Lindner: Das gewollte Missverstehen der Immerempörten

Die Anprangerung einer „rassistischen“ Äußerung ist nur ein Beispiel für bewusstes „Missverstehen“: Das Wort im Munde wird verdreht, um Diskussion zu unterdrücken, Verunsicherung zu verbreiten und die Sprachgebote der PC durchzusetzen.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Lindner hatte auf dem Parteitag eine Anekdote wiedergegeben, die ihm ein Bekannter mit Migrationshintergrund erzählt hatte. Hier noch einmal der Wortlaut der angeblich rassistischen Äußerung: „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen, rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.“

Lindner wollte auf Missstände als Folge der unkontrollierten Zuwanderung aufmerksam machen, dabei Menschen mit Migrationshintergrund vor ungerechtfertigten Vorurteilen in Schutz nehmen und für eine geordnete Zuwanderung werben. Keiner der über 100 Journalisten auf dem Parteitag hatte das missverstanden oder einen Grund zur Aufregung gesehen – bis dann ein FDP-Mitglied Lindner (mit einer Argumentation wie wir sie von Grünen und Linken kennen) des „Alltagsrassismus“ beschuldigte und aus der Partei austrat. Erst dann folgte die in Deutschland allseits bekannte Aufregung der Immerempörten. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sprach von einer „dümmlichen Anekdote“. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, sprach im Handelsblatt gar von „Stimmungsmache gegen Dunkelhäutige und Hartz-IV-Empfänger mit Flüchtlingsgeschichte“. Damit betreibe Lindner „das Geschäft der AfD„, sagte Bäumler.

Tagesthemen skandalisieren die Äußerung

In einem Kommentar in den Tagesthemen wurden wir belehrt: „Mit seinen Worten liefert er Rassisten einen Vorwand, rassistisch zu sein. Nach dem Motto: Ist doch nachvollziehbar, dass Menschen andere allein deshalb verdächtigen, weil sie gebrochen Deutsch sprechen. Sind ja auch ein paar illegal hier, die so reden. Gerade als Chef der angeblich Liberalen Partei in Deutschland, ist das ein Armutszeugnis. Lindner zeigt mit seiner Anekdote, dass er leider keine Ahnung hat, wie Rassismus funktioniert. … Außerdem versteht Lindner offenbar nicht, dass Rassismus schon beim Denken anfängt…  Lindner erzählt die Geschichte nicht aus Sicht des Opfers, sondern aus der Sicht des rassistischen Schlangenstehers und zeigt dadurch Mitgefühl für die falsche Seite…. Und schließlich: Lindner kann sich offenbar schlecht entschuldigen. Statt einfach zu sagen, ‚sorry, hab mich verrannt, war dummes Gerede, tut mir leid’, unterstellt Lindner seinen Kritikern lieber Hysterie. Das ist schlechter Stil und wirkt schnell arrogant. Wenn man es versemmelt hat, sollte man vielleicht erstmal kleinere Brötchen backen.“

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Es ist typisch in solchen Situationen, dass die Immerempörten sich überhaupt nicht mehr bemühen, den Sinn, die Intention und die Hauptbotschaft einer Aussage zu verstehen, sondern haarspalterisch jedes Wort auf die Goldwaage legen, damit am Ende das Gegenteil dessen herausgelesen werden kann, was ganz offensichtlich gemeint war. Und natürlich darf die Forderung nicht fehlen, dass sich der bewusst Missverstandene öffentlich dafür entschuldigen muss, etwas gesagt zu haben, dass andere missverstehen wollten.

Empörungsrituale mit Tradition

Das Phänomen des bewussten Missverstehens ist nicht neu. Beispiele dafür gibt es zahllose. Ich erinnere mich an die Rede des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Philipp Jenninger, am 10. November 1988 zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Reichspogromnacht in Deutschland. Seine Rede führte zu einem großen Skandal, weil man ihn bewusst hatte missverstehen wollen. Ihm wurde unterstellt, er habe Hitler und den Nationalsozialismus beschönigt, weil er bei der Verlesung seiner Rede die „Anführungszeichen“ zu manchen Begriffen nicht ausreichend betont habe. Es entstand eine hysterische Diskussion in Deutschland und im Ausland, und Jenninger musste sofort von seinem Amt zurücktreten. In der Folge wurden Jenninger und seine Rede rehabilitiert, unter anderem dadurch, dass der spätere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, demonstrativ umstrittene Passagen aus Jenningers Ansprache in eine eigene Rede übernahm, ohne damit Anstoß zu erregen. Viele Beispiele für absurde Skandalisierungen finden sich in dem Buch des Mainzer Kommunikationswissenschaftlers Matthias Kepplinger.

Der „herrschaftsfreie Diskurs“

Empörungsrituale wie jetzt bei Lindner haben die Funktion, zu verunsichern, jeder Bürger soll verstehen: Bei bestimmten Themen muss „man vorsichtig sein“, muss man höllisch aufpassen, um nicht „missverstanden“ zu werden. Das gilt für alle Themen im Zusammenhang mit Zuwanderung, aber auch, wenn es um andere Minderheiten oder um Frauen geht. Schon harmlose Äußerungen haben damit das Potenzial, hysterisiert zu werden. Bestimmte Dinge „darf man sagen“, andere darf man auch sagen – aber nur dann, wenn man Lust hat, sich öffentlich als Rassist, Frauenfeind, islamophob usw. diffamieren zu lassen.

Pro und Contra
Lindner mit Populismus - in die Falle
Jeder Politiker, jeder Journalist und jeder Bürger soll wissen: Bei Themen, die von den Tugendwächtern der Sprachpolizei für „sensibel“ erklärt wurden, ist es ratsam, den Mund zu halten, weil man sich leicht den Mund verbrennen kann. Und wenn man sich äußert, dann sollte man tunlichst vorher jedes Wort auf die Goldwaage legen und darüber reflektieren, wie einem ein Böswilliger, der den Vorsatz hat, die Äußerung misszuverstehen, die Worte im Mund herumdrehen könnte.

Politiker und Journalisten haben darin eine gewisse Routine entwickelt – daher die vielen inhaltsleeren Phrasen, der unverdächtige Wortschaum, der den Abstand zwischen Bürgern und der Politik immer mehr vergrößert. Der Beruf von Politikern und Journalisten ist es, mit Sprache umzugehen (manchmal können sie sonst auch nichts). Der durchschnittliche Bürger, der sprachlich nicht entsprechend geschult ist, muss sich hilflos fühlen, weil er die Kunst, vor einer Äußerung alle Möglichkeiten des bewussten Missverstehens gedanklich durchzuspielen, nicht beherrscht. Also schweigt er lieber. Und genau das ist es, was die politisch Korrekten wollen, die eigentlich den „herrschaftsfreien Diskurs“ (Jürgen Habermas) zum Maßstab dafür gemacht haben, wie frei und „emanzipiert“ eine Gesellschaft sei.

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Kommentare ( 51 )

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Hadrian17
5 Jahre her

Mir ist unbegreiflich, was an dem Lindner’schen Beispiel misszuverstehen wäre. Er hat eingefordert, dass der Bürger, wenn er in der Schlange beim Bäcker steht, sich vor der sich integrierenden Person nicht zu fürchten braucht, weil der Staat, bevor diese Person zum Bäcker gehen kann, zuverlässig und gründlich geprüft hat, dass von ihr keine Gefahr ausgeht, sie beispielsweise keinen Sprengstoffgürtel unter dem Burnus trägt. So what? Das sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein. Da es das aber offensichtlich nicht ist, hat Lindner diesen Umstand angesprochen. Damit wird Staatsversagen angeprangert. Völlig zu Recht, denn der Staat hat das Gewaltmonopol und dafür zu sorgen,… Mehr

bkkopp
5 Jahre her

Richtig erscheint aber auch, dass Lindner sich sehr eigenartig ausgedrückt hat. Ich habe ihn auch gehört und gefragt: kann er nicht normal reden. Sonst Zustimmung.

Tesla
5 Jahre her

„Keiner der über 100 Journalisten auf dem Parteitag hatte das missverstanden oder einen Grund zur Aufregung gesehen – bis dann ein FDP-Mitglied Lindner (mit einer Argumentation wie wir sie von Grünen und Linken kennen) des „Alltagsrassismus“ beschuldigte und aus der Partei austrat. Erst dann folgte (…)“

Man könnte das auch „Schwarmintelligenz“ nennen, auch wenn „Schwarmdummheit“ die wohl passendere Bezeichnung dafür wäre. Und die musste wohl scheinbar auch erst noch getriggert werden.

mlw_reloaded
5 Jahre her

Was in den letzten Jahren hier abgeht wird Heerscharen zukünftiger Sozialforscher und Journalisten in Lohn&Brot bekommen. Die undefinierte (da undefinierbare und auch bewusst nicht an Identifikation interessierte) Menge der Empörten fesselt eine ganze Generation Politiker in den Bann der PC, daraufhin zieht sich die Politik als Ganzes in ihr Schneckenhaus zurück, und zwar gemeinschaftlich, denn eine Rückkopplung von politischem Wirken auf das folgende Wahlergebnis ist qualitativ und quantitativ kaum vorhanden. Das Ergebnis ist ein wohlhabender Staat, der sich selbst ausnimmt, und außer lebensverlängernden Maßnahmen für Brüssel und die Wohlfahrt im eigenen Land wird nichts davon übrig bleiben, was vorher Generationen… Mehr

R.Oe
5 Jahre her

Das permanente Ausweichen auf die „Rassismus-Keule“ erinnert mich an den Spruch im Büro eines Bekannten: „Ich wollte mich mit Dir intellektuell duellieren, aber ich sehe: Du bist unbewaffnet“ 😉 Nun ist die „Keule“ natürlich ein schweres Werkzeug, dessen permanenter, vor allem ausschließlicher Gebrauch eher davon zeugt, dass in der Sache die Diskutanten der anderen Seite tatsächlich unbewaffnet dastehen. Die eigentliche Aussage Lindners ist viel mehr Pro- Migration auslegbar, denn der KI-Igenieur kommt ja an prominenter Stelle vor, und dieser wird gegen den Fluchtmigranten aller Herkünfte in die Diskussion gebracht. Leider sind die „Keulen“schwinger meist nicht in der Lage, ihren Standpunkt… Mehr

Klaus Mueller
5 Jahre her

Eine rechtschaffende Einwanderung Rechtschaffender in die Sozialsysteme ist auch nicht hilfreich. Die FDP argumentiert gezielt am Thema vorbei.

anita b.
5 Jahre her

Das gewollte Mißverständnis ist doch inzwischen Normalität. Schon lange beleidigen die sogenannten Journalisten so mein Sprachgefühl. Der Punkt is,t das die Masse des Volkes nur die Transformation des jeweiligen Journalisten und nicht den Originaltext liest.

flo
5 Jahre her

„Es ist typisch in solchen Situationen, dass die Immerempörten sich überhaupt nicht mehr bemühen, den Sinn, die Intention und die Hauptbotschaft einer Aussage zu verstehen, sondern haarspalterisch jedes Wort auf die Goldwaage legen, damit am Ende das Gegenteil dessen herausgelesen werden kann, was ganz offensichtlich gemeint war.“ Ich bin mir leider inzwischen nicht immer sicher, ob es um mangelndes Bemühen oder schlicht um Unfähigkeit geht. Wer heutzutage ein globales Recht auf Migration für den Gipfel der Völkerliebe hält und eine positive Zukunftsvision, ist m. E.schlicht nicht in der Lage, vernünftig / LOGISCH ZU DENKEN und zu begreifen, dass Handlungen absehbare… Mehr

kostanix
5 Jahre her

Danke für die klaren Worte!

AlNamrood
5 Jahre her

Lindner kann von mir aus ruhig Ziel des
Volkszorns sein. Vielleicht lernt er daraus sogar was echter Liberalismus bedeutet. Als ob die FDP solche infantilen Spielchen nicht selber mitspielen würde.