Kinderehen – eine Frage an unser Kulturverständnis

Zwar ist der Schutz von Minderjährigen noch ein Konsens, den man ohne allzu „kulturkämpferisches“ Gepräge pflegen kann. Doch auch dieser Minimalkonsens wird unterhöhlt: Werden fragwürdige kulturelle Praktiken um der Illusion grenzenloser Freiheit und Diversität willen legitimiert?

IMAGO / Steinach

Das Justizministerium muss sich beeilen: Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits vor einem Jahr die pauschale Nichtigkeit von Kinderehen für verfassungswidrig erklärt hat, muss bis zum Sommer eine Neuregelung her – allerdings, so berichtet die „Welt“, scheint das Bundesjustizministerium dieses Thema trotz des Zeitdrucks nicht zu priorisieren: Konkrete Angaben zur Nachbesserung des Gesetzes konnte man dort noch nicht machen.

Nun muss man konzedieren, dass das hastige und mängelbehaftete Zusammenzimmern von Gesetzen keineswegs ein exklusives Charakteristikum der Ampelregierung ist: Als im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 das Problem der Ehen zwischen minderjährigen Mädchen und erwachsenen Männern deutlich wurde, wurde das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ 2017, obwohl Fachleute Kritik an der konkreten Ausgestaltung geübt hatten. Die Lücken des Gesetzes sind enorm und zeigen einen erstaunlichen Mangel an Umsicht: So sind vor allem Unterhaltsfragen nicht geklärt, was dazu führen kann, dass ein minderjähriges Mädchen zwar aus der Kinderehe „gerettet“ wird, dann aber ohne soziale Absicherung dasteht.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist angesichts solcher Leerstellen völlig nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist, dass man sich mit der Novellierung offensichtlich Zeit lässt. Schließlich ist Deutschland seit 2017 nicht weniger „divers“ geworden, migrantische Parallelwelten sind nicht durchlässiger, sondern werden eher zementiert. Es ist also wichtig, dass sich Politik und Gesellschaft mit der Frage beschäftigen, wie sichergestellt werden kann, dass gewisse Grundsätze europäischer, freiheitlicher Verfasstheit auch tatsächlich für alle gelten, die hier leben, insbesondere für vulnerable Gruppen.

Hier zeigt sich – wie schon in der Anbiederung an die Translobby – dass die gegenwärtige Regierung der Sicherheit von Frauen und Mädchen schlichtweg keinen hohen Stellenwert beimisst. Erschwerend kommt hinzu, dass sich dieses Desinteresse mit der typisch deutschen Unwilligkeit paart, sich mit Zugewanderten wirklich zu beschäftigen: In Deutschland herrscht die Tendenz, Migranten soweit es geht in ihrem kulturellen Umfeld zu belassen. Integrationsbemühungen unternehmen vor allem gesellschaftliche Akteure, wie etwa die Kirchen, problematische Aspekte der Herkunftskulturen werden oftmals so lang wie möglich übersehen und so wenig wie möglich thematisiert. Minderjährige Migrantinnen fallen also doppelt durchs Raster: Als Angehörige des weiblichen Geschlechts sind sie nicht von Interesse, und als Einwanderer sind sie Störfaktoren, weil sie der lebende Beweis dafür sind, dass Integration keinesfalls so reibungslos funktioniert, wie man das gern hätte. Die Existenz von Kindsbräuten wirft viel eher die in Deutschland panisch gemiedene Frage nach der Wertigkeit von Kulturen bzw. von kulturellen Praktiken auf: Müssen wir alles tolerieren? Und wenn nicht, auf welcher Grundlage lehnen wir gewisse Praktiken ab? Zwar ist der Schutz von Minderjährigen noch ein Konsens, den man ohne allzu „kulturkämpferisches“ Gepräge pflegen kann. Doch auch dieser Minimalkonsens wird bereits unterhöhlt: Im Zuge des Diversitätsfetischs wird das Kindeswohl so bereitwillig geopfert, dass sich die legitime Frage stellt, warum es dann irrelevant ist, wenn es um die Befriedigung der Translobby geht, aber als relevant betrachtet wird, wenn Syrer oder Nordafrikaner ihre althergebrachten Bräuche aufrechterhalten wollen.

Die Frage ist also nicht nur, wie durchsetzungsfähig grundlegende europäische Werte sind, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen; sondern auch, wie willig die politisch Verantwortlichen sind, diese Werte durchzusetzen. Sind wir bereit dazu, die vielbeschworene und tatsächlich unabdingbare Toleranz an einen gewissen Konsens zu binden? Oder legitimieren wir fragwürdige kulturelle Praktiken um der Illusion grenzenloser Freiheit und Diversität willen?

Diesem grundlegenden Diskurs sollten wir nicht länger ausweichen – unabhängig davon, ob der Ampel mit der Korrektur der Regelungen zur Kinderehe endlich doch noch ein handwerklich solides Gesetz gelänge.

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Kommentare ( 36 )

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Del. Delos
2 Monate her

Ich verstehe nicht, warum die Versorgungslage der ehemaligen Kindfrau, jetzt wieder Kind, nicht geklärt sein soll. Sie ist ein KIND und hat als solches einen Anspruch auf Versorgung – wenn nicht durch die Eltern, dann eben durch den Staat. Eine muslimische Familie, die ihre minderjährige Tochter als angebliche Ehefrau zur Vergewaltigung durch einen erwachsenen Mann freigegeben hat, wird diese Tochter wohl kaum zurück nehmen und sie versorgen. Da sich das muslimische Kind nun mal in Deutschand aufhält (nun sind sie halt da), ist insoweit eben der deutsche Staat für das Kind zuständig – genau so, als wäre es ein bio-deutsches… Mehr

DDRforever
2 Monate her

Gegen das was hier so läuft war selbst die allergrößte römische Dekadenz ein Hort der Ehre und Rechtschaffenheit und Züchtigkeit ein Staatsgebot. Ich wüsste nicht wie man diesen Staat BRD eigentlich noch delegitimieren könnte. Womit denn?

Innere Unruhe
2 Monate her

Messer sind verboten und doch werden Menschen abgestochen. Auch Schusswaffen. Und doch hören wir von Schüssen und Erschossenen… Auch düfen Migranten aus sicheren Drittländern kein Asyl beantragen aber wen kümmert es? Dieses Gesetz wird nichts anderes produzieren als Härtefälle am laufeden Band. Kann die schwangere Jungehefrau abgeschoben werden? – nein. Vom Mann getrennt? – Was ist mit seinen Vaterrechten?…. Warum tun wir uns das an? Wir sollten einfach jegliche Unterstützung – auch medizinische und schulische – hier einstellen. Das ist das einzige Zeichen, das unsere Haltung zu diesem Thema zeigt. Weder Ehemänner noch Ehefrauen aus solchen Verbindungen, noch deren Kinder… Mehr

Philokteta
2 Monate her

Ich habe den Eindruck, daß diese Einwanderung außer riesigen Problemen nichts weiter bringt.

HansKarl70
2 Monate her

Wie wenig diese Probleme von den Einheimischen begriffen werden zeigt schon die geringe Leserbriefbeteiligung.

Klaus D
2 Monate her

„Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!“ (A.Merkel CDU)….in einer multikulturellen gesellschaft wird genau das passieren wie mit den kinderehen ua. Das sagt einem ja schon die logik denn würde man das verbieten und auch anderes was andere kulturen für normal/richtig halten in einer multikulturellen gesellschaft wäre es keine multikulturellen gesellschaft. Das erleben wir ja bei anderen kultur bedingten dingen auch zb clans, frauenrechte usw.

Philokteta
2 Monate her
Antworten an  Klaus D

Bitte beachten Sie doch die Groß- und Kleinschreibung. Ich finde, da fängt es schon an mit der Mißachtung unserer Kultur.

Wolfgang Richter
2 Monate her
Antworten an  Klaus D

Kultur oder Unkultur – Wer in ein Rechtssystem einwandert, hat a) dieses zu respektieren, b) muß damit leben, daß er diesem entsprechend behandelt wird. Und neben vielem anderen – hier ist der sexuelle Umgang mit Kindern einer der mit den höheren Strafen belegte Deliktsbereich des StGB. Da gibts nichts zu „legalisieren“.

Klaus D
2 Monate her
Antworten an  Wolfgang Richter

Das ist so nicht richtig denn eine multikulturelle gesellschaft hat ja viele rechtssysteme die die jeweiligen kulturen mitbringen. Das muss einem klar sein wenn man eine multikulturelle gesellschaft will.

Peter Pascht
2 Monate her

Die genaue Gesetzeslage ist eine Schande für unseren Rechtstaat, eine „wasch mich aber mach mich nicht naß Forrmulieung“, die jedwelcher Rechtsicherheit spottet und wegen dem Widerspruch zu anderen Gesetzen und Grundgesetz rechtlich ungültig ist, bzw. deswegen von Gerichten nicht angewandt werden darf. in BGB 1303 wird die Kinderehe verboten in BGB 1314 wird das „muss aufgehoben werden“ in ein „kann“ verwandelt In BGB 315 Absatz 1, wird die Aufhebung vollends zur Farce und Fake Die Aufhebung ist zu verneinen: b) wen aufgrund außergewöhnlicher Umstände die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die… Mehr

HansKarl70
2 Monate her

Kinderehen gehören nicht zu unserem Kulturkreis. PUNKT! Wer das will hat in Deutschland nichts zu suchen. PUNKT!

Innere Unruhe
2 Monate her
Antworten an  HansKarl70

Emotional haben Sie Recht.
Aber damit solche Ehen hier keinen Platz finden, muss Geld fließen, um sie zu verhindern und aufzulösen.
Und ich will nicht auch noch dafür zahlen. Emotional bin ich bei Ihnen, aber was Geld angeht, ist es mir einfach nicht wert. Das Geld soll in Bildung deutscher Kinder und in den Grenzschutz fließen.
Bei der Menge Syrer, die geflohen sind, hätten sie Assad längst stürzen können.

Peter Pascht
2 Monate her

Wenn linksextremistische Presse-Medien schreiben: „Puschalverbot von Kinderehen ist verfassungswidrig“, so ist das eine Lüge, aber vielmehr juristische Unwissenheit. Gesetzesregelung: Im Sommer 2017 wurde das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ verabschiedet. Die wesentliche Neuregelung: „Wenn ein Partner unter 16 Jahre alt ist, sind im Ausland geschlossene Ehen automatisch unwirksam. Bei 16- bis 18-Jährigen kann die Ehe durch ein Gericht aufgehoben werden.“ Da dies eine standesamtliche Änderung ist, bedarf es eines Gerichtsurteils ode dieBeuftragung derr Standesämte durch Gesetz tätig werden zu dürfen. Das BverfG hat diese Regelung bestätigt, allerdings eine Nachbesseung verlangt um die Folgen dieses Gesetzes auch gesetzlich zu regeln. Was… Mehr

Juergen P. Schneider
2 Monate her

Die Gleichgültigkeit, die sich als Toleranz ausgibt, wird den Untergang unserer Gesellschaftsordnung unabwendbar machen. Wer Intoleranz toleriert, schafft die Toleranz durch Anbiederung an alles und jedes letztlich ab. Wenn es in unserer Gesellschaft noch fraglich sein sollte, dass man Kinder nicht verheiratet, dann hat unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nebst ihres Grundgesetzes abgewirtschaftet und ist keinen Pfifferling mehr wert.