Manfred Webers gespaltene Zunge: Der Selbstbetrug der Union in Zeiten des Kontrollverlusts

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung versucht EVP-Fraktionschef Manfred Weber, sich als staatsmännischer Vordenker zu inszenieren. Doch statt Klarheit: Realitätsferne, die zentrale gesellschaftliche Sorgen um Migration, Integration und staatliche Kontrolle ausklammert. Ein Interview, das die strategische Orientierungslosigkeit der Union offenbart.

picture alliance / Metodi Popow | M. Popow

Von außen klingt es wie der große staatsmännische Aufschlag: Manfred Weber, EVP-Fraktionschef in Brüssel, CSU-Spitzenmann mit Weltblick, gibt der SZ ein Interview über Migration, AfD, Europa, Söder, Brandmauern.

Wer das Interview liest, soll das Gefühl bekommen, dass hier einer spricht, der das große Ganze im Blick hat.

Die genaue Lektüre des Textes zeigt das Gegenteil: zu erkennen ist ein Politiker, der sich im rhetorischen Selbstwiderspruch verstrickt. Ein Parteistratege, der mit einer Hand die Brandmauer halten will – und mit der anderen längst den Mörtel abträgt. Es ist das Interview eines Funktionärs, der noch immer glaubt, man könne mit einschläfernder sprachlicher Akrobatik die politische Realität überlisten.

Migration: Zwischen Bierzeltprosa und Elfenbeinturm

Weber spricht offen über Migration – und tut dabei so, als sei das Thema allein ein Erklärungsproblem. Zitat: „Illegale Migration bekämpfen, aber gleichzeitig die Notwendigkeit der Zuwanderung – das sollten wir in jedem Bierzelt sagen.“ Klingt bodenständig. Ist aber in Wahrheit schöngefärbt und überflüssig. Denn die meisten Menschen haben kein Problem mit legaler Migration und Ausländern, die hier friedlich leben und arbeiten.

Sollte Weber ernsthaft glauben, man müsse den Deutschen nur besser erklären, warum ihre Städte sich „ein Stück weit ihr Gesicht verändern“, hat er entweder keine Ahnung, was draußen los ist – oder nimmt die Sorgen der Bürger bewusst nicht ernst. Dass es legitime Ängste gibt, dass soziale Sicherheit, kulturelle Identität und öffentlicher Raum sich verändern – das kommt bei Weber nicht vor. Stattdessen: Tunnelarbeiter in München seien „fast keine deutschen Arbeiter mehr“, also brauchen wir Zuwanderung. Punkt. Die Deutungshoheit bleibt beim Bürokraten aus Brüssel.

Söder, die AfD – und das Spiel mit der Doppelmoral

Besonders entlarvend wird es, wenn es um Markus Söder geht. Der hatte kürzlich in einem Interview gesagt, „das Stadtbild muss sich wieder verändern“ – eine Formulierung, die direkt aus dem Sprachbaukasten der AfD stammen könnte. Webers Reaktion? Ausweichend.

Söder habe „nur eine Grundsatzfrage im Kopf gehabt“, ob wir „diejenigen wieder aus den Städten und Dörfern raus [schaffen], die hier kein Bleiberecht haben“. Weber versucht damit eine rhetorische Nebelkerze. Aber im Grunde widersprechen Webers Aussagen denen von Söder. Der hat diesen Satz so formuliert, dass er möglichst viele Assoziationen weckt – und möglichst wenig Verantwortung erzeugt.

Weber steht nicht zu seinem Standpunkt, den er versuchte im Interview zu positionieren. Weber ordnet sich unter und drückt sich vor einem Dissens, indem er Söders Ansage entschärft, anstatt – um bei seiner Linie zu bleiben – klar zurückzuweisen.

Das zeigt, wie tief der Selbstbetrug in der Union reicht: Man inszeniert sich als Bollwerk gegen die AfD, während man gleichzeitig deren Vokabular übernimmt. Man will Migration ordnen, aber ohne das Problem beim Namen zu nennen: dass viele Menschen längst das Vertrauen in den Staat verloren haben, in seine Fähigkeit zur Kontrolle, zur Begrenzung, zur Durchsetzung der eigenen Regeln.

Die CSU – zwischen Döner-Partei und Leitkultur-Theater

Ein besonders grotesker Moment des Interviews: Weber erinnert daran, dass Söder selbst die „Döner-Partei CSU“ erfunden habe – als Beweis für dessen Integrationswillen. Es sei wichtig, „deutsch-türkische Gesichter in der Partei“ zu integrieren.

Das soll nach Vielfalt klingen, meint aber in Wahrheit: PR statt Politik. Denn während man im Interview von Integration spricht, spielt sich auf kommunaler Ebene längst das Gegenteil ab: wachsende Parallelgesellschaften, explodierende Sozialausgaben, Polizeibezirke, die sprachlich aufgerüstet werden müssen, um überhaupt noch kommunizieren zu können. Von all dem: kein Wort.

Stattdessen will Weber die CSU als „Döner-und-Leberkäs-Partei“ verkaufen – als ob ein bisschen Folklore die tiefen Risse im sozialen Gefüge kitten könnte. Ein verbales Armutszeugnis im Interview.

Europa, NATO, Brandmauer – alles offen, alles relativ

Auch außenpolitisch bleibt vieles vage. Europa müsse „Verantwortung übernehmen“, die USA zögen sich zurück. Nato-Truppen für die Ukraine? Weber sagt ja, Söder sagt nein – macht aber nichts, man diskutiere das ja intern. Wie bequem. Hauptsache „Verantwortung übernehmen“. Dieser Satz soll bei den Wählern hängen bleiben.

Zur AfD sagt Weber, dass diese keine Probleme lösen wolle, sondern von ihnen leben. Mag sein – doch das allein erklärt nicht, warum Millionen Menschen sie trotzdem wählen. Genau da zeigt sich der blinde Fleck der Union: Sie verwechselt politische Arroganz mit Überzeugungskraft. Sie glaubt, wer laut genug von Verantwortung redet, könne sich vor den Konsequenzen jahrelanger Realitätsverweigerung drücken. Erst diese Realitätsverweigerung der Regierungsparteien in Bund und Land hat die AfD wachsen lassen. Um sich das einzugestehen, wäre ein scharfer Schnitt nötig. Doch eher zieht der Papst von Rom nach Bottrop.

Die Brandmauer steht – aus Pappe

Weber betont mehrfach: „Die Brandmauer steht.“ Doch in Wahrheit ist sie längst morsch. Denn wer die Rhetorik der AfD übernimmt, wer zwischen Zuwanderungsromantik und Abschottungsrhetorik laviert, wer glaubt, mit PR-Sätzen wie „Bayer, Deutscher und Europäer“ die Identitätskrise lösen zu können – der hat den Ernst der Lage nicht verstanden.

Die AfD wächst nicht, weil sie gute Antworten gibt. Sie wächst, weil die etablierten Parteien seit Jahren keine glaubwürdige Politik mehr machen. Weil sie glauben, dass ein AfD Verbotsverfahren das Problem schon lösen werde. Und weil Figuren wie Weber glauben, man könne mit Sprachkosmetik und europäischer Bürokratie die Wirklichkeit gestalten.

Doch die Wirklichkeit ist weiter – sie duldet keine gespaltenen Zungen mehr

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Kommentare ( 37 )

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andreas donath
2 Monate her

Im Gegensatz zu Herrn Pürner finde ich sehr wohl, dass die AfD gute Antworten gibt, sehr gute sogar!

Haba Orwell
2 Monate her

Wenn es tröstet, der Bürgerkrieg droht nicht nur in Westeuropa. Juri Podoljaka gestern auf Telegramm (maschinell übersetzt) aus Trumps Rede vor Generälen: > „.., „Ich habe ein Dekret über die Schaffung einer „schnellen Reaktionstruppe“ unterzeichnet, die wir überall in den Vereinigten Staaten hinschicken können, um jegliche Unruhen und Unordnung zu unterdrücken. Weil der Feind in uns ist und wir uns mit ihm auseinandersetzen müssen, bevor er außer Kontrolle gerät“…. Und dies ist ein weiterer sehr großer Schritt in Richtung eines Bürgerkriegs. Unter Berücksichtigung der Reaktion auf solche „Aktionen“ seitens der Behörden der sogenannten „demokratischen Staaten“ wird die Eskalation in diese… Mehr

GermanMichel
2 Monate her

„Selbstbetrug“, aber sicher doch.

Sie sind einfach Idealisten und können nicht aus ihrer Haut.

A-Tom
2 Monate her

Ein Vertreter der Rasse der Biertrinker, der christlich, rückständigen und hängengebliebenen bay. Landbevölkerung. Die können nur Korruption, Hinterzimmerabsprachen und Opportunismus. Von weiten sieht es wie Intelligenz aus. Aus der Nähe betrachtet ist es nur Bauernschläue.
Die Benennung als Rasse der Biertrinker stammt übrigens von Maximilian I. Joseph, König von Bayern, als sein Sohn wieder einmal Pläne hegte, aus München Athen zu machen und der König ein knackiges Résumé über seine Untertanen fällte.

Montgelas
2 Monate her
Antworten an  A-Tom

Nur weil Herr Weber in Ihren Augen völlig inkompetent ist (in meinen auch), sollten Sie nicht die gesamte bayrische Landbevölkerung beleidigen!

Budgie
2 Monate her

Solche Pappnasen regieren uns? Wie konnte der nur an verantwortliche Stellen in Deutschland und der EU kommen? Ich schätze, da haben viele Wähler ihren Heiland, Jesus aus dem Blick verloren und beten jetzt den Luzifer im Hades von Brüssel an. So sagte der Meinungsforscher Petersen vom Allensbach-Institut: „Ich entnehme unseren Umfragen aus den vergangenen 80Jahren, dass die Deutschen trotz aller Lippenbekenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft den Gedanken einer freien, sich selbst organisierenden Wirtschaft und Gesellschaft nie wirklich akzeptiert haben“. Ich denke, die heutige prekäre Lage in Europa resultiert aus diesem europäischen Dilemma und Weber ist nur einer von vielen dieser Dampfplauderer.… Mehr

Haba Orwell
2 Monate her
Antworten an  Budgie

> Wie konnte der nur an verantwortliche Stellen in Deutschland und der EU kommen?

Vielleicht hat das irgend etwas mit den Kreuzen auf den Wahlzetteln zu tun? Bisher musste sich die Obrigkeit nicht so wie in Rumänien oder Moldau anstrengen.

Teiresias
2 Monate her

Ich glaube weder an Selbstbetrug noch an Fehler seitens der Politik.
Sie folgen der Agenda 2030 aka „Great Reset“.
Sie betrügen nicht sich sebst, sondern uns.
Es geht nur darum, Zeit zu gewinnen, bis die Überwachungsdiktatur mit Digital ID, CBDCs und WHO-„Health-Pass“ in trockenen Tüchern ist.
Nebenbei wird die Mittelschicht bekämpft und soviel Kapital und Industrie wie möglich in die USA transferiert.
Für „unsere“ Politiker wird es sich lohnen.

Deutscher
2 Monate her

„Zur AfD sagt Weber, dass diese keine Probleme lösen wolle, sondern von ihnen leben“
Nun, dann sollte man eben die Probleme, von der die AfD lebt, selber lösen. Sehe aber auch nicht, dass die Union das will.

Man kann es sich sparen, noch länger auf das Gequatsche einzugehen. Nichts als hohle Phrasen. Es ist seit Jahren dasselbe und sie tun ja doch nichts.

Stattdessen ist die Zeit sinnvoller genutzt, die Opposition aufzubauen.

Last edited 2 Monate her by Deutscher
Biskaborn
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Vielleicht sollte man einfach der AfD das Problem lösen einmal überlassen, dann würde man sehen ob die das können oder nicht. Das wiederum traut man sich nicht, die Angst vor der AfD ist viel zu groß! Außerdem geht man davon aus, die AfD wird verboten und das Thema ist gelöst!

HansKarl70
2 Monate her

Gespaltene Zunge, die armen Schlangen aber es stimmt n,m.M. ganz genau wenn man dass so sagen darf.

ralf12
2 Monate her

Mir ist völlig schleierhaft, wie Weber und seine Chefin uns ihre Inkompetenz erklären wollen, dass wir glauben, sie seien kompetent. Richtig putzig ist dann wieder „Zur AfD sagt Weber, dass diese keine Probleme lösen wolle, sondern von ihnen leben“ Nun gut, wenn die AfD keine Probleme lösen möchte, dann schafft sie zumindest keine Probleme, so wie Weber und das ganze Brandmauerkartell.

hassoxyz
2 Monate her

Manfred Weber ist ein Politiker, der gerne den Konservativen spielt und in Wirklichkeit den Grün-Progressiven gibt, und das auf nahezu allen politischen Ebenen, ob bei Migration, innere Sicherheit, Wirtschaft oder Energiefragen. Er ist vehement gegen jede Zusammenarbeit seiner Partei mit der AfD, aber offen für Bündnisse mit den linksradikalen Grünen. Er verteidigt den Atomausstieg und den Green Deal, ist offen für Steuererhöhungen. Diesen Mann kann man nicht ernst nehmen. Weber ist das Spiegelbild einer unter Söder immer stärker nach links gedrifteten CSU. Er hat wesentlich mehr mit einem Habeck gemeinsam als mit seinem Parteikollegen und Ex-MP Stoiber. Wäre die CSU… Mehr