Merkels Hinterlassenschaft hat noch eine lange Halbwertszeit

Auch nach der Bundestagswahl stellen die Merkelianer die Mehrheit in der CDU/CSU-Fraktion. Dort bleiben sie mindestens bis zur nächsten Wahl am Ruder: egal ob in der Opposition oder in einer Jamaika-Koalition.

IMAGO / Emmanuele Contini
Vom scharfen Merkel-Kritiker zum "bedingungslosen Merkelianer" konvertiert: CSU-Vorsitzender Markus Söder. Im Hintergrund Annegret Kramp-Karrenbauer.

Irgendwann in den kommenden Wochen oder auch Monaten wird Angela Merkel aus dem Kanzleramt ausziehen. Man wird diesen Auszug in der ihr sehr geneigten Apportierpresse mit Elogen, Ehrentiteln, Heiligsprechungen und mit viel Trennungsschmerz begleiten. Aber gemach: Das System Merkel ist damit nicht am Ende. Nein, es hat noch eine sehr lange Halbwertszeit vor sich. Das betrifft ihre „Sach“-Politik, und es betrifft ihre Personalpolitik.

Zur „Sach“-Politik: Merkel, die angeblich rationale Naturwissenschaftlerin, die vermeintlich alles nüchtern vom Ende her denkt, hat Deutschland mit einsamen, verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Entscheidungen eine gewaltige Last hinterlassen. Die Abschaltung der wohl sichersten Atomkraftwerke der Welt ist eine ihrer im wahrsten Sinn des Wortes nachhaltigen Hinterlassenschaften: siehe die damit verbundenen explodierenden Strompreise, die Zerstörung von Kulturlandschaften durch Windräder, drohende Blackouts und Abwanderung wichtiger Industriezweige. Eine weitere Hinterlassenschaft ist die Grenzöffnung von 2015, die einen hunderttausendfachen Asylmissbrauch, Antisemitismus, Vergewaltigungen und Morde ins Land holte. Von den Milliardenkosten für die sozialen Sicherungssysteme ganz zu schweigen.

Diese beiden Beispiele mögen reichen, um Merkel als die grün-ökosozialistische Kanzlerin in die Geschichtsbücher eingehen zu lassen. Die Baerbocks, Habecks, Hofreiters usw. hätten es nicht besser und effektiver hingekriegt. Aber die Letzteren hatten ja auch nicht die braven und (ge)wichtigen Gefolgsleute, auf die Merkel in der CDU rechnen konnte: die Laschets, von der Leyens, Brinkhaus‘, Kauders, Spahns, Klöckners, Strobls, Bouffiers, Kramp-Karrenbauers, Daniel Günthers, Altmaiers, Brauns, Widmann-Mauz‘, Grütters‘, Seehofers usw.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Damit sind wir bei der Personalpolitik: Merkel hat ihren Ziehvater Helmut Kohl politisch beiseite geräumt. Ende 1999 mit dem Satz: „Die Partei muss laufen lernen.“ Aber sie hat die CDU nicht zum Laufen gebracht, sondern alsbald in den Rollstuhl verdonnert. Sie hat einen Wolfgang Schäuble, Jürgen Rüttgers, Norbert Röttgen, Roland Koch, Friedrich Merz usw. erniedrigt. Sie hat zwei Bundespräsidenten installieren lassen, die ihrem Amt nicht gewachsen waren bzw. sind. Sie hat renommierte Sicherheitsexperten feuern lassen, etwa Hans-Georg Maaßen. Von den vielen im zweiten Glied, die Merkel auf dem Kerbholz hat, wollen wir gar nicht reden.

Und jetzt kommt das wirklich Nachhaltige: Auch nach der jüngsten Bundestagswahl stellen die Merkelianer aktiv oder zumindest passiv die Mehrheit in der CDU/CSU-Fraktion. Dort haben die Merkelianer noch eine ziemlich lange Halbwertszeit, sie bleiben mindestens bis zur nächsten Wahl am Ruder: egal ob in der Opposition oder in einer Jamaika-Koalition. Denn die meisten der eigenständigen Köpfe unter den Unions-MdBs sind rausgeflogen: zum Beispiel Sylvia Pantel, Hans-Jürgen Irmer, Veronika Bellmann und Saskia Ludwig. Arnold Vaatz ist schon gar nicht erst wieder angetreten. Und von außen mischt einer mit, der vom scharfen Merkel-Kritiker zum bedingungslosen Merkelianer konvertierte – in der Religionspsychologie nennt man so etwas Konvertiteneifer: alles Vorherige vergessen und 200-prozentig das Gegenteil vertreten ist das Merkmal. Und er hat einen Namen: Markus Söder.

Wie geht es weiter? Die CDU/CSU wird den Grünen und der FDP das letzte Tafelsilber anbieten, das sie programmatisch eigentlich schon gar nicht mehr hat. Womöglich auch das Amt des Bundespräsidenten, über das Kandidat Olaf Scholz nicht verfügen kann, denn dann müsste er Frank-Walter Steinmeier fallen lassen, der schon vor Wochen für eine zweite Amtszeit mit den Hufen scharrte. Aber die CDU/CSU kann Steinmeier fallen lassen, nicht um eine „grüne“ Göring-Eckardt dort zu installieren, sondern zum Beispiel einen Winfried Kretschmann.

Von Letzterem, mittlerweile dem Übervater der „Grünen“, hängt viel ab. Setzt er sich durch oder der nach wie vor mit allen Wassern gewaschene und mit allen Mitteln tricksende Jürgen Trittin?

Und die CDU/CSU? Mit Armin Laschet wird sie alles über sich ergehen lassen und mitmachen. Oder aber Laschet stürzt. Dann muss die CDU einen neuen Parteivorsitzenden wählen. Das kann in einem dritten Anlauf nur Friedrich Merz sein. Dann wird es richtig spannend, wie die Merkelianer in der Fraktion die Wendehälse geben.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 78 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

78 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
usalloch
2 Jahre her

Excellente Beurteilung. Die Frage die sich seit 16 Jahren aber stellt, ist doch die. Wer hat dieser Frau, die aus der Kälte kam, den Weg vorbereitet.

Cethegus
2 Jahre her

Ich fürchte noch wichtiger als das von Ihnen Angeführte ist eine ganz andere Hinterlassenschaft von Merkel, nämlich zuzulassen, daß der Linksblock definieren darf was hier im Land Nazi ist und was nicht und auch noch fleißig dabei mitzumachen! Dadurch hat sie den Linken das Mittel in die Hand gegeben die CDU und letztlich das Land zu zerstören.

Sonny
2 Jahre her

Ich frage mich wirklich, ob mittlerweile der größte Teil unseres Parlamentes so denkt:
‚Nach mir die Sintflut. Hauptsache, ich habe meine Schäfchen im Trockenen.‘
Das sind wahrlich keine „Volksvertreter“ mehr, sondern eine eigene, neu ernannte Adelskaste. Un
Aber das ist wohl so. Kein Patriotismus, keine Solidarität, keinerlei Empathie, nicht wirklich. Und genau deshalb müssen auch diese Wähler, die ein Weiter so gewählt haben, denken. Obwohl alle, gemeinsam, das Gegenteil behaupten.

Last edited 2 Jahre her by Sonny
StefanB
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Aber ihre „nach mir die Sintflut“-Denke verpacken sie für den ordinären Pöbel ausreichend geschickt in Ihrer „Klima retten für die nächsten Generationen“-Propaganda.

usalloch
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Die jetzt ausgeschiedenen Parlamentarier verhalten sich wie ehemalige Leibeigene. „Die Herrin hat’s gegeben,die Herrin hat’s genommen. der Name der Herrin sei gepriesen.“

Gerro Medicus
2 Jahre her

Wenn eine Legislaturperiode eine Halbwertszeit ist, dann müssen wir noch 40 Jahre (10 Halbwertszeiten) warten, bis der Merkelismus auf 1 Promille abgesunken ist (vorausgesetzt, dass System verhält sich wirklich wie radioaktiver Zerfall. Das ist aber keinesfalls sicher.) Gut, wenn es schneller geht, schlecht, wenn es länger dauert.

StefanB
2 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Das wäre ca. so lange, wie die DDR 1.0 existiert hat. Geschichte soll sich ja angeblich nicht wiederholen – man kann daran zweifeln.

Falk
2 Jahre her

Halbwertszeit „ihrer“ Hinterlassenschaften?? Ich finde diese Beschreibung passt überhaupt nicht. Die Hinterlassenschaften werden demnächst erst so richtig „zünden“. Was beispielsweise seit 2015 im großen Stil „hinterlassen wird… Auch das Beispiel der AKW, die Energiewende generell und allem was direkt und indirekt daran hängt, weiter über Sozialkassen, Bildung…!! Genau genommen, kieselt es doch überall!?! Oder gibt es irgendwo tatsächlich doch spürbare positive Entwicklungen? Nur ein sofortiges und energisches dagegensteuern, könnte dieser „Misere“ evtl. noch einen Halbwertszeit-Charakter geben. Da ich, was das betrifft, zu einem absoluten Pessimisten geworden bin (ich kann beim besten Willen keine Anzeichen eines Gegensteuerns erkennen, im Gegenteil) gehe… Mehr

MfS-HN-182366
2 Jahre her
Antworten an  Falk

Nur ein sofortiges und energisches dagegensteuern, könnte dieser „Misere“ evtl. noch einen Halbwertszeit-Charakter geben.“
Gut, einen Steuermann könnte man finden, aber wer/was/wie treibt das Schlachtschiff an? Das Deutsche Volk, mit seiner Tradition und Geschichte, gibt es nicht mehr – nur noch „die schon länger hier Lebenden“.
Amen!

Nibelung
2 Jahre her

Was war, wissen wir und eigentlich sollte sie nach dem Ausscheiden noch ihre wahre Gesinnung bestätigen. Entweder ist sie gesundheitlich angeschlagen und hält sich nur mit Spezialtherapien über Wasser oder sie wird anschließend überall auf der Welt dort erscheinen, wo man ja weiß, wie die ticken und das wäre dann der entgültige Beweis ihrer Auftragspolitik und ihre Lakaien werden es sicherlich noch eine Weile weiter verfolgen. bis sie merken, daß es der falsche Weg war. Ihr Niedergang ist doch durch ihre Handlungsweise offensichtlich und das ist der stumme Schrei nach Veränderung, wenn auch noch nicht so laut und brutal, aber… Mehr

Warte nicht auf bessre zeiten
2 Jahre her

„Merkelianer“? Der König ist tot. Es lebe der König. Ich erwarte absolut nichts Gutes von den Unions-BT-Abgeordneten, aber ganz bestimmt nicht, dass sie sich als aufrechte Merkelanhänger in Szene setzen. Die hängen ihr Fähnchen weiter in den Wind bzw. rennen den Ergebnissen von Meinungsumfragen hinterher. Wenn das Merkelianer sein bedeutet, o.k., das werden wir erleben, aber kaum eine treue Schar von Merkelrittern.

tube
2 Jahre her

Helmut Kohl sagte im Herbst 2005 kurz vor Merkels 1. Amtsantritt als Kanzlerin: „zuerst wird sie die CDU zerstören und dann Deutschland“
Seine Vorhersage war zutreffend, nur die Reihenfolge war genau andersrum.

doncorleone46
2 Jahre her

Sehr wichtiger und richtiger Beitrag. Meine Schätzung bis Merkel abgeschüttelt ist, liegt bei 10 Jahren. Dazu kommt noch die Zeit um Deutschland zu alter Stärke zurückzubringen. Das dauert nach m. Einschätzung 2 Generationen.
Man darf gespannt sein.

moorwald
2 Jahre her
Antworten an  doncorleone46

„Deutschland zu alter Stärke zurückbringen…“ Wer will das? Die Parteien (bis auf eine machtlose) haben alles mögliche in ihren Programmen – aber nicht die Mehrung oder auch nur Bewahrung des Wohlstandes. Stattdessen Utopien, Phantasmen, Wahngebilde. Vorausgehen müßte eine Stärkung des Nationalgefühl, die Implementierung eines „Wir“. Die Deutschen müßten sich auf das besinnen. was sie einmal gut konnten. Weg von „Klimarettung“, „Energiewende“, Aufnahme aller Armen dieser Welt. Also weg vom Gutseinwollen hin zum Tüchtigseinwollen… Für ihre Tüchtigkeit und Erfindungsgabe wurden sei einmal zwar nicht geliebt, aber geachtet. Mit ihren ins ganz Große ausgreifenden, ihre Kräfte und Möglichkeiten grotesk übersteigenden Plänen machen… Mehr

elly
2 Jahre her

Merkels Hinterlassenschaft hat noch eine lange Halbwertszeit“
alleine die Zahlungsverpflichtungen, die sie für Deutschland einging haben eine sehr lange Halbwertszeit.

puke_on_IM-ERIKA
2 Jahre her
Antworten an  elly

Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und als Lohnsteuerzahler ausfallen, ist es mit dem EU Zahlungs- und Rettungswahnsinn aus der Deutschen Kasse vorbei.

Aegnor
2 Jahre her
Antworten an  puke_on_IM-ERIKA

Da wäre ich mir nicht so sicher. Auch Anfang der 2000er Jahre, als Deutschland noch der „kranke Mann Europas“ war, durfte der deutsche Steuerzahler schon als Hauptzahler die EU finanzieren. Auch wenn hier alles vor die Hunde geht – das Geld für die heilige EU (und auch für die Politiker-Pensionen) wird immer noch irgendwie vorhanden sein. Und wenn man die Steuern (Vermögens+Einkommens) auf 100% erhöhen muss.