Deindustrialisierung: Jede dritte Firma plant oder erwägt, Teile der Wertschöpfung zu verlagern

„Das Vertrauen in den Standort Deutschland ist erschüttert.“ Energiekosten und Steuerbelastung sorgen dafür, dass Umfragen zufolge viele Unternehmen lieber im Ausland investieren. Das Fazit lautet: „Die Stromsteuersenkung ist nur Blendwerk“.

IMAGO

Seit etwa zwei Jahren berichten wir über die beginnende Deindustrialisierung in Deutschland. Es betrifft den Mittelstand, die Chemieindustrie, die chemisch-pharmazeutische Industrie, Gießereien, Glaswarenhersteller, die Autozulieferer, Halbleiter-Zulieferer, Aluminiumschmelzwerke, Metallveredler, Zinkhütten – die Liste ließe sich endlos erweitern.

Im März 2023 hatte Kanzler Scholz noch ein grünes Wirtschaftswunder angekündigt. Deutschland werde im Zuge der Energiewende und der grünen Transformation Wachstumsraten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 50er-Jahren erleben. Der Wirtschaftsminister warnte „angesichts der Konjunkturflaute davor, den Wirtschaftsstandort Deutschland schlecht zu reden“. Laut dem Handelsblatt rief er in der ersten Septemberwoche dazu auf, raus aus der „Komfortzone der Selbstzufriedenheit“ zu kommen.

Saskia Esken, ihres Zeichens SPD Co-Chefin, „warnte“ davor, die Lage schlechter zu machen als sie sei. Sie sah Anfang August dieses Jahres „eine Gelegenheit, sich auf unsere Stärken zu besinnen“.

Deutschland an der Abbruchkante
Willkommen in der Deindustrialisierung – Folgen von Habecks Wirtschaftspolitik
Die grünen Wirtschaftswunder-Fantasien und sonstige Sprechblasen einmal außer Acht gelassen, Fakt ist, Energiekosten und Steuerbelastung sorgen dafür, dass Umfragen zufolge viele Unternehmen lieber im Ausland investieren. 59 Prozent der Unternehmen sehen Energiesicherheit und -kosten als wichtigsten Grund für Investitionen im Ausland. Jede dritte Firma plane oder erwäge, Teile der Wertschöpfung zu verlagern, schreibt das Handelsblatt am Dienstag. „Das Vertrauen in den Standort Deutschland ist erschüttert“, sagt Industrieexperte Florian Ploner, einer der Autoren einer neuen Studie. „Wir sehen eine Deindustrialisierung“.

„Die Bundesregierung hat sich in der vergangenen Woche zwar auf ein Industriestrompreispaket geeinigt, das in den nächsten fünf Jahren Entlastungen in Höhe von 28 Milliarden Euro bringen soll. Doch das wird nach Einschätzung Ploners den Trend kaum stoppen. Für langfristige Investitionen bräuchten die Unternehmen Planungssicherheit, das Paket sei jedoch zeitlich begrenzt. Zudem seien die zu hohen Energiekosten das Problem, nicht die im Zuge der Regelung stark gesenkte Besteuerung“, berichtet das Handelsblatt.

Und weiter: Der Papierkonzern UPM schließt sein Werk in Plattling mit 400 Mitarbeitern zum Jahresende. Es betrifft 400 Mitarbeiter. Das Chemieunternehmen SKW Piesteritz, das Deutschlands größte Düngemittelfabrik betreibt, überlegt eine womöglich unumgängliche Verlagerung.

Oftmals sind die USA ein „bevorzugtes Ziel für die Verlagerung. Auch Asien steht weit oben auf der Liste. Einer aktuellen Prognos-Studie im Auftrag des bayerischen Arbeitgeberverbands VBW zufolge sind die Industriestrompreise in Deutschland mehr als doppelt so hoch wie in den USA und China.“

Zombiewirtschaft
Habecks Brücke in die Deindustrialisierung
Doch der Umzug muss nicht gleich über den großen Teich oder ins „Reich der Mitte“ erfolgen. „Beim Blick auf die Industriestrompreise großer Abnehmer ab 150 Gigawattstunden pro Jahr innerhalb der EU zeigt sich, dass entsprechende Unternehmen in Deutschland etwa zehn Prozent über dem EU-Durchschnitt liegen“, so VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. In Frankreich und auch Polen zum Beispiel ist der Strom für produzierende Betriebe günstiger.

Bekanntlich will die Bundesregierung den Strompreis für die Wirtschaft durch ein „Strompreispaket“ drücken. Viele Betriebe sehen darin jedoch keine Besserungen. Die Gründe dafür sind schlicht und ergreifend die extrem gestiegenen Energiepreise. Wie aus einem Interview der Wirtschaftswoche mit den Geschäftsführern der Krefelder Gießerei Siempelkamp, Dirk Howe und Georg Geier, hervorgeht, fürchten sie daher um ihre Wettbewerbsfähigkeit.

„Viele Politiker scheinen sich mit der Tiefe des Problems gar nicht befasst zu haben. Es handelt sich um ein Blendwerk, denn ein Großteil der Maßnahmen ist lange bekannt und eingeführt, werden aber hier erneut verkauft.“ Zwar biete die Regierung für 350 energieintensive Unternehmen weitere Vergünstigungen, wodurch auch Siempelkamp begünstigt sei, jedoch „für das hochvolatile Jahr 2022 hätte das gesamte Maßnahmenpaket nachweislich weniger als zwei Prozent unserer Stromkosten reduziert. Der Preis dagegen ist in diesem Zeitraum um mehr als 200 Prozent gestiegen.“

Wohlstandsverluste in Kauf genommen
Habeck verkündet offiziell die bevorstehende Deindustrialisierung
Für energieintensive Unternehmen, wie die Gießerei Siempelkamp stelle diese Steuerentlastung gerade einmal eine Ersparnis weniger als einen halben Cent je Kilowattstunde zum Status-quo dar. „Das bedeutet, dass wir weiterhin im Vergleich mit Ländern wie Spanien und Frankreich nicht wettbewerbsfähig sind, geschweige denn mit den USA und Asien. In Frankreich zahlen Industriekunden etwa zehn Cent pro Kilowattstunde weniger für Strom als hierzulande.“

Ende Oktober dieses Jahres gestand Habeck das Scheitern der „Energiewende“ ein – wenn auch im Wortmüll etwas versteckt, aber in seiner Knappheit umso brutaler. „Für zahlreiche Betriebe der energieintensiven Industrie sind diese Preise existenzbedrohend, es droht eine Erosion der deutschen Grundstoffindustrie und damit der Wegfall integrierter Wertschöpfungsketten“.

Es bleibt festzuhalten: Billigeren Strom wird es trotz Zuspargeln der Landschaft mit Windkraftanlagen und Zubauen mit Photovoltaik auch in der Zukunft nicht geben.

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Kommentare ( 64 )

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Grumpler
5 Monate her

Wie heißt es so schön? DAS IST ALLES GEWOLLT! Von irgendjemanden zu irgendeinem Zweck!
Man komme mir jetzt nicht mit dem Vorwurf der Verschwörungstheorie. Die alternative Erklärung für die Vorgänge in diesem Land wäre nämlich Inkompetenz, geballte Inkompetenz. Sehr gerne darf man sich die gefälligere der beiden Erklärungen aussuchen.

Chemische Industrie? Automobilindustrie? Maschinenbau? Lieferservicewirtschaft? Alles Quatsch! Die Zukunft liegt in Fackeln und Mistgabeln! Gutes altes Hilfs- und Handwerkszeug! Und funktionieren auch ohne Strom… 😀

Last edited 5 Monate her by Grumpler
AnSi
5 Monate her

Kann ich nur bestätigen! Und es tut der Seele so gut, wenn man auf den Abrechnungen sieht, was man alles NICHT zahlen musste!

Urs von Baerlichingen
5 Monate her

Leider muss ich Ihnen widersprechen, wenn Sie mit Dr. Bob, den GröWaZ (Größter Wirtschaftsminister aller Zeiten) Herrn Dr. Habeck meinen. Ich glaube nicht, dass er „nicht begreift“ was er tut – gleichwohl seine ökonomischen Kenntnisse wahrscheinlich nicht besonders hoch anzusiedeln sind. Nein, der Mann handelt ganz bewusst so, wie er handelt! Wir sollten ALLE allerdings mal konkret der Frage nachgehen, mit welcher Intention er (und der Rest) tatsächlich so agieren! Eins sei verraten, mit „Klima“, Umweltschutz und so hat das definitiv nichts zu tun, denn in keinem Fall geht die Bilanz positiv auf …

Urs von Baerlichingen
5 Monate her

Zur Richtigstellung: Das „Grüne Wirtschaftswunder“ ist in Neu-Sprech unserer bunten „Eliten“ mit WEF-Ausbildung nur ein Euphemismus für das, was der Volksmund früher als „blaues Wunder erleben“ bezeichnet hat. Scholz, Habeck und Co. liefern wie bestellt! Daher gibt es keinen Grund zur Klage ….

Urs von Baerlichingen
5 Monate her

Sollten Sie einen Sitz in der EU noch nicht ganz aufgegeben haben, empfehle ich Ungarn. Es deckt sich aber mit meinen Erfahrungen als Unternehmensberater, dass EU-weit die Gründung von Firmen (durch den langen Arm aus Brüssel) leider immer unsinniger werden. USA oder V.A.E. sind gute Alternativen.

Last edited 5 Monate her by Urs von Baerlichingen
mapla 54
5 Monate her

„Oftmals sind die USA ein begehrtes Ziel der Verlagerung …“ , ein wahrer Schelm ; der hier Zusammenhänge konstruieren will😤…

friedrich - wilhelm
5 Monate her

……hatte ich hier nicht schon vor einiger zeit geschrieben, daß ich bei einer rechtsanwalts-, notar-, wirtschaftsprüfer – kanzlei, an der ich beteiligt bin, dateien mit insolvenzen und insolvenzanzeichen einsehen konnte, die alle branchen – auch aurubis – betraf, mit 100 tausend arbeitslosen. wir sind dabei noch zu retten, was zu retten sich lohnt. ich landete heute morgen – 3uhr dreißig hier um noch restposten abzuwickeln und noch einige ehemaligen mitarbeiter zu überzeugen mit uns mitzuziehen, und dzu biete ich den einiges zusätzlich! für morgen lade ich zur besprechung in unser gästehaus! heute muß ich noch riewekooche, schwarzbrot, leber. und blutwurst… Mehr

AnSi
5 Monate her
Antworten an  friedrich - wilhelm

Richtig so! Retten Sie, was noch zu retten ist und wer sich retten lassen will, ist herzlich willkommen! Machen wir ganz genau so! Nächste Woche fliegen wir noch einmal nach D um die Reste abzuwickeln. Grüße aus Ohio

Ernst K.
5 Monate her

Deindustrialisierung, vor kurzem noch in den Bereich der Verschwörungstheorien verwiesen, ist inzwischen Realität. Selbst die Mainstream-Medien verwenden diesen Begriff.
Und der Michel schenkt den Abwrack-Parteien, d.h.Ampel und Union, einen Wahlsieg nach dem anderen.

Jerry
5 Monate her

J. Fischer hat (hätte) schon deshalb unrecht, weil wir eben nicht, oder nicht mehr, fleissiger sind als der Rest Europas. Man braucht sich nur die Generation Z anschauen, die kriegen ja schon einen Nervenzusammenbruch wenn sie mal4 Stunden am Stück arbeiten müssen.

Georg J
5 Monate her

Roland Tichy hatte kürzlich Habecks „Wirtschaftspolitik“ mit „teuer ersetzt billig“ treffend beschrieben. Ich würde mit Bezug auf die Stromerzeugung ergänzen: „teuer und nicht effizient ersetzt billig und effizient“.
Mit dieser „Wirtschaftsphilosophie“ kann man nur flächendeckenden Wohlstandsverlust und Deindustrialisierung generieren, egal welche „Wummse“ oder „Doppelwummse“ das kurzfristig verschleiern. Endweder das grüne „Energieende“ wird beseitigt oder der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands geht ungebremst weiter. Ein dazwischen gibt es nicht.

Last edited 5 Monate her by Georg J
Haba Orwell
5 Monate her
Antworten an  Georg J

Die Briten schalten massenweise Kühlschränke aus, um Strom und Kosten zu sparen. Viele wärmen sich in kommunalen Wärmestuben. Ist das der Great Reset, den der Charlie Blue Blood mit dem Herrn Schwab verkündete? Wird das bald auch in Deutschland kommen?

Contra Merkl
5 Monate her
Antworten an  Haba Orwell

Das kommt schon jetzt das man bei der Bundeswehr sich bei den Heizkosten verrechnet hat. Rinderrouladen und Fisch gibt es nicht mehr und die Stube bleibt auch kalt. Ich sehe mit meinem geistigen Auge schon Soldaten bei der Tafel anstehen und sich in Wärmestuben aufwärmen. Vielleicht finden sich noch ein paar verschimmelte Holzkisten wo mal Munition drin war für ein Feuer in der Kaserne.