Die vermeidbare Baustelle

Der gute Wille fehlt der Politik in Sachen Pflege nun wirklich nicht. Einige Initiativen sind in den letzten Jahren gestartet und partiell auch erfolgreich. Nur bewirkt jeder Eingriff an der einen Stelle zwei Schäden an einer anderen.

picture alliance / Zoonar | DAVID HERRAEZ CALZADA
Alten Menschen einen würdigen Lebensabend ermöglichen. Gebrechlichen auf die Beine helfen. Für Menschen da sein, wenn sie ihre schwersten Stunden erleben. Moralisch ist klar: Die Pflege kann gar nicht gut genug bezahlt werden. Trotzdem müssen es die Verantwortlichen versuchen. Sonst sind all die überlebenswichtigen Handreichungen nicht mehr möglich.

Tatsächlich hat sich auch etwas getan. Der Mindestlohn für Pflegefachkräfte liegt seit Beginn des Monats bei 3.450 Euro. Angesichts des Personalmangels können Fachkräfte mittlerweile locker 4.000 Euro und mehr monatlich verlangen. Moralisch viel zu wenig. Sachlich immer noch zu wenig, da im Berliner Regierungsviertel selbst einige Assistenten von Abgeordneten mehr verdienen. Doch im Vergleich zur Situation noch vor zehn Jahren eine deutliche Verbesserung.

Das Problem ist nur: An der einen Stelle haben Große Koalition und Ampel etwas Kaputtes repariert – dafür aber an mehreren anderen Stellen neue Schäden geschaffen. So begrüßt der „Arbeitgeberverband Pflege“ zwar den höheren Mindestlohn für Pflegefachkräfte. Doch die Große Koalition habe seinerzeit das Versprechen abgegeben, dass die Pflege-Bedürftigen die höheren Löhne nicht mit höheren Kosten bezahlen dürften. Dieses Versprechen habe die Ampel aber nicht eingelöst: „Die Bundesregierung hat uns getäuscht und ihre Zusage vergessen.“ Für die Altenpflege bedeute es einen weiteren Unsicherheitsfaktor, wenn die Politik ihre Versprechen nicht einhalte.

Trotz der besseren Bezahlung wählen weniger den Beruf. Von 2021 auf 2022 ist die Zahl der begonnen Ausbildungen zur Pflegefachkraft von 56.300 auf 52.100 neue Verträge gesunken. Immerhin hat das Amt Zahlen dazu. Bei der Ampel scheinen diese nicht angekommen zu sein. Die antwortet auf eine Anfrage der Union, sie wisse frühestens Ende Juli, wie viele Ausbildungsplätze es an den Pflegeschulen und anderen Einrichtungen gebe. Dafür seien die dann aber genauer. Bisher verfüge die Bundesregierung nur über die Zahlen der Berufsschulen.

Ein derart wichtiges Thema hat die Große Koalition unter ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offensichtlich im Blindflug betrieben. Wobei der „Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege“ sogar sagt, es gebe in Deutschland gar nicht zu wenige Fachkräfte. Sie würden nur falsch eingesetzt. Zum einen erlaube sich Deutschland eine Belegung der Krankenhäuser wie kaum ein anderes Land. Zum anderen würden die Mitarbeiter in den Häusern falsch eingesetzt. Das liege an der „Sektorentrennung“ – also der strikten Trennung von Zuständigkeiten.

Die Sachverständigen sagen, das Verhältnis Fachkräfte pro Einwohner sei mit zwölf Pflegern und 4,6 Ärzte auf 1.000 Einwohner im internationalen Vergleich gut. Trotzdem sei das Verhältnis Fachkraft zu behandeltem Fall schlecht. Da belege Deutschland einen der hinteren Plätze. Das liegt laut der Sachverständigen an der hohen Zahl der Menschen, die stationär im Krankenhaus bleiben. So wie an ihrer langen Verweildauer. Die Sachverständigen singen damit das Lied ihres Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD).

Einen anderen kritischen Punkt erwähnen die Sachverständigen nicht. Obwohl ihn die Fachverbände als dringendes Problem beschreiben. Doch genau in diesem Punkt verschlimmert Lauterbach mit immer neuen Auflagen und Nachweispflichten die Lage, statt sie zu verbessern. Die Sachverständigen sind gut darin, dem Minister die Stichworte für seine ohnehin geplante Politik zu liefern – ihn zu kritisieren, wagen sie offensichtlich nicht.

Der Punkt, um den es geht, spricht der Bundestagsabgeordnete Martin Sichert (AfD) aus: „Die Tatsache, dass ein Viertel aller Pflegekräfte mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation verbringt, zeigt die dringliche Notwendigkeit, die Bürokratie in der Pflege abzubauen.“ Verschlimmert hat die Lage Lauterbach durch sein Karriereprojekt: die Pandemie-Politik.

In der Pflege hat er eine Impfpflicht durchgesetzt; mit der allgemeinen Impfpflicht ist er dann an der zurückkehrenden Vernunft im Bundestag gescheitert. Die Impfpflicht speziell in der Pflege hatte schwerwiegende Folgen, sagt Sichert: „Die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht hat dazu geführt, dass viele Pflegekräfte aus ihrem Beruf gedrängt wurden und dadurch dem Gesundheitswesen massiver Schaden zugefügt wurde.“

Zwar greifen sie den Minister nicht an. Das Fazit der Sachverständigen für das deutsche Gesundheitssystem fällt aber trotzdem verheerend aus: „Die Lebenserwartung ist niedriger als in Ländern mit weniger Personal und auch bei großen Erkrankungen schneiden wir schlechter ab. Wir müssen anfangen, mit der Verschwendung der Ressource Personal aufzuhören.“ Vor allem in der Pflege von Menschen, die akut erkrankt seien und lange Hilfe bräuchten, sei Deutschland schlecht aufgestellt.

Die Ressourcen sind da. Zumindest laut der Sachverständigen. Was die Pflege bräuchte, ist eine echte Reform, die Mitarbeiter entlastet, wenn es geht. Etwa in der Verwaltung. Die Potenziale freisetzt, etwa durch das unbürokratisch geregelte übergreifende Handeln von Mitarbeitern, auch wenn verschiedene Zuständigkeiten vorliegen. Was aber Lauterbach bisher eingefallen ist, ist lediglich eine drastische Erhöhung der Beiträge für die Pflegeversicherung. Während sich der Sozialdemokrat medial inszeniert, steigen die Zusatzkosten der Pflegebedürftigen und wächst die Personalnot – trotz besserer Bezahlung.

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Kommentare ( 35 )

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murphy
11 Tage her

Der Löwenanteil der Pflegearbeiten ist die Last von Familienangehörigen. Dafür wird in der Pflegestufe 3 monatlich 572 € gezahlt. Diese Pflegestufe bedeutet eine „schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“. Deren Bezahlung blieb aber seit der Einführung des Pflegegeldes am 1. 4. 1995 gleich, der Wert wurde nur von der Inflation aufgefressen. Wieviel macht die Inflation der letzten 30 Jahre aus? Gut, kommerzielle Dienstleister können Inflation kompensieren. Es wäre aber Aufgabe des Familienministeriums auch das Pflegeld auch für Familien anzupassen. Aber Pau/Grün erfüllt ja nicht mal die im Koalitionsvertrag verbindlich festgeschriebene Forderung nach einer Inflationsanpassung des Elterngeldes. Die grüne Ampel beschäftigt sich nur… Mehr

alter weisser Mann
12 Tage her

„Moralisch viel zu wenig. Sachlich immer noch zu wenig …“
So wohlfeiles Geheule stimmen viele an, gleichwohl, wer solls bezahlen.
Und nach 3 Heimerfahrungen im Familienkreis: über die erhaltene Gegenleistung darf ruhig auch mal gesprochen werden, das Bild von den Pflegehelden ist öfter „etwas drüber“ und das lag nicht an der Impfpflicht.

WildBoarHunter
12 Tage her

Das eigentliche Problem der Pflegeversicherung ist, dass auch sie umlagefinanziert ist, wie die Rente und auch die Krankenversicherung. Umlagefinanzierte Systeme bekommen in alternden Gesellschaften grundsätzlich Probleme. Gestopft werden die vorprogrammierten Finanzierungslöcher dann aus dem Steuertopf. Dass die Politik grundsätzlich an der Realität vorbeiregiert, zeigt gerade die Einführung der deutschen Pflegeversicherung. Noch 1990, also als man genau wusste, wie die demographische Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten verlaufen würde, führte man diese umlagefinanziert ein. Ein Totalversagen in Reinkultur. Alles was heute läuft kann nur Flickschusterei in einem toxischen System sein. Die Beiträge müssen in all diesen Systemen steigen oder eben das Steueraufkommen,… Mehr

murphy
11 Tage her
Antworten an  WildBoarHunter

Die ganzen „sozialen Wohltaten“ bezahlen wir letztlich selber, auch wenn wir die Beiträge für Altersabsicherung wie Rente und Pflegeleistungen in die veruntreuenden Hände des Staates legen. In eigener Verantwortung verwaltet ergebe sich was ? Auch einige Fälle von Altersarmut !, – aber nicht mehr staatlich verursacht, sondern nur durch eigene Faulheit oder eigene Dummheit.

Johannes Fritz
12 Tage her

Ohne Kalles Impfpflicht würde ich wohl heute noch im Maßregelvollzug arbeiten. Fand es nicht schlecht da. So jedoch habe ich geschaut, mich vom öffentlichen Dienst möglichst unabhängig zu machen und von der Pflege aus genanntem Grund eben auch. Das Risiko, dass mir so etwas noch einmal den Arbeitsplatz vermiest, lässt sich minimieren und zwar nicht zuletzt dadurch, möglichst wenig von Staat und Land zu wollen. Dann haben die mir auch wenig zu wollen.

murphy
11 Tage her
Antworten an  Johannes Fritz

Die Impfpflicht ist unsinnig. Heute sollte es bekannt sein: 3 x mit mRNA geimpft verkürzt das Leben um 25 Jahre. Jedenfalls statistisch, Einzelfälle sehen anders aus. Unfassbar, dass man dazu gezwungen wurde, obwohl es den Nürnberger Kodex gibt und die verheerenden Nebenwirkungen der nicht ordnungsgemäß zugelassenen Genmodifikation von Anfang an erkennbar waren. Aber das wollte kein Politiker sehen. Warum?

Flaneur
12 Tage her

Warum wählen wohl immer weniger Menschen diesen Beruf? Bei 16€ Mindestlohn im Jahr 2024 hat man bei einer 40Stunden-Woche 2600€ brutto, bleiben 2000€ netto. Vielleicht noch ein paar % Schichtzulage.. Besch*** Arbeitsbedingungen und unbezahlte Mehrarbeit inkl. Davon darf ich dann aber meine immer teurer werdende Mietwohnung und Strom bezahlen, kann also locker mal 1000€/ Monat davon abziehen. Dann muss ich mit dem Auto zur Arbeit, denn im Schichtdienst fährt kein Bus mich nachts hin und zurück. Noch mal 200€ / Monat für Steuer, Versicherung und Spritkosten. Bleiben noch knapp 800€. Wow. Wehe, wenn dann mal das Auto einen Platten hat..… Mehr

Gert Friederichs
12 Tage her

Die tägliche Routine des Pflegepersonals ist zu einem hohen Maße gleichbleibend. Und jede Pflegekraft hat doch wohl ein Handy. Also bei jedem Start zum Patienten sein im Computer vorhandenes Pensum aufrufen, Start drücken, nur noch Ausnahmen einfügen wie Herzklabast, Oberschenkelhalsbruch oder Exitus, Ende des Arbeitsabschnitts drücken und ab zum nächsten. Und weil das Handy dann alle Tätigkeiten, Pausen und Wege mit Uhrzeit drin hat, sind Arbeits- und Fahrzeiten klar. Da braucht es noch nichtmal KI, es reicht, wenn da mal wer ein EDV-Programm dafür ausarbeitet. Und nach gut 30 Jahren EDV.Praxis kann ich beurteilen: Das ist einigermaßen easy! Und muß… Mehr

murphy
11 Tage her
Antworten an  Gert Friederichs

Es ist aber kein EDV-Problem. Die staatlich verordneten Steuern sind zu hoch, also die Ausplünderung der Bürger. Und die staatlich erzeugte Inflation auch. Nur die Wertschätzung der Familie ist zu niedrig obwohl nur dadurch in der Zukunft Steuern gezahlt werden.

Franz O
12 Tage her

Ich gehe mit Herrn Sichert. Und das tue ich nicht, weil ich so ein großer Fan der Alternative bin. Das bin ich zwar auch, aber Sicherts Punkt trifft thematisch ebenso ins Schwarze. Dokumentationspflichten sind mittlerweile pervers. Und ich kann ganz genau verraten, warum das so gekommen ist und warum man auch tendenziell eher unwillig ist, gegenzusteuern: Da sitzen eine ganze Menge gut bezahlte Stuhlkreise zusammen und deren einzige Existenzberechtigung ist es, sich neue Dinge auszudenken, um etwas zu „verbessern“. Gäbe es diese Stuhlkreise nicht, dann hätten ganz viele Leute gar nichts zu tun auf ihrem gut bezahlten Arbeitsplatz innerhalb ihrer… Mehr

Last edited 12 Tage her by Franz O
Brauer
12 Tage her

Das Hauptproblem ist, dass die Leute die das alles ändern könnten nie in einen Pflegenotstand kommen werden! Die sind bis ans Ende Rundumversorgt und im schlimmsten Fall holen sie auf eigene Kosten eine 24/7 Pflege!

h.milde
12 Tage her

In der CH bekommt eine Pflegkraft durchschnittlich ca.7.300 CHF/Monat = ca 87.000 CHF/J ->medicpersonal.ch, ua.. Außerdem werden nmK. Pfegekräfte & Ärzte aus D geschätzt, und nicht von Kassen & Politikern schikaniert und beschimpft.
Denken KL & kranke Kassen eigentlich auch schon über kostentlastende Systeme wie „MAID“-Medical Assistance In Dying- in Kanada nach, oder wie Yusuke Narita, von der Yale-Uni, alte Menschen zu Gerontosuiziden zu animieren, um „Platz zu machen“.
Den Diakonie-Heimbetreibern scheinen solche Gedanken zumindest nicht allzu fern, wenn sie alte & kranke Menschen rauswerfen, um „traumatisierte“ junge Männer zu beherbergen.

Fieselsteinchen
12 Tage her
Antworten an  h.milde

Bei KL bin ich mir sehr sicher, dass er das japanisch-kanadische Modell bevorzugt. “Nun sind sie eben weg!” – Damit schlägte der Mann zwei Fliegen mit einer Klappe: Pflegekasse gerettet, Pflegenotstand beseitigt, höhere Löhne unnötig sowie Punkt 2) Entlastung der Krankenkassen, da weniger Medikamente und ärztliche Versorgung für die unnützen “alten Säcke” aufgewandt werden muss. Nur eine finale Spritze!
Mit der Corona-Spritze hat es nicht so super gewirkt, sind noch zu viele übrig und vor allem mit Thrombosen und sonstigen Malaisen. Wo man schon mit Experimentalsuppe die “Alten zuerst retten wollte”…. – ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

dienbienphu
12 Tage her
Antworten an  h.milde

Aus der Schweiz höre ich von Auslandsdeutschen immer, wie gut man verdient und wie gut die Versorgung ist. Aber dass man als Deutscher einfach nicht akzeptiert wird.
Ein Bürger soll nach einem Leben voller Arbeit nicht sein Vermögen aufbrauchen müssen für eine bescheidene Pflege. Nicht so lange Arbeiter so viel Geld als Steuern und Sozialabgaben zahlen müssen und der Staat das Geld mit vollen Händen ausgibt.
In der heutigen Welt kann ein selbstgewählter Tod erstrebenswert sein, im höheren Alter. Manch einer will kein Pflegefall werden. Man will nicht die Sinne verlieren. Die Schmerzen sind unerträglich, usw.

Last edited 12 Tage her by dienbienphu
Aegnor
12 Tage her

Die Pflegeproblematik ist halt – genau wie die demografische Überalterung – eine Teilmenge der Rentenproblematik. Das staatliche Rentensystem (und weniger die Antibabypille) hat zu einem Bewusstsein in der Bevölkerung geführt, dass Kinder nicht mehr notwendig sind, um im Alter versorgt zu sein. Dementsprechend sank die Geburtenrate. Problem ist, dass das zwar auf den finanziellen Aspekt zu trifft bzw. traf, aber nicht auf die Pflegekomponente. Früher wurden die meisten Alten von ihren Kindern (meist den Schwieger-/Töchtern) gepflegt. Nur die wenigen die keine Kinder hatten und nicht mehr für sich sorgen konnten, krepierten dann alleine in ihrer Hütte oder kamen ins Armenhaus,… Mehr