Von der Überskandalisierung als Zweckmanöver

Übermäßige Moralisierung erzeugt Gegenwehr und provoziert den Tabubruch. Die ständige Suche nach „rechten“ Vergehen wird zwangsweise fündig und findet irgendwo Futter für die gewollte Erregung. Aber wenn die Partyentgleisung von Sylt zur Staatsaffäre wird, dann ist der Staat nur noch eine Affäre.

picture alliance/dpa | Lea Sarah Albert
Zwei Frauen sitzen auf der Terrasse des Club „Pony“ in Kampen (Sylt). Hier hatten Party-Gäste zu Pfingsten rassistische Lieder gegrölt.

Hysterien können einzelne erfassen, aber auch ganze Staaten. Schlimm wird es, wenn sich eine gewisse Mentalität breitmacht, in der dann auch Recht und Gesetz nichts mehr gilt, die ein Recht unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, ein Recht eigener Ordnung errichtet – und ein Recht eigener Ordnung nennt man seit eh und je Willkür. Schon immer glaubte ein Lynchmob, dass er zu den Guten, zu den Anständigen gehört, zuweilen sogar, dass er seine Zugehörigkeit zu den Guten und zu den Anständigen nur dadurch unter Beweis stellen kann, dass er sich öffentlich zu diesem bekennt.

Der helllodernde Sturm der Staatsentrüstung

Was ist also in Deutschland zu Pfingsten 2024 auf Sylt so Gravierendes passiert, das den helllodernden Sturm der Staatsentrüstung und den der öffentlich-rechtlichen Sender rechtfertigt? Wurden etwa eine Universität besetzt und antisemitische Parolen gerufen und an die Wand geschmiert? Wurde in der Universität randaliert, wurde gefordert, Israel kulturell und akademisch zu boykottieren, was letztlich impliziert, Juden kommen hier nicht mehr rein – oder sollte dieser ekelerregende, unfassbare Skandal nur schnell verdeckt, versteckt, weggeframt werden? Wurde am Ende nur etwas krampfhaft gesucht, das die Schande der Humboldt-Universität aus den Medien und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt? Eine Schande, die auch die der Politik ist, die diesem Treiben etwas zu lange zugesehen hat.

Man kann inzwischen darauf wetten, dass der weitaus größere Skandal aus dem Bereich stammt, der mit „rechts“ umschrieben wird. Der Rechte muss immer herhalten, wenn links wieder etwas nicht stimmt. Und da es links wie rechts und auch in der Mitte genügend Deppen gibt, findet sich immer etwas.

Ein gut informierter Mitarbeiter der neuen Überwachungsszene wurde dann auch fündig: Eine überschaubare Gruppe junger alkoholisierter und erkennbar besser situierter Leute hat in Partylaune: nicht geraubt, nicht missbraucht, nicht genötigt, keinen Terroranschlag wie auf dem Breitscheidtplatz in Berlin verübt und niemand wurde krankenhausreif geschlagen. Die Handvoll junger Leute hat – wie man sehen konnte – unter Alkohol rassistische Parolen mehr gelallt als gesungen – und das gefilmt und offenbar wohl auch selbst verbreitet.

Die dort auf Sylt gegrölten rassistischen Slogans kämen einem normal Denkenden nicht über die Lippen. In diesem ganzen Zusammenhang muss man auch Folgendes wissen – und das hängt eng mit den Schattenseiten der „schönen, neuen Social-Media-Welt“ zusammen: Das so missbrauchte Lied mit dem rassistisch gegrölten Spruch wabert bereits seit etwa einem halben Jahr durch die sozialen Medien, seit Rechtsextreme in einer Diskothek in Mecklenburg-Vorpommern damit in die Öffentlichkeit und in die Ermittlungen des Staatsschutzes geraten waren. Hiernach wurde eben dieser Sound – Song und rassistisches Gegröle – aus diesem Video dann von Internet-Nutzern hergenommen und auf Clips von Rappern wie Fler, auf TikTok-Videos von grünen Politikerinnen wie Emilia Fester oder Katharina Schulze gelegt. Inzwischen sind diese Clips bei X weitestgehend wieder verschwunden. Auch auf Videos eines sich steif tänzerisch bewegenden Friedrich Merz im Rahmen eines CDU-Events wurde die Soundspur aus Mecklenburg-Vorpommern gelegt.

Nicht wenige Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund haben sich über diese Clips, diese Memes, im Netz amüsiert. Dass diese Vielzahl an Clips von vielen als lustig empfunden wurden, liegt vor allem daran, dass ein Übermaß an Moralisierung den Tabubruch, das Sakrileg als Gegenwehr produziert. Der Kampf der Rot-Grünen gegen die Rechten wird, wenn er weiter so im Übermaß und mit einer felsenfesten und allzu selbstgewissen Doppelmoral geführt wird, zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, indem man das Übel, vor dem man warnt, erst erzeugt.

Denn, so schreibt der Migrationswissenschaftler Ruud Koopmans auf X: „Komisch nur, dass manche, die über „Deutschland den Deutschen“ zurecht empört sind, es ganz hip finden, auf arabisch mit „Palästina den Arabern“ mitzugrölen (so lautet ja die arabische Version von „from the river to the sea“). Doch schauen wir nicht auf die bestellte Empörung, sondern auf die verdrängte Realität in unserem Land.

Moralisieren erzeugt den Tabubruch als Gegenwehr

Mit der Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie bewegt sich Deutschland auf eine Zeit der Wirren und der Kämpfe zu. Es ist die grüne Politik, die grüne Unerbittlichkeit der sich selbst demokratisch nennenden Parteien, die diese Entwicklung vorantreibt. Die Grünen können nicht Grüne bleiben, wenn sie nicht alles daran setzen würden, ihre totalitären Weltbeglückungsideen durchzusetzen. Wir erleben den brutal vorangetriebenen Umbau der Gesellschaft von der Demokratie in die Gesinnungsdiktatur, von der Sozialen Marktwirtschaft in die Klimaplanwirtschaft.

Gerade hat BASF Stellenabbau und Werksschließungen in Deutschland verkündet, nun erfahren wir, dass der Waggonbauer Alstom seine Produktion aus Deutschland weg nach Polen verlagert. Die Ampel nennt es Regieren, Realisten nennen es Zerstörung, was diese Regierung betreibt, und zwar die Staatsfinanzen, den inneren Frieden, die Wirtschaft, den Wohlstand, die innere Sicherheit, die Infrastruktur. Gelabelt wird das alles durch die Utopie von der klimaneutralen Gesellschaft, die, umgesetzt, zur Dystopie wird. So war es immer. Und schon Stalin hämmerte die famose Theorie in die Köpfe seiner Mitstreiter ein, dass je erfolgreicher der Aufbau des Kommunismus voranschreitet, umso mehr Feinde sich gegen den Sozialismus erheben, die dann mit der ganzen Härte des Staates zu bekämpfen sind.

Nancy Faeser zeigt sich empört darüber, dass ein paar junge betrunkene Leute auf Sylt ein rassistisches Lied gegrölt haben, was in den letzten Monaten wie zuvor beschrieben zu einem Meme geworden ist – und was man durchaus als rassistisch, wohlstandsverwahrlost, komplett daneben einordnen kann. Die Bundesministerin scheint allerdings sehr viel Zeit zu haben, Zeit, die sie für die Eindämmung von wachsender Kriminalität oder von immer ausuferndem Judenhass auf deutschen Straßen oder an Universitäten nicht hat. Gerade eben wird wieder einmal mehr deutlich, dass verursacht durch eine unkontrollierte Migration immer mehr Mädchen und junge Frauen belästigt, genötigt, missbraucht werden, dass Frauen am späteren Abend und in der Nacht immer öfter aus dem öffentlichen Leben verschwinden. Bei alldem geht es auch gleichermaßen um Mädchen und Frauen, die in diesem Land Schutz vor Bedrohung eben dieser Art suchen und erhoffen und immer öfter darin enttäuscht werden. Der Bundeskanzler, der viele Erinnerungslücken hat und sich zu fast allem tunlichst zurückhält, besitzt genügend Zeit, das unpassende Verhalten einer Handvoll junger betrunkener Leute zu kommentieren. Für sehr vieles andere findet er wenig überraschend weder Zeit noch Worte.

Dabei ist es doch inzwischen so durchschaubar wie auch dreist. Diese Regierung besteht nicht aus Machern, sondern aus Ideologen. Wenn die Regierung ein Problem in der Wirklichkeit hat, das sie nicht lösen kann, wie beispielsweise die Bauernproteste, zieht eines ihrer Medien irgendeine rechte Verschwörungsräuberpistole hervor, während alle anderen Medien, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen, sofort eine Kampagne daraus machen, um in letzter Sekunde die Demokratie und die Meinungsfreiheit zu retten. Auffallend und seltsam daran ist nur, dass nach jeder dieser Kampagnen weniger Demokratie und auch weniger Meinungsfreiheit übrig bleibt.

Die Maßlosigkeit, mit der Vertreter aus Politik und Medien auf die Ereignisse in Sylt reagieren, während sie andere Fehlentwicklungen quasi totschweigen, erzeugt in diesem Zusammenhang eine sehr deutliche Abkehr und Abwehrhaltung auch bei politisch links stehenden Menschen.

Erschreckend ist, auf wie viele informelle Mitarbeiter die Regierung, vor allem die Grünen, zurückgreifen können, wie viele Denunzianten, wie viele Spitzel es in Deutschland wieder gibt, die auf der Lauer liegen, um zu sammeln und zu melden, was ihre Mitmenschen sagen, singen, essen, trinken, lesen und, wenn sie könnten, denken.

Mit Wonne zerstören diese und die vielen verantwortungslosen Politiker und Journalisten die Gegenwart und die Zukunft dieser jungen Leute. Man fragt sich, wo eigentlich die Energie des Bösen sitzt, das, wie wir von Hannah Arendt wissen, banal ist. Banal wie all diejenigen, die nichts anderes können, als ihre Mitmenschen anzuschwärzen.

Wenn die Partyentgleisung von Sylt zu einer Staatsaffäre wird, dann ist der Staat nur noch eine Affäre. Er verliert an Autorität – und Autorität ist das Gegenteil davon, Schrecken zu verbreiten.

Wenn man mit Kanonen auf Spatzen schießt, macht das viel Krach, doch die Spatzen fliegen davon und die Kanonenkugeln sind verschossen, wenn die wirklichen Feinde kommen – ob von rechts oder von links. 

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Kommentare ( 97 )

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mediainfo
19 Tage her

Vermutlich ist man heute schon seinen Job los, wenn man das Lied, zu dem im „Pony“ gegrölt wurde, bei offenem Fenster im Auto hört, ohne mitzusingen, wenn eine missgünstige Kollegin eine Chance wittert, zu denunzieren. Das Lied soll ja ab sofort komplett tabu sein. Was man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen muss: Der Angreifer, der in Berlin an einer Uni einen jüdischen Kommilitonen geschlagen und verletzt hat, kann nach Aussage der Universität nicht exmatrikuliert werden. Bei einer jungen Frau, die auf dem „Pony“-Video zu sehen ist, setzt die Uni Hamburg anscheinend alle Hebel in Bewegung, um ihre… Mehr

Last edited 19 Tage her by mediainfo
Madame Blume
19 Tage her

Ich möchte einmal sachlich-neutral auf folgende Zusammenhänge hinweisen. 2024 ist das Jahr der Fußball-EM mit den entsprechenden Spielen. Natürlich möchte jeder, dass die eigene Mannschaft gewinnt und fremde Mannschaften verlieren. Soweit ich es richtig verstanden und gelesen habe, hatte die Feier auf Sylt einen Fußball-Hintergrund. Ich kenne den Ausruf „Ausländer raus“ in Bezug auf Fußball, und dass man möchte, dass die eigene Nationalmannschaft gewinnt, statt die Mannschaft eines anderen Landes. Dies hat nichts, aber auch absolut gar nichts mit dem „Rassismus“ zu tun im Sinne von „alle Migranten raus aus Deutschland“, den man hier versucht, in den Raum zu stellen.… Mehr

MFK
19 Tage her

Die Berliner Grünen Politikerin Jutta Boden soll im Januar diesen Jahres bei einer Polizeikontrolle laut Vorgangsmeldung der Polizei den Hitlergruß gezeigt haben.
Was wurde aus diesem Fall ?

Fulbert
20 Tage her

Geht es hier nicht um ganz andere Dinge als „Überskandalisierung“? Zumindest könnte man auf diesen Gedanken kommen, wenn man den Kontext betrachtet? Tatsächlich scheint die Sylter Partygesellschaft ja nicht aus Reichen, sondern aus Mitgliedern der wohlhabenden oberen Mittelschicht bestanden zu haben, sofern die Angaben der Bild stimmen (Kinder von Ärzten, Werbeagenturmitarbeiter usw.). Nun ist es gerade diese Gruppe, die angesichts leerer Staatskassen zunehmend die Begehrlichkeiten der Regierenden weckt, wie Slogans nach einer stärkeren Besteuerung der Reichen nahelegen – wobei reich synonym für wohlhabend ist, denn dass sie an die Superreichen im Land mit ihren Heeren von Anwälten, Steuerberatern sowie besten… Mehr

Last edited 20 Tage her by Fulbert
Cabanero
20 Tage her

Bildunterschrift bei Tichys Einblick über diesem Beitrag „Hier hatten Party-Gäste zu Pfingsten rassistische Lieder gegrölt“ Ich gestehe, das ist der erste Beitrag bei TE, den ich kommentiere, ohne ihn zu lesen. Was ist an „Deutschland den Deutschen“ denn rassistisch? Und ja, man KANN das meinen. Aber WENN Ihr das meint, was soll dann dieser ganze Beitrag? Wer Deutschland den Deutschen oder Ausländer raus (was heißt denn sonst „Illegale Abschieben“?) für rassistisch hält, ist mit Faeser, Scholz, Laschet, Bas, Merz oder Habeck in EINEM Boot. Das ist keine Staatsaffäre. Aber so wenig ich linksliberalen Journalismus bei der Süddeutschen lese, tue ich… Mehr

Haba Orwell
20 Tage her

> dass ein Übermaß an Moralisierung den Tabubruch, das Sakrileg als Gegenwehr produziert. Statt als Sakrileg Sauflieder grölen, lese ich lieber (neben vielen kritischen westlichen) das Böse Medium, in dem durchaus oft Klimahysterie, Zensur und Islamismus kritisiert werden. Des Letzten bedient sich liebend gerne das Woke Imperium (Timber Sycamore). Konstruktive Gegenwehr wäre, sich einem Herrn Hofreiter und dessen Kumpanen zu widersetzen, die Buntschland in einen Weltkrieg für Globale Woke Transformation stürzen möchten. Während hier oft abschätzig von Melonisierung geschrieben wird, heute las ich – Meloni hält ihr Land konsequent aus imperialen Kriegsabenteuern raus, was schon mal Respekt verdient. Man wird… Mehr

Last edited 20 Tage her by Haba Orwell
Haba Orwell
20 Tage her

> Wir erleben den brutal vorangetriebenen Umbau der Gesellschaft von der Demokratie in die Gesinnungsdiktatur, von der Sozialen Marktwirtschaft in die Klimaplanwirtschaft.

Gesponsert von Auftraggebern – Oligarchen, die zumeist hinter dem Atlantik sitzen. Mit dem Fall der Woken Weltherrschaft des Imperiums wird auch das Treiben hiesiger Ortskräfte beendet. Sicherlich eher als durch Michel-Wahlverhalten, zumeist „weiter so“.

TomSchwarzenbek
20 Tage her

Ich habe 10 Jahre Musik gemacht und bin mit unserer Band durch die Republik gereist. Zu später Stunde wurden gerade in den feineren Kreisen (näher geh´ ich mal lieber nicht drauf ein) alle möglichen Lieder gesunden, dagegen ist Sylt ein Kindergarten. Horst Wessel&Konsorten waren überall dabei.

AHMED
20 Tage her

Ihre Analyse trifft zu, Herr Mai. Für unangemessen und falsch halte ich aber, dass Sie unkritisch das Vokabular des herrschenden politisch-medialen Komplexes vom „rassistischen“ Gegröle übernehmen. Der betreffende Slogan mag als national-chauvinistisch und ausländerfeindlich charakterisiert werden (was ihn nicht besser macht), „rassistisch“ ist er nicht. Propaganda bedient sich auch eines unangemessenen Vokabulars, Aufklärung hat dagegen auch auf angemessenes Vokabular zu achten.

Silverager
20 Tage her

Hätten die angetrunkenen Jungs und Mädels auf Sylt gesungen: „Deutschland den Ausländern“ und „Ausländer rein“, so hätte das Auge der Frau Faeser sehr wohlwollend auf den Jugendlichen geruht.