Der christliche Glaube sollte nicht politisch instrumentalisiert werden – das gilt für alle politischen Lager. Doch das Amtskirchentum ist nicht nur auf dem linken Auge blind, es verkennt auch echte Gottsuche als rechte Strategie.
picture alliance / CHROMORANGE | Klaus Offermann
Vor „zunehmendem politischem Missbrauch“ des Christentums warnt Heinrich Bedford-Strohm, ehemals Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und nun Vorsitzender des Ökumenischen Rats der Kirchen – ein internationaler Zusammenschluss von mehr als 350 evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften.
Diese Warnung ist berechtigt. Fast durchgehend in seiner zweitausendjährigen Geschichte war das Christentum in irgendeiner Form in Gefahr, für weltliche Zwecke instrumentalisiert zu werden. Ebenso durchgehend erhoben sich in christlichen Kirchen mahnende Stimmen, die davor warnten. Mal mehr, mal weniger erfolgreich setzte man sich dagegen zur Wehr, pochte auf die Eigenständigkeit kirchlicher Institutionen und betonte die über innerweltliche Interessen erhabene Qualität des christlichen Glaubens.
Für Christen ist es also eine bleibende Aufgabe, zu erkennen, was im Sinne ihres Glaubens ist, und wo er lediglich benutzt wird.
Trump, Putin, AfD
Allerdings lässt aufhorchen, welche Art der Instrumentalisierung Bedford-Strohm moniert. Gegenüber der Funke-Mediengruppe nannte er kurz vor dem Weihnachtsfest Donald Trump, Wladimir Putin und die AfD, die das Christentum für eigene Zwecke missbrauchten. Die üblichen Verdächtigen. „Die AfD behauptet, das Christentum in unserem Land zu schützen, vor allem gegen muslimische Flüchtlinge. Mit dem, wofür Jesus Christus steht, hat das nichts zu tun“, so Bedford-Strohm unter anderem.
Nun ist unstrittig, dass sowohl Putin als auch Trump – wenn auch in unterschiedlicher Weise – zuweilen auf den Glauben Bezug nehmen, um ihre Politik zu rechtfertigen.
Und tatsächlich dient das Christentum auch hierzulande als Feigenblatt in jener Auseinandersetzung zwischen den Ideologien, die – nicht sehr treffend – als Kulturkampf bezeichnet wird: Sobald gegen den Islam gewettert wird, wird gern auf das Christentum verwiesen. Gleichzeitig werden christliche Vorgaben jedoch in jedem anderen Kontext ignoriert oder sogar verächtlich gemacht. Und ab und an werden „Wertkonservatismus“ oder auch klassische Spießigkeit mit dem christlichen Glauben verwechselt.
„Liebe Sozialisten, denkt an Weihnachten daran: Jesus wäre heute Kapitalist“, schreibt Ben Brechtken bei Nius. Er wendet sich damit überspitzt gegen die übliche Behauptung, Jesus wäre eine Art Protosozialist. Allerdings ist offensichtlich, dass sich aus Jesu Lehren weder das eine noch das andere ableiten lässt, selbst dann nicht, wenn man an die transzendente Qualität seiner Person nicht glaubt.
Auf dem linken Auge blind
Die derzeitig zu beobachtende Vereinnahmung des Christentums durch Nichtlinke ist in großen Teilen eine Reaktion auf die Vereinnahmung des Christentums von links. Diese ist bereits so üblich, dass viele engagierte Christen sie überhaupt nicht mehr als solche erkennen. Und auch Nichtchristen neigen dazu, das von EKD und ZDK geprägte Amtskirchentum mit dem christlichen Glauben an sich zu identifizieren.
Das ist verständlich: Wenn ein Flüchtlingsboot als Altar dient, wenn Kirchen Schlepperboote finanzieren oder Kollekten einsetzen, um Afghanen nach Deutschland zu holen; wenn Regenbogenflaggen vor kirchlichen Einrichtungen wehen; wenn christliche Kindertagesstätten und Schulen Sexualerziehung im Sinne der Queerlobby betreiben; wenn Kirchenvertreter regelmäßig den Ausschluss von AfD-Mitgliedern von kirchlichen Ämtern fordern und kirchliche Verbände dies in ihren Satzungen verankern – worum soll es sich hier handeln, wenn nicht um eine massive Instrumentalisierung des Glaubens im Sinne politischer und ideologischer Vorgaben?
Zwar wird oft Nächstenliebe angeführt, um die ideologische Schlagseite zu rechtfertigen. Aber wo zeigt sich diese Nächstenliebe gegenüber Anhängern der AfD? Wo ist das Mitgefühl mit Kindern, die der Transideologie ausgeliefert werden, während man Pride und Progress Pride propagiert?
Und bei allem notwendigen christlichen Einsatz für Flüchtlinge: Man vermisst doch, dass Christen ebenso engagiert Opfer von migrantischer Gewalt trösten, und von Zugewanderten die Einhaltung gesellschaftlicher Normen einfordern. Oder gar, dass sie versuchen würden, nichtchristlichen Migranten den christlichen Glauben nahezubringen. Mission nennt man das übrigens, und es ist einer der ersten Aufträge, den die Kirche von Jesus erhalten zu haben glaubt.
All dies findet nicht statt. Es ist daher nicht zu übersehen, dass der wertvolle Begriff der Nächstenliebe hier zum politischen Schlagwort und zur Floskel verkommt, hinter der sich nicht selten das Gegenteil verbirgt – völlige Gleichgültigkeit gegenüber jenen Nächsten, die man für unwichtig hält.
Doch dagegen richtet sich Bedford-Strohm bezeichnenderweise nicht.
Christentum ist nicht unpolitisch
Nun wäre es ein Missverständnis, zu meinen, der christliche Glaube müsse unpolitisch sein. Er gehört seit jeher in den öffentlichen Raum und hat diesen mitgestaltet. Er bietet Ressourcen, um ein auf Gerechtigkeit basierendes gesellschaftliches Miteinander aufzubauen. Sein Menschenbild ist Grundlage für Freiheits- und Menschenrechte, aber auch für eine wirtschaftliche und soziale Ordnung, die Schwache schützt, Starke an ihre Verantwortung erinnert.
Das wird deutlich, wenn man schlicht und einfach Gesellschaften betrachtet, die nicht primär christlich geprägt sind. Sklavenhaltung, Kastensysteme, Tribalismus; die Missachtung des Individuums, die umfassende Herabwürdigung der Frau: Mancherlei davon hat es auch in christlichen Gesellschaften gegeben. Aber sie verfügten offenbar über das Reflexionsvermögen, zu erkennen, dass solche Missstände mit dem Glauben unvereinbar sind, und über Willen und Tatkraft, um solches Unrecht nach und nach zu beheben.
Christentum ist also nicht apolitisch, sehr wohl aber überpolitisch: Politische Überzeugungen dürfen nicht mit dem Glauben gleichgesetzt werden oder diesen ersetzen.
Das jedoch geschieht auf allen Seiten. Wären Bedford-Strohm und seine Mitstreiter ehrlich an Unabhängigkeit und Integrität des Glaubens interessiert, würden sie Vereinnahmung durch alle politischen Lager ablehnen, und ihre Kritik nicht selektiv auf bestimmte – ganz zufällig sämtlich “nichtlinke” – Fälle beschränken.
Erweckung oder Strategie?
Hinzu kommt, dass die Berufung auf den christlichen Glauben, wie sie nun auch von Nichtlinken wieder vermehrt vorgenommen wird, nur teilweise auf politischen Motiven basiert. Ganz allgemein ist eine Rückkehr der Religion wahrzunehmen. Junge Menschen in ganz Europa sind mit den Folgen eines jahrzehntelang implementierten aggressiven säkularen Materialismus konfrontiert, wie keine Generation vor ihnen.
Haben ihre Eltern und Großeltern noch vom Kapital gezehrt, das die christlichen Grundlagen Europas ihnen überliefert haben, leiden sie unter Entwurzelung, Vereinzelung, Bindungs- und Sinnlosigkeit, und nehmen säkulare Sinnangebote nicht als ausreichend wahr. Die Folge: Konversionen, Erwachsenentaufen, mehr Gottesdienstbesucher und eine größere Bereitschaft, andere als materialistische Prämissen anzunehmen.
Doch die linke konstruktivistische Agenda hat das gesamte Leben durchpolitisiert: Reise- und Speiseplan und selbst der Kinderwunsch haben sich am Klima zu orientieren, Freundschaften basieren auf der korrekten politischen Einstellung, die Partnerwahl hat sich dem Kampf gegen das Patriarchat unterzuordnen, und die eigene Meinung dem Kollektiv, dem man aufgrund von Geschlecht, präferierter Sexualpraxis oder Hautfarbe zugewiesen wird.
Politik wird uns nicht retten
Dass eine Hinwendung zum Christentum nicht ideologisch motiviert sein könnte, sondern womöglich der Sehnsucht der Seele nach Zugang zur Transzendenz Ausdruck verleiht, ist für jene, die Transzendenz leugnen, natürlich nicht nachvollziehbar. Ihnen bleibt neben der pathologischen Perspektive – wer glaubt, müsse eben mental instabil und überfordert von der Komplexität der Welt sein – nur die politische, um das Wiedererstarken religiöser Impulse in Europa einzuordnen.
Daher rührt die hilflose Einschätzung, die Rückkehr junger Menschen zum Glauben müsse rückwärtsgewandt, “konservativ”, “rechts” oder “rechtsextrem” sein. So erklärt sich auch die Häufung voreingenommener medialer Beiträge, die kurz vor Weihnachten engagierte Christen wie den Gründer des Gebetshauses Augsburg, Johannes Hartl, zu diskreditieren und in die Nähe von Sektiererei zu rücken suchten.
Die hier angestrebte Rückgewinnung der geistlichen Dimension für das Leben der Menschen in Europa geht zwar tatsächlich mit der Wiederentdeckung der eigenen Identität einher, die untrennbar mit dem Christentum verknüpft ist. Und das ist all jenen ein Dorn im Auge, deren Agenda auf die Zerstörung von Identität abzielt.
Dennoch ist diese Rückbesinnung grundsätzlich zu unterscheiden von dem Anliegen politischer Kräfte, ihren Schwung für eigene Zwecke auszunutzen. Die meisten Akteure der christlichen Erneuerung sind durchaus in der Lage, Vereinnahmungsversuche zur durchschauen – womit eine Abgrenzung sowohl nach “links” als auch nach “rechts” möglich wird, die verhindert, dass die authentische Suchbewegung des Individuums nach Gott zum politischen Machtinstrument degradiert wird.



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