Mutmaßlicher Mörder von Lübcke soll rechtsterroristischer Gefährder sein: Warum keine Überwachung?

Stephan E. tauchte bereits im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen auf. Warum wurde Stephan E. nicht als Gefährder eingestuft und entsprechend rund um die Uhr überwacht?

© Adam Berry/Getty Images

Die Nervosität der Ermittlungsbehörden kann man sich vorstellen, wenn im Mordfall Lübcke der dringende Verdacht Gewissheit werden sollte, dass es sich hier möglicherweise um die Tat eines Mannes aus einer terroristischen Szene analog des NSU handelt, der den Behörden bekannt war. Noch einmal will und darf man hier nicht so furchtbar daneben liegen, wie die Verdächtigungen bei den Morden des NSU bis dahin gingen, dass es sich möglicherweise um Mafia-Morde gehandelt haben sollte. Damals eine fatale Fehleinschätzung. Wäre man schneller auf der richtigen Spur gewesen hätten möglicherweise Menschenleben  gerettet werden können.

Am 11. Juni gibt das Polizeipräsidium Nordhessen-Kassel eine Pressemitteilung heraus mit folgender Überschrift: „POL-KS: Tötungsdelikt zum Nachteil von Herrn Regierungspräsidenten Dr. Lübcke: Polizeiliche Maßnahmen in Harlesiel“. Hier wird zunächst von einer Festnahme berichtet, die sich später als falsche Spur erweisen sollte, der Mann wurde wieder freigelassen.

Am Montag nun berichtet die Tagesschau unter der Überschrift: „Militant, rechtsextrem und vorbestraft“ von der Festnahme eines Stephan E.:

»Bei dem dringend Tatverdächtigen im Fall des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke handelt es sich nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ um einen 45-jährigen Mann aus Kassel, der ursprünglich aus Bayern stammt. Stephan E. war bereits mehrfach polizeilich aufgefallen und saß in den 1990er-Jahren wegen eines Angriffs auf Geflüchtete in Hessen in Haft – offenbar wollte er eine Sprengstoffexplosion herbeiführen.«

Eine Person also, die, sollte sich der Tatverdacht bestätigen, eine jahrzehntelange terroristische Karriere hingelegt hat, der nicht nur aktenkundig wurde, sondern bereits straffällig, verurteilt und der für seine rechtsextremen Verbrechen im Gefängnis saß. Ein Gefährder also. Aber war er nach seiner Entlassung auch als solcher eingestuft? Und wenn ja, warum funktionierte die Überwachung hier nicht bzw. warum gab es keine? Das sind entscheidende Frage und es drängt sich der Verdacht auf, dass es die wachsende Überforderung des Sicherheitsapparates sind könnte.

Der Verfassungsschutz des Landes Hessen hatte den Mann zuvor den NPD-Strukturen zugerechnet. Und Stephan E. soll laut Tagesschau mutmaßlich auch an einem Überfall von Neonazis am 1. Mai 2009 auf eine Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Dortmund beteiligt gewesen sein. „Diese Attacke war maßgeblich von „Autonomen Nationalisten“ ausgeführt worden, die von einigen Experten damals bereits als potenzielle Rechtsterroristen eingeschätzt wurden.“

Die FAZ und DIE ZEIT berichten über Vorstrafen nach einer Gewalttat, Verbindungen mit Netzwerken wie „Blöd & Honor“, einem Messerattentat, der Nähe zu der Neo-Nazi-Organisation „Combat 18“, deren Zahlenchiffre auf die Buchstaben A und H verweist.  Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen.

Also nochmal: Warum wurde Stephan E. nicht als Gefährder eingestuft und entsprechend rund um die Uhr überwacht oder beispielsweise mit einer Fußfessel belegt, wie das für einige islamistische Gefährder immer wieder gefordert wird?

Für die Bundesanwaltschaft ist aufgrund des Vorlebens des festgenommenen Verdächtigen und „seine öffentlich wiedergegebenen Meinungen und Ansichten“ der Verdacht hinreichend gegeben, dass der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke einen rechtsextremistischen Tathintergrund hat, so ein Sprecher der untersuchenden Behörde.

Woher der dringende Tatverdacht bei Stephan E. rührt? Nach Presse-Informationen soll dem Verdächtigen eine DNA-Probe entnommen worden sein, die mit dem im Fall Lübcke gesicherten Material am Tatort nun eine Übereinstimmung ergeben hat. Besonders bedrohlich: Stephan E. tauchte bereits im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen auf. Also ein drittes Mal: Warum wurde Stephan E. nicht als Gefährder eingestuft und entsprechend rund um die Uhr überwacht? Offensichtlich brauchen wir eine Verstärkung der Sicherheit in der Tat und nicht nur auf dem Papier.

Der Regierungspräsident war in der Nacht zum 2. Juni erschossen aufgefunden worden. Die Obduktion ergab später, dass der 65-Jährige aus nächster Nähe erschossen wurde. Lübcke hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder.

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Kommentare ( 27 )

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Hegauhenne
4 Jahre her

Einen Artikel von Herrn Aust, gestern auf WELT, hatte ich so verstanden, daß dieser umstrittene „Verfassungsschützer + V-Mann-Betreuer“, der bei der „Erschießung des türkischstämmigen Betreibers eines Kasseler Internetcafés, Halit Yozgat, „zufällig“ anwesend war“ wohl auch mit dem „mutmaßlichen Mörder“ bekannte gewesen sein muß. „Die dubiose Rolle des Verfassungsschützers am Tatort führte am Ende zu seiner Versetzung in eine andere Dienststelle der hessischen Verwaltung – der Abteilung Beamtenversorgung. Dort war der ermordete Lübcke sein oberster Vorgesetzter.“
Kucke an!
Ich denke, die WELT recherchiert hier ordentlich, und relotiert keine Verbindungen zum Verfassungsschutz, wenn da nichts wäre.

Christoph Mueller
4 Jahre her

Man möge mich nicht missverstehen: Mord ist Mord! Da gibt es auch dann kein Verständnis für den Mörder, wenn einem das Opfer aus politischen Gründen unsympatisch war. Dieser Mord muss aufgeklärt und der Täter den Gesetzen gemäß bestraft werden.
**

Monika Medel
4 Jahre her

Nehmen wir einmal an, die Vermutungen bzgl. Stefan E. und seinem kruden weltanschaulichen Hintergrund sind zutreffend, wofür einiges spricht. Was geht da in so einem Kopf vor? ** Nun, es gibt Wirrköpfe, deren Denken und Handeln sich jeder Logik entzieht.

Roland Mueller
4 Jahre her

Der hessische Verfassungsschutz hat seine Ermittlungsakten oder was auch immer für Akten in Sachen NSU für die nächsten 120 Jahre gesperrt. Mit Aufklärungs- und Vorbeugungsmaßnahmen scheint man es in Hessen also nicht besonders zu haben.

Andreas aus E.
4 Jahre her

Der Artikel schwächelt leider an der Übernahme des NSU-Narrativs.

**

Ruhrler
4 Jahre her

** erst mal abwarten was bei den Ermittlungen herauskommt bevor hier ein NSU 2.0 herbeispekuliert wird.

Der Winzer
4 Jahre her

Haldenwang sollte die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.
Ein echter Prüffall für den VS eben.

Arthur Dent
4 Jahre her

In Deutschland haben wir ca. 300.000 Polizisten. Das heißt zu jedem Zeitpunkt sind ca. 60.000 Polizisten im Einsatz ((300.000 x 40h x 46 Wochen) / (24h x 7 Tage x 52 Wochen)). Die Anzahl der Gefährder ist schwierig zu eruieren, es werden Zahlen zwischen 700 und 1000 genannt, dazu kommt eine große Anzahl Unterstützer. Weiterhin gibt es ca. 100.000-200.000 Clanmitglieder in Deutschland, die ebenso die Polizei auf Trapp halten. Wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält, dann wird klar, dass die Personaldecke der Polizei im Verhältnis zu Gefährdern, Kriminellen, … viel zu dünn ist und unsere Sicherheit massiv gefährdet… Mehr

hoho
4 Jahre her

Es kann sein dass es ein echter Rechtsextremist war und dass die Tat politische also rechtsextremistische Hintergründe hat. Es kann auch viel anderes sein. Ich will es nicht deuten dass es hier eine Verschwörung gibt. Nun das passt alles so einfach zu gut miteinander. Gäbe es keine Zweifel an Suizid von NSU und gäbe es keine falsche Beschuldigungen der Menschenjagd in Chemnitz letztes Jahres, wäre ich nicht so weit jetzt an allem zu zweifeln, was uns MSM so erzählt. Nicht dass Tichyseinblick nur die Wahrheit und nur Fakten serviert. Es ist aber erschreckend wie einseitig und das schon seit Jahren,… Mehr

Armin V.
4 Jahre her

Politische Doppelmoral par excellence – Willkommen Flüchtlinge – Adieu Deutsche: Regierungspräsident Lübcke erntet reichlich Buh-Rufe für eine Aussage beim Infoabend zur neuen Erstaufnahme-Einrichtung in Lohfelden 2015, Landkreis Kassel. Dr. Lübcke: „… der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen…“ Mit dieser Aussage scheint er politisch nicht alleine zu stehen. Demnach besteht die Freiheit der Deutschen darin, das Land zu verlassen, wenn es ihnen nicht passt. In der ehemaligen DDR kursierte ein Witz: Bei uns gibt es in den Betrieben Wahl-Essen. Du kannst wählen, ob du es isst oder nicht. „Unser… Mehr