Die neue Selbstverständlichkeit des Interessenkonflikts

Was früher Karrieren beendete, gilt heute als Normalzustand. Wo einst Rücktritte folgten, wird heute ausgesessen. Wolfram Weimer, Jens Spahn und viele andere stehen für eine Politik, die keine Verantwortung und keinen Anstand mehr kennt.

IMAGO, Collage: TE

Der Fall des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer markiert eine neue Stufe jener Entwicklung, die das Vertrauen der Bürger in die politische Klasse bereits seit Jahren untergräbt. Ein Regierungsmitglied, das zugleich Miteigentümer eines privatwirtschaftlichen „Medienhauses“ bleibt, dessen Geschäfte und öffentliche Darstellung zudem politische Kommunikation beeinflussen, berührt den Kern des Staatsrechts: die notwendige Trennung von Amt und wirtschaftlichem Eigeninteresse. Doch genau diese Grenze gilt im politischen Betrieb ganz offenbar nicht mehr das Geringste.

Ein Lobbyist benutzt ein Staatsamt
Wie Wolfram Weimer sein Ministerium vermarktet
Die Logik des öffentlichen Anstands ist eigentlich eindeutig: Wer ein Regierungsamt übernimmt, hat jede wirtschaftliche Einflussmöglichkeit abzugeben. Nicht nur formal, sondern auch faktisch. Doch Weimer hält weiterhin 50 Prozent der Weimer Media Group, die anderen 50 Prozent liegen bei seiner Ehefrau. Damit bleibt der Einfluss vollständig in der Familie. Dass die Bundesregierung gleichwohl die Darstellung übernahm, Weimer habe die Verlagsgruppe „verlassen“, zeigt, wie selbstverständlich Täuschung und politische Nachsicht geworden sind. Sofern man dies noch Nachsicht nennen kann.

Es ist gar nicht so lange her, dass das einmal anders war. Christian Wulff trat 2012 als Bundespräsident zurück, weil der Verdacht bestand, er habe durch persönliche Freundschaften und private Kredite wirtschaftliche Vorteile genutzt. Der Vorwurf war damals weniger juristischer als moralischer Natur: Wer ein öffentliches Amt bekleidet, darf den Anschein persönlicher Vorteilsnahme nicht erwecken. Wulff zog die Konsequenz. Nicht, weil er verurteilt wurde, sondern weil das Vertrauen zerstört war.

Geltungssucht statt Substanz
Wer ist Wolfram Weimer – und wenn ja, wie viele?
Auch Cem Özdemir zog 2002 Konsequenzen. Als bekannt wurde, dass er Bonusmeilen privat genutzt und ein Darlehen von einem Lobbyisten angenommen hatte, trat er als Parteigeschäftsführer der Grünen zurück. Die Summe war gering, der symbolische Schaden jedoch groß. Bei aller Kritik, die Autoren dieses Mediums über die Jahre an Özdemirs Adresse richteten und dies auch weiterhin tun werden: Özdemir erkannte damals, dass Integrität in der Politik nicht verhandelbar ist und dass sein Rücktritt die einzige Möglichkeit war, Integrität wiederzugewinnen. Was ihm ein politisches Comeback Jahre später dann auch ermöglichte.

Der 2003 verstorbene Jürgen Möllemann wiederum musste sein Amt niederlegen, weil er politische Macht und wirtschaftliche Interessen in unauflösbarer Weise verknüpfte. Über seine Firma betrieb er Geschäfte, während er gleichzeitig als Politiker Einfluss nahm. Der Verdacht der Selbstbereicherung stand im Raum, und Möllemann fiel über die Hybris, politische Verantwortung und private Geschäftsinteressen in Personalunion ausüben zu können.

Ein unhaltbarer Zustand
Wolfram Weimer kann sein Amt nicht länger ausüben
Vergleicht man diese Fälle mit der Gegenwart, zeigt sich eine bedenkliche Entwicklung. Denn während Wulff, Özdemir und Möllemann noch Konsequenzen zogen, bleibt etwa Jens Spahn bis heute im Amt und im Parlament. Trotz einer der gravierendsten Verstrickungen der letzten Jahre. Als Gesundheitsminister verantwortete er während der Corona-Pandemie milliardenschwere Maskengeschäfte, bei denen Personen aus seinem Umfeld auffällig profitierten. Zugleich erwarb er in dieser Zeit Immobilien, was die Debatte über Nähe zu wirtschaftlichen Interessen weiter befeuerte. Rücktritt? Fehlanzeige. Spahn blieb und bleibt und macht deutlich, dass politische Verantwortung in den Reihen der Union längst ein überholtes Konzept ist.

Philipp Amthor zeigte 2020, wie früh diese neue Selbstverständlichkeit erlernt wird. Der CDU-Abgeordnete setzte sich für das US-Unternehmen Augustus Intelligence ein, von dem er Aktienoptionen erhielt und wo er einen Ehrenposten bekleidete, während er zugleich in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags saß, der den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen befragen sollte, ebenfalls mit der Firma verbunden. Amthor beendete zwar seine Nebentätigkeit und gab die Aktienoptionen zurück, blieb aber politisch unbeschadet. Rücktritt? Fehlanzeige. Wo einst solch ein Integritätsverlust das Ende der politischen Karriere bedeutete, genügt heute eine lapidare formale Erklärung, und die Karriere läuft weiter.

Diese Aufzählung besitzt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Besonders in den Reihen der Union finden sich zahlreiche Fälle wie diese, vergangene und aktuelle.

Bericht lässt Fragen offen
Jens Spahns kleptokratische Maskendeals - und warum gerade jetzt "Haltet den Dieb" gerufen wird
Dass nun auch ein CDU-Minister im Bundeskabinett – Wolfram Weimer – sein Regierungsamt mit einer fortbestehenden Beteiligung an einem Medienunternehmen verbindet, zeigt, wie weit die Maßstäbe abermals gesunken sind. Die CDU, eine Partei, die sich gern als Hüterin von Anstand und Ordnung präsentiert, steht selbst für die systematische und kontinuierliche Aufweichung und, wenn hier keine Konsequenzen folgen, auch für das komplette Aushebeln dieser Prinzipien.

Der Unterschied zu früheren Jahrzehnten ist drastisch: Früher genügte der Verdacht eines Interessenkonflikts, um Rücktrittsforderungen auszulösen. Heute werden glasklare Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft mit juristischen Spitzfindigkeiten gerechtfertigt. Wo früher Anstand war, herrscht heute Dreistigkeit. Der Staat ist ganz offen zur Beute geworden und man bedient sich selbst und seine Klientel dabei immer schamloser.

Die Union, bestehend aus CDU und CSU, trägt den Anspruch einer werteorientieren Kraft nur noch wie ein leeres Kostüm vor sich her. Dort ist niemand mehr auch nur im Ansatz gewillt aufzuklären, warum in ihren Reihen heute bleiben kann, wer früher gegangen wäre. Der Fall Weimer ist dabei kein Einzelfall. Er ist Symptom eines Systems, das den wie ein leeres Echo nachhallenden Begriff politischen Anstands aufgibt, sobald die Macht ruft.

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Kommentare ( 53 )

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Lucius de Geer
1 Monat her

Danke für das großartige Titelfoto – es sagt alles über diese Typen, was ich besser nicht auszusprechen wage 🙂

Kraichgau
1 Monat her

Özdemir ist damals direkt von seinem deutschen Posten in das EU-Parlament gewechselt,er hat also gar nichts eingesehen oder wäre aus der politischen Bühne abgetreten….

Mausi
1 Monat her
Antworten an  Kraichgau

Die Unfähigen in die EU Institutionen abzuschieben ist jahrzehntelange Praxis. Bei uns sammelt sich ganz oben eine besondere Art der Elite.

Last edited 1 Monat her by Mausi
HansKarl70
1 Monat her

Diese Generation von Politikern wird es nicht lernen. Sie sind vielfach offensichtlich mit dem Selbstverständnis aufgewachsen das die moralischen Grenzen für Politiker maximal bei Mord und Totschlag liegen.

Mausi
1 Monat her
Antworten an  HansKarl70

Der ist gut: Moralische Grenze liegt bei Mord und Totschlag. Dabei sind sie so großzügig, hinter Verrecke D herzulaufen und Hammermörder ihrer Strafe in einem anderen EU-Land entziehen zu wollen. Und wer sitzt nochmal in der EU und wird von der moralischen Grenze geschützt? Nein, es war kein AfDler. Der wurde vor einer Wahl gleich ausgeschlossen.

Petra Horn
1 Monat her

Nur Transparenz und direkte Demokratie können solche Entwicklungen möglicherweise stoppen.
Vor allem müssen alle Beeinflussungs-, Pressuregruppen, auch NGOs genannt, gesteuerte Medien gestoppt, verboten, und das Geld muß entzogen werden.
Es sind mit Millarden gestopfte Organisationen, die nur daran arbeiten, sich weiter zu bereichern, natürlich auf Kosten des dumm gehaltenen kleinen Mannes oder der kleinen Frau.
Die werden mit Angst und Schrecken und Verarmung klein gehalten.

MeHere
1 Monat her

Der Typ sieht aus wie Alfred E. Neumann und verhält sich auch so – kein Schamgefühl und völlig Geltungsgeil

Man sollte für Politiker einen Eignungstest einführen und sämtliche Nebenjobs und Pöstchenschachereinen von vorne herein als Korruption betrachten …

Reinhard
1 Monat her

Das Bild über diesem Artikel könnte in jeder Geisterbahn im Land als Attraktion hängen.
Ein Land, das solche Gestalten in verantwortliche Positionen bringt, hat sich selbst aufgegeben.
Avanti Korrupti

Mausi
1 Monat her
Antworten an  Reinhard

Wer ehrlich ist, der fragt sich, wo denn seine eigene Grenze liegt. Mitnehmen eines Maiskolbens vom Feld ist ok? Kleine Schummelei bei der Versicherung ist auch ok? Wenn der Kassierer zu viel raus gibt, schweigend gehen? Wenn der Kanzler wegen Naziverbändelung angegangen wird, als Autor von AntiNaziBüchern daneben stehen und aus politisch ideologischen Gründen schweigen? Bis Jahre später herauskommt, dass „Sie“ – nicht Sie persönlich – die gleiche Verbändelung haben? Ist die überwiegende Mehrheit von uns wirklich immun gegen Macht und Geld? Ich denke nicht. Das „Land“ bringt diese Leute in verantwortliche Positionen? Die Meisten kennen diese Elite-Leute doch gar… Mehr

Mausi
1 Monat her

Den Artikel von Vera Lengsfeld bei achgut halte ich für den ehrlichsten zum Thema Weimer.

Keiner der Betroffenen stimmt nachträglich der Veröffentlichung zu. Weil sie so darunter „gelitten“ haben oder doch eher aus politischem Kalkül?

Walter Caspari
1 Monat her

Habe heute Gas- und Stromabrechnung bekommen. Kann ich irgendwie noch stemmen, Spaß geht aber anders.

Wenn man dann dieses Figuren sieht, ist man nur noch extremst angeekelt. Die Tasche werden sich ungeniert vollgestopft während der Bürger nur noch am ächzen ist und Glück hat, wenn er auf dem Nachhauseweg von der Arbeit nicht überfallen oder vergewaltigt wird… was diese Figuren aber auch nicht interessiert.

Das Schlimme dabei: Man ist so verdammt wehrlos.

Mausi
1 Monat her
Antworten an  Walter Caspari

wehrlos: Ja. 100% Ökostrom kann ich problemlos kaufen. Aber 100% Atomstrom nicht. Austreten beim ÖRR und nur zahlen für das, was ich ansehe? Niemals. Und so werden wir immer wehrloser gemacht.

HansKarl70
1 Monat her
Antworten an  Mausi

Man versucht es zumindest aber auch das gemeine Volk hat nur eine gewissen Toleranzschwelle die keiner überschreiten sollte, denn dann kommt da nur noch der totale Absturz.

gast
1 Monat her

Ach hätte ich doch nur nicht studiert, sondern statt dessen eine Lehre als Bankkaufmann absolviert. Ich kann zwar auf ein spannendes Leben in meinem Beruf zurückschauen aber ich habe keine einzige Villa in der Landeshauptstadt.

Mausi
1 Monat her
Antworten an  gast

Na ja, die Villa hat ihre Ursache kaum in den Bankjahren. Sie haben nicht die Lehre verpasst, sondern die Karriere in einer Partei.

baval
1 Monat her

Die epistemische Gemeinschaft der Polit-akteure, und dazu gehört JEDER Beamte, ohne wenn und aber, darf nicht das selbe Schicksal wie den Vorgängern während des Nazi Regimes und des SED Regimes zuteil werden. Jeder kleine Beamte der mitgelaufen ist, ob Polizei, Lehrer, Verkehr…, jeder Unternehmer der öffentliche Aufträge angenommen hat, jedes Propganda Blatt jeder Journalist der politische Werbung gemacht hat, jede NPO/NGO die Förderungen abgeriffen (hier das gesamte Personal), jede Sekundäre und Tertiäre „Bildungseinrichtung“ die sich auf Kosten von wem anderen in der Zukunft am Leben erhalten hat, keiner von denen darf diesmal mit dem Leben davon kommen. Die Familien gehörem… Mehr

Mausi
1 Monat her
Antworten an  baval

Sind Sie sicher, dass Sie nicht unter Ihre Definition fallen, wenn Sie weit genug graben?