FDP: Aufrechter Gang statt Büßerhemd

Die FDP gibt sich nach den Ereignissen in Thüringen beschämt. Sie sollte besser in den Angriffsmodus schalten, denn von einer AfD, die immer mehr von wirtschaftsliberalen Positionen zugunsten eines rechten Sozialpopulismus abrückt, gibt es viele Wähler zurückzugewinnen.

Adam Berry/Getty Images

„Wir sind beschämt, wir sind verletzt – wir entschuldigen uns“, dies hört man seit mehr als einer Woche täglich mehrfach von der FDP. In Parlamentsreden, Pressekonferenzen, Talkshows, sozialen Medien, in Zeitungsinterviews und an Wahlkampfständen. Man hat den Eindruck: Die FDP hat das Büßerhemd angezogen. Umfragen belegen bislang nicht, dass Demutsgesten und Selbstzerknirschung von den Wählern goutiert würden. Die Hamburger FDP, die mit Anna von Treuenfels eine tolle Spitzenkandidatin hat, hat sich nach Thüringen sofort und vehement „distanziert“, aber muss trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) zittern, ob sie die 5-Prozent-Hürde reißt.

Selbstzerknirchung und widersprüchliche Signale

Ich denke nicht, dass eine Partei dadurch attraktiv wirkt, dass sie sich selbstzerknirscht gibt. Geschadet hat der FDP, dass der Eindruck erzeugt wurde, sie wisse nicht, was sie wolle. Wolfgang Kubicki beglückwünschte nicht nur Thomas Kemmerich, sondern verteidigte dessen Wahl auch unmittelbar danach dezidiert, um wenige Tage später – unter dem Eindruck der Entrüstungskampagne – das Gegenteil zu sagen. Christian Lindner gibt als erste Reaktion eine besonnene Stellungnahme ab, für die er aber massiv vom politischen Gegner beschimpft wurde und wird. Gerhart Baum, in Wahrheit ein Außenseiter in der FDP, dessen Talkshowpräsenz im umgekehrten Verhältnis zu seinem politischen Einfluss in der Partei steht, bescheinigt der FDP bei Markus Lanz gerade noch „großzügig“, er halte die FDP trotzdem für eine demokratische Partei. Baum lässt keine Gelegenheit aus, Lindner zu attackieren – zum Schaden der FDP.

Gleichzeitig läuft in vielen Medien eine massive Kampagne, die im Wesentlichen zum Inhalt hat, dass die CDU verpflichtet sei, Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen und dass es nicht erlaubt sei, Linksaußen und Rechtsaußen „gleichzusetzen“. Die SPD zeigt mit dem Finger auf die FDP, sagt aber selbst ganz offen, dass sie auf Bundesebene mit der Linkspartei paktieren will! Sie faselt von der Zerstörung des demokratischen Konsensus, den sie durch ihr Paktieren mit der Linkspartei längst aufgekündigt hat.

Angst vor linken Mainstream

In dieser Situation wäre es die Aufgabe der FDP, in den Angriffsmodus zu schalten, statt von Schuld und Scham zu reden. Denn bei wem gewinnt sie damit Sympathien? Bei linken und grünen Wählern bestimmt nicht. Wie sieht es in der eigenen Wählerschaft aus? Laut dem ARD-Deutschlandtrend lehnen 46 Prozent der FDP-Wähler den Rücktritt von Thomas Kemmerich ab, 38 Prozent finden den Rücktritt richtig. Ich denke, die FDP macht sich mal wieder mehr Sorgen darüber, wie die Medien und die linken Parteien reagieren als darüber, was ihre (potenziellen) Wähler denken. Im September veröffentlichte ich in der WELT einen Artikel mit der Überschrift: „Die Angst der FDP vor der linken Empörungskultur“.
Mein damaliger Befund wurde jetzt wieder bestätigt: Die Angst der FDP vor der linken Empörungskultur ist übermächtig.

Zwischen allen Stühlen

Die FDP setzt sich zwischen alle Stühle. Angst ist kein guter Ratgeber, aber man merkt, dass die Reaktionen der FDP angstgesteuert sind. Täglich wird mehrfach versichert, dass man mit der AfD nichts zu tun habe und inhaltlich ganz andere Positionen vertritt. Das wirkt genau wie schrille und offenbar von Angst betragene Beteuerungen eines Ehemanns, der seiner Frau zehn Mal täglich erklärt, er habe nicht vor, sie zu betrügen. „Wer sich verteidigt, klagt sich an“, sagt ein Sprichwort. Die FDP sollte angreifen, statt sich zu verteidigen: In Wahrheit sind die Positionen von Höcke und der Linkspartei – Polemik gegen „Plutokratie“ und Kapitalismus – sehr viel näher beieinander, weshalb auch viele ehemalige Linke-Wähler heute AfD wählen. Warum spricht niemand davon?

Und die Tatsache, dass die AfD seit ihrer Gründung immer mehr von wirtschaftliberalen Positionen abgerückt ist und rechte Sozialpopulisten zunehmend an Einfluss gewonnen haben, sollte eine Chance für die FDP bieten, Wähler von der AfD zurückzuholen. Das wird jedoch mit der jetzigen Strategie kaum gelingen. Schwäche wird von Wählern niemals goutiert.


Der Autor ist seit 25 Jahren Mitglied der FDP

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