Parteiausschlüsse: Der Umgang mit Wagenknecht, Sarrazin, Palmer, Maaßen müsste alarmieren

Wer anders tickt, wird realiter oder qua Diskurs exkommuniziert, also wörtlich: aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Er gilt den Medien als „umstritten“, als „Polarisierer“. Das sind die 08/15-Etiketten, hinter denen sich eine intellektuell und in Sachen Bildung ausgedünnte Polit- und Medien-Kaste versteckt.

IMAGO / Jürgen Heinrich

Deutschlands arrivierte Parteien werden immer mehr zu „closed shops“, in denen Andersdenkende oder gar Abweichler nichts zu suchen haben. Das dürfte einer der Gründe sein, warum die Mitgliederzahlen seit 25 Jahren im Sturzflug sind. Die CDU fiel von 657.000 Mitgliedern im Jahr 1995 auf zuletzt 399.000; die SPD im gleichen Zeitraum von 817.000 auf 404.000. Die Zahl aller in einer Partei eingeschriebenen Bürger machte 1995 rund 1,90 Millionen, zuletzt 1,2 Millionen aus.

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Parteistrategen verschließen davor die Augen; sie lügen sich in die Tasche, wenn sie diesen Aderlass mit Veränderungen in den Milieus erklären. Es stimmt: Die Bindekraft vor allem der „Volksparteien“ hat nachgelassen, das konnte man spätestens ab 2015 sehen, als die vormaligen Volksparteien weit unter 40 Prozent (CDU/CSU) oder gar unter 20 Prozent (SPD) Wählerstimmen fielen. Nutznießer sind – zumindest phasenweise – die „Grünen“ und die AfD. Beide wollen Volkspartei werden, sie sind es aber allenfalls als westdeutsche Milieu-Partei im großstädtischen, studentischen Bereich (Grüne) oder mehr und mehr als ostdeutsche Regionalpartei.

Weil aber unter dem Strich alle an Bindekraft verlieren (siehe die Wahlbeteiligungen von knapp über 60 Prozent), meinen vor allem die „Altparteien“ (AfD-Jargon), noch homogener (bezeichnenderweise etwa im Einsatz für Diversität), noch konformer mit sich selbst werden zu müssen.

Der Fall Palmer zeigt: Für Querdenker und Realisten ist bei den Grünen kein Platz
Wer anders tickt, wird realiter oder qua Diskurs exkommuniziert, also wörtlich: aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Er gilt – von den Medien brav zitiert – als „umstritten“, als „Polarisierer“. Das sind die 08/15-Etiketten, hinter denen sich eine intellektuell und in Sachen Bildung ausgedünnte Polit- und Medien-Kaste versteckt.

Thilo Sarrazin (vormals SPD) hat das hinter sich. Boris Palmer („Grüne“) hat das vor sich. Einen Hans-Georg Maaßen würde man seitens CDU/CSU auch gerne loshaben, wenn man denn halbwegs hieb- und stichfeste Gründe fände. Eine Werte-Union wird von der CDU/CSU gar nicht erst als Untergliederung anerkannt und schon auch mal von einem Alt-Vor-Vorderen namens Elmar Brok als „Krebsgeschwür“ pathologisiert.

Jetzt soll es die vormalige Vorzeigelinke Sarah Wagenknecht erwischen. Eben erst war sie mit allerdings mageren 61 Prozent zur Spitzenkandidatin der NRW-Linken für die Bundestagswahl nominiert worden, da gibt es auch schon Anträge aus dem Parteiinnern, sie aus der Partei auszuschließen. Warum? Weil sie (siehe die Parallele zu Sarrazin!) ein Buch geschrieben hat, und zwar ein unbequemes mit dem Titel „Die Selbstgerechten“. Einen solchen Spiegel vorgehalten zu bekommen verträgt sich nicht mit dem Selbstverständnis alter Kader und ach so junger „Wokies“.

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Thilo Sarrazin ist nicht mehr Mitglied der SPD
Was schreibt Wagenknecht? Unter anderem attackiert sie die „immer beleidigten Mimosen“ unter den Linken (womit sie wohl auch die Grünen meint), das Eintreten für „immer skurrilere Minderheiten“ und die „Marotten“ identitärer Mini-Minderheitenpolitik, die das Land und jedes Wir-Gefühl atomisiert. Und nicht ganz neu aus dem Munde bzw. aus der Feder von Wagenknecht: Sie plädiert für einen Nationalstaat, weil nur dieser gerade für das schwächere Drittel einer Gesellschaft Sozialstaat sein könne. Wörtlich: Sozialstaat gehe nicht auf globaler oder europäischer Ebene, nur der Nationalstaat sei diejenige handlungsfähige Institution, um Märkte zu bändigen und sozialen Ausgleich zu erreichen. Dass ausgerechnet die „tageszeitung“ (taz) Wagenknecht für diese Argumente – auch ihre Absage an den Unsinn der Gendersprache – Platz schafft, macht die „taz“ fast (!) schon gelegentlich (!) lesenswert.

Das sind starke Worte, die Sarah Wagenknecht postwendend von den eigenen Leuten freilich als „AfD-Nähe“ und „Rassismus“ ausgelegt werden. Schade, dass es solche Einsichten in keiner CDU/CSU oder in keiner SPD mehr gibt!

Überfordert oder schwache Nerven?
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Sarrazin, Palmer, Maaßen, Wagenknecht, Werte-Union: Deren vollzogenen oder beantragten Ausschlüsse sind die prominentesten Beispiele für eine intellektuelle Verarmung politischer Debatten. Angesagt sind: Linientreue, einfältiger Corpsgeist, Mitläufertum, pseudointellektuelle Egalisierung, Uniformität, Konformität, Gesinnung von der Stange statt Urteilskraft. Was in der DDR als „fester Klassenstandpunkt“ erwartet wurde, ist heute ein „fester Parteistandpunkt“, der sich freilich von Partei zu Partei „politisch korrekt“ immer mehr angleicht.

Das sind die Gründe dafür, warum immer weniger Leute auch nur den Versuch unternehmen, in solch dicht geschlossenen Reihen zu bleiben oder dorthin einzutreten. Aber all dies kommt nicht nur einem intellektuellen Aderlass gleich, sondern es befördert auch, dass sich in den Parteien bis hinauf in deren Spitzen Mittelmaß breitmacht – und als solches (wie man an vielen deutschen Regierungsmannschaften erkennen kann) in höchste Fraktions- oder gar Staatsämter aufsteigt.


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Kommentare ( 92 )

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FionaMUC
2 Jahre her

Naja, Chancen erkennen! Nicht Jammern. Letztlich zeigen die Stalinisten aller Parteien den Weg: Die Verfemten und Ausgestoßenen mögen sich zusammentun und sie werden aus dem Stand alle bisherigen Nichtwähler mobilisieren. Ich moderiere gerne gratis das erste programmatische Zusammentreffen. Man könnte die neuen Phönix-Partei nennen …. damit Deutschland aus der Asche aufsteigt.
https://dr-berle.de/phoenix-aus-der-asche/ …. nur ein wenig MUT!

caesar4441
2 Jahre her

Parteimitglieder die eine falsche Meinung haben müssen ausgeschlossen werden.Das führt sicher dazu ,daß es keine Volksparteien mehr geben wird,sondern Interessensgruppen.Zum Regieren müssen sie diese eben zusammenschließen.Auch die CDU wurde aus drei Gruppen gebildet.

Axel Fachtan
2 Jahre her

Nein, es ist kein Wunder, dass die Parteien immer weniger Bindekraft haben. Denn sie dienen der Basis nicht mehr und hangeln sich nur noch mit Lügen und leeren Versprechen durch. Bundesminister wie Scheuer und Spahn produzieren erkennbar mehr Schaden als Nutzen. Dennoch bleiben sie in ihren Sesseln kleben. Die Politik ist U R S A C H E von Problemen. Zur Schaffung und Erhaltung von Wohlstand und Altersvorsorge taugt sie immer weniger. Es gibt immer weniger zu verteilen, aber es soll immer mehr umverteilt werden. Die Staatskasse ist eine Wundertüte. Alle nehmen was raus, aber dennoch bleibt sie wohlgefüllt. Die… Mehr

Simone
2 Jahre her

Mittelmaß? Sie scherzen. Mittelmaß ist der Durchschnitt, da befindet sich keiner die neuen Garde.

Georg J
2 Jahre her

Es bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Weggang der „alternativlosen“ Kanzlerin wieder mehr „Bonner Demokratie“ in Deutschland erlaubt sein wird und die SED-Praktiken der „gelenkten Demokratie“ endlich verschwinden. 16 Jahre Merkel waren 16 katatstrophale Jahre für die Demokratie in Deutschland. Der Weg zurück in eine lebendige und rechtsstaatliche Demokratie wird lange dauern und Zivilcourage erfordern, aber die Alternative dazu wäre das endgültige Abgleiten in einen autoritären Staat, der dauerhaft nicht mit Gesetzen, sondern mit Verordnungen regiert und diese mit maximaler Staatsgewalt durchsetzt. Legislative und Judikative würden dann zum Arm der Exekutiven werden.

Last edited 2 Jahre her by Georg J
Tellerrand
2 Jahre her

Heute der Parteiausschluss, morgen Berufsverbote, übermorgen Lager und überübermorgen ?
Es ist sehr bedauerlich, dass gerade diejenigen welche sich immer auf den heiligen Krieg gegen Rechts(Andersdenkende) berufen, nicht erkennen, dass sie exakt die Methoden verwenden wegen denen sie Rechts so verteufeln.
Fr. Wagenknecht und Co. erfahren gerade am eigenen Leib etwas das schon vielen „Weltverbesserern“ widerfahren ist. Von der franz. Revolution über die russ. Revolution über die Kulturrevolution hin zu Berija und Ulbricht nach heute.
Die Revolution frisst Ihre Kinder!
Leider merken sie das immer erst wenn sie schon verdaut werden!

Christa Wallau
2 Jahre her

Es liegt in der Natur der Sache:
Mittelmäßig begabte Karrieristen in einer Partei hassen alle, die ihnen intellektuell und moralisch überlegen sind!
Diese Leute könnten ihnen sehr gefährlich werden, weil sie sie enttarnen könnten. Also müssen die klugen Denker raus aus dem Verein, jedenfalls müssen sie kaltgestellt werden.
Es lebe der angepaßte, karrieregeile Parteisoldat!

hagr
2 Jahre her

Sollen die Ausgestoßenen sich doch zusammentun und eine eigene Partei machen, ich würde sie wählen. Könnten sich ja die Vernünftigen aus anderen Parteien noch anschließen…

doncorleone46
2 Jahre her

Die Umstrittenen und die Polarisierer gestalten die Medien und zwar so, wie es der Glaube der Sekte verlangt. Die Sektenmitglieder sitzen in den Onlineredaktionen, den Redaktionen vom ÖR und den Chefredaktionen der Tages- und Wochenzeitungen.

Dennis Rieger
2 Jahre her

Gut beobachtet! Zwei Dinge fallen mir bei den vier Ausgestoßenen auf: Erstens handelt es sich bei allen vier Personen um weit überdurchschnittlich gebildete Politiker, was natürlich wegen abnehmender Bildung in diesem Land bei einem Großteil der Wähler nicht mehr gut ankommt. Man bevorzugt phrasendreschende Dampfplauderer wie Baerbock, Habeck oder Giffey, weil man sich mit denen ja so schön identifizieren kann. Und zweitens handelt es sich mit Ausnahme von Herrn Sarrazin, einem klassischen Wirtschaftsliberalen, bei dem man sich fragen muss, warum er in die SPD eingetreten ist, um Politiker, die den ursprünglichen Kern ihrer Parteien viel glaubwürdiger und mit viel mehr… Mehr