Die repressive Toleranz des Winfried Kretschmann

Wäre ja noch schöner, wenn man Corona und Klimawandel nicht als Trittbrett für die Umsetzung alter Träume nutzen könnte. Nie endend: der Marsch der 68er durch die Institutionen und Definitionen.

IMAGO/Arnulf Hettrich

Eigentlich kommt er ja so richtig sympathisch „rüber“, und wählbar ist er bis weit ins bürgerliche Lager hinein: Baden-Württembergs seit 2011 amtierender grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann (73). Ja, was er nicht alles ist: Landesvater, Realo, bekennender Katholik, liebevoller Großvater, Dieselfahrer, Merkel- und Söder-Freund, eigentlich – wäre er eine Frau – die Idealbesetzung für das Amt des Bundespräsidenten.

Stimmt das alles? Hat sich der vormalige Maoist und von 1973 bis 1975 Aktivist in der Hochschulgruppe des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) wirklich und typisch deutsch zum biederen Spießbürger gewandelt? Nein, hat er nicht. Jetzt hat er einen Blick in sein viele Jahre als überwunden geglaubtes, aber doch erstaunlich lebendiges links-repressives Weltbild gewährt.

Wem gewährt Kretschmann diese Einblicke? Natürlich dem realen Amts- und Verlautbarungsblatt für links-grünes Denken: der tageszeitung (taz). Als „liberaler grüner Politiker“ wird er dort brav vorgestellt, und zwar zum Ausklang des Jahres 2021 anlässlich eines langen, langen taz-Interviews: über 16.000 Zeichen lang, in einem Buch wären das fast zehn Druckseiten. Über Kant und über den „Schwaben Hegel“ darf er dort räsonieren. Verstört darf er sich dort geben über den Rechtspopulismus mit Donald Trump an der Spitze, über die AfD und deren „Kohorten“. Dass seine Frau nach anfänglichen Bedenken wegen der Reichweite jetzt ebenfalls E-Auto fährt; dass er mit seinem alten Diesel Sand für den Sandkasten seiner Enkel holte: Nichts wird für die Imagepflege ausgelassen.

Aber der Kern des Interviews ist ein anderer: Kretschmann will, das zu betonen ist der „taz“ bereits einleitend wichtig, „Freiheit, Vernunft und Pflicht neu justieren“. Warum will er das? Wegen der Pandemie und des Klimawandels. Wäre ja auch noch schöner, wenn man Corona und Klimawandel nicht als Trittbrett für die Umsetzung alter Träume nutzen könnte.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Also geht es drauf los: Freiheit müsse an Vernunft gekoppelt sein. Denn in einer Krise wie der Pandemie brauche man Zustimmungen, die das demokratische Mehrheitsprinzip so nicht vorsehe. Wörtlich: „Solche Mehrheiten zu erzwingen, ist eine große Herausforderung.“ Daraus folge eine Impfpflicht, die Kretschmann rabulistisch wiederum von einem Impfzwang unterscheidet. Ohne freilich zu sagen, wo der Unterschied ist. Und überhaupt müsse der Staat mehr Rechte haben, etwa um den Datenschutz einzuschränken.

So, nun ist die Katze aus dem Sack. Ein allmächtiger Staat weiß, was richtig und notwendig ist. Und im Grunde ist der Staat gar eine Art Psycho- und Familientherapeut. Das sagt Kretschmann so nicht, aber konkret meint er, eine Impfpflicht würde einen Konflikt aus der Gesellschaft herausziehen und damit „mittelfristig“ die Gesellschaft „befrieden“.

Spätestens da legt jeder halbwegs aufrechte Demokrat die Ohren an. Denn was hier sophistisch propagiert wird, ist ein totalitäres Weltbild. Es geht wie bei den 68ern und ihrem Übervater Herbert Marcuse um „repressive Toleranz“. Diesmal aber nicht als Aggressionsobjekt eines hinwegzufegenden bürgerlichen Staates, der Menschen angeblich manipuliere und sie vorgegebene Meinungen nachplappern lasse. Sondern „repressive Toleranz“ wird hier bei Kretschmann zur Strategie eines Ewig-Linken, der aufbegehrenden Bürgern, Demonstranten und sogar Spaziergängern die Toleranz entziehe, weil er, der Staat, besser wisse, was für die Menschen gut und richtig sei.

Mit anderen Worten: Der Bürger ist der Untertan. Er soll in Zeiten von Corona und Klimawandel schleunigst vergessen, dass er der Souverän und eigentlich der Auftraggeber des Staates ist. Aber offensichtlich will der deutsche Michel es so. Heinrich Heine hat es 1824 schon gewusst und wohl auch für 2022 vorausgesehen: „Untertanentreue ist ein so schönes Gefühl! Und es ist ein so wahrhaft deutsches Gefühl!“


Unterstützung
oder

Kommentare ( 71 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

71 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Peer Munk
2 Jahre her

Da ist Kretschmann ja wohl auch wieder bei Hegel angelangt, der auch die Idee vom autoritären Staat vertrat und mit seiner Philosophie verteidigte. Und von da ging es in den Totalitarismus, sowohl den Nationalsozialismus als auch Kommunismus. Passt doch. Grün ist das neue/alte Braun.

OhneMaske
2 Jahre her

Wenn selbst ein Hr. Scholz trotz Cum-Ex, trotz Fotos mit Antifa-Anhängern hier Bundeskanzler werden kann, dann ist dieses System nicht nur an der Spitze krank, nein dieses System ist komplett krank und zwar sterbenskrank, es liegt in den letzten Zuckungen und wird nur noch durch immer drastischere Maßnahmen am Leben gehalten. Wer Schnellgerichte für Coronademonstranten verlangt und nicht mal dafür Sorge tragen kann, dass messerstechende, vergewaltigende, … Asylforderer, islamistische Terroristen,… regelmässig aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die deutsche Gerichtsbarkeit überlastet ist und es somit nicht schafft sie fristgemäß vor Gericht zu stellen, der sollte sich mal auf seinen Geisteszustand… Mehr

Juergen P. Schneider
2 Jahre her

Bei vielen Wählern reicht es eben aus, wenn man als netter Opa rüberkommt. Was der nette Opa für links-faschistische Phrasen und Pläne auf Lager hat, wird da gar nicht mehr wahrgenommen. Der ist doch so sympathisch, hört man oft. Solches wurde von so manchem historischem Unhold gesagt. Nun ist Kretschmann zwar eine Figur der Zeitgeschichte, historische Dimension wird das Wirken dieses provinziellen Kleingeistes sicherlich nicht erreichen. Als schlechtes Beispiel für ideologiegetriebenen Fanatismus taugt er allemal.

Nibelung
2 Jahre her

Ein bekennender Maoist an den Hebeln der Macht, das ist mit einem Albtraum vergleichbar und nun werden wir von solchen Typen verwaltet, die in alter geistiger Tradition das Land beherrschen und die Bürger sind die Gekniffenen, weil sie die Tragweite noch nicht erkannt haben und immer noch von einer guten Zukunft unter der Leitung dieser kommunistischen Horde ausgehen, die sie direkt in den Abgrund führt. Das werden sie alles noch in Kürze zu spüren bekommen, wenn sie in nahezu allen Lebensbereichen reglementiert werden und damit ist es aus mit der Individualität des Souveräns und er wird zum Unfreien gemacht, Corona… Mehr

Franz Grossmann
2 Jahre her

Als Schwabe, der sogar das gleiche Gymnasium wie Kretschmann in Riedlingen besucht hat, zwei Jahre später, bin ich fassungslos und schockiert, wie viele Wähler diesem Mann ihre Stimme gegeben haben. Seit 2011 ist er mittlerweile im Amt und wird das Ländle bis zum Ende seiner dritten Amtsperiode endgültig kaputt gemacht haben. Leider war dies nur möglich mit Hilfe einer vollkommen degenerierten CDU unter dem Merkel-Schützling Strobl, der sich für sein Amt als Innenminister Kretschmann komplett unterworfen hat. Jetzt in der Coronazeit zeigt der Mann seine wirren, totalitären Vorstellungen. Außerhalb Baden-Württembergs denken wahrscheinlich viele, dass hier ein Psychopath am Werk ist.

OhneMaske
2 Jahre her
Antworten an  Franz Grossmann

Psychopathen gibt es in der Politik nicht nur in BW, die gibt es mittlereweile in allen Bundesländern und leider auch in verantwortlichen Positionen! Das sagt mal wieder wieviel und was der Grossteil der Deutschen aus Nazizeit und stalinistischer Diktatur gelernt haben

Kappes
2 Jahre her

Verehrter Herr Ministerpräsident,

in Ihren Stellungnahmen in der taz plädieren Sie für eine Impfpflicht.

Würden Sie in diesem Beich auch der Anwendung von Gewalt zustimmen? Wäre es für Sie in Ordnung, wenn Menschen von der Polizei aus ihrer Wohnung geholt werden, um Sie dann gegen ihren Willen impfen zu lassen?

hochachtungsvoll,

ein Mensch

Last edited 2 Jahre her by Kappes
Manfred_Hbg
2 Jahre her

Zitat: „Aber offensichtlich will der deutsche Michel es so. Heinrich Heine hat es 1824 schon gewusst und wohl auch für 2022 vorausgesehen: „Untertanentreue ist ein so schönes Gefühl! Und es ist ein so wahrhaft deutsches Gefühl!“ “

> Mhh, gerade auch mit Blick auf die letzten 6, 12 oder 30 Jahre: es scheint tatsächlich -auch- etwas wahres dran zu sein wenn gesagt wird, dass der Deutsche Obrigkeitshörig ist.

Na dann, auf ein Frohes Neues (Zynism off)

Rosalinde
2 Jahre her

Die aktuelle Situation mit der Linksregierung in Berlin ist noch halbwegs erträglich, aber das dürfte sich in einer wirklichen Belastungssituation rasch ändern. Dann wird Kretschmann der erste sein, der Verstaatlichungen fordert. Propagandistisch stehen die alle in Schönwetterzeiten fest zur Marktwirtschaft, aber wehe die Schönwetterlage ändert sich!

Last edited 2 Jahre her by Rosalinde
Bernd Schulze sen.
2 Jahre her

Also, mir war der noch nie suspekt, keine Ahnung was an dem väterlichen sein soll oder so ähnlich. Gleich zu Beginn, als er von den Grünen ins Rennen geschickt wurde und ich von ihm noch nichts wusste außer wie er aussieht, war mein Urteil gefällt, ein Wolf im Schafspelz und sein wahres ich hat ja jetzt schon des öfteren gezeigt und was hat er großartig geleistet im Ländle. Waren Da nicht Grüne Machenschaften im Gesundheitswesen im Zusammenhang mit Krankenhäuser schließen und große Zentren zu errichten und seine Rolle dabei wurde nie richtig aufgeklärt. Genauso wie der Herr der eine Neujahrsansprache… Mehr

Wittgenstein
2 Jahre her

Lieber Herr Kraus,

die Kretschmänner und -frauen dieses Landes „schwurbeln“ Tag und Nacht von „Vielfalt“, meinen und repräsentieren jedoch Einfalt.

Man tut sich schwer, diesen „BS“ tagtäglich über sich ergehen lassen zu müssen. Es ist alles so spiessig und kleinkariert, grauenvoll.