Eiertanz um die Wehrpflicht: „Ein Dokument des Zauderns und Zögerns“

Irgendwann kommt die Wehrpflicht zurück. Das zeichnet sich im Berliner Regierungsviertel immer deutlicher ab. Trotzdem betreibt die schwarz-rote Regierung einen Eiertanz um die Wiederbelebung. Das liegt am internen Streit, aber auch am fehlenden Verständnis für die junge Generation.

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Philipp Amthor (CDU) feiert an diesem Montag seinen 33. Geburtstag. Er ist die Art von Jugendlichen, mit denen die Bewohner der Berliner Blase in Berührung kommen: mit 16 Jahren schon Mitglied in der Partei, fünf Jahre Jura studiert und laut Wikipedia nur mit der Ersten Juristischen Prüfung abgeschlossen, aber trotzdem schon mit 32 Jahren zum Staatssekretär aufgestiegen. Für „Digitales und Staatsmodernisierung“. Der ist doch jung und das ist doch was für Junge. Die Bewohner der Berliner Blase wissen wenig über junge Leute und ihr Denken über sie ist wenig intensiv oder komplex: Lass den Jungen was mit Digitalem machen.

Amthor gehört zum ersten Jahrgang einer Generation, die davon profitiert hat, dass die zweite Regierung Angela Merkel (CDU) 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt hat. Seitdem fallen Militär- oder Ersatzdienst für junge Menschen als Pflicht weg. Das soll sich ändern. Zumindest steht in einem Entwurf, den das Verteidigungsministerium bereits in den Bundestag eingebracht hat, dass künftig wieder alle Männer gemustert werden sollen, die nach dem 31. Dezember 2007 zur Welt gekommen sind, also nächstes Jahr 18 Jahre alt werden.

Wobei damit einige Fragezeichen verbunden sind. Zum einen ist unklar, was mit ihnen nach der Musterung passiert. Im Kriegsfall werden sie zwangsweise Soldaten, solange Deutschland friedlich bleibt, dann erst einmal nicht. Obendrein ist noch unklar, ob diese Musterung für alle nach 2007 Geborenen überhaupt kommt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat den Entwurf in den Bundestag eingebracht, obwohl sich die Koalitionspartner bisher zu dem Thema noch nicht einigen konnten. Der letzte Stand ist, dass die Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn (Union) und Matthias Miersch (SPD) mit der Idee gescheitert sind, künftig in der Armee zu losen und nur die „Gewinner“ zur Musterung zu schicken. Seitdem Spahn und Miersch mit diesem bizarren Vorschlag erfolglos vorgestoßen sind, befinden sich die beiden im verbalen Rückzug und reden am liebsten gar nicht über die Wehrpflicht.

Nun schafft Pistorius Fakten, die in die Richtung laufen, die Musterung wieder für alle jungen Männer einzuführen. Zuerst mit dem Entwurf, der diese Musterung vorsieht. Jetzt mit einer Expertenanhörung im Fachausschuss des Bundestages. CDU, CSU, SPD und AfD haben dazu Sachverständige eingeladen, die sich für eine wiederbelebte allgemeine Wehrpflicht aussprechen.

Etwa den Historiker Sönke Neitzel. Der kommt aus den Reihen der Regierung – und zerreißt den Entwurf der Regierung: Der sei „ein Dokument des Zögerns und Zauderns“. Pistorius mache darin nicht klar, warum er eine Sollstärke von bis zu 280.000 Mann erreichen und wie er diese erreichen will. Ebenso wenig mache er Vorschläge, wie er die „dysfunktionale Personal- und Dienstgradstruktur“ in der Bundeswehr verbessern wolle. Denn aktuell bestehe die 180.000 Mann starke Armee zu mehr als der Hälfte aus Männern, die nicht in aktiver Verwendung eingesetzt werden können. Ein Heer aus Frühstücksdirektoren und Schreibtischrambos.

Die AfD hat Generalleutnant a.D. Joachim Wundrak als Experten berufen. Er erinnerte den Ausschuss daran, dass die Bundeswehr mit ihren 180.000 Soldaten derzeit nicht mal das eigentliche Soll von 203.000 Personen einhalten könne. Zuerst finde die Armee nicht ausreichend Freiwillige und dann gebe es unter dem Rest eine „ernüchternd“ hohe Abbrecherquote. Das jetzige Konzept des Ministers sei daher „zum Scheitern verurteilt“. Wundrak spricht sich daher für eine Erfassung aller Männer der entsprechenden Jahrgänge aus – und schon in Friedenszeiten für einen Grundwehrdienst von drei Monaten. Die Spanne, die vor 2012 die allgemeine Grundausbildung und die Ausbildung in der späteren Verwendung gedauert hat.

Der AfD-Sachverständige ist also heute schon da, wo sich Pistorius erst noch hinarbeiten muss. Das Problem des Ministers ist also nicht die Partei hinter der „Brandmauer“, die den Staat angeblich abschaffen will. Pistorius Problem sind die Linken. Die in der Partei, die so heißt. Die, die es vereinzelt noch bei den Grünen gibt – und vor allem die Linken, die immer stärker das Bild der SPD prägen. Karrieristen, die oft nichts anderes kennen als Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Amthors ohne Anzug. Dafür in dem, was Reinhard Mey schon vor über 50 Jahren treffend als „Nonkonformistenuniform“ bezeichnet hat.

Sie sind diejenigen, mit denen die vorwiegend Älteren in der Berliner Blase zu tun haben, wenn es um junge Menschen geht. Diese Art von Jungen sind die, die Funktionäre wie Miersch meinen, ins Boot holen zu müssen, um die Wehrpflicht zu gestalten. Diese jungen Funktionäre vor Augen entstehen Kompromisse wie ein Losverfahren, das die Frage klären soll, wer zur Musterung soll und wer nicht. So erklärt sich, warum die Realität einen Funktionär wie Miersch immer wieder überfährt. Mit einem Kommunikationsdesaster, wie es Neitzel im Ausschuss beschreibt. In dem die Regierung einen staatlichen Eingriff in Leben und Freiheit junger Menschen buchstäblich zur Lotterie machen will.

Außerhalb ihrer eigenen Blase haben die Verantwortlichen der CDU, CSU und SPD keine jungen Menschen in das Thema Wehrpflicht einbezogen – obwohl es ausschließlich eben diese jungen Menschen trifft. Das kritisiert Quentin Gärtner. Er ist Generalsekretär der „Bundesschülerkonferenz“. Die Grünen haben ihn zum Sachverständigen berufen. Die Bundesregierung habe „mit keinem Jugendvertreter im Vorfeld des Gesetzes gesprochen“, kritisiert Gärtner.

Da hat Gärtner einen Punkt. Die Pläne treffen die Generation, die mit zwölf Jahren oder jünger auf die Schule und ihre Freunde verzichten, aber dafür in den „Lockdown light“ musste. Die Generation, die das „Sondervermögen“ aus der schwarz-roten Schuldenorgie bezahlen muss – samt den entsprechenden Zinsen. Die Generation, die jetzt einem Kanzler zuschauen muss, der im Wahlkampf gesagt hat, dass die Rente bald nicht mehr bezahlbar ist – und der jetzt die Kosten für die Rente trotzdem in die Höhe treibt, weil ihm die gute Laune seiner Partner Lars Klingbeil (SPD) und Markus Söder (CSU) wichtiger ist als die Interessen einer Generation, die auch Friedrich Merz (CDU) gerne wieder an der Waffe sehen würde. Jungen Leute hat diese Regierung nichts zu bieten. Außer den jungen Leuten aus den eigenen Reihen wie Amthor. Gut bezahlte Jobs wie den eines Staatssekretärs.

Nicht einmal die eigenen Hausaufgaben ist diese Regierung bereit zu machen. Nicht einmal an der Stelle, an der sie kommende Volljährige an die Waffe schicken will. So bleibe es ein „Geheimnis des Ministeriums“, wie aus dem Mehr an Soldaten eine bessere Kampffähigkeit entstehen soll, sagt Neitzel. Setze die Regierung auf diese Weise wieder die Wehrpflicht um, drohe ein „Fetisch mit Zahlen“. Eine Armee, in der es darum geht, den Verbündeten der Nato 260.000 Soldaten präsentieren kann. Nicht darum, was diese 260.000 Soldaten tatsächlich können.

„Entscheidend ist der Faktor Zeit“, sagt Generalleutnant Robert Sieger in der Anhörung. Nach 2011 habe die Bundeswehr die Strukturen zur Musterung abgeschafft: vom entsprechenden Personal bis zu den nötigen Lokalitäten. Frühestens bis Sommer 2027 ließen sich die entsprechenden Strukturen schaffen. Nur dann müsse diese Regierung eben jetzt damit anfangen. Das sagen ihr ihre eigenen Sachverständigen. Nicht die der Opposition. Doch offenbar dringen die Experten nicht durch. Die Rücksichtnahme in den eigenen Reihen gilt hier mehr als die Akzeptanz in der Generation, die diese Regierung an die Waffen schicken will. Diese Generation kennen die Funktionäre nur anhand solcher Lebensläufe wie denen Amthors, die so wirken, als ob sie als 33-jährige Berufspolitiker zur Welt gekommen sind.

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Kommentare ( 80 )

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Monostatos
1 Monat her

Diese Wehrpflicht befeuern die Kriegssüchtigen, weil sie längst beschlossen haben, Deutschland in den letzten ANGRIFFSKrieg gegen Russland zu schicken. So lautet der Auftrag der Plutokraten-„Eliten“ aus Übersee. Genau aus diesem Grunde werden im Gleiwitz-Stil unaufhörlich angebliche Drohnenvorfälle, Luftraumverletzungen etc seitens der Russen erlogen und erstunken. Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern, dass es spätestens 2026 den von Kiesewetter und anderen korrupten BellizistINNEN (StraZi, Najor, Neitzel uvm) herbeigesehnten Spannungsfall geben soll. Dann kann endlich das Grundgesetz außer Kraft gesetzt und jegliche Opposition verboten, und schlussendlich per Kriegsrecht die Bevölkerung unterworfen werden. Spätestens dann wird die restlos wehrunfähige Bundeswehr gegen… Mehr

CasusKnaxus
1 Monat her

Selbstverständlich eiern die Linken beim Thema Landesverteidigung rum. Sind ja vaterlandslose Gesellen.

Guzzi_Cali_2
1 Monat her

Mich würde ma ein ganz profanes Problem interessieren: Wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird – wo sind die tausenden von Rekruten dann untergebracht? Die ganzen Kasernen, die es zu meiner Dienstzeit (1980/1981) noch gab, sind doch größtenteils entweder abgeräumt oder umgewidmet worden.

joly
1 Monat her
Antworten an  Guzzi_Cali_2

Ein bisschen Fantasie und es fällt einem dazu so viel ein:
Home Office als Vorbild. Zu Hause übernachten und im Schützenverein das Schießen lernen; im Sportverein körperlich fit werden und im Wanderverein mit dem Sturmgepäck in Uniform das Maschieren lernen.
Remigration und man hat einige Kasernen frei; Illegale in Nobelhotels unterbringen… warum nicht unsere Wehrpflichtigen ?
Der Kriegsminister kann mit mir gerne mal ein Brainstorming durchführen. Als ehemaliger Unternehmensberater garantiere ich praktikable Vorschläge.

Barbarossa
1 Monat her

„…und schon in Friedenszeiten für einen Grundwehrdienst von drei Monaten.“
Man fasst es nicht! Als ich von 1968 bis 1978 Soldat war, wurde der Grundwehrdienst dreimal reduziert: Von 18 auf 12 Monate, und das Ergebnis war, wie erwartet, ernuechternd. Alle unsere Einheiten (bei der Marine) wurden wegen der zunehmend fehlenden Fachkenntnisse immer mehr zur Ausbildung verwendet. Wirklich einsatzbereit waren wir am Ende nie mehr. Und das soll nun bei wesentlich weiter spezialisierten Verbaenden in weitaus geringerer Zeit ploetzlich anders werden?
Solche neuen Traeumereien werden den Steuerzahler weiter hoch belasten. Wie lange soll dieser ganze Unsinn noch dauern?

joly
1 Monat her
Antworten an  Barbarossa

Für die Spezialisten hat man nie W18er oder kürzere bis W12er genutzt. Bei der Wehrpflicht ging es nicht um die Ausbildung von Piloten oder um Schiffsoffiziere. Wir sollten nicht vergessen, dass autonomen Waffen und Drohnen die Zukunft mit gehört. Gerade gestern habe ich im Fernsehen über den „Krieg in der Zukunft“ eine junge Ukrainerin gehört, die als Quereinsteigerin Drohnenpilotin wurde. Sie macht dies schon erfolgreich länger. Dieses Knowhow kann man auch Fußkranken und Übergewichtigen zumuten. Anpassen ist angesagt. Kasernendrill und Rasurkontrolle ist Blödsinn. IT-Kenntnisse aber ein MUSS!

Barbarossa
1 Monat her
Antworten an  joly

Das ist so nicht richtig. Wir hatten damals jede Menge Wehrpflichtige in Funktionen wie Ladeschuetzen, seemaennisches Personal, Signalgasten, Ausgucks, ja selbst Rudergaenger etc. Das waren damals auch Spezialisten und sie werden auch in aehnlicher Form in Zukunft gebraucht werden. IT und KI hin oder her.

Last edited 1 Monat her by Barbarossa
Logiker
1 Monat her

Grüne ungediente Trompeter, ganz weit vorne dabei die Frauen, befeuern in unverantwortlicher Weise den Ukrainekrieg.

Kaum sagt jemand etwas über eine mögliche Kriegsgefahr, rufen die gleichen Trullas nach besonderem Schutz für Politiker im Ernstfall.

Wer glaubt solchen leuten noch irgendwas?

Wahrscheinlich nur noch urbane kinderlose „Eliten“, denen ihr Veganismus den Verstand geraubt hat.

J. Braun
1 Monat her

Ich habe damals in den 70ern den Zwangsdienst abgeleistet. Es waren 15 verlorene Monate Lebenszeit. Und heute? Ein heruntergekommenes Land mit einer versifften Politikerkaste, die solche Diskussionen schürt, um von ihrem vollumfänglichen Versagen in allen Bereichen abzulenken. Dabei funktioniert das mit dem militärischen Zwangsdienst in absehbarer Zeit ohnehin nicht. Wo allein sollen die Uniformen, die Schuhe, die Unterwäsche, die Stahlhelme und die Gewehre für die shanghaiten Jungen kommen. Es hängt doch gar nicht allein an den Kasernierungsmöglichkeiten. Die wissen das, wissen aber auch, daß die Leute, die darüber unbedarft diskutieren, das eben nicht bedenken. Und dann stellt sich natürlich die… Mehr

joly
1 Monat her
Antworten an  J. Braun

Die Punkte in ihrem Kommentar sind unter den gegebenen Bedingungen nicht umsetzbar. Den inneren Feind – sie meinen die illegalen Moslems – dürfen nur durch Polizeikräfte bekämpft werden. Es bedarf also einer GG Änderung.
Aber unsere Bürger:innen an Waffen und Bürgerkrieg fit zu machen, ist ein Gedanke schon wert.

Ohanse
1 Monat her

Wie sieht denn die Standortplanung von Pistorius aus? Die zusätzlichen Soldaten müssten ja in eine sinnvolle Verwendung gebracht werden. Einfach leerstehende Kasernen, sofern noch vorhanden, wiederbelegen, ist doch Unsinn, wenn die Soldaten dort nicht gebraucht werden. Gibt es denn überhaupt ein Konzept, wo und wie die zusätzlichen Soldaten eingesetzt werden sollen? In welchen Einheiten fehlen denn Soldaten? Und gibt es dort überhaupt eine vollständige Ausrüstung für die Truppe? Das ganze ist doch politischer Firlefanz.

Dr. Rehmstack
1 Monat her

Und der Wehrpflichtige schiebt nachts Wache am Wochenende vor leerer Kaserne und der arme Flüchtling kümmert sich derweil um die Zurückgelassenen; wie wollen die das vermitteln?

Raul Gutmann
1 Monat her

Der „Eiertanz“ ist nicht grundlos, sondern überaus berechtigt.
Allein die Wiederimplementierung der Wehrpflicht-Strukturen wie Kreiswehrersatzämter, Musterungen, Verweigerungskomissionen etc. dürfte nach fachmännischer Einschätzung viele Jahre wenn nicht gar Jahrzehnte benötigen. Dann die Frage nach den Liegenschaften, Kasernen, „StoV“… Woher sollen die Ausbilder für die tausende Wehrpflichtige jeden Quartals kommen?
Und vor allem weiß niemand, wie die pazifistische, feministierte Jugend reagiert, wenn ihnen „urplötzlich“ ein kriegerischer Zwangsdienst bevorsteht und welche Auswirkungen das für die nächsten Wahlen bedeutet.

Simplex
1 Monat her

Dieser politische Hickhack bremst jede Regierung aus. Alle Zeichen stehen auf eine konsequente Weiterentwicklung dieser zerstrittenen Republik in ein effizienteres System, in dem die Dinge umgesetzt werden, die umgesetzt werden müssen.
Wer all die politischen Geschehnisse seit der „Ampel“ im Zusammenhang sieht, für den ergibt sich ein klares Bild. Hören wir auf, Kasuistik zu betreiben, bringen wir die Dinge mal in ein Gesamtbild. Und da steht in bunten Lettern oben drüber: „Unsere neue Volksdemokratie – DDR-2.0“.

Last edited 1 Monat her by Simplex