Dem bis heute beliebten Schauspieler Heinz Rühmann wird posthum eine Ehrenmedaille entzogen, die er 1972 erhielt. Dasselbe gilt für Leni Riefenstahl – die erhielt den Preis aber noch 2002, obwohl ihr Wirken als NS-Propagandistin berüchtigt ist. Der Vorgang steht beispielhaft für Widersprüchlichkeit deutscher Aufarbeitungsneurosen.
IMAGO / United Archives Entertainment
Als „NS-belastet“ oder „NS-konform“ bewertet die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) vierzehn Preisträger ihrer Ehrenmedaille – denen sie diese Auszeichnung nun entzieht. Zugleich will sie eine neue Auszeichnung etablieren, die „explizit auch das gesellschaftspolitische Engagement für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ einbeziehen soll.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, Preisträgern, die sich eines Preises als unwürdig erweisen, einen Preis abzuerkennen. Unerträglich ist hingegen die Doppelmoral, die die Entscheidung prägt, und die im Blick auf zwei Persönlichkeiten eklatant hervorsticht:
Unter anderem wird die Ehrenmedaille Heinz Rühmann entzogen, dem sie 1972 verliehen worden war. Nun sollte man den Opportunismus, den er an den Tag legte, um schauspielern zu dürfen, kritisieren.
Man kann ihn sogar schärfstens anprangern – wenn man sich traut. Denn vielen Künstlern ist ihr Schaffen wie dem Normalsterblichen das Atmen. Umso größer sollte man jene Künstler wertschätzen, die das Opfer brachten, und Exil oder Widerstand vorzogen. Höhere Achtung vor einer solchen Leistung bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass man den Stab brechen müsste über allen, die dazu nicht im Stande waren:
Heinz Rühmann ist dem deutschen Filmpublikum schlicht und einfach unsterblich. Weder Unkenrufe noch Moralpredigten werden etwa „Die Feuerzangenbowle“ in Vergessenheit geraten lassen.
Völlig anders sieht das bei Leni Riefenstahl aus. Während Rühmann sich instrumentalisieren ließ, nutzte sie das NS-Regime indem sie es unterstützte. Dennoch erhielt sie die Ehrenmedaille nicht vor fünfzig Jahren, sondern, man höre und staune: 2002 – Riefenstahl starb im Jahr darauf. Wäre es nicht ratsam, Preiswürdigkeit vor der Preisverleihung zu prüfen?
Anstatt Mitläufertum in der NS-Filmwelt zu monieren, und nachträglich Geschichtsklitterung zu betreiben, indem man Rühmann die Medaille entzieht, müsste sich die SPIO zuerst in Selbstkritik üben, und sich fragen, was sie geritten hat, einer berüchtigten NS-Propagandistin noch im 21. Jahrhundert diese Auszeichnung zuzuerkennen.
Die vollkommen unterschiedliche Sachlage in den beiden Fällen steht geradezu beispielhaft für das Problem der deutschen NS-Aufarbeitung, die zu einer obsessiven Nabelschau verkommen ist.
Täterschutz und Betroffenheitskultur
Die Haltung zur NS-Zeit ist geprägt von Widersprüchlichkeit. Während ein Schlächter wie Heinz Reinefarth, verantwortlich für die Ermordung zehntausender Zivilisten, die er während der Warschauer Aufstands im August 1944 abmetzeln ließ, seinen Lebensabend beschaulich auf Sylt beschließen konnte, nachdem er als Bürgermeister von Westerland und Landtagsabgeordneter Nachkriegskarriere gemacht hatte, hat sich parallel zum Täterschutz eine teils absurde Betroffenheitskultur etabliert.
Diese lebt davon, dass man die Verbrechen Nazi-Deutschlands einerseits in ihrer Monstrosität als singulär darstellt, so dass man jeden „Nazivergleich“ sofort entschieden-empört zurückweist. Denn ein Vergleich würde die Einzigartigkeit dieses Verbrechens ja relativieren.
Zugleich greift man großzügig ständig auf Nazivergleiche zurück. Denn die zweite Säule der deutschen Aufarbeitung ist das glatte Gegenteil der ersten: Es kann jederzeit wieder geschehen, und jeder kann jederzeit zum Nazi werden.
Erstere Tendenz führt zu Ungerechtigkeit – so unbeabsichtigt wie unbekümmert neigen Deutsche dazu, Opfer anderer Täter und Menschheitsverbrechen als Opfer zweiter Klasse zu betrachten. Letztere Tendenz jedoch führt zu einer Nationalneurose.
Die – zweifelsfrei notwendige – Aufarbeitung des Vergangenen wird verabsolutiert und dient als Vorwand, sich mit eigenem Versagen nicht auseinandersetzen zu müssen, dazu kommt man schließlich gar nicht mehr. Nach der eigenen Haltung fragt man allenfalls in Bezug auf die Vergangenheit: „Wie hättest du dich verhalten?“ und „Wie würdest du handeln?“, wabert es bedrohlich in den Köpfen herum.
Selbstkritik – nein, danke!
Sich diesen Fragen ehrlich zu stellen, ist hochgradig unangenehm. Die historischen Vergleichswerte lassen ahnen: Die wenigsten von uns wären im Widerstand gelandet, die wenigsten von uns hätten Juden versteckt oder sich vor die Waffen-SS geworfen, die zur Erschießung polnischer Kinder ansetzt.
Nun könnte man diese Einsicht natürlich nutzen, um sich zu bessern, und sich in Ethik, Tugend und Standhaftigkeit zu üben, um im Ernstfall als Held vom Feld der Geschichte abtreten zu können.
Viel naheliegender, weil bequemer, ist es, mit dem Richterschwert der Nachgeborenen auf unsere Vorläufer einzuschlagen. Das gibt einem das gute Gefühl, gerecht zu sein, und viel besser als jene Dummköpfe von damals, denen wir die Neurose anlasten, von der wir uns nicht befreien wollen – denn das hieße ja, tatsächlich Verantwortung zu übernehmen, nicht für vergangene, sondern für heutige Taten.
Dem entspricht das Verhalten der SPIO, die, anstatt die unfassbare Preisvergabe an Riefenstahl zu bedauern und aufzuarbeiten, lieber Moralgebaren an den Tag legt und Schauspieler wie Rühmann gleich mit abräumt. Dieser überschießende Furor ergibt sich geradezu logischerweise daraus, dass man die Augen vor dem eigenen Versagen kategorisch verschließt.
Dazu passt auch, den neu zu installierenden Ersatzpreis schon im Konzept zu politisieren. Nicht gute Kunst, politisch korrekte Kunst, geschmückt mit all den Signalworten, die heutzutage Rechtschaffenheit ausdrücken – das soll sicherstellen, dass man sich in Zukunft mit den Untiefen und Komplexitäten der menschlichen Existenz einfach gar nicht mehr auseinandersetzen, keine Ambivalenz mehr ertragen muss.
Diese Ambivalenz schlummert allerdings weiterhin in jedem von uns. Daran wird auch eine bereinigte Preisträgerliste der SPIO nichts ändern.

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Ohne Merkel, das Jahr 2015 und dem daraus resultierenden (leider nur in Zeitlupe) Aufstieg der AfD hätte diese Aktion sicher nicht stattgefunden. Es ist Teil einer Kampagne mit dem Ziel eine Wahl der AfD mit den Ereignissen von 1933 gleichzusetzen.
Offensichtlich haben diese Clowns 🤡 keinerlei andere Probleme. Was für ein komplett überflüssiger Bockmist, Wolkenkuckucksheim lässt grüßen …
Da Problem für die „jetzige Kulturelite“ ist das Heinz Rühmann ein Schauspieler des Volkes, ganz zivil und unterhaltend war. Ich wüßte nicht das er kriegsverherrlichend als Bandera-Nazi über die Leinwand kam. Dann würde er nämlich noch eine Nadel dazubekommen.
Mich würde ja interessieren, wo sich diese Herrschaften während der Corona Jahre positioniert haben: Alle, ausnahmslos alle, die sich 33-45 „im Widerstand“ verorten haben am lautesten gebrüllt wenn es um Maßnahmenkritiker und „Ungeimpfte“ ging.
Als Grundlage dient wohl diese Studie:
https://www.spio.de/wp-content/uploads/PM-19.11.2025.pdf
Es geht beileibe nicht nur um die 14 genannten Personen, sondern eine schier unfassbare Anzahl von namentlich genannten Personen. Vermutlich braucht es für so eine Liste akribische Besessenheit, zumal diese Liste auch mit Mutmaßungen über die damals teils sehr jungen Männer nicht spart. Was mögen wohl die Nachkommen denken, deren Großeltern lange begraben sind. In den Familien wie auch in meiner gibt es viele alte Fotos in den Alben, wo junge Männer in Uniform abgebildet sind.
In unserem Album ist mein Vater auch in Uniform abgebildet und damals wurden die 16 jährigen doch gar nicht erst gefragt, ob sie das denn wollen oder nicht.
All diejenigen, die sich aufschwingen über unsere Väter und Großväter zu richten, sind allesamt gratismutige Moralapostel ohne jedwedes Einfühlungsvermögen, die sich nicht einmal annähernd ausmalen können/wollen, was damals wirklich abging. Ich finde diese ach so woken Bessermenschen einfach nur zum kot…. und wünschen denen voller Inbrunst das Allerschlechteste.
P.S.
Nach mehreren Jahrzehnten zu behaupten „wie wären aufgestanden“ kann jeder und das ist einfach nur billig, gratismutig und lächerlich obendrein.
Die Linksgrünrotwoken haben vor nichts Respekt. Wann wird all den Mitgliedern der Grünen, all die Nazis die nach dem Krieg in den Parlamenten saßen und regierten posthum alle Ehrungen, Preise etc.pp. entzogen und von den Nachkommen eine offizielle Entschuldigung für die Missetaten ihrer Vorväter, Vorvorväter und Vorfrauen, Vorvorfrauen verlangt?? Wann gibt es eine Liste der Verfehmten damit man vor ihnen ausspucken kann? Ach, das geht nicht, weil alle dem Faschismus abgeschworen und distanziert haben? Neee Leute, der Faschismus feiert bei den Linksgrünrotwoken fröhliche Urstände. Zur Ehrung eines großem Mannes ,der klein von Wuchs war aber ein großes Herz Hatte: https://www.youtube.com/watch?v=CeP5ojvLpy0
Die Entscheidungen der Präsidien der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V. (SPIO) können nur anhand der Zusammensetzung des jeweiligen Präsidiums ‚erklärt‘ werden.
Mit der deutschen Geschichte befassen sich freiberufliche oder an Universitäten beschäftigte Historiker. Durchschnittsbürger sind in der Regel auf deren Arbeiten angewiesen.
Aus der Rückschau werden dann und nur dann vernünftige Schlüsse zu ziehen sein, wenn Historiker wissenschaftlich Dokumente und Zeitzeugenaussagen auswerten.
Um diese Auswertungen verstehen zu können, müsste man sich in die Lage von Zeitgenossen der jeweils untersuchten Zeit versetzen können und so diese Zeit vergegenwärtigen.
Die wenigsten von uns wären im Widerstand gelandet, die wenigsten von uns hätten Juden versteckt oder sich vor die Waffen-SS geworfen, die zur Erschießung polnischer Kinder ansetzt. Volle Zustimmung! Und ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, noch sehr viel weniger von denen, die heute ihren ach so heroischen Kampf gegen einen imaginierten Nationalsozialismus führen, hätten auf Seiten der Widerständler gestanden. Mehr noch, eine nicht unherhebliche Anzahl der lautesten antifaschistischen Maulhelden von heute, wären damals als glühende Verehrer der „richtigen“ Sache in vorderster Reihe auszumachen gewesen. Wer’s nicht glaubt stelle sich nur einmal kurz vor, für die heute „richtige“ Sache,… Mehr
Ich werde das Gefühl nicht los, daß ich mich als Aussenstehender mitten in diesem „Milgram-Experiment“ befinde, an dem allerdings bereits völlig überzeugte, vermeintlich wissende Leute teilnehmen, die von sich behaupten, daß sie das Ergebnis niemals zulassen würden.
Wie sähe wohl heute eine entsprechende Milgram’sche Versuchsanordnung aus? Z.B., um Leuten überzeugend zu zeigen, daß sie bereits ideologisch verblendet sind und denen wenigstens dann ein Licht aufgeht.
Zu Rühmann: 1966 erhielt Rühmann das große Bundesverdienstkreuz, vgl. wikipedia. Wieso steht dort nicht.
Aber jedenfalls scheint es, je weiter die Zeit zurück liegt, um so heiliger werden die Mitmenschen. Um so mehr hätten sie alles anders gemacht.
Wie viele von denen, die Heinz Rühmann heute verurteilen, hätten sich wohl lieber erschießen lassen als mit dem Strom zu schwimmen?
Wie sehr die Deutschen dazu neigen, m i t dem Strom zu schwimmen und sich wider besseres Wissen zu unterwerfen, hat die Corona – Krise gezeigt. Ich gehe jede Wette ein, dass sich sämtliche „Preisentzieher“ sofort dem staatlichen Dirigismus unterworfen und sich die Corona-Spritzen abgeholt haben. Und die hätten höchstwahrscheinlich auch nicht mehr bei Juden eingekauft, wie es die Staatsmacht damals u.a. verlangt hat.
Die solche „Aberkennungen“ in vorauseilendem Gehorsam durchsetzen sind doch solche 100%igen – und das wirklich Furchtbare ist, dass sie sich dessen erneut nicht bewusst scheinen, was sie damit anrichten. Wenn doch – umso furchtbarer!
Die hat man damals als „Das ist ein politisch ganz Korrekter“ bezeichnet…
…und die hätten höchstwahrscheinlich auch nicht mehr bei Juden eingekauft… Übersetze Juden mit nicht Geimpfte und dann haben Sie Eins zu Eins eine klassische Retrospektive! Und die lässt sich noch durch viele andere Beispiele völlig mühelos erweitern. Wobei die ziemlich harmlosen Verallgemeinerungen wie Penner, Asoziale, Punker, Gammler etc. pp. gar keine Besonderheit darstellen. Heute ist nämlich alles rechts, was nicht (vermeintlich!) links ist. Und das Rechtssein bezieht sich auf vergleichsweise wenige Menschen. Das heisst, daß die heutigen „Arier“ auch wieder unter sich bleiben wollen. Die wahre „Cancel Culture“ hat „das Gas“ ersetzt und ist dennoch genauso wirksam! Und wo sie… Mehr