Nicht Ursache, sondern Folge der Vergrünung der CDU

Eine Legende sagt, zur Zeit von Kohl sei die CDU noch eine konservative Partei gewesen und erst Merkel habe sie nach links verrückt. In Wahrheit ist Merkel nicht die Ursache, sondern die Folge der Vergrünung der Union.

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Deutschland kann sich freuen, wenn Merkel irgendwann abtritt – und man kann nur hoffen, dass das nicht mehr vier Jahre dauert. Aber die Probleme der CDU sind größer als Angela Merkel, und Merkel ist selbst nur Ergebnis eines Prozesses, der schon unter Helmut Kohl weit fortgeschritten war.

1968 hat die CDU verändert

Auf die Frage: „Was ist von der Studentenbewegung geblieben?“ antwortete der Philosoph Jürgen Habermas, damals der führende deutsche Linksintellektuelle, schon im Jahr 1988: „Frau Süßmuth“. Süßmuth, Ministerin im Kabinett Kohl, war damals eine der wichtigsten CDU-Politikerinnen. Ulf Fink, ehemals Bundesgeschäftsführer der CDU, einer der wichtigsten Protagonisten des linken Flügels der Union und enger Vertrauter von Generalsekretär Heiner Geißler, meinte dazu, zwar sei Rita Süßmuth keine Vertreterin der 68er, „aber Habermas hat insofern recht, als Politik und Ansehen von Rita Süßmuth deutlich machen, wie wenig die CDU von 1988 mit der von 1968 vergleichbar ist… Die Politik von Rita Süßmuth ist aber keine Marschetappe, sondern das Ergebnis einer Entwicklung innerhalb der CDU.“ Diese „Entwicklung“ besteht in einer zunehmenden Anpassung an den von den 68ern geprägten Zeitgeist und damit an die Positionen von SPD und Grünen.

Warnfried Dettling, ehemals Leiter der Hauptabteilung Politik der CDU-Bundesgeschäftsstelle und Vordenker der „Modernisierung“ der Union, schrieb 1994 in einem Buch über „Das Erbe Kohls“: „Die studentische Protestbewegung hat, wie später und in ihrer Folge die Frauenbewegung, die Grünen und die neuen sozialen Bewegungen, die Fenster weiß aufgestoßen und die Gesellschaft durchlüftet… 1968 hat das Land auf eine dialektische, aber höchst erfolgreiche Weise als eine offene und demokratische Gesellschaft stabilisiert.“ Auch Richard von Weizsäcker, einer der prominentesten CDU-Politiker und später Bundespräsident, schloss sich dieser überaus positiven Bewertung von „1968“ an. Und mit seiner Rede zum 40. Jahrestag des 8. Mai 1945, in der er diesen Tag einseitig auf den Begriff der „Befreiung“ reduzierte, übernahm er die begriffliche Deutung, die bis dahin in der DDR vorherrschte, wo dieser Tag stets als „Tag der Befreiung vom Faschismus“ gefeiert worden war (vgl. dazu hier).

Heiner Geißler, Multikulti und die Abschaffung der Nation

Das Beispiel des kürzlich verstorbenen ehemaligen Generalsekretärs der CDU (1977 – 1989), Heiner Geißler, belegt schlagend, dass die Linksentwicklung der Union nicht erst mit Merkel angefangen hat. Nein, Merkel wurde überhaupt erst durch diese Linksentwicklung möglich. In seinem 1990 erschienenen Buch „Zugluft“ zeichnete Geißler das utopische und wirklichkeitsfremde Bild einer Weltgesellschaft, in der nicht mehr „Interessen“ und „Machtpolitik“ dominierten, sondern nur noch „moralische Kategorien“. Zwischenziel zu diesem utopischen Zustand sollten die „Vereinigten Staaten von Europa“ sein, in der der Nationalstaat für alle Zeiten überwunden sei in einer multikulturellen Gesellschaft des europäischen Bundesstaates: „Die multikulturelle Gesellschaft wird die Gesellschaft der europäischen Gemeinschaft sein“, so Geißler. „Der europäische Bundesstaat kann deshalb gar nicht schnell genug kommen“, forderte er 1994. Die Sorgen der Menschen vor einem zu großen Zustrom von Asylbewerbern tat er schon damals als „Phobien“ ab, „die bei richtiger Information ausgeräumt werden können“.

Vehement setzte er sich schon Anfang der 90er-Jahre für den Feminismus ein. Er plädierte für den „Abschied von der Männergesellschaft“. Hier genüge nicht eine „Bewusstseinsänderung bei den Männern“, sondern „Frauen müssen sich zusammenschließen, streiken und sich verweigern und andererseits von den Männern mehr Beteiligung an der Macht und Ausgleich für Nachteile fordern“. Die „Feminisierung unserer Gesellschaft wird diese friedlicher machen“, so Geißler.

Konsequenterweise trat er, bis Ende seines Lebens CDU-Mitglied, 2007 der linksextremen „globalisierungskritischen“ Organisation „Attac“ bei. Geißlers linke Positionen waren Anfang der 90er Jahre in der Union noch nicht mehrheitsfähig, aber es gab viele ähnlich denkende Politiker in der Union, so etwa Rita Süßmuth oder Friedbert Pflüger, der Redenschreiber von Weizsäcker.

Merkel: nicht Ursache, sondern Folge der Vergrünung

Alle oben angeführten Zitate stammen aus meinem 1994 erschienenen Buch „Wohin treibt unsere Republik?“, in dem ich ein ganzes Kapitel der Kritik an der Sozialdemokratisierung der CDU widmete. Mit dem Begriff der „Modernisierung“ der CDU, so schrieb ich damals, sei nichts anderes gemeint, „als die Anpassung an den von 1968 geprägten Zeitgeist“. Und weiter: „Bei vielen Fragen ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt. Die Debatte um die ‚Quotenregelung’ ist ein Beispiel, aber auch bei zahlreichen anderen Themenkomplexen geben die Grünen inzwischen den Ton an. So haben sich in der Diskussion über die Kernenergie die grünen Positionen zunehmend durchgesetzt.“

Als ich diese Zeilen im Jahr 1994 schrieb, war Merkel noch längst nicht CDU-Vorsitzende, das wurde sie erst sechs Jahre später. Merkel ist also nicht die Ursache für die Sozialdemokratisierung und Vergrünung der Union, sondern die Folge. Sie hat nur einen Prozess auf die Spitze getrieben, der lange vor ihr begann und seine Ursache in der Anpassung an den 68er-Zeitgeist hatte.

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Kommentare ( 15 )

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F.Peter
6 Jahre her

Na ja, ein Satz von Geißler trifft doch heute voll auf die CDU-Granden zu: „Die Berühmtheit mancher Zeitgenossen hängt mit der Blödheit der Bewunderer zusammen.“

F.Peter
6 Jahre her

Die dann entstehende Farbe ist dann jedoch nicht mehr rechts zuzuordnen sondern ausschließlich links!! Denn die Methoden der linken Ideologen gleichen 1:1 denen der rechten.

F.Peter
6 Jahre her

Man könnte auch einfach feststellen, dass die CDU mit der Linksverschiebung den Kompass für dieses Land und deren Bürger weggeworfen hat! Es zählen nur noch Machtgelüste, Mainstream und insbesondere Ideologien. Und diese am Besten soweit weg von der Realität wie möglich, so dass niemand ernsthaft daran denken wird, dass da falsch gespielt wird!
Die CDU hat ihr Fundament verlassen und wird in den nächsten Jahren feststellen müssen, dass ein Haus ohne Fundament einfach nur noch eine Ruine ist. Der Zerfall kommt dann von selbst!

Sec.of Class Warfare
6 Jahre her

Vielleicht markiert AM auch nur den opportunistischen Wendepunkt zur Vergrünung, was deren Ursprung zwar früher platziert, die volle Entfaltung aber zu ihrer Konsequenz. Einen großen Unterschied macht das aber auch nicht, es sei denn, die CDU implodiert sobald sie weg ist weil alle nur für den Machterhalt applaudiert haben und nie wirklich vergrünt waren.

hasenfurz
6 Jahre her

„Communism was not popularized in the West under the direct banner of communism. Instead, it came largely under the banner of postmodernism (…)“
Zitat Jordan Peterson (J.P. exposes the Postmodernist Agenda)

hasenfurz
6 Jahre her

Jesuiten und Islam? Man lese Alberto Rivera.

Jep Green
6 Jahre her

Die radikalen Ansichten Geißlers und anderer in der CDU lassen mir im Nachhinein kalte Schauer den Rücken herunter laufen. Vorallem dass diese schon so lange in der Mitte unserer Gesellschaft gären konnten, macht einem Angst. Genau deshalb braucht es wieder einen echten konservativen Aufbruch. Die linken/kommunistischen Werte müssen wieder zurückgedrängt und die christl./rechten wieder an die Oberfläche gebracht werden. Den Menschen muss klargemacht werden, dass das die besseren Werte sind. Zum einen sind christliche/rechte Werte viel mehr auf Familie geprägt (siehe auch Gebote 5,7,10). Zum anderen geht es bei christlichen/rechten Werten um Eigenverantwortung. Im Christentum ist der Mensch ursprünglich ein… Mehr

Frank Stefan
6 Jahre her

Hamm-Brücher, Leutheusser-Schnarrenberger, Alexander Graf Lambsdorf…

Reiner Kretschmar
6 Jahre her

Herr Freiling ,

genauso ist es . Nun fragt man sich, wofür steht diese Person eigentlich? Nach Kohl haben der größte Schauspieler und einen miese Opportunistin ,die völlig ungestraft geltende Rechte brechen kann, und das Land weiter in den Abgrund treiben, ihren Parteien nur geschadet. Es geht aber nicht um Parteien , sondern um die Zukunft unserer Kinder und Enkel!

Frank Stefan
6 Jahre her

Immer wenn ich solche Bestätigungen meiner Vermutungen lese, kann ich nicht anders und muss an Stalin und seinen Umgang mit der KPdSU denken. Die Säuberungen waren wohl nicht von ungefähr gekommen. Solche Entwicklungen gibt es sicher in jeder Partei und wir erleben derzeit mit der AfD im Grunde nichts anderes: natürlich werden in einem sich Demokratie nennenden Gebilde keine Erschießungen mehr vorgenommen, aber das Mittel der Verbannung, in sublimierter Form, lebt bis heute. Würde die Partei nicht reagieren, spaltete sie sich (und die Bruchstücke gingen unweigerlich unter) oder sie verdirbt von innen. Und geht auch unter. Vor kurzem wurde hier… Mehr