Polit-Zwillinge Donald Trump & Marine Le Pen: Im Westen viel Neues

Nach Osteuropa wendet sich auch Westeuropa wieder dem Nationalstaat zu und von der EU ab. Ist Merkel Vergangenheit und die Zukunft Le Pen?

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Pat Buchanan schreibt in seinem gestrigen Kommentar „America and France Turn Right“ lapidar: „Angela Merkel and open borders are yesterday in Europe; Marine Le Pen is tomorrow.” Also: „Angela Merkel und offene Grenzen, das war gestern, Marine Le Pen ist morgen.“

Buchanan ist Sohn irischer Einwanderer nach Amerika mit deutschen, schottischen und irischen Vorfahren. Auch wenn es sicher nicht an den Genen des Knochenkonservativen liegt, der bei Präsident Ronald Reagan als Kommunikationschef des Weißen Hauses diente, manche unserer Klischees von gestern mausern sich in Europa zur Realität von heute und morgen. Donald Trump & Marine Le Pen als Polit-Zwillinge – das sollte uns Warnung genug sein.

America’s turn to the right will continue

Amerika bewegt sich nach rechts, nicht erst seit San Bernardino, aber nun erst recht, sagt Buchanan und verweist auf die noch nie dagewesene Umfragen-Zustimmungsrate von 20 Prozent für Donald Trump. Dass alle Welt seine neueste Forderung nach einem Einreiseverbot für Muslime empört zurückweist, schadet seiner Zustimmungsrate nicht, im Gegenteil. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Umfrageergebnisse des Trumpinators nicht seinen politischen Inhalten gelten, sondern ihm als Symbol des Protests gegen Washington, gegen „die da oben“, gegen den politischen-bürokratischen Komplex der USA.

Nicht anders ist es mit Marine Le Pen, deren Front National ein nationalistisch-marxistisches Misch-Masch-Programm hat, das an die Nationalsozialisten erinnert. Ihren Wahlerfolg verdankt sie dem Protest vieler Franzosen gegen Frankreichs Classe Politique. Trump und Le Pen treten als Politik-Terminator auf – Stoff für einen Hollywood-Streifen, vielleicht mit Gene Hackman und Meryl Streep. Den schrägen Charme von Donald Trump bringt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nicht auf die Matte und Beata Szydlo entfaltet nicht die Wirkung von Marine Le Pen. Aber Szydlo und Le Pen haben beide die EU-Flagge aus ihren öffentlichen Auftritten verbannt.

Die polnischen Konservativen (PiS) lenkt öffentlich sichtbar aus dem Hintergrund Jaroslaw Kaczynski, der Prawo i Sprawiedliwość, Partei für Recht und Gerechtigkeit, zusammen mit seinem Zwillingsbruder Lech als Partei der kleinen Leute, vor allem der Wende-Verlierer 2001 gründete. Die Regierungsübernahme durch die liberal-konservative Bürgerplattform,  Platforma Obywatelska (PO), von Donald Tusk währte nur von 2007 bis 2015. Das polnische Beispiel zeigt wie das ungarische, wie sich zuerst in Osteuropa und nun in Westeuropa die politischen Winde drehen.

Der Wind dreht auch in den USA. Trumps Aussperrungsforderung für Muslims fand sofort sein Echo bei Präsident Obama. Am Sonntag kündigte er nicht nur eine Verstärkung des Luftkrieges in Irak und Syrien an, sondern verlangte schärfere Sicherheitskontrollen bei der Einreise und räumte extremistische Ideologien in manchen Muslim-Communities ein, welche die Muslime als echtes Problem erkennen müssten. Pat Buchanan schreibt:

„And every new atrocity, whether of the work place or Islamist variety, will make cops more popular and guns seem more essential. – New horrors are likely ahead — that will continue America’s turn to the right.”

Jedes neue Gräuel, sei es am Arbeitsplatz oder im islamistischen Spektrum, wird Polizisten populärer und Schießeisen wichtiger machen. – Neue Schrecken liegen wahrscheinlich vor uns – und werden Amerikas Rechtswendung fortsetzen.

Zurück zum Nationalstaat

Die Phase der Abwendung von nationalen Betrachtungsweisen hin zu europäischen ist zu Ende – jedenfalls zum Europäischen, wie eine wachsende Zahl Europäer die EU mit ihren Institutionen als seelenloses bürokratisches Monster wahrnehmen,

  • das sich in jeden kleinsten Winkel des menschlichen Lebens einmischt,
  • dieses solange normt, bis die Form endgültig über den Inhalt triumphiert,
  • sich gleichzeitig vor den großen Problemen der Unruheherde im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika drückt,
  • in der Jahrhundert-Herausforderung Migration kläglich versagt
  • und mit ihren überhöhten Dotierungen für die Kommissionsmitglieder und die EU-Beamten wie die Europaabgeordneten ein schlechtes Beispiel gibt.

Diese EU wollen immer mehr in allen Mitgliedsländern nicht mehr haben. Lieber wollen viele zurück in die Zeiten von EWG und EFTA. Diese Stimmung geht Hand in Hand mit dem Wunsch potentieller Mehrheiten in den Nationalstaaten, alles wieder in die eigene Regie zu übernehmen, EU-Harmonisierung zurückzunehmen und jedenfalls nicht fortzusetzen. Vieles an der Anti-TTIP-Kampagne ist zugleich Anti-EU.

In Südeuropa stützt sich die neue portugiesische Regierung von António Costa auf seine Partido Socialista (PS), die altstalinistische Coligação Democrática Unitária (CDU) und die linke Abspaltung Bloco de Esquerda (BE). Gemeinsam wollen sie die Löhne und Renten der Beamten erhöhen, durch „Reichensteuern“ und Staatsschulden finanzieren. Der Sparkurs der Vorgängerregierung und damit der Gehorsam Brüssel gegenüber soll beendet und zurückgedreht werden. Welche Signalwirkung das beim spanischen Nachbarn bei den bevorstehenden Wahlen hat, werden wir bald wissen.

Nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs zog eine Welle der Hinwendung zur EU durch die aus der Sowjetunion entlassenen Länder. Schon damals gründeten sich dort überall politische Kräfte, die wieder dort anknüpfen wollten, was ihre Gesellschaften vor dem Zweiten Weltkrieg ausmachte. Ein paar Jahrzehnte konnte der Westen insgesamt, die NATO und vor allem die EU die östlichen Völker ein gutes Stück weit für unsere Laissez-Faire-Gesellschaften gewinnen.

Die EU verspielt ihre Strahlkraft

Je mehr unsere Laissez-Faire-Gesellschaften diesen Namen nicht mehr wegen ihrer relativen hohen wirtschaftlichen und geistigen Freiheit verdienen, sondern wegen der zunehmenden Beliebigkeit und Belanglosigkeit unserer kulturellen Werte, je freier wir also in einem sehr vordergründigen Sinne wurden, desto zentralistisch-bürokratisch-kleinkarierter wurde gleichzeitig die EU und desto konformer und unpolitischer unser öffentlicher Raum – und desto mehr begannen die alten Sowjetsatelliten und neuen EU-Mitglieder sich wieder von uns abzuwenden; am Westen und der NATO interessiert sie nur noch die Sicherheit vor Putin und an der EU nur noch die Zuschusstöpfe.

Unter den Blinden sind Einäugige König
Blauer Brief aus Paris: schlechte Noten für Hollande und Merkel & Co.
Im Norden ist Schweden nach Dänemark aus der Gruppe der Migrations-freundlichen Länder ausgeschert. Ihre nationalistischen Parteien ähneln denen in den anderen älteren EU-Ländern und ihre Programme für noch mehr Staat auch. Mit Frankreich fasst die Abkehrbewegung von der EU in Westeuropa Fuß und verstärkt sich in dieser Wirkung mit dem Vereinigten Königreich gegenseitig. Nach Syriza in Griechenland kommt Portugal dazu. Ergreift diese Welle auch Spanien, steht der nächste Test in Italien bevor.

Gegen TTIP und gegen „Austeritätspolitik“ als aktuelle Form von Anti-Kapitalismus und Anti-Amerikanismus werden von den Parteien, die als Rechtsaußen eingeordnet werden, usurpiert. In den Gefilden der NGOs lohnt sicher der Blick auf die Veränderungen in der Zusammensetzung von Attac und anderen. Die gemäßigte wie radikale Linke verliert ihr Monopol. Dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Zulaufs zur AfD von Wählern der Linkspartei kommt, fügt sich nahtlos ins Bild. Wie in Osteuropa mischt sich der Protest gegen „die da oben“ zuhause und in Brüssel in den Wählerschaften der Kräfte links und rechts der meist (noch) zur politischen Mitte zählenden Regierungsparteien. Nach Ungarn hat Polen sich zu den Regierungen gesellt, die nicht zur politischen Mitte zählen.

In diesem Beitrag geht es nicht um die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Aber für die beschriebenen Entwicklungen darf sie nicht außen vor bleiben. Denn sie wirkt als mächtiger Antriebsmotor. Le Pen hat in den letzten drei Wochen vor den Wahlen deshalb überdurchschnittlich viele Wähler hinzugewonnen. SPD, Linkspartei und Grüne in Deutschland stagnieren in den Umfragen: das gleiche Bild in den meisten anderen Ländern. Die Geschichte ist voller Paradoxien, in unseren Tagen könnte sie eine doppelte sein. Die Linke verliert nicht nur Wahlen, sondern auch ihre Themen.

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