Olaf Scholz und Co. drücken sich vor klaren Aussagen

Die Ukraine verlieren oder den Krieg zu einer Schlacht zwischen Nato und Russland eskalieren lassen? Darum geht es in der Taurus-Frage. Der sprachliche Eiertanz, den die Verantwortlichen dazu aufführen, lässt die Menschen verängstigt und frustriert zurück.

IMAGO / Christian Spicker

Als Winston Churchill 1940 Premierminister wurde, stand Großbritannien unter Schock – stand die ganze freie Welt unter Schock: Völlig überraschend überrannte die „Wehrmacht“ die damals größte Landstreitmacht der Welt in nur wenigen Wochen. Dramatische Fehler der französischen Führung hatten diesen erfolgreichen „Blitzkrieg“ ermöglicht. Ein deutscher „Endsieg“ war in diesem Moment tatsächlich möglich. In dieser Situation wandte sich Churchill an die Briten: Er schilderte seinen Bürgern offen die Lage, machte ihnen klar, dass sie kämpfen müssten – falls notwendig, allein – und versprach ihnen nichts außer Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen.

Maximal möglicher Bruch: Wir kommen von Winston Churchill zu Olaf Scholz (SPD). Der Kanzler warf im Bundestag Norbert Röttgen (CDU) vor, mehr zu wissen als das Volk und mit diesem Wissensvorsprung Politik zu machen. Röttgen hielt dagegen, es sei umgekehrt: Scholz wisse Dinge, die das Volk nicht wisse und informiere es falsch, um damit Politik zu machen. Großbritannien hatte in seiner schwersten Stunde einen Mann an der Spitze, der zu führen verstand. Deutschland verfügt über eine betreute Kindergartengruppe, die dem Ernst der Stunde nicht annäherend gewachsen ist.

Es ist das Gegenteil von ungewöhnlich, wenn ein Regierungschef mehr weiß als das Volk. Der Auslands-Geheimdienst müsste sich sonst schon die Frage stellen lassen, warum er da ist. Auch dass ein führender Oppositionspolitiker mehr weiß als Max Mustermann, sollte eher die Regel sein. Das ist nicht der Punkt. Entscheidend ist, dass die politisch Verantwortlichen ein Land im Unklaren lassen über das, was ihm bevorsteht. Angst und Frust, die so entstehen, sind die direkte Schuld von Olaf Scholz.

So entsteht durch eine Kommunikation des Nichtgesagten. Eine Kommunikation des Gemeinten. Wenn Bettina Stark-Watzinger (FDP) Zivilschutzübungen an Schulen fordert, sagt das im Subtext, dass der Luftangriff – oder Atomangriff – demnächst für die Schüler zum Alltag werden. Wenn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vom „Einfrieren des Krieges“ und Friedensverhandlungen mit Russland spricht, klingt das nach einer baldigen Kapitulation der Ukraine.

Nun: Grundsätzlich gibt es nur drei Möglichkeiten: Die erste ist unrealistisch, nämlich dass die Ukraine Russland demnächst niederwirft. Das schreibt noch nicht einmal mehr die Bild. Die zwei anderen sind eben eine ukrainische Kapitulation oder aber ein Jahre dauernder Stellungskrieg. Zu dem ist die Ukraine aber offensichtlich kaum noch in der Lage. Also müssen die Nato-Verbündeten ihre Hilfe für die Ukraine eskalieren. Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht bereits über den Einsatz von Bodentruppen.

Olaf Scholz spricht von … Ja, wovon eigentlich? Nachdem Winston Churchill zum Volk gesprochen hatte, wussten die Briten, was Sache ist. Wenn Olaf Scholz zum Volk spricht, muss man danach den einen Teil wecken – der andere rätselt über die Frage, was er da eigentlich gesagt hat. Er wolle keine Taurusraketen liefern und deutsche Soldaten an deren Zielführung beteiligen, weil Deutschland dann Kriegspartei würde. Womit er aber nicht sage, dass Großbritannien Kriegspartei sei, weil es Raketensysteme liefert und sich deren Soldaten an der Zielführung der Raketen beteiligen. So kann man sich vielleicht aus seiner Schuld am Cum-Ex-Skandal rausquatschen – aber ein Land nicht auf einen Krieg vorbereiten.

Scholz steht an der Stelle, an der John F. Kennedy 1963 stand: Der wollte den Vietnamkrieg nicht eskalieren lassen. Die Entsendung von Bodentruppen waren seine rote Linie, die Kennedy auch einhielt. Obwohl starke Kräfte, darunter sein eigener Sicherheitsrat, drängten, den amerikanischen Einsatz in Vietnam eskalieren zu lassen. Nach Kennedys Tod war der Weg frei und der Vietnamkrieg eskalierte ab 1964 zu dem, was die Historiker heute über ihn zu erzählen haben.

Auch Scholz steht unter Druck, weil er die deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg nicht eskalieren lassen will. Die Oppositionspartei CDU drängt ihn, die eigenen Koalitionspartner FDP und Grüne – vor allem aber die Nato-Partner. Bisher hat noch jedes Nachgeben dazu geführt, dass die nächste Forderung aus der Ukraine kam. Was mit der Lieferung von Helmen begann, stoppt aktuell an der Frage von Taurus-Raketen – gibt Scholz nach, ist die nächste Forderung die nach Kampfflugzeugen. Bis zum Entsenden deutscher Soldaten in die Ukraine gibt es dann nicht mehr viele rote Linien, die noch zu überqueren wären.

Deutsche Soldaten auf dem Weg nach Russland? Das war schon einmal eine schlechte Idee. Und damals gab es noch nicht einmal Atomraketen oder Wasserstoffbomben. Wenn Scholz also die Eskalation des deutschen Engagements bremsen will und sich gegen einen Krieg Nato gegen Russland ausspricht, hätte er vermutlich eine Mehrheit des Volkes auf seiner Seite. Er müsste es eben diesem Volk nur auch so sagen, dass es versteht, was er meint. Sein Koalitionspartner FDP ist da deutlicher in seiner Sprache. Wenn eine Regierung Kinder den Krieg hat üben lassen, hat sie diese Kinder bisher noch immer auch tatsächlich in den Krieg gezogen.

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Kommentare ( 95 )

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Innere Unruhe
1 Monat her

„Olaf Scholz spricht von … Ja, wovon eigentlich? Nachdem Winston Churchill zum Volk gesprochen hatte, wussten die Briten, was Sache ist. Wenn Olaf Scholz zum Volk spricht, muss man danach den einen Teil wecken – der andere rätselt über die Frage, was er da eigentlich gesagt hat.“ Gott sei Dank, ich bin nicht die einzige, die sich fragt, was gerade gesagt wurde. Manchmal zweifle ich an meinem Verstand, weil ich eben nicht verstehe, was gesagt wird. Es will nicht zu dem passen, was ich sehe… Wie soll ich bitte zur Wahl gehen und wählen? Im Zweifel wähle ich den, den… Mehr

November Man
1 Monat her

Herr Scholz hat doch eine klare Aussage gemacht: Keine Taurus-Raketen in das Kriegsgebiet Ukraine!
Und genau darin liegt das Problem. Wenn eine linker Politiker zu einem Krieg so eine Aussage macht ist es meistens eine glatte Lüge. Ich vermute die deutschen Taurus-Raketen sind bereits geliefert.  

STRichter
1 Monat her

Es zeigt sich jetzt, dass Chamberlain nicht so naiv war. ES war ihm offensichtlich klar, dass er mit seiner Appeasement-Politik Deutschland nicht auf Dauer ruhigstellen konnte. Er hat sich Zeit gekauft. Der Preis war die Tschechoslowakei, worauf Großbritannien nicht sehr stolz sein sollte. Aber diese gekaufte Zeit haben die Briten genutzt, und als die Deutschen dann kamen, waren sie nicht unvorbereitet. Will Deutschland das eventuell mit Russland genauso machen, und der Preis soll die Ukraine sein? Mit mutwillig herbeigeführter Abhängigkeit von russischen Energieträgern und mit Waffenlieferungen zur Gesichtswahrung, für beeindruckende Summen, aber zu spät und nicht das, was gebraucht wird?… Mehr

giesemann
1 Monat her

Wir sollten die Russen zur nächsten Sitzung des NATO-Russland-Rates einladen, mal sehen, ob er kömmt. Zitat: Auf Initiative Russlands rief Jens Stoltenberg eine Sitzung des NATO-Russland-Rates zum 12. Januar 2022 ein. Anlass waren die Erörterung der russischen militärischen Bedrohung der Ukraine und ein direkter Dialog über von Russland verlangte „Sicherheitsgarantien“, die eine weitere Osterweiterung der NATO und die Stationierung von NATO-Waffen in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen hätten ausschließen sollen.[11] Das erste Treffen von Vertretern der 30 NATO-Staaten und Russlands seit mehr als zwei Jahren brachte jedoch keine Ergebnisse. Nach Angaben von NATO-Generalsekretär Stoltenberg gab es „signifikante Differenzen“, allerdings auch von russischer Seite… Mehr

Haba Orwell
1 Monat her

Klare Aussagen kommen aus Russland – da die bisherige Bahnlinie Rostow-Krim noch zu nah der Front liegt und oft beschossen wird und auch die Krim-Brücke wegen häufiger Angriffe oft gesperrt wird (derzeit bis etwa 30 Züge pro Tag), soll eine neue Bahnlinie entlang der Küste des Asowschen Meeres gebaut werden. An die Termine kann ich kaum glauben: Baubeginn noch im März, Fertigstellung im September. In Buntschland würde man Jahrzehnte brauchen.

Fuerstibuersti
1 Monat her

Nur um mal die Größenordnungen der Zerstörung anzudeuten: Im Oktober 1958 zündete die Sowjetunion die „Tzar Bombe“. Bis dagin waren die usa führend mit einer 35 MT HBombe. MT steht für Mega Tonne TNT, also der Detonationskraft von 1 MillionenTonnen TNT – auf einen einzigen Schlag gezündet. Kurz: unvorstellbar. Die USA waren stolz wie Oscar. Bis es eines Tages auf einer abgelegenen Halbinsel im Nordmeer fürchterlich krachte. So laut, daß noch im 1000 KM entfernten Norwegen die Fensterscheiben rausflogen. Die Schockwelle raste zweieinhalbmal um den Erdball. Bald stellte sich heraus, daß die Russen ein Ungetüm mit geschätzten 55 MT Sprengkraft… Mehr

Haba Orwell
1 Monat her
Antworten an  Fuerstibuersti

Neben den Satans gibt es noch die Poseidons, die 100 MT auf dem Seeweg vorbeibringen können, unter Wasser. Praktisch nicht aufzuspüren, 10.000 Kilometer Reichweite. Die sollen US-Küstengebiete anpeilen – 2-3 solche Dinger und die USA bestehen nur noch aus roten Bundesstaaten im Landesinneren.

Kommt man im Westen nicht auf die Idee, dass man statt „Russland eindämmen“, „China eindämmen“, bald vermutlich „Indien eindämmen“ friedlich leben und für etwas Wohlstand sorgen könnte? Etwas, was gerade im Westen immer rarer wird.

Laurenz
1 Monat her

Herr Thurnes, Historiker werden Sie in diesem Leben nicht mehr. Britannien & Frankreich hatten diesen Krieg gegen Deutschland angefangen, wie auch schon den Krieg zuvor.

klaudia
1 Monat her

Zar Peter wurde von Putin positiv erwähnt. Und darauf beruht jetzt die ständige Wiederholung der Annahme, dass putin Europa militärisch unterwerfen will. Tut mir leid, dass reicht mir nicht, um in den dritten Weltkrieg zu ziehen. Und nein, auch seine angebliche Bemerkung, dass der Untergang der Sowjetunion eine Tragödie war, ist für mich kein ausreichender Grund.

klaudia
1 Monat her

Also, eine großen Fuehrer Churchill braucht Deutschland gewiss nicht. Die Russen greifen Deutschland nicht an. Winston hat daher im Artikel eigentlich nichts zu suchen.

Eugen Karl
1 Monat her

Was tun? Wach werden, aufstehen und kalt duschen.