Jahresbericht der Wehrbeauftragten: Der Bundeswehr fehlt es „an allem“

Die Zeitenwende ist bislang nicht bei der Bundeswehr wirksam geworden. Die Wehrbeauftragte Eva Högl stellt fest, dass vom 100-Mrd.-Sondervermögen noch kein Cent ausgegeben wurde. Sie fordert, Reglementierungen zurückzunehmen und Bürokratie abzubauen.

IMAGO / Political-Moments

Die Zeitenwende“-Rede des Bundeskanzlers vom 27. Januar 2022, drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, liegt kaum mehr als zwölf Monate zurück. Versprochen hatte Scholz, dass die Bundeswehr „mindestens mit 2 Prozent“ des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgestattet werde. Wovon man noch weit entfernt ist. Versprochen und angeleiert hat Scholz damals auch ein „Sondervermögen“ (also Schulden) von 100 Milliarden Euro für Auf- und Nachrüstung der desolaten Bundeswehr. Recht viel besser steht die Bundeswehr freilich nach wie vor nicht da. Nun gut, die 13 Ministermonate einer in diesem Amt völlig deplatzierten Christine Lambrecht (SPD) sind Vergangenheit, und mit Boris Pistorius (SPD) ist im Bendlerblock ein Mann eingezogen, der einen Draht zur Truppe hat und auch unangenehme Wahrheiten ausspricht. Zum Beispiel: „Wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind.“

Aber von „Zeitenwende“ in puncto Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ist wenig zu vermelden. Wäre nicht Pistorius Verteidigungsminister, sondern eine „grüne“ Annalena Baerbock, könnte sie diesmal geometrisch richtig von einer 360-Grad-Drehung sprechen. Also alles beim Alten? Klar, die Bundeswehr hat schweres Gerät in die Ukraine geliefert, aber es offenbar kaum hingekriegt, dafür Ersatz zu schaffen. Nicht einmal die Panzerhaubitzen PzH 2000, die an die Ukraine geliefert wurden, sind nachbestellt worden. Und auch an Munition fehlt es hinten und vorne.

Högl: Der Bundeswehr fehlt es „an allem“

Zu spät – Zu teuer – Untauglich – Verworfen
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Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl SPD), stellte nun am Dienstag, 14. März, turnusgemäß ihren Jahresbericht für 2022 vor. Eigentlich ist der/die Wehrbeauftragte Anwalt der Soldaten und kein Neben-Verteidigungsminister. In Zeiten des Ukraine-Russland-Krieges aber verschwimmen hier die Rollen. Erneut forderte Högl, die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie und das Beschaffungswesen hochzufahren. Denn der Bundeswehr fehle es „an allem“. Verschiedentlich sprach Högl zuvor bereits von einem Bedarf an 300 Milliarden für die Bundeswehr. Ganz so forsch tritt Pistorius übrigens nicht auf, aber immerhin sagt er deutlich: 100 Milliarden reichen nicht. Bei beiden, Pistorius und Högl, hat sich wohl herumgesprochen, dass die 100 Milliarden „Sondervermögen“ jetzt schon nur noch rund 70 Milliarden wert sind, weil Inflationsraten und Zinslasten eingerechnet werden müssen.

Der eigentliche Hammer, den Högl nun losließ, lautete: „Von den 100 Milliarden ist im Jahr 2022 noch gar kein Euro und Cent bei der Bundeswehr angekommen.“ Und weiter: „Das Beschaffungswesen ist zu behäbig … Es dauert alles viel zu lange … Es muss noch deutlich mehr der Turbo angestellt werden. Das Geld muss spürbar bei der Truppe ankommen und zwar zügig“, forderte Högl. Insgesamt sollten Reglementierungen zurückgenommen und Bürokratie abgebaut werden. Den eingeschlagenen Weg, marktverfügbare Produkte anstelle von „Goldrandlösungen“ zu beschaffen, müsse die Bundeswehr konsequent fortführen. Denn wenn es bei dem aktuellen Tempo und den bestehenden Rahmenbedingungen bliebe, würde es ein halbes Jahrhundert dauern, bis die bestehende Infrastruktur der Bundeswehr, vor allem die Kasernen, komplett modernisiert wäre. Das Sondervermögen könne daher nur ein Zwischenschritt sein auf dem Weg zu einer „kaltstartfähigen, vollständig einsatzbereiten und gut ausgestatteten Bundeswehr“. Getan habe sich aber erschreckend wenig, monierte Eva Högl in ihrem Jahresbericht.

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Högls Kritik wird vielfach geteilt. Von der Union, von den Grünen und von Fachverbänden. Vor der Vorstellung des Högl-Berichts meinte Patrick Sensburg (vormaliger CDU-MdB und Oberst d.R.) als Präsident des Deutschen Reservistenverbandes: „Im zweiten Jahr muss die Zeitenwende nun bei der aktiven Truppe und der Reserve ankommen, sonst wird sie ein Rohrkrepierer.“ Sensburg sagte der Augsburger Allgemeinen: „Eine Zeitenwende auszurufen ist richtig, denn die Bundeswehr muss ertüchtigt werden, ihre Aufgaben zu leisten. Im Kern sind dies die Landes- und Bündnisverteidigung. Auf dem eingeschlagenen Weg ist man aber im ersten Jahr nicht viel weitergekommen.“ Weder seien „ausreichend Waffensysteme, Munition und Ausrüstung allgemein“ angeschafft worden, noch sei „die Motivation in der aktiven Truppe und der Reserve derart gesteigert worden, dass wir Personal gewinnen“. Verteidigungsminister Pistorius müsse nun dafür sorgen, dass Vergabeverfahren schneller abgearbeitet werden. Anton Hofreiter von den Grünen kritisierte ebenfalls die schleppende Beschaffung wichtiger Rüstungsgüter. Das vergangene Jahr sei in dieser Hinsicht ein „weitgehend verlorenes“ gewesen.

Generalinspekteur Eberhard Zorn muss gehen – Ein Bauernopfer?

Es scheint eine ausgemachte Sache zu sein: Der knapp fünf Jahre auf diesem Posten amtierende bisherige Generalinspekteur Eberhard Zorn soll durch Generalleutnant Carsten Breuer ersetzt werden. Breuer ist aktuell Chef des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Zuvor hatte er den Corona-Krisenstab der Bundesregierung geleitet. Neu besetzt werden soll auch der Posten von Staatssekretärin Margaretha Sudhof: An ihre Stelle soll Nils Hilmer treten, der mit Pistorius aus dem niedersächsischen Innenministerium nach Berlin gewechselt war.

Pistorius hatte zuletzt wiederholt angemerkt, dass er organisatorische Umstellungen plane. Warum Zorn daran glauben muss und Breuer kommt? Man kann nur rätseln. Zorn trägt sicher ein Stück Verantwortung, dass die letzten Jahre mit der Bundeswehr nichts voranging. Dafür braucht es jetzt wohl ein Bauernopfer, nachdem zuletzt Ministerin Lambrecht den Hut hatte nehmen müssen. Womöglich war Zorn auch Kanzler Scholz zu träge. Scholz könnte die Neubesetzung initiiert haben. Schließlich hat er Breuer in seiner Aufgabe als Chef des Corona-Krisentabes schätzen gelernt. Breuer gilt nun als „Mann des Kanzlers“. Das kann Breuers Aufgabe erleichtern, aber auch zu Argwohn in der Generalität führen.


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Kommentare ( 16 )

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Or
1 Jahr her

Ich musste erst mal nachschlagen, was die Aufgabe von diesem Wehrbeauftragte ist. Die allwissende Müllhalde weiß unter … https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wehrbeauftragter_des_Deutschen_Bundestages … zu berichten. „Im Wehrbeauftragtengesetz ist festgelegt, dass der Wehrbeauftragte auf Eingabe von Soldaten der Bundeswehr oder auf eigene Initiative immer dann tätig wird, wenn ihm Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Grundsätze der Inneren Führung schließen lassen.“ Sollte dann nicht der/die/das Wehrbeauftragte a.) ein Soldat sein, weil der sich mit den Befindlichkeiten und Problemen von Soldaten auskennt. b.) von den Soldaten direkt auch gewählt/bestimmt werden können. Also ich kann mir keinen Angehörigen der… Mehr

MichaelR
1 Jahr her
Antworten an  Or

Dass der Wehrbeauftragte ein Zivilist ist, hat einen bestimmten Grund: Derjenige ist neutral und kann Dinge ganz anders beurteilen. Ein Zivilist ist nämlich gerade bei Beschwerden gezwungen, das Soldatengesetz nicht nur zu kennen, sondern sich im Rahmen der Einzelfälle eingehend damit zu befassen. Die Vorarbeit die bei jeder Beschwerdebearbeitung getan werden muss, obliegt dem Mitarbeiterstab. Der Wehrbeauftragte prüft vorgeschlagene Maßnahmen, wobei eine Ermahnung an die Dienstpflichten desjenigen gerichtet ist, gegen den man die Beschwerde führte. Der jährliche Bericht des Wehrbeauftragten, dass mir während meiner Dienstzeit immer vorlag, hat verdeutlicht, dass ein Soldat genau die falsche Besetzung wäre, denn wie heißt… Mehr

Schwermetaller
1 Jahr her

Na, daß noch kein Cent des Sondervermögens ausgegeben wurde, glaube ich nicht. Wie sehen denn die Kontostände der üblichen Verdächtigen aus?
Nicht verteidungsfähig? Na, alles andere wäre auch ja total Nazi und ginge gar nicht.
Ich selbst bin verteidigungsfähig. Und somit unerwünscht, verhasst & vermaledeit und werde bestimmt auch bald verrecken. Oder auch nicht. Du, Bio-Kartoffel, stehst gerade vorm Messermann, hast Angst und brauchst Hilfe? Darf ich mal Deinen Lebensberechtigungsschein sehen? Messermann hat einen, sonst hätte er es nicht bis hierhin mit ner Waffe in der Hand geschafft, den brauch ich nicht kontrollieren…

Alfred Werner
1 Jahr her

Ich finde es genial, Schulden in Milliardenhöhe in „Sondervermögen“ umzubenennen. Man muß sich halt zu helfen wissen. Trotzdem – sollte der gesellige Herr Trump nächstes Jahr wieder amerikanischer Präsident sein, dann schaut es militärisch für Europa zappenduster aus. Ich frage mich angesichts der ganz klar erklärten Pläne Putins ernsthaft, ob man dann nicht zweckmäßigerweise Europa verläßt. Dieser lausige Schwafelverein, der die europäischen Länder regiert bekommt hier gar nichts auf die Reihe. Da kann man den Russen gleich die Haustür aufmachen. Vielleicht kann man es ja mit Gendern und Wokeness schaffen, dass sie sich totlachen. Oder man schickt ihnen eine Armee… Mehr

Rainer Schweitzer
1 Jahr her

„Von den 100 Milliarden ist im Jahr 2022 noch gar kein Euro und Cent bei der Bundeswehr angekommen.“ Klasse Leistung von Scholz und der Bundesregierung! Von einer Anhebung des Verteidigungsetats auf 2 % des BIP ist schon gar nicht mehr die Rede. Wie auch? Das Geld ist ja fest verplant für soziale Wohltaten, z.B. die Rente mit 63 für die Babyboomer, während die Jüngeren bis 70 arbeiten sollen. Klar, aufgrund ihrer schieren Zahl bestimmen die Babyboomer den Ausgang von Wahlen. Oder die unproduktive Subvention von Bahntickets, wodurch dieser dann Geld für die Instandhaltung fehlt, das durch Steuermittel wieder ausgeglichen werden… Mehr

Aegnor
1 Jahr her

Bundeswehr ist ein zwiespältiges Thema. An sich finde ich es gut eine einsatzbereite Armee hinter sich zu wissen, die das Land verteidigen kann. Dafür bin ich auch bereit meine Steuergelder zur Verfügung zu stellen. Allerdings sollte diese Armee, wenn sie schon von uns bezahlt (und personell gestellt) wird, auch unsere Interessen verteidigen. Und nicht polnische, amerikanische oder französische Interessen. D.h. es darf keine vollständige Integration in die Nato-Kommandostruktur und damit Fremdbestimmung geben. Bündnisfähig ja, aber eben nicht mehr. Wenn das nicht geht, weil die WK2-Siegermächte uns immer noch keine Souveränität zugestehen, dann halt gar keine Armee. Sollen sie doch ihr… Mehr

h.milde
1 Jahr her

Aber, die Buntwehr hat doch unter UvDL begonnen sich mit Darkrooms aufzumunitionieren? Der Fisch stinkt vom Kopf, zuerst. Eine Generalität, die es anscheinend jahrelang widerspruchslos hinnahm, auf Geheiß & Kommando einer befähigungsfreien Oberkommandeuse & deren #Richtlinienkompenzia sich defacto entwaffnen, einige würden vllt. detestikulxxxx zu lassen, aber dafür allerlei queeren Personen irre Karrierechancen & Lametta samt Darkrooms & schwangerentauglich gefanzerten Tierkanonenzahrfeuge zu beschaffen, hat seine Berufsausübungsberechtigung verloren und muß demissioniert werden. Als Austragshäusl höchstens im Varieté als Domptuere & Konferenciérs eines Cage aux folles verwendbar. Was allerdings die immer bestens gelaunte „Wehrbeauftragte“ Högel betrifft, ordne ich sie eher auch zu der… Mehr

Lucius de Geer
1 Jahr her

Der wuchernde Beamtenapparat hält sich selbst am Leben und mästet sich – solange es noch etwas zu holen gibt – an den Nettostaats-Finanzierern. Mit diesen Performance-Bremsern, die nicht nur bei der BW alles lähmen und den Bürgern und Unternehmern, wo es nur geht, das Leben schwermachen, wird sich keiner anlegen. Außerdem ist seitens Washingtons eine wirklich starke deutsche Armee seit 1989 nicht mehr gewollt. Also bleibt alles, wie es ist. Ich frage mich nur: Wer geht eigentlich noch zu dieser Gurkentruppe?

Laconic
1 Jahr her

Der „Flaschenhals“ bei der (Wieder-)Aufrüstung der BW ist die Beschaffungsbehörde BAINBw. Die ist nicht alleine an der Misere bei Rüstungsvorhaben schuld, aber ohne eine Veränderung dort wird das alles nichts.

JuergenR
1 Jahr her

Ich habe Högls unpassendes Verhalten anläßlich einer ernsten Angelegenheit noch gut in Erinnerung und ebenso wie sie an diesen Posten gekommen ist. Mehr möchte ich dazu nicht kommentieren.

November Man
1 Jahr her

Die deutschen Bürger dieses Landes sollten sich mal fragen warum unsere Bundeswehr nicht verteidigungsfähig ist und in so einem erbärmlichen Zustand gehalten wird. Denn auch dafür gibt es Gründe.