Ein Verdacht ohne Inhalt und ein Urteil mit Pointe

Selten wurde ein politisches Märchen so gründlich demontiert wie SPD-Maiers Vorwürfe gegen die AfD über „Auftragsliste des Kreml“. Das Gericht nennt das Ganze höflich vage Mutmaßungen. Am Ende aber gilt: Die Presse darf solche Mutmaßungen zitieren, wenn ein Minister ihn spricht – und das Handelsblatt durfte besonders fleißig mitschreiben.

picture alliance / dts-Agentur
Georg Maier, SPD

Das Urteil ist gerade in seiner Zwiespältigkeit eine kleine Sensation. Die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin II kritisiert in ihrem Urteil die Berichterstattung des Handelsblattes. Im Grunde bescheinigt die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin II in ihrem Urteil den Innenminister von Thüringen, einem Herrn Maier von der SPD, dass er zu oft die James Bond Verfilmung „Liebesgrüße aus Moskau“ gesehen hatte und das Handelsblatt die Nacherzählung des Films für bare Münze nahm. Das Handelsblatt hatte unter der Überschrift „Spionage im Auftrag des Kremls? SPD-Innenminister schlägt Alarm“, Maiers Vermutungen über eine angebliche Spionagetätigkeit der AfD im Auftrag Putins wiedergegeben.

Um es vorweg zu sagen, ein Ian Fleming sitzt nicht im Handelsblatt, denn bleiern Deutsch versuchte das Handelsblatt zu insinuieren, dass die AfD für Putin spionieren und dazu auch noch ihre Rechte als Parlamentsfraktion ausnützen würde, was nur die Schlussfolgerung zulässt, dass die Demokratie abgeschafft werden muss, weil sie Putin nutzt.

— Christian Conrad (@RA_Conrad) November 18, 2025

Man mochte es kaum glauben, aber der Genosse Maier aus Thüringen hält ein bisschen verschwörungstheoretisch nun auch parlamentarische Anfragen für Spionage, denn, so erklärte er dem Handelsblatt: „Schon seit geraumer Zeit beobachten wir mit zunehmender Sorge, dass die AfD das parlamentarische Fragerecht dazu missbraucht, gezielt unsere kritische Infrastruktur auszuforschen.“

Man muss nach Maiers vom Handelsblatt protokollierten Worten annehmen, nur Putin kann ein Interesse daran haben, zu erfahren, ob eine Brücke marode ist und nicht der Bürger, der über diese Brücke zur Arbeit fahren muss, nur Putin kann sich dafür interessieren, ob die Gasspeicher gefüllt sind, und nicht der Gaskunde, und wiederum kann nur Putin sich für die Energiesicherheit interessieren und nicht der Stromkunde, der sich wundert, warum es dunkel bleibt, wenn er den Lichtschalter betätigt oder die Wohnung kalt, weil der Strom für die Wärmepumpe fehlt. Und es steht mittlerweile schon fast zu vermuten, dass der Anschlag auf die Strominfrastruktur in Treptow-Köpenick am Dienstag, den 9. September 2025, wohl niemals aufgeklärt werden wird, weil er nicht von Putins Leuten, sondern laut einem Bekennerschreiben von Linksradikalen auf Indymedia begangen wurde. Jedenfalls bekommen wir regelmäßig auf die diesbezüglich genauso regelmäßig gestellte Anfrage von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Antwort: „es gibt noch keinen neuen Sachstand, der ohne die Gefahr einer Ermittlungsgefährdung derzeit mitgeteilt werden könnte“.

Das Handelsblatt jedenfalls zeigte, so weit man sehen kann, kein besonders gesteigertes Interesse an der Aufklärung des Anschlags auf das Stromnetz, das Berlinern wochenlang ein Leben ohne Stromversorgung bescherte, schließlich stecken weder die AfD, noch Putin, noch Donald Trump dahinter. Tja, Pech, Berliner. Dumm gelaufen.

Maier verschweigt und das Handelsblatt weiß es nicht oder will es nicht wissen, dass die staatlichen Stellen auf parlamentarische Anfragen sehr wohl auch so antworten können: „Nach sorgfältiger Abwägung ist die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage aufgrund entgegenstehender überwiegender Belange des Staatswohls nicht erfolgen kann.“ So lautete jedenfalls die Begründung von Maiers SPD-Genossin Faeser, als sie noch Meyers Kollegin im Bund war, auf die Anfrage des Abgeordneten Leif-Erik Holm an das Bundesinnenministerium, ob „Mitglieder der Bundesregierung noch andere Quellen oder Informationen als den Bericht „Geheimplan gegen Deutschland“ des Journalistenverbunds „Correctiv“ vom 10. Januar 2024“ hatten.

Oder als es um Habecks Northvolt-Skandal ging, der den Steuerzahler 620 Millionen Euro kostete, und TE die Due Diligence von PwC sehen wollte, blockte das Habeck Ministerium unter Hinweis auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ ab, pikanterweise bei einem Dokument, das nicht von Anfang geheim war, sondern erst mit der Pleite von Northvolt unter Verschluss geriet. Inzwischen wissen wir warum, weil TE das PwC Gutachten investigativ ermitteln und analysieren konnte, übrigens plus 70 Seiten mit internen e-mail-Verkehr aus dem Habeck-Ministerium. Und ganz ehrlich, die Recherche erfolgte nicht im Auftrag Putins. Der hätte das auch nicht gebraucht, seine Leute hätten nur das schwedische „Handelsblatt“ Dagens industri lesen müssen.

Georg Maier raunte über die Tätigkeit der Abgeordneten der AfD, vom Handelsblatt willig mitgeschrieben: „Auch auf Bundesebene gibt es zahlreiche parlamentarische Anfragen dieser Art.“ Wer parlamentarisch anfragt, macht sich verdächtig, wenn er nicht zur Vereinigten Linken aus Linken, Grüne und SPD gehört? Schließlich dürfte versteckt unter dem Tisch oder im Wandschrank den Schlapphut tief über die Ohren gezogen Maier dem Reporter vom Handelsblatt zugeflüstert haben: „Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die AfD mit ihren Anfragen eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet.“ Um sich abzusichern, holte sich das Handelsblatt noch ein Statement vom Vorsitzenden des Geheimdienste-Kontrollgremiums im Bundestag, Marc Henrichmann (CDU), und von dem nur allzu vertrauenswürdigen Vizevorsitzende des Gremiums, Konstantin von Notz (Grüne).

Gegen diese Form von Verdachtsberichtserstattung klagte die AfD. In ihrem Urteil erklärt die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin II den Artikel des Handelsblattes im Grunde zur sprichwörtlichen Räuberpistole. Das Gericht stellt fest: „Die Antragsteller (AfD) rügen weiter zu Recht, die Antragsgegnerin (Handelsblatt) hätte die formalen Mindestanforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung schon deshalb nicht eingehalten, da es an einem Mindestbestand an Beweistatsachen für den vom Innenminister des Landes T. und geäußerten und im streitgegenständlichen Artikel vertieften Verdacht eines planvollen und strafbaren Missbrauchs des parlamentarischen Fragerechts durch die A., ihre Parlamentsfraktionen und einzelne Abgeordneten zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland fehlt.“ Und es kommt noch eindeutiger: „Der als wesentlicher Beleg für den zum zentralen Gegenstand des Artikels erhobenen Spionageverdacht angeführte Innenminister des Landes T. schied zur Begründung eines Mindestmaßes an Beweistatsachen aus, da er sich für den von ihm geäußerten Verdacht lediglich auf vage und nicht näher konkretisierte Mutmaßungen über die Motivation der parlamentarischen Anfragen durch Abgeordnete der A. berufen hat. Bei dem Minister handelte es sich auch um keine privilegierte Quelle, auf deren Richtigkeit die Antragsgegnerin ohne weitere eigene Recherchen hätte vertrauen dürfen.“

Das Gericht sah in Maiers Äußerungen „vage und nicht näher konkretisierte Mutmaßungen“. Jedenfalls fand das Gericht in Maiers Äußerungen keine „tragfähige Verdachtsgrundlage“, die „ein gesteigertes Vertrauen in ihre Richtigkeit“ rechtfertigt. Die vom Thüringer Innenminister „bemühten Anknüpfungstatsachen für den von ihm erhobenen Verdacht, die Antragsteller würden auf strafbare Weise und im Rahmen einer konzertierten Aktion „eine Auftragsliste des Kreml“ abarbeiten“, seien „ohne das Hinzutreten weiterer und hier fehlender Verdachtsmomente offensichtlich“ untauglich.

Bricht man es herunter, bleibt, dass die Äußerungen des Ministers Maier nur unsubstantiiertes Geschwätz, Gossip über die politische Konkurrenz, waren.

Damit hat das Gericht Maiers Äußerungen und auch die von Marc Henrichmann (CDU) als untauglich, als vage, bezeichnet. Dennoch weist die Kammer gleichzeitig den Antrag der AfD ab. Die Schlagzeile lautet, wie sie bspw. der mdr benutzt: „Nach Spionagevorwürfen: AfD scheitert vor Gericht gegen das „Handelsblatt““. Doch vor allem scheiterten erstmal Georg Maier und das Handelsblatt.

Das Gericht wies den Antrag der AfD nur ab, weil es die Presse- und Meinungsfreiheit höher gewichtete als den Vorwurf der Verdachtsberichtserstattung: „Diese Befugnis umfasst die im Grundsatz uneingeschränkte Möglichkeit, über Äußerungen von Politikern oder Inhabern politischer Ämter unter vollständiger oder auszugsweiser Wiedergabe ihres Wortlauts zu berichten, ohne dabei die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einhalten zu müssen.“ In der Presseerklärung des Gerichts heißt es deshalb auch: Gemessen an diesen „Grundsätzen seien die Äußerungen nach Ansicht der Kammer von den Antragstellern hinzunehmen, denn der angegriffene Artikel berichte im Kern über einen von dem Inhaber eines politischen Amtes gegenüber seiner politischen Konkurrenz geäußerten Verdacht strafbaren oder jedenfalls ehrabträglichen Verhaltens.“ Wie begründet die Äußerungen sind, spielt dabei keine Rolle.

Journalistisch ist das Urteil über das Handelsblatt und politisch über den Minister Maier verheerend, der eine schwatzt und der andere schreibt das Geschwätz halt auf.

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