Warum Olaf Scholz seinen Beruf verfehlt hat

Wenn ausschließlich nach medizinischen Gründen entschieden werden dürfte, dann hieße das, die Ausgangsbeschränkungen und Schließung von Läden so lange durchzuhalten, bis ein Impfstoff gefunden ist und alle geimpft sind.

imago Images/photothek

„Ich wende mich gegen jede dieser zynischen Erwägungen, dass man den Tod von Menschen in Kauf nehmen muss, damit die Wirtschaft läuft“, sagt Bundesfinanzminister Olaf Scholz der Bild am Sonntag. „Solche Abwägungen halte ich für unerträglich.“ Ein Abbau der Maßnahmen dürfe nur nach medizinischen, niemals nach ökonomischen Kriterien erfolgen. „Ich rate allen dringend davon ab, eine Lockerung an wirtschaftliche Fragen zu knüpfen.“ Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York, formulierte es so: „Wir werden menschliches Leben nicht in Dollar beziffern.“

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Eine solche Position klingt auf den ersten Blick moralisch überlegen und kaum einer würde ihr widersprechen wollen. Wer will schon Menschenleben für die Wirtschaft opfern? Doch in der Absolutheit, in der Scholz die Position vorträgt, ist sie natürlich nicht haltbar. Der Duktus würde gut zu Katrin Göring-Eckardt von den Grünen passen, denn Scholz’ Aussage wird mit einem Absolutheitsanspruch formuliert und duldet keinen Widerspruch – andere Meinungen werden als „zynisch“ und „unerträglich“ diffamiert, was ebenfalls typisch für die Grünen ist.

Wenn jedoch ausschließlich nach medizinischen Gründen und niemals nach ökonomischen Kriterien entschieden werden dürfte, wie Scholz dies formuliert, dann hieße das, die Ausgangsbeschränkungen und Schließung von Läden so lange durchzuhalten, bis ein Impfstoff gefunden ist und alle geimpft sind. Und wenn man es konsequent zu Ende denkt, dann wären schon die jetzigen Maßnahmen ethisch nicht vertretbar („zynisch“, um es mit Scholz zu sagen): Denn nach wie vor gehen viele Arbeitnehmer zur Arbeit – nicht alle können Homeoffice machen. Wenn wirtschaftliche Gesichtspunkte keinerlei Rolle spielen dürften und ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten entschieden würde, dann dürfte auch jetzt schon niemand mehr zur Arbeit gehen – ausgenommen das medizinische Personal und Menschen, deren Arbeit für die elementare Versorgung unverzichtbar sind.

Ein Finanzminister, der so denkt, hat jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren. Selbst der Chef des Robert-Koch-Institutes musste eine entsprechende Aussage wieder korrigieren. Mathias Döpfner schrieb dazu neulich in der WELT: „Als der Chef des Robert-Koch-Instituts sagte, die massiven Einschränkungen im Alltag könnten zwei Jahre dauern, habe ich das Vertrauen verloren (auch wenn er seine Aussage später wieder zurückgenommen hat). Jeder Schüler weiß, dass die Weltwirtschaft und unsere Gesellschaft einen solchen Stillstand nicht einmal wenige Monate verkraften können. Wer so etwas denkt und sagt, darf nicht der wichtigste Kompass der Regierung sein.“

Gefährlicher Hypermoralismus

Natürlich wird in der Praxis genau das stattfinden müssen, wogegen Scholz sich jetzt wendet: Eine Abwägung zwischen den medizinischen und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Der Soziologe Max Weber sagte in seinem im Jahr 1919 gehaltenen Vortrag:
„Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht dass Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘ – oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“

Das Thema von Max Webers Vortrag war „Politik als Beruf“. Ein Finanzminister, der sich so äußert wie Scholz (der gerne auch Kanzler für Deutschland wäre) hat seinen Beruf verfehlt. Das gilt übrigens auch für seinen Kollegen Peter Altmaier, der noch vor zwei Wochen versprach, kein Arbeitnehmer werde wegen der Corona-Krise seinen Arbeitsplatz verlieren und kein gesundes Unternehmen werde wegen Corona Pleite gehen.

Aussagen wie die von Scholz und Altmaier zeigen, dass wir in einer schweren Krise – wieder einmal – von weltfremden Menschen geführt werden. Ansgar Graw hat kürzlich ein Buch mit dem Titel „Die Grünen an der Macht“ veröffentlicht. Seine These wird durch die Äußerungen von Scholz untermauert, denn die Verabsolutierung eines gesinnungsethischen Standpunktes ist ja das Wesen grüner Politik. Sie hat Angela Merkel schon in der Flüchtlingskrise geleitet – mit den bekannten Folgen. Die Folgen des Hypermoralismus in der Corona-Krise wären freilich noch verheerender.

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Kommentare ( 94 )

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Gisela Fimiani
3 Jahre her

„…..zu Ende denken…“ Die politische „Elite“ hat das Denken längst abgeschafft. Ein „zu Ende“ kann es darum nicht geben. Folglich muss auch niemand für „ die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufkommen“. Nun drängt sich die Frage auf, in welchem politischen System eine derartige „Elite“ einzig überleben kann. Ein weitsichtiger Orwell hat sie beschrieben.

Karl Schmidt
3 Jahre her

Ist es moralisch nur den eigenen Standpunkt für wichtig, wahr und gut zu halten? Das ist doch ein Kennzeichen von Menschen, die sich hochgradig asozial verhalten, sich nicht in eine Gesellschaft einpassen und die Interessengegensätze, die darin notwendigerweise bestehen, akzeptieren. Das erinnert stark an religiösen Fanatismus. Ist das moralisch? Scholz äußert sich radikal und gefällt sich in der Attitüde des Menschenfreundes, der offenbar in seinem Weltbild im Gegensatz zur Ökonomie steht. Dabei ist es die wirtschaftliche Leistung, die Menschen ihre Wünsche erfüllen lässt und den Sozialstaat überhaupt erst möglich gemacht hat (einschließlich des Gesundheitssystems). Der Fortschritt ist weniger technischer Natur… Mehr

Luzifer
3 Jahre her

Wer gestern Abend nach den 20:00 Uhr Nachrichten „Hart aber fair. Extra“ gesehen hat und sich bis heute wieder einigermaßen erholt hat, ist ganz sicher ein harter Brocken und hart im Nehmen. Gleich am Anfang der Sendung, nachdem der Einstimmungsfilm abgefahren war, wurde eine pseudo-Psyschologin zu Wort gebeten, die aus dem Reich Kim Jong-un kommen musste, sicherlich eine Spezialausbildung als persönliche Propaganda-Assistentin des Staatsführers hatte, um einen Schwall von Lobgesang auf die göttliche Handlungsbereitschaft der Regierenden Hauptakteure, wie und vor allem dem anwesenden Hubertus Heil, anzustimmen. Herr Heil, der vor Ergriffenheit soviel Lobes den Tränen sehr nahe war ( ich… Mehr

Pauline G.
3 Jahre her

Ja, diese Leute sind soooooo „edel“ – und das gefällt vielen Dummköpfen/Wählern in diesem Land. Scheinbar edel. Jedes Menschenleben zählt, sagen sie damit. Auch A. Merkel sagt so etwas, bezogen auf die Flüchtlings“lawine“ – „jeder Fall muss individuell betrachtet werden“ – sinngemäß so. Als ob man bei einer Weltbevölkerung von vielleicht 8 – 9 Milliarden Menschen jeden Einzelnen betrachten könnte oder würde! Und wie ist es, wenn man als Einzelner an das Kanzleramt schreibt????? Man bekommt KEINE Antwort! Da sieht man sofort, was der Einzelne zählt, welchen Wert er wirklich hat! Keinen! Jedenfalls trifft dies i.d.R. auf den durchschnittlichen einheimischen… Mehr

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
3 Jahre her

Ich werde auch immer angegangen und blockiert, wenn ich Twitter schreibe, man könne so eine Kontaktsperre höchstes bis Ende April noch durchhalten.

Interessant in diesem Zusammenhang: Jakob Augstein äußert sich in ähnliche Richtung, während linke andere Kindsköpfe nur moralisieren und gar nicht Abwägungsprozess verstehen. Ein Kontaktsperre für die Risikogruppen wird abgelehnt, weil es Diskriminierung sei. Aber alle einzusperren, gilt alss okay.

Fulbert
3 Jahre her

Feigheit, Inkomptenz und Opportunismus treffen es wohl noch besser als Gesinnungsethik. 2015 wiederholt sich, wie ich an anderer Stelle schrieb.

Entenhuegel
3 Jahre her

Bin da ganz bei Ihnen!

Thomas Holzer
3 Jahre her

Anscheinend denkt wirklich niemand die Causa vom Ende her; wurde aber allen! von den Medien bescheinigt.
Ich befürchte einmal mehr, dass sich diese Politikerkaste in eine nahezu ausweglose Situation manövriert hat. Ohne Zwang; und der Stolz auf die aufgenommen Einzelfälle ist nur noch peinlich???☹️?
Trotzdem: L’chaim ??????????

Thomas Holzer
3 Jahre her
Antworten an  Thomas Holzer

Und warum wird mein anderer Kommentar bezüglich der österreichischen Regierung nicht freigegeben?!????????

Ulrich Geil
3 Jahre her
Antworten an  Thomas Holzer

Mimimimimi…
Er wird nicht freigegeben, weil der Hausherr von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Läuft in meinem Haus genauso. Wem ’s nicht passt, dem empfehle ich bei mir daheim, zu gehen und nicht mehr wiederzukommen.
Meine Kommentare werden übrigens auch nicht alle freigeschaltet… 😉 …aber ich hab da noch nicht mal ansatzweise ein Problem mit 🙂

Indigoartshop
3 Jahre her

„Ein Finanzminister, der so denkt, hat jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.“ Nicht nur als Finanzminister. Schon das Fiasko beim G20 Gipfel in Hamburg vergessen? Da war dieser Mensch tatsächlich Bürgermeister, und als solcher hatte er vollmundig sichere Spiele versprochen ( die dann kriegsfallmäßig von österreichischen Sondereinsatzkräften mit Sturmgewehren gerettet werden mußten). Unter Scholz als Innensenator 2001 entwicklelte sich Hamburg zur Kriminalitätshochburg mit offenen Drogenumschlagsplätzen ( wie derzeit Berlin unter RRG). Das hatte nicht nur was von Realitätsverlust, sondern auch mit dem Verlust von 40 Jahre SPD in Hamburg zu tun. Die Hamburger hatten derart die Schnauze voll von ihrem Scholz,… Mehr

Riffelblech
3 Jahre her

Es ist die eigene Hybris die den Leuten vom Schlage eines Scholz,eines Altmaiers und einer Merkel das Maßband des normalen Menschenverstands aus der Hand geschlagen hat. Gottgleich ,völlig abgehoben , in ihrer Berliner Kapsel lebend haben sie jeden Bezug zur Realität verloren . Und sie werden doch für nichts ,aber auch gar nichts innerhalb ihrer Tätigkeit zur Rechenschaft gezogen. Was falsch läuft ,läuft eben falsch. Und wenn mal was wirklich klappen sollte, sind sie besoffen vor Erfolg . Und es sind in überwiegendem Maßstab die gleichgeschalteten ÖR in Presse ,Funk und Fernsehen dran schuld ! Wo gibt es denn Nachfragen… Mehr