Das Bundesverfassungsgericht wird für den „kreativsten“ Umgang mit den Grundrechten gekürt

Die 1bis19-Initiative hat einen Preis für den „kreativsten“ Umgang mit den Grundrechten verliehen. Den ersten Platz erhält das Bundesverfassungsgericht. Auf Platz 2 landet die Stadt Ludwigshafen, Dritte wird Angela Merkel.

picture alliance/dpa | Uli Deck - Collage: TE

Mit ihrem Preis zeichnet die 1bis19-Initiative Personen oder Institutionen aus, die durch ihr Handeln einen besonders fragwürdigen und „kreativen“ Umgang mit den Grundrechten gezeigt haben. Der 2020 gegründete private Verein setzt sich für Grundrechte und Rechtsstaat ein. Der Preis wurde in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen.

Nach Einschätzung der Preis-Jury hat den ersten Platz das Bundesverfassungsgericht verdient, Platz 2 ging an die Stadt Ludwigshafen und der dritte Platz an Angela Merkel. Zur Jury gehören Prof. Volker Boehme-Nessler, Carlos A. Gebauer, Prof. Stefan Homburg, Vera Lengsfeld, Prof. Michael Meyen und Roland Tichy. Die Preisträger wurden am 25. Oktober im Kölner Hotel Maritim bekannt gegeben.

Angela Merkel auf Platz 3

Ihre Preisrede begann Vera Lengsfeld, die als Merkel-Kennerin gilt, mit einem Seitenhieb: „…, ist sie es doch gewöhnt, immer Erste zu sein.“ Merkel verdiene den Preis, weil „alles, was an Grundrechten verletzt wurde, mit ihr und unter ihrer Regierung begann“. Als Beispiele nannte sie die Beweislastumkehr zur Erfüllung der Frauenquote, Merkels Migrationspolitik mit dem Verstoß gegen Artikel 16a GG sowie der von ihrer Flüchtlingsbeauftragten Aydan Özoguz formulierten Leitlinie, dass „unser Zusammenleben“ täglich neu ausgehandelt werden müsste. Und der verfassungswidrige Eingriff der Kanzlerin in die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen.

Platz 2: Stadt Ludwigshafen

Die Stadt Ludwigshafen wurde ausgezeichnet wegen ihres Umgangs mit dem AfD-Kandidaten Joachim Paul, der von der Oberbürgermeisterwahl ausgeschlossen wurde. Roland Tichy skizziert in seiner Rede das intrigante Zusammenspiel von Innenministerium, der Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen und einem dubiosen „Netzwerk gegen Joachim Paul“ (ausführlich hier nachzulesen), mit einem vom Verfassungsschutz erstellten fragwürdigen Gutachten als Beleg für die Verfassungsuntreue Pauls, bis hin zu einer dubiosen Wahlausschusssitzung, bei der schließlich über Pauls Ausschluss abgestimmt wurde. Paul zog vor zwei Gerichte und wurde abgewiesen mit der Begründung, die Prüfung wäre zu umfangreich und könne so kurz vor der Wahl nicht abschließend geklärt werden. Er könnte ja nach der Wahl dagegen vorgehen.

Platz 1: Bundesverfassungsgericht

Die Begründung für den ersten Preis an das Bundesverfassungsgericht lieferten die Juristen Carlos A. Gebauer und Volker Boehme-Nessler, ihre Argumente wurden von einem Vertreter der Initiative vorgetragen. Nach Rechtsanwalt Gebauer verdient das Verfassungsgericht den Preis wegen seiner Entscheidungen während der Coronazeit, in denen es konsequent Rechtsschutzbegehren von Bürgern zurückgewiesen habe. Das Verfassungsgericht habe die Macht der Exekutive damals erweitert, statt die Bürger vor der Exekutive zu schützen.

Auch der Verfassungsrechtler Nessler-Böhme bezieht sich auf die Corona-Zeit: In der größten Krise habe das Gericht als „Hüter der Verfassung“ versagt, als es dringend gebraucht wurde, um rote Linien für die Regierung aufzuzeigen. Weiter nennt er das Klimaschutz-Urteil. Karlsruhe schreibe mit Fristen und Maßnahmen Parlament und Regierung vor, was sie zu tun haben, und betreibe damit Klimapolitik – ein verfassungswidriger Bruch der Gewaltenteilung.

Ehrenpreis für Richter Dettmar aus Weimer

Im Gegenzug wurde Christian Dettmar aus Weimer von der 1bis19-Initiatve für seinen besonderen Einsatz für die Grundrechte geehrt. Der ehemalige Familienrichter sah durch die Corona-Maßnahmen das Kindeswohl gefährdet und hob im Frühjahr 2021 in zwei Fällen die Maskenpflicht auf. Dettmar wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt: zwei Jahre auf Bewährung. Damit verbunden: Ende seines Dienstverhältnisses und Wegfall seines Gehaltes, lebenslanger Verlust seines Richteramts und seiner Pensionsansprüche. Dettmar musste den mit 1019 Euro dotierten Ehrenpreis der 1bis19-Initiatve ablehnen, da man ihm persönliche Vorteilsnahme anlasten könnte.

Parallelen zur DDR?

Im Anschluss diskutierten Roland Tichy, Vera Lengsfeld und Peter Grimm, Publizist und wie Lengsfeld ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, moderiert von Gerd Buurmann.

Erstes Thema die Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz wegen eines X-Beitrags, die Ermittlungen gegen ihn hatte eine Meldestelle in Gang gesetzt. Buurmann zog Parallelen zur DDR und sprach von „IM“ für inoffizielle Meldestellen. Lengsfeld fügte hinzu: „Es sind ja eben keine inoffiziellen, sondern offizielle Meldestellen, in NRW beispielsweise von Wüst eingerichtet.“ Die Bürger würden dazu aufgerufen, unter der Strafbarkeitsgrenze zu melden, also Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. „Das kann nur bedeuten, dass diese Grenze gesenkt werden soll.“

Grimm bemerkte, dass in der DDR zumindest in den 80ern das Denunzieren mit gewisser Scham verbunden war, und nennt als Unterschied zu damals: „Uns fehlt heute der Westen“ – der Westen mit seiner großen Medienwelt.

Widerstand, Parteien und Staat

Im weiteren Verlauf drehte sich die Diskussion um Widerstand. Das System funktioniere durch Ausgrenzung, so Tichy, aber unter den Ausgegrenzten bildeten sich Gruppen, die Widerstand leisten, man dürfe die Kraft der Freiheit nicht unterschätzen.

Lengsfeld beschrieb die Entstehung des Parteienkartells unter Merkel, indem die Opposition eingebunden wurde und das Parlament nur noch Beschlüsse abnicken durfte statt zu kontrollieren. „Doch das Durchregieren war dann doch nicht so einfach, wie sie es sich vorstellte“, so Lengsfeld. Es formierte sich eben doch Widerstand.

Auf die Bemerkung Buurmanns auf die zahlreichen „willigen Vollstrecker“ in der Bevölkerung, gerade auch während der Corona-Zeit,erwiderte Grimm:  „Viele nehmen die Probleme nicht wahr, Medien, die darüber informieren, dürfen nicht gelesen werden, im Umfeld sagt es ihnen keiner, sie bekommen es also nicht mit.“ Lengsfeld bemängelte, dass der sogenannte Marsch durch die Institutionen nicht ernst genommen wurde, und nennt es „bürgerliche Toleranz“. Aber man dürfe die Propaganda einfach nicht unterschätzen. Die Mehrheit sei irregeleitet, deshalb sei es so wichtig, aufzuklären.

Tichy benannte als wesentliches Problem die Parteien. Laut Grundgesetz sollen Parteien an der politischen Willensbildung der Bürger mitwirken, doch Deutschland habe sich zu einem Parteienstaat entwickelt. Er plädierte für die Abschaffung der staatlichen Finanzierung der parteinahen Stiftungen. „Der Staat produziert sich seine Staatsfeinde selber“, so Tichy weiter. An die Stelle der Grundrechte träten zunehmend von oben vorgegebene Grundwerte, nirgendwo verankert und politisch dehnbar. „Willensbildung muss von unten nach oben, und nicht von oben nach unten kommen“, so Tichy.

Wahl zwischen Freiheit und Sozialismus

An den Beiträgen und Reaktionen aus dem Publikum wurde deutlich, dass das Thema Corona noch sehr viele beschäftigt. Es wurden weniger Fragen an das Podium gestellt, sondern mehr persönliche Erfahrungen und persönliches Leid geschildert, teils emotional. Fazit: Die Wunden sitzen tief, sind nicht verheilt, der Wunsch nach Corona-Aufarbeitung bleibt stark – und die Sorge, dass „Corona“ nur der erste Versuch war, die Gesellschaft zu transformieren, dem der nächste bei entsprechender Gelegenheit folgen wird.

Roland Tichy: „Am Ende ist es die uralte Frage. Es ist die Wahl zwischen Freiheit und Sozialismus.“ Es bleibt als Schlusswort der Veranstaltung stehen.


Mehr Informationen zur 1bis19-Initiative für Grundrechte und Rechtsstaat gibt es hier.

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Kommentare ( 14 )

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14 Comments
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M. B.
1 Monat her

Ehrenpreis für Richter Dettmar aus Weimer(!)
Im Gegenzug wurde Christian Dettmar aus Weimer(!)

Da spukt wohl noch eine andere causa im Kopf herum.

Hosenmatz
1 Monat her

„Willensbildung muss von unten nach oben, und nicht von oben nach unten kommen“
Leider scheitert das heutzutage schon an der Bildung! Es erwächst eine Generation, die mit dem Begriff DDR nichts mehr anfangen kann, im Gegenteil, wird diese inzwischen verklärt und das sozialistische Paradies wieder heraufbeschworen. Aber mit jungen Menschen, die eine Aufmerksamkeitsspanne eines 30s-TikTok-Videos haben, kann man das machen.

AlexR
1 Monat her

Diese rotbefrackten angeblichen Richter erinnern eher an Waldorf und Statler aus der Muppet Show. Der Kreativität mit der Auslegung der Grundrechte sind keine Grenzen gesetzt. Nur eine: es muss in die Gesinnung der linksgrünen Sekte passen.

Warte nicht auf bessre zeiten
1 Monat her

Sozialismus ist ein undeutlicher Begriff, für die einen Schmähbegriff, für die anderen ein Menschheitstraum. Die alternativen Begriffe sind aber Freiheit oder Gleichheit. Dazwischen muss man sich entscheiden. Beides zugleich ist nicht zu haben. Nur ungleiche Gesellschaften können sozial sein, gleiche Gesellschaften sind einfach nur arm und entwickeln letztlich wieder Kräfte der Ungleichheit. Wir brauchen Ungleichheit! Diese Forderung sollte immer und überall klar erhoben werden. Das „Narrativ“ von der Gleichheit als etwas gutem und erstrebenswerten muss zerstört und als großer Betrug entlarvt werden. Freiheitliche Kräfte, die glauben die Utopie der Gleichheit irgendwie intergrieren zu können, haben schon verloren. Menschen sind nicht… Mehr

Peter Pascht
1 Monat her

„Lengsfeld beschrieb die Entstehung des Parteienkartells unter Merkel, indem die Opposition eingebunden“ „politische Umarmung“ – was die SED selber in ihrem Wesen war auch noch „Schlangenkuss“ genannt „Manchmal ahne ich schon was ich sagen will“ 😉 – Merkel Zitat „Manchmal bis christlich konservativ, manchmal sozialdemokratisch, manchmal liberal – das ist das Wesen der CDU“ – Merkel bei „Anne Will“ TV Sendung – manchmal, aber immer skrupellos unverschämt Das verdeutet den SED Blödsinn in ihrem Kopfe – welchen sie 16 Jahre von der „freien Prsse geduldet, ja sogar hofiert, verbreiten durfte. „Die Verwirrung der Sprache ist die Verwirrung der Gedanken“ –… Mehr

Simplex
1 Monat her

Jetzt ist der neue Kandidat der Stadtrat von Dortmund, der Ludwigshafen jetzt noch links überholen will. Da, in Dortmund, führen sie gerade die DDR wieder ein, folgt man diesem Bericht in der BILD. Man könnts fast für Satire halten, ist es aber nicht. Es geht knallhart darum, dass sachlich gebotene Vorschläge, komplett niedergestimmt werden,wenn sie von der AfD stammen. Wenn gewählte Volksvertreter hier den „Wählerwillen“ nur wegen einer Machtfrage ignorieren und stattdessen genau das durchziehen, was nur Linke und Grüne auf der Liste stehen haben, kann man sich Wahlen sparen. Es stellt sich hier die „Systemfrage“. Wie lange lässt sich… Mehr

P. Liesner
1 Monat her

Schade, dass diese Preisvergabe nicht in den ÖR-Medien publiziert wird.

murphy
1 Monat her

Nicht gewürdigt wurde die Rechtsbeugung des BVerfG mit der Ignoranz des Worters „ungehindert“ im Artikel 5.1 GG. Diese Wesenseigenschaft darf nämlich nach Artikel 19.2 nicht einmal angetastet werden. Kirchhof verbog sie aber kräftig mit den bekannten Folgen die man auch als Volksverhetzung bezeichnen kann. Kirchhof fantasierte ausserdem über die Begriffe „Bildungsauftrag, Grundversorgung und Finanzierungspflicht“ die im GG überhaupt nicht genannt und auch nicht ableitbar sind. Der von Merkel in Aussicht gestellte Ministerposten für Kichhof war wohl eine treibende Kraft und der Kadavergehorsam eines exCDU-Mitglieds in seiner damaligen Funktion als Verfassungsschützer.

Sagen was ist
1 Monat her

„„IM“ für inoffizielle Meldestellen“

Das war mal zu DDR 1.0 Zeiten

Heute geht das ganz hoheitlich an Presse etc über die offizielle Webseite:
Denunzieren – auf hoheitlich offizielle Aufforderung
Nur ein Beispiel:
„THE LÄND“ 30.08.2021
„Anonymes Hinweisgeberportal für Finanzämter freigeschaltet“
https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/anonymes-hinweisgeberportal-fuer-finanzaemter-freigeschaltet
Welch stolz verkündete Ankündigung.
Noch Fragen Kienzle et alt?

ps
Firmiert wie beim Staatsfunk unter ein „Service“ des Fiskus

Last edited 1 Monat her by Sagen was ist
Mausi
1 Monat her

Coroan: Ja, in einer der Urteilsbegründungen war zu lesen, dass die Regierung legitimerweise eine Behörde zur Beratung begründen durfte (RKI). Dann dass es sich legitimerweise auf die Beratung verlassen durfte. Völlig unberücksichtigt blieb die Weisungsgebundenheit. Keinerlei Aufklärungsversuch, ob die Weisungsgebundenheit die „Beratung“ aushebelte. Das Urteil hat ganz bewußt an den Problemen des Bürgers vorbeigeschaut. Soviel zum Bollwerk gegen den übergriffigen Staat.