„Ein Recht auf Asyl, aber kein Recht auf Freizügigkeit in der Welt“

Ein Grüner entdeckt Grenzen und die eigene Partei bekommt Schnappatmung. Winfried Kretschmann spricht in Berlin über das Ende grenzenloser Freizügigkeit, als habe er den Realismus neu erfunden. Doch sein Satz trifft weniger die Welt, als auch ihn selbst: Sein Bundesland versinkt längst im Chaos einer Politik, die Ordnung nur noch rhetorisch kennt.

picture alliance/dpa | Marijan Murat

Winfried Kretschmann, dienstältester Ministerpräsident Deutschlands, präsentierte sich in Berlin als Stimme der Vernunft. Bei der Vorstellung seiner Biografie sprach der 77-Jährige über Maß, Verantwortung und Realität und sorgte mit einem Satz für viel Applaus unter den anwesenden Gästen: „Es gibt kein Recht auf Freizügigkeit in der Welt.“ So weit, so richtig.

Kretschmann hat Erfahrung, Regierungsjahre und die Gabe, als Nachdenklicher zu wirken, während er Politik als Machthandwerk betreibt. Seit 45 Jahren steht er für grüne Politik, seit über einem Jahrzehnt regiert er Baden-Württemberg mit dem Nimbus des Pragmatikers, der seine Partei zur Machtfähigkeit führte. Doch die Realität im Land lässt diesen Nimbus bröckeln.

Während Kretschmann in Berlin über Begrenzung spricht, erlebt sein Bundesland, was Entgrenzung bedeutet. 2023 registrierte die Polizei fast 600.000 Straftaten – der höchste Wert seit Jahren. Innenminister Thomas Strobl sprach dennoch von „einem der sichersten Länder Deutschlands“. Eine Einschätzung, die an der Lebenswirklichkeit sehr vieler vieler Bürger meilenweit vorbeigeht.

In Stuttgart, einst Sinnbild schwäbischer Ordnung, häufen sich Gewalt und Bandenkriminalität. Rivalisierende Gruppen liefern sich Auseinandersetzungen mit Schusswaffen und Handgranaten. Junge Männer mit Migrationshintergrund suchen in diesen Milieus Anerkennung – und finden sie in Gewalt. Das Landeskriminalamt spricht von einer „Eskalationsspirale der Vergeltung“.

Diese Entwicklung fällt in Kretschmanns Amtszeit und sie steht sinnbildlich für eine Politik, die Ordnung gern beschwört, aber ungern durchsetzt. Während er in Berlin über Rechtsbegriffe philosophiert, kämpfen die Behörden seines Landes gegen den jahrzehntelangen Kontrollverlust. Baden-Württemberg ist längst kein Hort der Stabilität mehr, sondern ein Land am Rand der Überforderung, auch der zunehmend wirtschaftlichen. In der jüngsten Umfrage kommt die AfD dort nun auf bemerkenswerte Zustimmungswerte.

Noch einmal deutlicher wurde Kretschmann, als es um die sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ ging – ein immerwährendes Reizthema bei den Grünen. In Marokko und Tunesien kann zwar jeder Mensch sofort Urlaub machen – aber ein sicheres Herkunftsland? Um Himmels willen! Diese Divergenz stellt den Spagat von Jean Claude van Damme wie einen Waisenknaben dar. „Das Asylrecht“, sagte er in Berlin, „ist für Menschen da, die politisch verfolgt werden – nicht für jene, die aus anderen, wenn auch nachvollziehbaren Gründen, ihr Land verlassen.“ Der Begriff „sicher“ sei juristisch unglücklich, doch entscheidend sei, dass Verfahren beschleunigt und Behörden entlastet würden. „Nur: das weiß so eine grüne Gemeinde nicht“, ergänzte er, „die hört Überschriften und fragt: Was macht der?“ 2014 hatte Kretschmann im Bundesrat dafür gestimmt, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären – gegen den Widerstand seiner Partei.

Der Mann, der heute Nüchternheit predigt, hat seine politische Laufbahn in einem Milieu begonnen, das das Gegenteil davon war: ideologischer Überschwang, Sendungsbewusstsein, Misstrauen gegenüber staatlicher Ordnung. In den 1970er-Jahren war Kretschmann Mitglied maoistischer K-Gruppen – jener Splitterzirkel, die sich im Schatten der Studentenbewegung als moralische Avantgarde verstanden. In diesem Milieu lernte er Rigorismus, Kollektivdenken und pädagogischen Machtinstinkt. Die Überzeugung, dass Gesellschaft erzogen werden müsse, hat ihn nie verlassen.

Diese Haltung prägte auch seine Zeit als Regierungschef: Baden-Württemberg wurde unter Kretschmann zum Labor eines grünen Paternalismus, in dem Bürger zu Objekten moralischer Erziehung werden. Wo früher Klassenkampf stand, heißt es heute „Klimaschutz“. Wo einst Revolution, steht nun „Transformation“. Die Sprache hat sich geändert, das Denken kaum.

Sein Regierungsstil gleicht weniger Verwaltung als Belehrung. Ob Heizen, Fahren oder Konsumieren: der Staat soll lenken, formen, erziehen. Doch während die grüne Theorie weiterlebt, verliert das Land an Substanz: in Bildung, Energie, Verkehr, Sicherheit. Die Probleme wachsen, der Ton bleibt beschwichtigend.

Die jüngsten Zahlen sind eine Bilanz der Wirklichkeit: steigende Straftaten, überlastete Kommunen, wachsender Kontrollverlust. Kretschmann, der einst Mao zitierte und später Hegel, steht vor dem Ergebnis einer Politik, die sich an moralischer Selbstgewissheit berauschte und an der Realität scheiterte. Sein Satz, es gebe kein Recht auf Freizügigkeit in der Welt, klingt deshalb nicht wie Weisheit, sondern wie das Eingeständnis, dass Politik ohne Grenzen an ihre eigenen stößt. Mit 77 Jahren, kurz vor politischem Feierabend, kann man so einen Satz auch schon mal zum besten geben und sich nochmal mit den jungen Radikalen der eigenen Partei anlegen. Das rutscht einem dann den Buckel runter.

Vom Maoisten zum Moralpädagogen: Kretschmann ist sich treu geblieben im Glauben, die Gesellschaft müsse erzogen werden. Nur dass sie inzwischen den Preis für seine Erziehung zahlt.

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Kommentare ( 76 )

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joe limburger
1 Monat her

Schmierige, wendehälsige Opportunisten, wo man hinblickt. Diese unsägliche Figur, komfordabel segelnd unter dem von ihm und seiner kommunistischen Mischpoke so sehr verachteten Wirtschaftserfolg bürgerlicher Arbeitnehmer in den Gravitationszentren hochentwickelter Maschinen- und Automobilbaukunst sieht seine Felle und die seiner grünen Saboteure davon schwimmen.
Das ekelhaft anbiedernde Geschätz dieses in der Wolle dunkelrot gefärbten ( Mao)Kommunisten ist kein Pfeifffen im Walde mehr, sondern Pfeiffen auf dem letzten Loch.
Winnie, wir kommen mit Safd& Krafd!!

giesemann
1 Monat her

Hat da einer erkannt, dass die Gewährung von Asyl absolut nichts zu tun hat mit der Invasion der Söhne Allahs? Uralte Erkenntnis: Es gab einmal einen NDR-Intendanten, der sagte, Zitat: SPD-Kommunalexperte Martin Neuffer (1924 – 2004) über die Ausländerpolitik der Bundesrepublik: Eine radikale Neuorientierung der Bonner Ausländerpolitik fordert der langjährige hannoversche Oberstadtdirektor, Städtetagpräside und NDR-Intendant Martin Neuffer, damals 57. In seinem soeben erschienenen Buch »Die Erde wächst nicht mit. Neue Politik in einer überbevölkerten Welt«. Verlag C. H. Beck, München; 195 Seiten; 17,80 Mark, plädiert der linke Sozialdemokrat dafür, die Einwanderung von Türken etc. in die Bundesrepublik »scharf« zu drosseln und auch das… Mehr

Mumbai
1 Monat her

Hallo, BA-WÜ = NRW in den öffentlichen Verkehrsmitteln sucht man die Deutschen vergeblich. Geschäfte alles in nicht deutscher Hand. Ich habe meine Heimatstadt auch nicht mehr wiedererkannt. Als ich mit dem vollbepackten BusNo:380 zu der Wohnung meiner Eltern gefahren bin, hätte es auch ein Bus aus Vorder -Asien sein können. Es waren genau 5 Deutsche drinn.Habe mich wie ein Tourist gefühlt. Das ging dann weiter so in der Wohnanlage meiner Eltern bzw.Stadtteil. Früher Akademiker Viertel,heute Slumkultur wie in Indien. Deutsche Mieter weggezogen oder verstorben. Das gleiche Bild in der Innestadt,alle Fachgeschäfte ,Hotels ect. Fehlanzeige. Jetzt gibt es nur noch Billigläden,Export… Mehr

Der Person
1 Monat her

„Winfried Kretschmann, dienstältester Ministerpräsident Deutschlands, präsentierte sich in Berlin als Stimme der Vernunft.“

Nachdem das Haus abgebrannt ist (inklusive einiger Dutzend Bewohner) und das Feuer auf die Nachbarschaft übergesprungen ist, erkennt ein Grüner, dass die von ihm begangene Brandstiftung und die anschließende Blockade der Feuerwehr doch keine so gute Idee war. Aha! Der „vernünftigste“ Grüne ist damit immer noch zehnmal dümmer als das Haustier eines AFDlers (Feuerwehr) und hundertmal dümmer als der Kühlschrankinhalt eines PEGIDA-Anhängers (hat eindringlich vor Brandstiftung gewarnt).

giesemann
1 Monat her
Antworten an  Der Person

Erst ein Feuerchen legen und dann beim Löschen helfen – mit viel Geschrei. Typisch Polyticker.

Innere Unruhe
1 Monat her

„Winfried Kretschmann, dienstältester Ministerpräsident Deutschlands, präsentierte sich in Berlin als Stimme der Vernunft. Bei der Vorstellung seiner Biografie sprach der 77-Jährige über Maß, Verantwortung und Realität und sorgte mit einem Satz für viel Applaus unter den anwesenden Gästen: „Es gibt kein Recht auf Freizügigkeit in der Welt.“ So weit, so richtig.“
Hat er etwa dem Gaul, pardon, den Gästen ins Maul geschaut???
Oder was hat ihn daran gehindert, genau das zehn Jahre eher zu sagen?
Damals war er 67, also weise genug das Problem zu erkennen.

Jens Frisch
1 Monat her

Das Asylrecht“, sagte er in Berlin, „ist für Menschen da, die politisch verfolgt werden – nicht für jene, die aus anderen, wenn auch nachvollziehbaren Gründen, ihr Land verlassen.“

Wenn 70% der „Asylbewerber“ nicht lesen und schreiben können, muss man nur 2 und 2 zusammen rechnen um zu wissen, daß das keine „politisch Verfolgten“ sind.

Manfred_Hbg
1 Monat her

Zitat: „Winfried Kretschmann, dienstältester Ministerpräsident Deutschlands, präsentierte sich in Berlin als Stimme der Vernunft.“ > Klar, jetzt, wo -auch- er seinen politischen Abgang vor Augen hat und wo es nun auch mit Ba-Wü immer mehr bergab geht, kommen dann nun die „weisen“ Einfälle und Sprüche. ……und das Schlimme ist hier dann aber auch noch, dass man solch „Grünen Versagern“ wie auch Kretschmann dann auch noch eine Bühne bietet um seine Weisheiten in die Welt tröten zu können UND das es hinzu offensichtlich auch immer noch Idioten gibt die meinen sich auch noch auf diese/solch viel spät kommenden Weisheiten die Hände… Mehr

ceterum censeo
1 Monat her

Mit 77 Jahren den Schnitter im Auge, möchte er sich als ausgeglichener Staatsmann, als Ruhepol und Realist in der Politik verstanden wissen? Nein, Herr Kretschmann, Sie sind und bleiben Maoist. Der Makel bleibt zeitlebens und auch posthum erhalten!

g8org
1 Monat her

Erinnert sich jemand an seine Aussage vor einigen Jahren, als um die erzwungene „Immunisierung“ ging?
In tiefem Brustton, nach bester deutschen Tradition, donnerte er „… sie müssen gehorchen !!!“

Sonny
1 Monat her

Typisch.
Gib einem Grünen Macht und schon geht alles den Bach runter.