Historisch? Eliten-Baby im Bundestag

Eine Abgeordnete bringt ihren Säugling mit in den Bundestag ans Rednerpult. Manche Medien feiern dies als „historisch“. Was ist daran historisch im Vergleich zu Bildern wie Mauerfall oder zum Merkel-Selfie? Ein kurzer Moment voller Symbolkraft, doch gesellschaftliche Strukturen bleiben davon unberührt.

picture alliance / dts-Agentur | -
Grünen-Abgeordnete Hanna Steinmüller, Berlin, 23.09.2025

Es hätte auch einfach eine Randnotiz sein können: „Erste Frau, Mutter, Abgeordnete mit Baby im Bundestag.“ Nett, freundlich, applauswürdig allein schon für den Mut, sich so verletzlich zu zeigen. Nicht nur als Frau, nicht nur als Politikerin, sondern auch als Mutter, die weiß, dass ein Säugling jederzeit schreien oder unruhig werden kann.

Zweifellos sollte dies die Sichtbarkeit von Müttern signalisieren. Doch schon beim Blick in die Medien scheiden sich die Geister: für die einen ein Akt des Mutes, für die anderen unzumutbar für das Kind. Eine Debatte darüber mag sinnvoll sein. Darüber kann man diskutieren, und dies ist der Knackpunkt: muss man aber nicht.

Doch nun wird es in den Medien als „historisch“ gefeiert und ich persönlich denke: Das soll historisch sein? Denn neben echten historischen Momenten wirkt diese Inszenierung fast absurd. Ich möchte deswegen ein paar symbolträchtige historische Momente nennen.

Historische Momente in Deutschland zeichneten sich durch ihre Symbolkraft und ihre Wirkung aus, denn genau das macht sie historisch. Zum Beispiel die Einführung des Frauenwahlrechts 1918, erkämpft durch Proteste und Demonstrationen, das Frauen politisch gleichstellte; die friedliche Revolution in der DDR 1989, Montagsdemonstrationen und Kerzenlichter, die den Sturz eines autoritären Systems auslösten; der Mauerfall 1989, als Menschen die Berliner Mauer Stück für Stück niederreißen. Ein Bild für die Welt, das zugleich die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte. Ein negatives Beispiel darf es auch geben: das Angela-Merkel-Selfie 2015 – alles Bilder mit enormen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft.

Ein Baby am Rednerpult hingegen bleibt reines Symbol, vielleicht auch nur ein starkes Statement: medienwirksam, emotional, Instagram-tauglich, aber leider ohne reale politische Wirkung. Hier gilt: Symbol über Inhalt. Denn diese Mutter spiegelt eben nur diese Art von Mutter wieder. Eine abgeordnete Mutter im Bundestag. Keinesfalls die Mehrheit der Mütter. Nicht mal eine nennenswerte Minderheit.

Ein kurzer Moment voller Symbolkraft, doch gesellschaftliche Strukturen? Sie bleiben unberührt.

Denn Hanna Steinmüller, 32 Jahre alt, Abgeordnete der Grünen für Berlin-Mitte, hat es leicht. Ihr Lebenslauf folgt dem klassischen Muster einer Berufspolitikerin aus akademischem Milieu: Studium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität, Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung, frühes Engagement in Parteistrukturen, Aufstieg in den Landesvorstand der Grünen Berlin, Direktmandat im Bundestag. Sie bewegt sich in einer urbanen Elite-Blase, in der Netzwerke, Ressourcen und Privilegien selbstverständlich sind. Kein Wunder, dass sie im Bundestag ihr Baby zeigt: Sie lebt ein elitäres Vorzeige-Leben.

Mit 32 Jahren verfügt Steinmüller über alle Vorteile, die normalen Eltern verwehrt bleiben: ein hohes Einkommen, das nach 32 Jahren harter Arbeit für die meisten unerreichbar bleibt.

11.227 Euro monatlich als Abgeordnete, keine Nebeneinkünfte, schließlich ist sie ja noch offensichtlich Mutter. Sie genießt steuerliche Absetzbarkeit beruflich bedingter Kosten, dazu ein eigenes politisches Büro, ein weitreichendes Netzwerk, flexible Arbeitszeiten, abgesicherte Altersvorsorge, Krankenversorgung und Zugang zur exklusiven Bundestags-Kita. Und diese Kita hat es in sich. Die Kita, nördlich des Paul-Löbe-Hauses, wurde 1998–1999 vom Wiener Architekten Gustav Peichl entworfen und gleicht einem elegant-verspielten Schiff. Sie bietet Platz für 140 Kinder, kleine Gruppen von 10 bis 15 Kindern, ganztägige Betreuung, rund 30 ausgebildete Erzieher plus Praktikanten.

Wenn man den Schlüssel rechnerisch ermittelt: 140 Kinder ÷ 30 pädagogische Fachkräfte = ca. 4,7 Kinder pro Fachkraft. Das ist extrem niedrig, verglichen mit normalen Kitas in Deutschland, wo der Schlüssel häufig bei zwischen 8 bis 15 Kindern pro Erzieher liegt, je nach Altersgruppe. In Berlin zum Beispiel gilt laut Kita-Stimme Berlin, dass Gruppen teilweise 25 Kinder auf 2 Fachkräfte haben, also 12,5 Kinder pro Erzieher. Fazit: Der Erzieher-Kind-Schlüssel der Bundestags-Kita ist luxuriös niedrig, was intensive Betreuung, kleine Gruppen und hohe pädagogische Qualität erlaubt. Ein klarer Kontrast zu normalen Kitas.

Während normale Eltern in überfüllten Kitas mit lauten Gruppen und Personalmangel kämpfen, lebt Steinmüller im Luxus einer architektonisch und pädagogisch privilegierten Betreuung, die sie offensichtlich selbst nicht einmal nutzt, sondern ihr Baby direkt ans Redepult bringt, weil ihr systemrelevanter Job es ihr ermöglicht.

Ihre Arbeit besteht darin, Reden zu halten, Floskeln zu schwingen und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Mehrheit der anderen Mütter, die physisch und mental schuften, kennen jedoch keine Bühne, keinen Applaus. Ich kenne eine Frau, die ihr Kind auf dem Rücken trug, während sie putzte; viele andere rennen zwischen Arbeit und Haushalt hin und her, schuften hart, ohne öffentliche Anerkennung. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für sie kein schönes Bild, sondern ein harter und immer noch unsichtbarer Kampf.

Das Baby wird als politisches Symbol genutzt: Neuanfang, Vereinbarkeit, Hoffnung. Psychologisch und medial wirkt es perfekt: Neotenie, Emotion über Inhalt, aber es verdeckt die Realität: Inflation, Wohnungsmangel, steigende Armut, ein unterfinanziertes Bildungs- und Sozialsystem. Für die meisten Menschen ist Politik kein Instagram-Set, sondern täglicher Überlebenskampf.

Die Medien feiern die Inszenierungen der Elite, während echte historische Veränderungen leise und hart erkämpft werden.

Ein Kind im Bundestag verschiebt keine Mietpreise, stoppt keine Inflation, verhindert keine Wohnungsnot, sorgt nicht für gerechte Bildung, senkt keine Energiekosten und beseitigt nicht den Pflegenotstand. Und allem voran: Es verändert nicht die reale Situation der meisten Eltern in diesem Land.

Es bleibt ein starkes Bild: süß, beruhigend, medienwirksam, aber Symbolpolitik ist kein Ersatz für Politik. Und worüber hat Steinmüller eigentlich gesprochen? Über den Etat des Bauministeriums. Wirklich historisch? Wohl kaum.

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Kommentare ( 127 )

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NochNicht2022
2 Monate her

Wir sollten dieser Mutter alle dankbar sein: Sie bestätigt doch damit unmißverständlich, daß der Bundestag mittlerweile wohl eine Mischung von Baby-Station und Kindergarten geworden ist. In Letzterem schreien die Kleinen immer mit demjenigen mit, der am meisten (wehleidig) plärrt … Dieses „Großereignis“ mit einer „Elite“ in Zusammenhang zu bringen, ist allerdings kaum nachzuvollziehen: Die Person wirkt eher wie eine Proletin mit wenig Manieren aus Berlin-Mitte. Dafür warb sie immerhin für „Marmelade für alle“, „kämpfte“ – wird wohl eher Papageien-Geplapper mit auswenig gelernten Automatensätzen gemeint sein – auch gegen Kinderarmut.

Oblongfitzoblong
2 Monate her

Wenn ich die Situation richtig sehe, handelt es sich um den Ort des Geschehens um den Bundestag, früher einmal „Hohes Haus“ genannt. In diesem für die Deutschen nicht unbedeutendem Ort , an dem über weitreichende Entscheidungen für jeden einzelnen Menschen gestritten werden soll, tritt eine Abgeordnete der Grünen an das Rednerpult und demonstriert mit ihrem Säugling im Sack, was für sie wichtig ist, sie selbst. Es gibt mit Sicherheit einen Parlamentskindergarten, ansonsten kann man bei derartigem Einkommen eine kurzfristige Betreuung für das Kind arrangieren. Also was soll dieser Auftritt? Vielleicht kann mir jemand helfen. Bei Reichinnecks Auftritt wurde offenbar das… Mehr

Apfelmann
2 Monate her

Man sollte die Dame mal fragen wieso das Kind nicht zuhause bei seinem Vater war??? Wieso muss sie das Kind denn mit an die Arbeit nehmen? In Deutschland gibt es soetwas wie Elternzeit. Was macht denn nur der Vater? Kann der sich nicht um Heim und Kind kümmern? Die Frau Mama wird sicher genug für die Familie verdienen als Bundestagsabgeordnete.

pcn
2 Monate her

Ein 5-Sterneartikel! Die Abgehobenheit dieser sogenannten Volksvertreter ist in Ihrem Artikel deutlich geworden. Man finanziert sich ohne richtig zu arbeiten aus dem schwer erarbeiteten Steuergeld, das auch von Müttern der „untersten Kaste“ unter Schweiß, Kraft und Nervenverlust, und wie oft schon unter Tränen durch Erschöpfung in die Kasse fließt. Und da greifen diese „modernen Fürsten des 21. Jahrhunderts“ rein, ohne überhaupt den Souverän zu fragen, wieviel des Geldes ihnen überhaupt zusteht. Das Regierungsviertel glänzt in aller Pracht, mitsamt eines luxuriösen Kindergartens nebst erstklassiger Betreuung, währen Lehrer in Brennpunktschulen heilfroh sind, wenn nur irgendwie die 45 Min. rumgebracht wurden, ohne Gewalt… Mehr

Casa Done
2 Monate her

Das arme Kind.

wackerd
2 Monate her

Wie wäre es mit einer weiteren Show-Einlage: Stillpause am Rednerpult. Frau Klöckner hätte Verständnis.

Dieter Rose
2 Monate her
Antworten an  wackerd

Vielleicht mal zeigen, wie das Baby zustandegebracht wurde.

wackerd
2 Monate her

Man zeigt gerne seinen Luxus und das entsprechende Leben: Der eine braust mit Luxuskarossen, Marke AMG, abends durch Berlin und die andere latscht mit ihrem Baby ans Rednerpult. Und ach so verletzlich, ganz emotional werde ich dabei. Fazit: Dann lieber 550 PS und Launch Control an der Ampel. Für die ewig Gestrigen: Das ist Satire, Bro.

Zack
2 Monate her

Sie soll zum Kampfmittel-Räumdienst wechseln.
Dann will ich das Baby nochmal sehen. Wetten, sie lässt es dann?
Pures Eliten-Gehabe. Gehört auf keinen Fall in den Bundestag!

Dreadlocker
2 Monate her

Hanna Steinmüller, geboren 1993 in Münster, Abi, mehrere Freiwilligen- und Sozialdienste, Studium der Sozialwissenschaften in Berlin, immerhin Abschluss als Bachelor – ansonsten nur Parteikarriere bei den Grünen und öffentliche Mandate.

Zack
2 Monate her
Antworten an  Dreadlocker

Ja, aber wenn´s doch für 10 Mille im Monat reicht?
ICH bekomme das nicht. Nicht ansatzweise. Nach 32 Jahren in der Firma.

yeager
2 Monate her

Emotion über Inhalt. Das Kernkonzept der Grünen und Linken.
So werden rationale Diskussionen ausgehebelt, mit Bildern und plakativen Sprüchen umgangen. Hier z.B. dass die derzeitigen Kinder und Säuglinge Deutschlands in Zukunft die Zeche der aktuellen Schuldenorgie werden abbezahlen müssen, ihr künftiger Wohlstand gerade mit plumper Ideologie an Graichen & Co. umverteilt wird und ihre physische wie finanzielle Grundsicherung mit der Aufhebung der Grenzen zunichte gemacht wird.
Aber zum Glück wird man ihnen in 10-12 Schuljahren „erklären“ wie das alles zu ihrem Besten war, sofern die Schule nicht über ihnen einstürzt.