Friedrich Merz ist der größte Reformkanzler aller Zeiten – denkt er von sich selbst

Der Koalitionsausschuss hat getagt. CDU, CSU und SPD wollen künftig Straßen und Schienen schneller bauen, drücken sich aber um das Thema steigende Kassenbeiträge. Friedrich Merz feiert sich indes als größter Reformkanzler aller Zeiten.

picture alliance / Andreas Gora | Andreas Gora

Ein wesentliches Merkmal linker Politik ist die permanente Umbenennung von Begriffen, die mit Problemen verbunden sind, die linke Regierende nicht lösen können oder wollen. Statt Rampen für Rollstuhlfahrer zu bauen, nennen sie Behinderte in Menschen mit Behinderung um, Menschen mit Behinderung in benachteiligte Menschen und so weiter. Unter der linken Regierung Friedrich Merz (CDU) heißen Schulden Sondervermögen, das Bürgergeld Grundsicherung und auch das Heizungsgesetz will der Kanzler jetzt angehen: Merz nennt es künftig „Gebäudemodernisierungsgesetz“. Das ist kein Witz, das ist der deutsche Kanzler Ende 2025.

Habecks Heizhammer will Merz reformieren. Das kündigt er in der Pressekonferenz an, die auf den Koalitionsausschuss folgt. Ende Januar soll es „Eckpunkte“ geben, dann beginne das parlamentarische Verfahren. Mancher fragt sich jetzt: Wieso ist das eine Nachricht? Steht das nicht eh schon im Koalitionsvertrag und hat Merz das nicht schon mehrfach angekündigt? Diese Frage ist nicht nur berechtigt. Sie führt ins Herz der Probleme dieser schwarz-roten Regierung unter Friedrich Merz:

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Ein wesentlicher Teil der Arbeit dieser Regierung besteht in Ankündigungen: Rentenreform. Kassenreform. Pflegereform. Bürgergeld. Alles kündigt Merz an – immer und immer und immer wieder. Dann behauptet er, seine Regierung sei viel besser als ihr Ruf: So umfangreiche Reformen wie unter ihm „hat es noch nie gegeben“. Gerd Schröder (SPD) hat die Hartz-Gesetze durchgebracht, Helmut Kohl (CDU) die Deutsche Einheit, von Konrad Adenauer (CDU) gar nicht erst zu reden. Aber keiner habe so umfangreiche Reformen umgesetzt wie er, tönt Merz. So eine Arroganz hat noch kein deutscher Kanzler zur Schau getragen.

Die Arroganz des Friedrich Merz ist substanzlos. Schröder hat die Hartz-Reformen umgesetzt, Merz seine nur angekündigt. Das scheint für ihn kein Unterschied zu sein. Und das führt zum eigentlich größten Problem dieses Kanzlers: seine maßlose Unfähigkeit – gepaart mit seiner ebenso maßlosen Arroganz bildet das eine toxische Mischung. Vor seiner Kanzlerschaft war sein höchstes Amt das des Brexit-Beauftragten von Nordrhein-Westfalen. Friedrich Merz glaubt, er sagt, es werde eine Reform des Heizungsgesetzes geben – und damit sei diese schon umgesetzt. Das ist kein Witz, das ist der deutsche Kanzler 2025.

Genau diese Mischung aus Arroganz und Überheblichkeit, aus dem Glauben, die Ankündigung einer Reform ersetze eine Reform – das lässt Friedrich Merz immer wieder scheitern. Etwa beim Bürgergeld. Dessen Reform hat der Kanzler schon mehrfach versprochen, sie solle fünf Milliarden Euro einsparen. Dann hat er sogar gemeinsam mit seinen SPD-Chefs Lars Klingbeil und Bärbel Bas Eckpunkte vorgestellt. Die boten schon nur noch eine Einsparung von unter 100 Millionen Euro. Doch der Kanzler verkündete trotzdem gewohnt pompös: „Das Bürgergeld ist Geschichte.“ In dieser Woche ist der Entwurf noch immer nicht ins Kabinett gekommen, um von dort ins Parlament zu gehen. Die SPD will keine Sanktionen, wenn sich die Sachbearbeiter nicht persönlich bei den Langzeitarbeitslosen gemeldet haben. Eine Reform greift halt noch lange nicht, wenn sie nur verkündet wird. Für jeden mit mehr Erfahrung und Verstand als Arroganz ist das selbstverständlich – für Friedrich Merz offensichtlich nicht.

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Nun kündigt Merz ein Infrastrukturgesetz an: Beim Bau von Straßen und Schienen soll künftig ein „übergeordnetes Interesse“ gelten, damit diese schneller gebaut werden können. NGOs sollen nicht mehr durch „endlose Verfahren dringend notwendige Maßnahmen blockieren“ können. Bei der Elektrifizierung von Strecken, die kürzer als 60 Kilometer lang sind, fällt die Prüfung auf Verträglichkeit mit der Umwelt weg. Kling gut? Die Ankündigung? Schon. Aber es ist halt eben nur eine Ankündigung.

Wie definiert die Regierung „übergeordnetes Interesse“? Welche Instanz prüft, ob tatsächlich „übergeordnetes Interesse“ vorliegt? Behörden? Gerichte? Wie oft kann die Regierung diesen Joker setzen? Ist das mit EU-Recht vereinbar? Oder mit dem deutschen? Das alles sind Fragen, die Merz in seiner Ankündigung vernachlässigt. Er hat das Gesetz angekündigt, also wird das schon kommen. Der Rest sind nur Details. Doch genau aus dieser Arroganz sind die Fallen gebaut, über die sich Merz so hilflos schlaksig durch die Berliner Politlandschaft stolpert.

Dem wichtigsten Reformprojekt weicht die Regierung Merz systematisch aus: den Reformen der Sozialversicherungen. Sie schiebt alles auf Arbeitskreise und das nächste Jahr auf. Die Beiträge der Krankenkassen steigen zum Jahreswechsel, damit auch die Lohnnebenkosten, die ohnehin schon die deutsche Wirtschaft abwürgen. Das bedeutet: Merz bricht – wieder einmal – ein zentrales Wahlversprechen. Auf der Pressekonferenz zum Koalitionsausschuss erwähnt Merz die Kassen in seinem einführenden Beitrag nicht. Ob der Ausschuss darüber geredet habe, will ein Journalist wissen. „Nur sehr kurz“, antwortet der Kanzler. Das sei eine Sache, die nun die Länder aushandelten.

Reform vor der Reform
Für die Rente von 2090 – Lars Klingbeil schenkt jedem Kind zehn Euro im Monat
Hier zeigt sich wieder, wie die Merzsche Mischung aus Arroganz und Inkompetenz dem Land schadet: Um zwei Milliarden Euro will Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die Kassen entlasten. Weil sie damit an den Kliniken sparen würde, haben die Länder das abgelehnt. Nun verhandelt der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat. Nur: Der Dachverband der Kassen, die GKV, sagt schon jetzt: Selbst wenn die Entlastung um zwei Milliarden Euro noch dieses Jahr kommt, reicht das nicht. Angesichts eines Kostenanstiegs im Gesundheitswesen von etwa acht Prozent im Jahr wären die Kassen trotzdem zu Beiträgen genötigt, die künftig im Schnitt über 17,6 Prozent liegen würden. Genau davor warnt die Wirtschaft, sieht den Standort in Gefahr. Doch Friedrich Merz tut das „nur sehr kurz“ ab und wundert sich, warum er immer noch nicht als der große Reformkanzler gefeiert wird, als den er sich selbst sieht.

Der zweite Teil der Arbeit dieser Regierung besteht darin, Geld auszugeben. Aus der einen Billion Euro, die sie im Jahr an Steuern den Bürgern abtrotzt, aus den 850 Milliarden Euro Schulden, die sie macht. Das Geld fließt etwa in die Rente. Da hat die Regierung Merz bereits die „Aktivrente“ beschlossen, den Ausbau der „Mütterrente“ und die künstliche Haltung des Rentenniveaus. Klingbeil will als nächstes zehn Euro monatlich an Kinder auszahlen, damit sie dieses Geld für ihre Rente 2090 ansparen können.

Doch die Regierung Merz sieht sich selbst als größte Reform-Regierung aller Zeiten. Deswegen gibt es eine Rentenreform, die Strukturen verändert und Geld einspart. Die größte aller Zeiten. Nur: Wie ist der Sachstand? Nun, es ist nicht so, dass die zuständige Ministerin Bas einen Arbeitskreis gegründet hat, der diese größte Reform aller Zeiten irgendwann liefern soll. Der Arbeitskreis ist noch nicht einmal eingerichtet. Aber: „Wir sind auf einem guten Weg, was die Besetzung betrifft“, sagt Bas. Das Selbstbild von Friedrich Merz ist das des größten Reformkanzlers aller Zeiten – die Realität ist die eines Stümpers, der schon an der Besetzung eines Arbeitskreises scheitert. Deutschland wird Ende 2025 so schlecht regiert wie Ende 2024.

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