Wie Ursula von der Leyen das Parlament zur Geisel ihrer Politik macht

Wenn Kritik zur Sabotage erklärt und parlamentarische Kontrolle als Sicherheitsrisiko diffamiert wird, hat die Demokratie ein Problem. Ursula von der Leyens Rede zur Weltlage war kein Bericht zur Amtsführung – sondern ein Lehrstück politischer Selbstimmunisierung: Wer widerspricht, spielt Putin in die Hände. Wer fragt, stört die Einheit. Wer aufklären will, wird verdächtig.

picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Die Bühne des Europäischen Parlaments war bereitet, das Szenario bekannt – zwei Misstrauensanträge, eine Präsidentin unter Druck, ein Parlament in Zerreißprobe. Doch der Inhalt der Debatte hätte kaum weiter entfernt sein können vom nüchternen Geist parlamentarischer Kontrolle. Statt Aufarbeitung: Alarmismus. Statt Einsicht: Selbstverklärung. Ursula von der Leyen, um deren politisches Schicksal es formal ging, machte daraus eine Rede zur Lage der Welt – nicht zur Lage ihrer Amtsführung. Und diese Welt, das betonte sie wieder und wieder, sei eine der gefährlichsten seit Jahrzehnten.

Schon mal vorweg – ihre Strategie ist klar: Angst verbreiten und dabei von eigenen Fehlern ablenken. Deshalb beschwörte Ursula von der Leyen das Unheil von außen. Der neue Grundton ihrer Verteidigung ist die „höchste Warnstufe“. Russland bedroht Europa. Zwei Dutzend Drohnen in polnischem Luftraum. Putin will, dass das Parlament wackelt. Die Kommissionspräsidentin redet von Spaltung, von Manipulation, von einer Falle – und gleichzeitig davon, dass nun mehr Einheit nötig sei als je zuvor. Aus dieser Logik folgt: Wer sie angreift, spielt mit den Feinden Europas. Damit wird jede legitime Kritik zum Sicherheitsrisiko umgedeutet, und ist somit das Ende der parlamentarischen Kontrolle.

Der Mythos von der Einheit: Ein Aufruf zur Unterwerfung

Von der Leyen eröffnete ihre Rede mit dramatischer Wortwahl: Europa befinde sich im „Kampf“. Nicht irgendein Streit, nicht ein normaler politischer Diskurs, sondern ein existenzieller Kampf. Die Folge dieses Narrativs ist nicht etwa ein Appell an kritische Diskussion, sondern ein Appell an bedingungslose Geschlossenheit. Einheit im Parlament, Einheit zwischen den Mitgliedsstaaten, Einheit zwischen den Institutionen – nur bitte keine Einheit in der Kritik.

Auch Manfred Weber, Fraktionschef der EVP, stimmte in diesen Chor ein. Er präsentierte sich nicht als neutraler Abgeordneter, sondern als treuester Fan der Kommissionspräsidentin. Für ihn werden die Misstrauensanträge als Werkzeuge missbraucht, die Demokratie und die Institution zu schwächen. Seine Wortwahl und Rhetorik ließen keinen Zweifel daran: Die EVP steht geschlossen hinter Ursula von der Leyen, weil sie konkrete Ergebnisse liefere – so zumindest das Narrativ. Und alle, die dagegen sind, wurden kurzerhand in eine neue Fraktion, der WAA, phantasiert: „We Are Against“. Inhaltlich? Egal. Es geht nicht um Argumente, sondern um Loyalität. Doch Weber ist anzumerken, wie sehr er auf den Posten des Kommissionspräsidenten schielt. Lange hat er warten müssen. Nun scheint sein Ziel in greifbarer Nähe.

Kritik wird delegitimiert – weil sie von den „Falschen“ kommt

Weber holte aus: Die Kritik an der Kommission? Nicht ernst zu nehmen. Denn sie komme von links und rechts – von Extremisten. Und diese, so suggeriert er, könnten sich gleich zusammentun und eine eigene destruktive Fraktion gründen. Dabei spart er nicht mit Polemik: Wer nicht spurt, badet im Sommer mit Plastikspielzeug, versteckt sich in Villen oder produziert französische Wahlvideos. Das ist nicht politische Auseinandersetzung, das ist das Ausstellen moralischer Superiorität gepaart mit infantilem Spott.

Wer inhaltlich etwas einwendet – sei es zum Pfizergate, zu den Gerichtsverfahren, zu Mercosur, zur Preisexplosion oder zu Europas Abhängigkeit von amerikanischer Handelslaune – wird damit aus dem demokratischen Diskurs geschoben. Legitimität hat nur noch, wer sich der Linie der Mitte anschließt. Die Ränder, die Opposition, die Kritiker: Sie sind nicht nur unbequem, sie sind gefährlich. Dieses Denken erstickt Debatte, bevor sie beginnen kann.

Europas Industrie schwächelt – aber VDLs Handelsdogmen bleiben

Die Kommission inszeniert sich als Hüterin europäischer Stärke. Gleichzeitig zeigt sie in zentralen Fragen Schwäche – oder Willkür. Das Mercosur-Abkommen ist ein Paradebeispiel: Europäische Landwirte sollen unter strengsten Umweltauflagen arbeiten, während gleichzeitig Pestizide aus Südamerika importiert werden. Die Kommission umgeht das Parlament, ignoriert Mitgliedsstaaten – alles im Namen des großen Ganzen. Das Vertrauen in die Regeln des politischen Prozesses wird damit schleichend ausgehöhlt.

Von der Leyen ruft dazu auf, die europäische Industrie zu stärken und die Sozialsysteme zu schützen – doch was bleibt von diesen hehren Zielen, wenn zentrale Entscheidungen an demokratischer Kontrolle vorbei getroffen werden? Während Krankenhäuser in Europa um Mittel kämpfen, finanziert Brüssel Panzer. Während Energiepreise steigen, wird über neue Klimaziele diskutiert, die Unternehmen strangulieren. Und wenn dann Kritik kommt, verweist man auf Putin. Er sei es schließlich, der Europa spalten wolle. Eine Ausrede, die alles rechtfertigen soll – auch politische Stagnation.

Legitime Bedenken? Ja. Konsequenzen? Nein.

Von der Leyen erkennt inzwischen an, dass es „legitime Bedenken“ gebe – zum Gaza-Krieg, zur Wirtschaftslage, zu steigenden Lebenshaltungskosten. Doch diese Anerkennung bleibt verbal und folgenlos. Keine Kurskorrektur, keine Entschuldigung, kein Eingeständnis von Verantwortung. Die Kommission will sich nicht ändern. Sie will nur, dass die Kritik verstummt – im Namen der Stabilität.

Was von der Leyen hier zeigt, ist keine Führung – das ist politischer Selbstschutz in Endlosschleife.

Es ist Zeit, Europa aus diesem Zustand der politischen Erpressung zu befreien. Nicht indem man Institutionen zerschlägt – sondern indem man sie wieder an ihre eigentliche Aufgabe erinnert: den Menschen zu dienen, nicht sich selbst.

Ja, lang lebe Europa – aber ein Europa der Freiheit, nicht der Furcht.

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Kommentare ( 13 )

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Schwabenwilli
1 Monat her

Es muss Demokratisch aussehen aber wir müssen alles in der Hand haben.

Edwin Rosenstiel
1 Monat her

Wenn man in dieses Gesicht (Titelfoto) blickt, wird man unwillkürlich an die Gesichter erinnert, die einem aus dem Politbüro der DDR in ihrer Endphase entgegenblickten: verhärmte, ideologisch verbohrte, unbelehrbare Parteifunktionäre, die sich jeder Realität verweigerten. Mit der irren Philosophie „Wir wollen doch nur euer Bestes“– das wollen sie allerdings: unser ganzes Geld, und die Bestimmung über unser Leben, wie die Leibeigenen früherer Zeiten sollen wir rechtlos, einzig der „Elite“, dem Geldadel dienen, der seinen Reichtum mit Betrügereien und Korruption zusammengerafft hat.

Sonny
1 Monat her

Das Wohl und Wehe hängt ab von selbstinszenierten Autokraten, die sich (bei sinkendem Stern) nur noch auf ihr eigenes Wohl und ihren Machterhalt konzentrieren. uvdl ist hierfür ein Paradebeispiel. Ohne den Schutz von merkel und deren In-Schutz-Bringung von der leyens in die EU, wäre in Deutschland wahrscheinlich schon längst das eine oder andere Gerichtsverfahren gegen uvdl anhängig. Und uvdl ist beileibe kein Einzelfall.
Die Institution EU ist zum Selbstbedienungsladen der im eigenen Inland gescheiterten Politiker geworden – wenn sie es nicht immer schon war.
In dieser Form ist die EU nicht reformierbar und gescheitert.

Kraichgau
1 Monat her

Nö,nix lang lebe „Europa(EU)“,ich will so schnell wie möglich zurück zur EG,ohne Pseudoparlament und ohne allmaechtige Kommission,die die Parlamentarier abnicken

Endlich Frei
1 Monat her

Diese mit Nichts demokratisch legitimierte Frau UvdL ist in meinen Augen eine Schlange: Sie selbst löscht ihre Handy- und Kommunikationsdaten, damit man ihr kriminelles Handeln nicht verfolgen kann, aber ganz Europa will sie überwachen lassen. Kein Mensch will dieses politisch längst ausgelaufene Modell noch sehen !

Ho.mann
1 Monat her

„Und diese Welt, das betonte sie wieder und wieder, sei eine der gefährlichsten seit Jahrzehnten.“ Recht hat sie, denn sie selbst leistet dazu auch einen großen Beitrag. Den EU-Bürger per Chatkontrolle ausschnüffeln und sich selbst, zwecks Vertuschung eigener Polit-Verbrechen, genau dieser Kontrolle auf Kosten anderer mit perfider Macht-Trickserei entziehen.

Peter P.
1 Monat her

Das ist es was wir bekommen haben. Durch die Grünen, SPD, CDU und natürlich durch die Leyen EU. Bärbel Bohley „Das ständige Denunzieren wird wiederkommen. Das ständige Lügen wird wiederkommen. Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie in der Bundesrepublik ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich… Mehr

rainer erich
1 Monat her

Wer den vorletzten Absatz liest und versteht weiss, wohin die Reise geht. Es lebe das System , denn das System ist immer gut, aber die Leute , vdL und ihre Fans z.B , machen das Falsche. Immer wieder zbd seit Langem zwar, aber “ man“, wer genau ?, muss ihnen nur klarmachen, dass sie es anders machen müssen. Dann klappt es wieder. Ist es Naivitaet oder “ Befangenheit “ ? Eine Erscheinung wie vdL und das nun schon längere Zeit, natürlich undemokratisch an die Macht gelangt, ist kein Zufall. Ihre Unantastbarkeit auch nicht. Das System ist es, die von ihm… Mehr

Tin
1 Monat her

Da passiert gar nix, nix mehr zum Wohle der EU-Insassen. Leib, Leben, Hab & Gut, Freiheit & Demokratie, Selbstbestimmung sind dahin & verpufft in einem eher als Brüsseler-Faschokonstrukt ersichtlichen als Camouflage aufgeschwatzten „Friedensprojekt“. Kaputte?, oder skrupellose?, korrupte?, installierte? EU-PolitHumanhüllen im Auftrag ihrer globalen US-Dollargeldverwalterkartellherrchen erschaff(t)en eine Hölle auf Erden. Der normal sterbliche Mensch steht den gottgleichen „GAVI-Eliten“ im Weg, somit erledigt ihn bald die digitale ID samt WHO-Persilschein Artikel 2 IGV, abgerundet mit dem „Pakt für die Zukunft“, hinterrücks beschlossen durch UN + WHO. Game over and good night.

Haba Orwell
1 Monat her

> Der neue Grundton ihrer Verteidigung ist die „höchste Warnstufe“. Russland bedroht Europa. Zwei Dutzend Drohnen in polnischem Luftraum.

Das würde nicht ziehen, würden die Bewohner Westeuropas den ganzen Murks einfach auslachen. Fairerweise muss ich zugeben – als die ganze Drohnen-Sache losging, musste ich im Urlaub im Hotelzimmer TV Republika meiner Frau mit exzessiver Hysterie hören. Bei Themen wie Green Deal mag PiS vernünftiger als PO agieren, doch in exzessiver Russophobie gleichen die sich.