Neue antisemitische Karikaturen auf der Documenta: Was nun, Frau Roth?

Die Documenta-Geschäftsführerin wurde ersetzt – ihr Nachfolger widersetzte sich einer Aufklärung. Auf die versprochene und ausbleibende Aufarbeitung von Claudia Roth folgt das Auftauchen weiterer antisemitischer Motive, wie die Jüdische Allgemeine recherchiert hat. Der Skandal zieht sich immer weiter. Von Simon Ben Schumann und Max Mannhart

IMAGO / Rüdiger Wölk
Auf der aktuellen documenta sind erneut antisemitische Bilder entdeckt worden. Sie zeigen Juden als hakennasige, kindermordende Ungeheuer – und bedienen damit mittelalterliche Klischees. Die Empörung der letzten Wochen hat offenbar nichts bewirkt. Die neu aufgetauchten Bilder sind in ihrer judenfeindlichen Eindeutigkeit mindestens genauso problematisch wie jene „Kunst“, die bereits seit Wochen Gegenstand der Debatte ist. Wurden in den zuvor diskutierten Ausstellungsstücken Juden als Schweine und Vampire dargestellt, sind sie jetzt massenmordende Roboter. Eine Broschüre des „Archives of Women’s Struggles in Algeria“ enthält eine solche Karikatur. Sie hätte Julius Streicher vom „Stürmer“ sicher zugesagt.

Abgebildet ist eine hochgewachsene, blondhaarige Frau. Sie tritt einem deutlich kleineren Soldaten mit voller Wucht in den Schritt. Der Soldat hat eine übergroße, krumme Nase, Schläfenlocken und trägt einen Helm mit Davidstern. Im Hintergrund: ein Jude, der eine Araberin vergewaltigt. Die Gemälde zeigen israelische Soldaten, die statt menschlichen Gesichtern roboterhafte Züge aufweisen. Auf einem der Bilder ist im Hintergrund ein Massengrab erkennbar. Aus ihm ragen Körperteile der Begrabenen. Im Vordergrund: ein israelischer „Roboter-Soldat“ mit Davidstern auf dem Helm. Neben ihm ein unschuldig grübelndes Kind. Der Soldat hält diesem hinterrücks eine Pistole an den Kopf.

Israelis werden damit als eiskalte Kinder- und Massenmörder dargestellt. Blonde Frauen seien den kleingewachsenen, krummnasigen Juden aber überlegen. Antisemitische Rhetorik und Illustration aus düstersten NS-Zeiten.

Nach dem Beginn des Skandals versprachen alle Seiten Aufklärung. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, deren Rücktritt schon vor einem Monat von der Jüdischen Allgemeinen gefordert wurde, sprach zu Beginn der Kritikwelle an der Documenta im Juni in der Welt von einer „klaren Grenzüberschreitung“ – meinte allerdings nicht die antisemitischen Kunstwerke, sondern die Kritik an diesen. Persönliche Konsequenzen zog sie nicht.

Stattdessen trat die Documenta-Geschäftsführerin Schormann nach vielen Entschuldigungen ab – als Bauernopfer. Diese Personaländerung hatte offenkundig keine Folgen. Ihr Nachfolger, Alexander Farenholtz, sagte noch am 24. Juli in Kassel: „Ich glaube, dass die documenta als Ausstellung auf einem hervorragenden Kurs ist.“

— Jüdische Allgemeine (@JuedischeOnline) July 27, 2022

Eine Prüfung der ausgestellten Kunstwerke lehnte er allerdings ab. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass eine Kontrollinstanz eingeführt werde. Eine Kontrollinstanz, die überprüft, dass auf der Documenta kein Antisemitismus stattfindet – das wäre natürlich völlig absurd.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ), Josef Schuster, hat kein Verständnis für das Verhalten der Entscheidungsträger. In der Jüdischen Allgemeinen sagte er: „Ebenso wie Frau Schormann, scheint auch Herr Farenholtz nicht bereit zu sein, gegenüber Israelfeinden Haltung einzunehmen.“ Eine versprochene, fachwissenschaftliche Begleitung hätte allerhand zu tun. Niemand bei der Documenta sei laut Schuster bereit, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen oder ihn zu verhindern.

Die Rufe nach einem Rücktritt Claudia Roths, die eigentlich Verantwortliche, werden deshalb lauter. Und das zurecht! Obwohl sie in der Pflicht steht, obwohl sie Aufklärung zugesagt hat, wird sie abermals von den aktuellen Enthüllungen seitens der Medien konfrontiert. Sie hat das Ersetzen des einen Documenta-Geschäftsführers durch den anderen als Schleier genutzt, um sich aus der Affäre zu ziehen. Sie hat die Documenta gedeckt – wieder und wieder. Roth hat die Rufe nach Aufklärung und Aufarbeitung bekämpft, hat nichts unternommen, als mitten in Deutschland der Welt Judenhass in seiner dumpfesten Form präsentiert wurde.

Claudia Roth als Verantwortliche in der Regierung hat sich mindestens durch ihre Tatenlosigkeit in diesem sich fortsetzenden Skandal schuldig gemacht – und damit Deutschlands Ruf vor der Welt beschädigt. Und es ist mehr als ein Versehen oder eine Unachtsamkeit: Roths eigene ideologische Nähe zu den bei der Documenta propagierten Thesen vom „antikolonialen“ Kampf hat sie für israelbezogenen Antisemitismus blind gemacht. Zu gut passt die Idee, dass der jüdisch-christliche Westen immer der Böse ist, ins Weltbild einer traditionell israelfeindlichen deutschen Linken.

Claudia Roths Rücktritt ist nun bereits doppelt gerechtfertigt.


Von Simon Ben Schumann und Max Mannhart

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