Man fragt sich, wann der Überflieger Friedrich Merz das letzte Mal deutschen Boden berührt hat. Gerade eben wird bekannt, dass der Kanzler in der Fraktion darum gebeten hat, Klingbeil nicht zu kritisieren, weil der „I. Sekretär des ZK“ der SPD, Lars Klingbeil, so möchte man schon fast bitter spotten, sehr „sensibel“ auf Kritik reagiert. Man gewinnt den Eindruck, wer Lars Klingbeil kritisiert, greift unsere Demokratie an. Wenn man das nicht schon von den Linken kennen würde, wenn man das nicht schon erlebt hätte oder bei George Orwell, bei Alfred Kantorowicz, bei Wolfgang Leonhard, bei Erich Gniffke gelesen hätte, könnte man noch über das Maß der Devotion ein wenig gequält mitleidig lächeln wie über einen verunglückten Kabarettgag.

Doch was sich vor allem zutrug, war gestern das Geheimtreffen der Spitzenfunktionäre der deutschen Wirtschaft mit Bundeskanzler Friedrich Merz im Kanzleramt. Fazit: der Kaiser ist nackt.

Gegen 10 Uhr rückten der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks Jörg Dittrich, dessen Generalsekretär Holger Schwannecke, DIHK-Chef Peter Adrian mit Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov, Rainer Dulger und Steffen Kampeter vom BDA und vom BDI Peter Leibinger an. Die Lage ist ernst.

Angela Merkel hatte mit der Energiewende die Talfahrt der deutschen Wirtschaft eingeleitet, Habecks grünkommunistische Planwirtschaftsphantasmen sie in die Rezession getrieben, die nun ungebremst Fahrt in den Abgrund nimmt, während die rot-schwarze Koalition nicht um Lösungen, sondern um schöne Worte ringt, denn um wieviel besser als ein tatsächliches Wachstum ist ein klingender Wachstumsbooster?

Fast minutiös und mit nie erlahmender Geduld wurden – auch von mir – die falschen Weichenstellungen konkret aufgezeigt und die Resultate der Wirtschaftspolitik gegen Deutschland beschrieben, analysiert und aufgelistet. Aber Friedrich Merz liest TE nicht, Friedrich Merz liest nur den Luftwetterbericht über dem Sauerland.

Wie verzweifelt die Lage inzwischen ist, zeigt, dass die wahrlich nicht des Heldentums der offenen Worte verdächtigen Spitzenfunktionäre der deutschen Wirtschaft fast wie in einem Akt der Verzweiflung gestern ins Kanzleramt stürmten, um dem Kanzler den Ernst der Lage vor Augen zu führen. Man muss kein Spitzenfunktionär der deutschen Wirtschaft sein, auch kein BWL-Student, stabile Kenntnisse in den vier Grundrechenarten und eine gewissen Distanz zur öffentlich-rechtlichen Propaganda genügen vollkommen, um ein Sofortprogramm zu formulieren. Will man die Produktionskosten auf das Maß absenken, das notwendig ist, um die deutsche Wirtschaft wieder konkurrenzfähig zu machen, bedarf es:

• primär billiger und verlässlicher Energie, was die Abkehr von Klimaapokalyptik und den Irrweg der sogenannten Erneuerbaren Energien bedeutet;
• des Verzichts auf staatliche Vorgaben in den Produktentscheidungen, wie das Verbrenner-Aus;
• der Reform des Sozialsystems von Bürgergeld über Rente bis hin zur Reform der Krankernversicherung;
• der Entlastung des Sozialsystems von versicherungsfremden Leistungen;
• eines konsequenten Bürokratieabbaus, statt -aufbaus, wie ihn die Regierung bspw. mit der Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive der EU, die weitere Berichtspflichten den deutschen Firmen auferlegt, zusätzlich zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das gestrichen werden sollte, betreibt.

Bisher unterstellte ich, dass Friedrich Merz das eigentlich wissen müsste und er vor dem hypersensiblen Lars Klingbeil und dem am Rande einer Hysterie wandelnden rotgrünen Komplex nur kuscht. Doch anscheinend ist es schlimmer, anscheinend wurde Merz auch hierin noch überschätzt, denn nun berichtet Bild: „Die Wirtschaftsbosse machen Merz ordentlich Dampf! Es sei beim Gipfel „hart zur Sache gegangen“, hieß es. Der Kanzler sei überrascht gewesen von der Heftigkeit der Kritik – und habe das auch mehrmals in dem Gespräch betont.“ Muss man sich das so vorstellen, dass auf die Benennung der gravierenden Probleme durch die Wirtschaftsfunktionäre Friedrich Merz große Augen bekam und murmelte: Ach Gott, das habe ich gar nicht gewusst? Nein, so etwas aber auch. Da muss ich aber demnächst einmal mit dem Kabinett angesichts der Sensibilität der SPD allerdings in homöopathischen Dosen reden.

Merz versuchte irgendwie, die Funktionäre, die mal „ordentlich Dampf“ ablassen durften und jetzt wieder in ihre schicken Büros zurückkehren, zu beruhigen: Da die Regierung nicht sofort alles umsetzen könne, müsse die Wirtschaft sich gedulden und einfach durchhalten. Ob Merz die Operation „Ihrdürftmalkurzaufdemtischtanzen“ gelang, darf bezweifelt werden, denn jetzt wollen die Wirtschaftsfunktionäre nach dem Höflichkeitsbesuch beim Kanzler mit dem eigentlichen Regierungschef, mit Lars Klingbeil reden.

Ist Friedrich Merz der Kanzler Ahnungslos? Oder gibt Friedrich Merz nur den Kanzler Ahnungslos? Die Deutschen verlieren langsam die Geduld mit ihm. Zumindest bildet der Bundeskanzler mit seinem Fraktionschef Jens Spahn und Tino Chrupalla am Ende der Skala eine stabile Skatrunde. Welch Trost, dass zumindest beim Beliebtheitsskat die Brandmauer nicht mehr existiert. Es gibt wohl keine Position, die Friedrich Merz nicht schneller wieder geräumt, als er sie zuvor bezogen hatte. Angesichts der dramatischen Probleme Deutschlands in den Bereichen Wirtschaft, Migration, innere Sicherheit und Sozialsystem stellt sich die Frage, ob Friedrich Merz Deutschlands teuerste Mogelpackung ist, ein Avatar der Genossen?