Einmal Baerbock – Habeck und zurück

Landen die Grünen bei der Bundestagswahl auf Platz drei, verdankten sie es ihrem Spin Doctor Kellner noch mehr als Baerbock und Habeck, was alle Drei auf andere Plätze verwiese als ihre heutigen.

IMAGO / Metodi Popow
Robert Habeck und Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

Zwei Wochen lang schwieg Robert Habeck zur Serie der Berichte über Annalena Baerbock. Dann sprach die Süddeutsche mit ihm. Was sie unter dem Titel: Das war kein Glanzstück festhielt, ist im Moment die einzige Quelle, aus der nun andere Medien wie BILD vorneweg die Worte des Co-Vorsitzenden zitieren und interpretieren.

Für BILD ist es ein Klartext-Interview
 über Baerbocks Fehler. Die ZEIT titelt: Habeck schließt Kandidatenwechsel aus. Das ist auch der Tenor bei den anderen. Und mehr interessiert sie alle nicht als die Frage, wer ist Kandidat.

— Süddeutsche Zeitung (@SZ) July 9, 2021

Ich zitiere aus der SüZ, wie Habeck der Idee widersprach, „noch einmal neu in den Wahlkampf zu starten“:

»“Wir brauchen keinen Neustart. Wir müssen zu den Dingen zurückkehren, die uns in die Situation gebracht haben, überhaupt erst eine Kanzlerkandidatin zu benennen.“ Dazu gehöre neben einer klaren Definiton der eigenen Ziele eine werbende Sprache und eine einladende Kommunikation, die nicht besserwisserisch daherkomme. „Wir sagen ja nicht, dass wir jede Antwort gefunden haben. Aber wir haben Antworten“, sagte Habeck.«

Oh, Oh, da würde Habeck seinem Verein eine Aufgabe zumuten, der dieser nur unter Aufgabe des kollektiven und singulären Seelenlebens der heutigen Grünen nachkommen könnte, was selbstverständlich nicht geschehen wird.

„Wir müssen zu den Dingen zurückkehren, die uns in die Situation gebracht haben, überhaupt erst eine Kanzlerkandidatin zu benennen.“

„… zu den Dingen zurückkehren …“ – Welche „Dinge“?

„… die uns in die Situation gebracht haben …“ – „Dinge“ handeln nicht, bringen niemanden in Situationen.

„… überhaupt erst eine Kanzlerkandidatin zu benennen.“ – Oha.

„… überhaupt erst“ – Da rutschte Robert Habeck raus, was er immer empfinden dürfte, aber garantiert nie aussprechen wollte.

„… überhaupt erst“ – Also ursprünglich gar nicht und dann erst später.

Diese Obergrünen haben eine derartige Angst, etwas zu sagen, was „falsch“ ankommen könnte – bei den Medien, dass sie nicht halbwegs geradeaus reden können. Verklemmt.

Nein, ich will nicht darauf hinaus, dass die Grünen ursprünglich nicht Baerbock, sondern Habeck zum Kanzlerkandidaten ausrufen wollten, sondern dass drinnen im Führungszirkel der Grünen Habeck zu denen gehört, die die Kunstfigur des Kanzlerkandidaten gar nicht inszenieren wollten.

Wer das unbedingt wollte und sich gegen Habeck durchsetzte, soll der ehrgeizige Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter Michael Kellner sein, der Spin Doctor der Grünen. Seine Erwartungen an den PR-Effekt der Kunstfigur Kanzlerkandidat haben die meisten Medien übererfüllt. Wer weiß, wie weit das getragen hätte, wäre da nicht die Serie der Unrichtigkeiten und Unaufrichtigkeiten der Person Baerbock dazwischen gekommen – mit der bisherigen Krönung ihres zusammengeflickten Buches. Neben Baerbock selbst hat das auch den Spin Doctor beschädigt, denn er hat offensichtlich verabsäumt, die Kanzlerkandidatin mit Personendaten ohne Blößen ins Rennen zu schicken – hat also das Einmaleins des öffentlichen Auftritts vernachlässigt.

Kommunikationsprofi Hasso Mansfeld erklärte das Kommunikationsdesaster der Grünen in einem Interview.

Mansfeld: „Ich denke, das Buch ist – oder besser war – ein ganz zentraler Baustein der Wahlkampfstrategie von Baerbock. Mit diesem Buch, der ganz persönlichen Agenda von Annalena Baerbock, so das Kalkül, bestimme sie, über das grüne Parteiprogramm hinaus, den Bundestagswahlkampf. Mit dem Umgang mit ihrer Plagiatsaffäre ist die Strategie komplett gescheitert. Hinzu kommt, dass die Grünen in ihrer Medienarbeit über eine lange Zeit keine Frustrationstoleranz haben entwickeln können. Es wurde ihnen immer leicht gemacht. Jetzt bei dem heftigem Gegenwind reagieren sie wie das antiautoritär erzogene Kind, das die erste Erfahrung mit der Lebensrealität macht.“

Mit „keine Frustrationstoleranz“ und „reagieren sie wie das antiautoritär erzogene Kind“ benennt Mansfeld, was ich zu Beginn die unlösbare Aufgabenstellung von Habeck nannte: die Aufgabe des kollektiven und singulären Seelenlebens der heutigen Grünen. Baerbock ist ein Muster dieser verwöhnten Generation, denen jedes Hindernis aus dem Weg geräumt wurde mit dem Ergebnis, dass sie selbst mit keinem halbwegs größeren Problem umgehen, geschweige denn fertig werden können. Die Zahl der inzwischen äußerlich erwachsenen Kinder, die ich selbst so aufwachsen sah, ist groß. Die meisten Eltern oder Väter und Mütter allein, die ihre Kinder so verwöhnt und verzärtelt haben, wussten nicht, was sie anrichteten.

In seinem Interview sagt Mansfeld auch: „Die Grünen sind hervorragende Wahlkämpfer, ihre große Stärke ist die überaus motivierte Basis. Die sehen doch auch, was los ist. Das Schlimmste, was passieren kann, wäre, wenn die jetzt die Lust verlieren, Wahlkampf vor Ort zu machen, weil sie immer nur auf die fehlende Erklärung ihrer Kanzlerkandidatin angesprochen werden.“

Wir werden sehen, wie sehr oder wenig diese Gefahr für die Grünen wirksam wird. Mittlerweile meldet der neueste Demoskopiepegel Gleichstand für Grüne und SPD mit je 17 Prozent. Landeten die Grünen bei der Bundestagswahl auf Platz drei, verdankten sie es ihrem Spin Doctor Kellner noch mehr als Baerbock und Habeck, was alle Drei auf andere Plätze verwiese als ihre heutigen.

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