstgenommen werden. (Es sollte schon allein deswegen ernst genommen werden, da dieser Artikel 20 durch Artikel 79(3) GG vor Verfassungsänderungen geschützt ist; so viel auch zum Thema „Konservativismus“.) Der obige Artikel zeigt, dass die Wahlen bzw. die geplanten Wahlrechtsreformen den Einfluss der Parteien, was immer heißt: den Einfluss der Parteifunktionäre… Mehr

Querdenker_Techn
1 Jahr her

Ich unterstütze den Ampel-Vorschlag. Es kommen zwar nicht alle über Mehrheitswahlrecht direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag, aber hat ein Kandidat mit vielleicht 20% wirklich einen „Anspruch“ darauf? Wer stellt heute die Wahlkreiskandidaten auf? Sind das nicht auch die „Parteien“, sind Fälle, wie die Aufstellung eines Herrn Maaßen in Thüringen gegen die Partei nicht eine krasse Ausnahme? Wichtig ist, dass die Abgeordneten der „Liste“ erst dann in den Bundestag kommen, wenn alle Direktkandidaten einen Platz haben. Die Reihenfolge der Sitze muss nach den höchsten Stimmanteilen vergeben werden. Dann kann das sogar eine Stärkung gegen die Parteien sein, weil dann ggf.… Mehr

steadyrollingman
1 Jahr her
Antworten an  Querdenker_Techn

Ich bin dagegen für ein reines Persönichkeitswahlrecht, Abgeordnete aus einem Wahlkreis, die dem Wähler direkt verantworlich sind. Damit wird die absolute Parteienherrschaft mit ihren Verfilzungen zumindest eingeschränkt. Parteilose Kandidaten hätten eine Chance. Die beiden ersten Kandidaten eines Wahlkreises in den Bundestag!