St. Pauli Biermarke verliert linken Kultstatus: Was erlaube Astra?

Die Sprachpolizei frisst ihre Polizeischüler, wenn jetzt schon die unter Linken beliebte St. Pauli Biermarke Astra nur noch von Rassisten getrunken werden darf, weil ein Inder im Zitronenbikini von der Plakatwand herunter fragt: "Wolle Dose kaufen?"

Shutterstock

„Ich bin ein Fan von den Deutschen!“, erzählt der indischstämmige Schauspieler Prashant Jaiswal, der für die Biermarke Astra ein Meerjungfrauenkostüm anzog, dazu einen knappen Bikini aus Zitronenschalen trug und so Werbung machte für ein Mischgetränk, das in der Kneipe um die Ecke nach wie vor „Radler“ heißt und bei Astra aber jetzt viel schöner „Kiezmische“. Der Werbeslogan dazu: „Wolle Dose kaufen?“

„Ich trinke nur Astra Bier, ich dusche sogar mit dem Bier. Das Fernsehen kommt morgen, RTL, Frühstücksfernsehen, BILD-Zeitung usw.“, lacht Herr Jaiswal, als wir ihn gestern am Telefon sprechen. „Ich möchte diese Astra Leute gerne unterstützen, weil die so lieb zu mir waren. Ich wusste doch ganz genau, worum es geht und fand es sehr, sehr lustig. Mit Rassismus hat das gar nichts zu tun. Auch Landsleute, mit denen ich sprach, verstehen die Welt nicht mehr.“

Sie verstehen? Hier wird das Klischee vom Inder als Rosenverkäufer genutzt, um im Meerjungfrauenkostüm Mischbier an den Kiezianer und Möchtegern-Kiezianer zu bringen. Nicht nur auf St. Pauli, sondern weit darüber hinaus. Astra darf man als Marke eines linksliberal vorlauten Publikums verstehen. Eben analog zu St. Pauli, wo lange Jahre der anarchistische Punk in der Hafenstraße koexistierte neben Prostitution und Zuhälterei, neben Elend und radikaler Selbstverwirklichung. Das perfekte Produkt, diesen attraktiven Zwiespalt auszudrücken ist die prollige braune Standard Wulstpfandflasche mit dem verspielten Herz und Anker auf dem Logo.

„Wolle Dose kaufen?“ Ne, lieber die klassische Glaspulle, lieber Pils pur, statt Mischmasch, wäre eine naheliegende Antwort echter Bierfreunde. Aber die Antworten gerieten in den letzten Tagen ganz anders. Sie ploppten direkt aus dem #metwo-Orbit heraus und ergossen sich über die Welt linker und anderer Biertrinker. Die Rede war von Rassismus, von einem Humor von vor zehn Jahren, der heute nicht mehr zeitgemäß wäre, inszeniert von der Werbeagentur Philipp und Keuntje für Astra, „sogar der von Astra gesponserte Fußballclub FC St. Pauli distanziert sich von seinem Werbepartner.“ Das Magazin Horizont will aufgrund der Nähe zur Reeperbahn sogar eine Nähe des Wortes „Dose“ zum abfälligen Begriff „Dose“ für das weibliche Geschlechtsorgan erkannt haben, den die Agentur also bewusst gesetzt hätte.

Also halten wir zunächst mal fest und erinnern uns an Harald Schmidt und seine „dicken Kinder aus Landau“, die Herren Wang und Li aus dem Studio-nahen China-Restaurant, Bastian Pastewkas Rosenverkäufer („Wolle Rose kaufen?“) mit stark geschminktem Gesicht, Kaya Yanars Figuren Ranjid sowie Hakan („Was guckst Du?!“), den von Verna May Bentley-Krause bei TV Total gesungene „Ich liebe deutsche Land“ – alles nun nachgereicht demaskiert als Alltagsrassismus.

Spiegel Onlines Jugendmagazin Bento schreibt zunächst zwar: „Astra gehört zum Hamburger Viertel St. Pauli wie die Reeperbahn oder Olivia Jones.“ Also wie das spritzige Bierchen, so die lustige Dragqueen. Aber weiter bei bento: „Nicht alles, was man vor 10, 20 oder 70 Jahren lustig fand, sollte auch heute noch lustig sein. Die Grenzen, die eine Gesellschaft zieht, ändern sich. Und das ist auch verdammt gut so.“

Vor 70 Jahren? Na klar, damals, als Johannes Heesters mit Zylinder im Frack vor Goebbels und Co den Entertainer mit sympathischem Käskopf-Dialekt gab. Also alles Nazikram. Auch die linkskompatible Biermarke Astra nun Nazibräu. Und Astras „Kiezmische“ ein Bräu für Nazibräute. So schnell kann es gehen, wenn aus einem hysterischen Aufschrei eine veritable Kakophonie wird.

Macht ja nichts. Also alles nur ein Sommerdosenthema? Die Marke betont, die Stilmittel der Satire, der Überspitzung, der Überschreitung von Grenzen für ihre Werbung zu nutzen. Dies geschehe aber „nicht auf böswillige, sondern humoristische Art und Weise“. So würden die porträtierten Personen(gruppen) vorab um ihre ehrliche Meinung gebeten. „In diesem Fall war es unser indischer Mitbürger Monty, der in Hamburg längst Kultstatus genießt und ein Like für die Kreation vergab“, stellt Astra klar und die Großbrauerei Carlsberg, die hinter der Marke steht, erklärt gleich noch, dass man selbstverständlich weiter zur Werbeagentur steht, mit der man seit über 20 Jahren so große Erfolge erzielt hätte.

Nun hat der Autor hier gemeinsam mit Freund Herman Vieljans auf St. Pauli in der Erichstraße in den 1990er Jahren ein paar Jahre lang eine Bar betrieben. Fragen wir mal den damaligen Wahlhamburger Vieljans, der heute in Berlin lebt, was er zum Streit um die Astra-Werbung sagt. Er lacht am Telefon und befindet, nachdem er – nach Selbstbekunden – schnell einen Schluck fettarme Milch genommen hat: „Sind das die Fragen dieser Zeit? Wenn diese für St. Pauli so existenziell wichtigen Randfiguren unserer Gesellschaft, Menschen, die zum Kiez gehören wie das Astra Pils, sympathisch auf die Schippe genommen werden und wenn nun deswegen eine Empörungswelle losgetreten wird? Ja, sind wir denn in Kalkutta?“, sagt er, lacht weiter, und ist schon wieder auf dem Weg zu einem der nächsten HotSpots einer weiteren Subkultur, wenn er auf dem Mera Luna Festival mit Musikern aus aller Welt zusammentrifft, um wieder für ein paar Tage das Leben zu genießen und dieses Mal unter grünen Segeln zu reisen, wenn er statt der Astra-Flasche eben das Bier des Werbepartners Becks an die Lippen führt. Für Vieljans, „wenn man so will, ein innerer Flirt der Weser mit der Elbe“.

Und dann bleibt am Ende nur eine Frage offen: Wonach duftet eigentlich der Duftbaum aus dem Hause Astra, dessen Umverpackung den prallen Jeans-Po einer Blondine zeigt, die eine Kiste Astra wegschleppt, unter der Headline: „Super Kiste!“ Auf der Rückseite dieses knackigen Lufterfrischers ist zu lesen: „Kann ins Auge gehen. Angucken erlaubt, Augenkontakt muss unbedingt vermieden werden.“ Und weiter: „Bitte vor Kindern und Haustieren fernhalten. Kultige Werbung, die man nicht nur angucken, sondern auch erriechen kann.“

Unterstützung
oder