Kreuzberg surreal: Görli unseres Missvergnügens

Berlin kann noch weniger als keinen Flughafen fertigstellen. Im Görlitzer Park im angesagten Kreuzberg trifft eine transkontinentale Sozialromantik auf den hohlen Klang des Neu-Berliner Urbanismus.

Imago Images / Joko
Görlitzer Park, Berlin

Die Würde des Görli ist unantastbar. Kommerz soll dem edlen Grün fernbleiben. Dagegen gilt die Frage nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten für untergetauchte Migranten als durchaus berechtigt. So lässt sich das Kreuzberger Meinungsklima von heute – zumindest dessen lautstärkerer Teil – zusammenfassen. Andere Stimmen, die von nächtlichem Krawall, Prügeleien und wachsender Aggressivität erzählen, drohen in der sich selbst affirmierenden Berliner Stadtwildnis und ihrer hypertrophen Toleranz für die Abweichung unterzugehen.

Torsten Akmann (SPD), seit 2016 als Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport tätig, will den Görlitzer Park nun einzäunen lassen, um ihn nachts schließen zu können und so zumindest einigermaßen für Ordnung und Ruhe zu sorgen. Bei einem Gang durch die Grünanlage hatte er zuvor feststellen müssen, dass sich dort fast nur Dealer, aber kaum Familien aufhalten. Die linksliberale taz erklärte den Vorschlag sogleich zum Windei, das angesichts der rot-grün-roten Mehrheit im Berliner Stadtparlament nicht auf Zustimmung hoffen könne. Der Neu-Berliner Akmann wusste vielleicht noch nichts von der eingewurzelten Angewohnheit der hauptstädtischen Polit-Szene, jeden Mini-Fortschritt solange zu torpedieren, bis der Status quo wieder gesichert ist.

Immer wieder Berlin
Der Weg in die Wohn-Knechtschaft
Es gehört eben zur Berliner Folklore, dass Schulkindern, die tagsüber durch den Park laufen, schon mal »etwas Härteres« angeboten wird. Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (auch SPD) hat der Görli jedenfalls noch keine Priorität, erst muss ja der nicht mehr ganz nagelneue Flughafen vor dem Zuwachsen bewahrt werden. Ein umfassendes Sicherheitskonzept für den Kreuzberger Park und seine Umgebung wäre nötig, scheint derzeit aber nicht einmal im Ansatz vorhanden. Das Gerede von Abschiebungen, die – wie sogleich zugegeben wird – »kein leichtes Unterfangen« seien, ist offenbar Sand für die Augen des Publikums.

Berliner Ruinenarchitektur des hohlen Zahns

Die Parkanlage selbst gehört zu der für West-Berlin typischen Ruinenarchitektur des hohlen Zahns und dem dazu passenden Städtebau. Nachdem der klassizistische Bau des alten Görlitzer Bahnhofs in den sechziger Jahren gesprengt wurde (die Anwohner protestierten damals), diente das Areal zunächst noch halbwegs industriellen Zwecken, Kohlenhalden und Güterverkehr. Erst in den achtziger Jahren wünschte sich die örtliche Hausbesetzerszene ein schöneres Viertel und setzte den Ausbau zu einer amorphen Grünfläche mit verstreuten Betonelementen durch – von einem Park im französischen oder auch nur englischen Sinn kann man sicher nicht sprechen. (Bei den Parks am Berliner Süd-, West- oder Nordende schaut es übrigens nicht viel besser oder ästhetischer aus, zum Teil sogar im mancherorts herausgeputzten Tiergarten. Viel Schwund ist da und leider zu wenig Gartenbaukunst. Die Belle Époque – aus dieser Zeit stammt ein Großteil der Bauelemente – verfällt hier ganz buchstäblich Tag für Tag.)

In Kreuzberg greifen Spezialisten wie die Sprecherin des sogenannten »Parkrats« Anna Bernegg unterdessen zum therapeutischen Parkaufenthalt, wie die Welt berichtete. Trotz eigenem Unwohlgefühl sucht Bernegg mittlerweile »bewusst« die Konfrontation mit dem Ursprung ihrer Beunruhigung. So entstehen die »schönen Abende« im Görli, bei denen man die geschäftigen Drogendealer offenbar nach Kräften ausblendet oder zum pittoresken Detail im Abendrot des Okzidents verklärt. Mancher Anwohner erkennt sogar moralische Stärke in den jungen Westafrikanern: Sie verdienen sich ihre Turnschuhe selbst, warten nicht auf Papas Taschengeld. Zudem müssen sie ja ihre Schleppergebühren abarbeiten, stünden »total unter Druck«, übrigens auch durch ihre Familien, die auf frisches Geld aus Europa warten. Da ist es natürlich verständlich, dass man am Abend mal laute Musik anmacht, wenn sich im Laufe des Tages wieder kein Job gefunden hat.

Pittoreske Details im Abendrot des Okzidents

Im Kommentarbereich des Welt-Artikels geht die Rechtfertigung der unguten Zustände teils noch weiter: »Ein Flüchtling Mitte 20, ohne Schulbildung und Ausbildung ist möglicherweise für die großen Drogenhändler der ideale Arbeitnehmer«, vermutet ein Nutzer namens »Ralf S.« dort. Die »Frage nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten für untergetauchte Flüchtlinge« hält er deshalb für berechtigt. Also Drogendealer als Opfer: der Nachfrage von Groß- nach Kleindealern zum einen, des Jobmangels für nicht-dokumentierte Grenzübertreter zum anderen. Andere Leser können sich über so viel »Empathie und Mitgefühl« für Rechtsbrecher nur noch wundern. Manch einer stellt gar die böse Frage, inwieweit der Senat von seiner Toleranz profitiert: Berlin als Partymetropole wäre ohne diese Zustände wohl weniger interessant.

Wenn Identität zum einzigen Lebenssinn wird
Bestseller-Autor Douglas Murray über den Wahnsinn der Massen
Die unlängst von offizieller Seite ausgegebene Devise lautet denn auch: »Keine Gruppe darf diskriminiert werden, keine den Park dominieren«. Daher die Fußballspiele zwischen Dealern und Nicht-Dealern und die Zuweisung eigener Standflächen für die örtlichen Koks- und Cannabislageristen. Mit rosa Sprühfarbenkreisen wollte ein frisch bestallter Parkmanager erreichen, dass sich Spaziergänger nicht gleich bei Betreten des Parks durch das Spalier der Dealer bedrängt fühlen. Diese Linie des Störe-meine-Kreise-nicht ist nun aber auch schon wieder passé. Der neueste Plan des Bezirks ist »Döner gegen Drogen«: Mit traditionellen Kreuzberger Spezialitäten sollen die Dealer verscheucht werden. Allerdings muss man auch hiermit vorsichtig sein, denn gemäß dem antikapitalistischen Konsens des Parkrats soll »Kommerz im Görli vermieden werden« (das kennen wir schon vom Tempelhofer Feld).

Ein zerfasernder Pluralismus regiert – wo bleibt das Gemeinsame?

Das etwas zu sehr pluralistische Motto (»keine Gruppe darf diskriminiert werden«) erinnert dabei vage an die typische Antwort der derzeitigen CDU-Führung auf die Vokabel »konservativ«: Keine der drei Unions-Säulen – christlich-sozial, liberal und konservativ – dürfe dominieren, hört man da uniform, zumindest wenn die Kanzlerin und ihr breiteres Gefolge sprechen. Dabei ist klar, dass wirklich konservatives Denken zwischen dem allfälligen Kult der Deutschland-AG – egal ob nun privatwirtschaftlich oder staatsdirigistisch aufgebaut – und der gelegentlich noch christlich verbrämten Sozialpolitik kaum noch vorkommt.

Ähnlich schlecht steht es mit der angeblich gewollten Gleichberechtigung der Gruppen im Görlitzer Park. Der bürgerliche Parkbesucher sieht sich einer Allianz von ›Anwohnerräten‹ und Drogengewerbe gegenüber (tatsächlich halten die im Park engagierten, weitgehend linksgestrickten »Initiativen« eine strukturelle Mehrheit im »Parkrat«). Zu aller Anfang müsste man wohl die Frage stellen, ob es eine Gleichberechtigung von Rechtsbrechern überhaupt geben soll, kann oder darf. Nach Meinung von Lorenz Rollhäuser, auch er ein Sprecher des »Parkrats«, muss das Dealen jedenfalls nicht aufhören. »Nö, nö«, sagt Rollhäuser, niemand habe etwas dagegen, wenn »an drei, vier Stellen im Park Cannabis verkauft« werde. »Das stört ja niemanden.« *Ironie ab* Natürlich ist es nicht nur Cannabis, um von der Umfeldkriminalität zu schweigen.

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Kommentare ( 19 )

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Schwabenwilli
4 Jahre her

Mein Gott, wo hatte ich nur meinen Kopf? Die Mauer die einst durch Berlin ging wird jetzt drumherum gebaut und das gesammelte Elend und Kriminalität der Republik darin einquartiert. Frau Merkel braucht sich aber keine Hoffnungen machen dass der Snake Plissken sie da wieder raus holt.

Pegg Ida
4 Jahre her

Ich habe grad‘ ne richtig gute Idee: Der Görli ist ein Problem, Wohnungsnot ist ein Problem! Görli einebnen, voll mit Plattenbauten, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! 🙂

Martin W.
4 Jahre her

Demnächst im Görlitzer Park: „Kzskzskzs…….Weed?…….Koks?…..preisgedeckelte Wohnung?“??????

Biskaborn
4 Jahre her

Sind die Berliner wirklich so verwirrt oder tun die nur so? Denke auch hier ist es wie in Deutschland überall, nichts hören und nichts sehen wollen. Wer weit genug weg wohnt den interessiert es ohnehin nicht, die zucken allenfalls mit den Schultern. Also lassen wir doch alle, ob Berliner oder nicht, diesen komischen Görli wie er ist. Denke, es gibt wichtigere Themen.

Schonclode
4 Jahre her

Im Aufbau von Blendwerk waren die Neu Berliner schon immer sagenhaft verbal kreativ.
Ich gehe davon aus das die Blenderfassaden am Potsdamer Platz immer noch da sind.

Lu Ziffer
4 Jahre her

Wo bleibt die Berliner Mauer? Rundum und mit Einwegschleusen! Ich bleib draußen und das ist gut so. Wer bezahlt das eigentlich alles, ach ja steht ja im Artikel.
Gibt ja zum Glück noch andere (Haupt)Städte in Europa.

derblondehans
4 Jahre her

… Berlin geht unter wie die Hure Babylon.

Paul Pimmel - der Herr des Kosmos
4 Jahre her

„Ein umfassendes Sicherheitskonzept für den Kreuzberger Park und seine Umgebung wäre nötig.“ Das derzeitige Sicherheitskonzept ist perfekt. Die Dealer sind im Park sicher, und der Rest der dort Menschenden teilt sich in die, die den Status quo gut finden, und die, die noch an ihrer Toleranz feilen müssen.

Senni
4 Jahre her

7 Tage Berlin gebucht – zurück ging es nach 4 Tagen ! Ohne die Handtasche meiner Frau, ohne meine Armbanduhr und 4 Tagen angepöbbelt werden. Nie mehr Berlin !!!

Martin W.
4 Jahre her
Antworten an  Senni

Naja, ein bisschen übertrieben, oder? Ich kenne Berlin aus eigener langjähriger Anschauung und so schlimm ist es nun auch wieder nicht. ?

Schwabenwilli
4 Jahre her
Antworten an  Martin W.

Zur falschen Zeit am falschen Platz das geht in Berlin leider ganz schnell.

Sabine W.
4 Jahre her
Antworten an  Martin W.

Da muss ich auch gerade mal relativieren.
2x Berlin, Sommer 2012, Winter 2013.
Nette Pension in Steglitz, nix passiert in Öffis (trotz häufiger Nutzung quer durch Berlin), nix auf der Straße, alles entspannt, auch auf dem Alex, in Neukölln, sonstwo.

Was ich nicht weiß ist, wie es seitdem weitergegangen ist. Meine Erfahrungen sind womöglich ‚alt‘.

Schonclode
4 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

Ja, sie sind sehr alt. Ich kann von ganz anderen Erfahrungen berichten. Allein S-U Bahn Fahrten können ein Erlebnis für sich sein. Parkanlagen von Haus aus. Sehr zu Empfehlen die Parkanlagen an der Siegessäule. (Ich habe da im „Giraffenhaus/Tiergarten ge-
wohnt). Und, und…oder Berlin Mitte, gefühlte 90% Araber.
Mittlerweile wagt sich der Berliner Innen Senator nur unter Polizeischutz nach Neukölln.
Sowie die Monika Herrmann, bündnisgrüne Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, die keinen Fuß in die Parks setzen würde. Erst recht nicht des Nachts, sie hat einfach Schiss.
Also, da hilf nur eine erneute Berlinfahrt. Zwecks Auffrischung.

Martin L
4 Jahre her

Zum Glück lebe ich nicht in Berlin. Somit ist es mir schlicht egal. Und wer da hinziehen will, weil es so hipp ist, für den ist das eben auch hipp.