Die EU-Kommission rüstet zum finalen Feldzug gegen Karlsruhe

Die EU-Kommission hat einen Unterwerfungskampf gegen die Nationalstaaten begonnen. Ob man in Brüssel weiß, was das bedeutet, ist zu bezweifeln. Der aus früheren Imperien bekannte Cäsarenwahn hat wohl auch die dortigen Eliten befallen.

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Das Berlaymont-Gebäude, Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel

Im Mai 2020 fällte das deutsche Verfassungsgericht ein damals zunächst aufsehenerregendes Urteil zu den Anleihenkäufen der EZB. Es äußerte nicht nur die Vermutung, dass diese Käufe ohne weitere einleuchtende Begründung illegal sein könnten, es erteilte auch dem EuGH eine Ohrfeige, dem es bescheinigte, der EZB faktisch einen juristischen Blankocheck ausgestellt zu haben ohne Rücksicht auf das geltende europäische Recht. Dass sich die Karlsruher Richter damit in Luxemburg, dem Sitz des EuGH, nicht gerade beliebt machten, kann man sich leicht denken. Allerdings war das Urteil von Anfang an so formuliert, dass die Bundesregierung, die es theoretisch zu exekutieren hatte, es sehr weich auslegen konnte, so weich, dass es praktisch folgenlos bleiben würde, und genau das tat die Bundesregierung mit der Unterstützung des Bundestages auch. Davon können die Richter in Karlsruhe nicht wirklich überrascht gewesen sein, sondern sie werden dies von Anfang an einkalkuliert haben. Das Verfassungsgericht hat zwar in den letzten 15 Jahren immer wieder vor möglichen ultra vires-Akten der EU-Organe gewarnt, aber zugleich eigentlich immer zu erkennen gegeben, dass es selber nicht gewillt sei, dagegen irgend etwas Ernsthaftes zu tun. 

Von daher ist es schon sehr erstaunlich, dass das damalige, faktisch folgenlose Karlsruher Urteil jetzt zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik von Seiten der EU-Kommission geführt hat. Der Regierung Merkel kann man nun wahrhaft nicht vorwerfen, dass sie Maßnahmen der EU jemals offenen Widerstand entgegensetzen würde, allenfalls verzögert man auf manchen Gebieten die Umsetzung von EU-Recht auf nationaler Ebene, oder setzt dieses nur halbherzig um, was für andere europäische Länder natürlich in noch viel stärkerem Umfang gilt, falls diese nicht europäische Rechtsnormen sogar ganz offen ignorieren. Man denke an die Zustände in Flüchtlingslagern oder Gefängnissen in Griechenland, die es rechtlich oft unmöglich machen, dorthin Flüchtlinge zurückzusenden oder Strafgefangene abzuschieben – auch das nur ein Beispiel von vielen. 

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Das Verfahren der EU richtet sich ja auch in Wirklichkeit nicht gegen die Bundesregierung, sondern gegen das deutsche Verfassungsgericht, das auf diese Weise wohl ein für alle mal zur Raison gebracht werden soll. Unabhängige Gerichte rückwirkend zur Annullierung ihrer Urteile zu zwingen, statt einfach nur die Rechtsauffassung dieser Gerichte für unzulässig zu erklären, ist freilich ein Vorhaben, das unter rechtsstaatlichen Bedingungen schon recht ungewöhnlich ist. Man fragt sich auch, wie die Bundesregierung ein Urteil des EuGH, das sich gegen Deutschland richtet, am Ende umsetzen soll? Soll sie durch eine Grundgesetzänderung die Kompetenzen Karlsruhes beschneiden, oder soll sie die schuldigen Richter absetzen und in Festungshaft nehmen wie das absolutistische Herrscher im 18. Jahrhundert gelegentlich taten? Denkbar wäre natürlich auch, einfach die Richter auszutauschen, oder zumindest freiwerdende Positionen am Gericht nur noch mit absolut EU-treuen Richtern zu besetzen. Aber wäre eine solche Praxis so unendlich weit entfernt von jenen Versuchen zur Steuerung und Kontrolle der Justiz, wie wir sie zur Zeit in Polen sehen, und über die man sich in Brüssel so außerordentlich aufregt? Wohl kaum.

Die Stabilität der EU muss auf Vertrauen beruhen, nicht auf Zwang

Sicherlich, das muss man zugestehen, hat auch Deutschland ein starkes Interesse daran, dass europäisches Recht gegenüber den Mitgliedsstaaten durchsetzbar bleibt. So hat der EuGH vor kurzem ein Urteil gefällt, mit dem der ausufernde Braunkohletagebau, den Polen nahe der tschechischen und deutschen Grenze im Dreiländereck betreibt, eingeschränkt werden soll. Das ist ein wichtiges Urteil, denn auch deutsche Gemeinden können von den negativen Auswirkungen des Bergbaus betroffen sein, etwa durch einen niedrigeren Grundwasserspiegel oder eventuell auch durch das Absinken der Fundamente von Gebäuden in Städten wie Görlitz. Bis jetzt macht Polen wenig Anstalten, sich an das Urteil zu halten und auch das mag ein Grund dafür sein, dass die EU-Kommission jetzt ein Verfahren gegen Deutschland eröffnet, um auf diese Weise den Polen keinen Vorwand zu liefern, Europarecht einfach zu ignorieren. Allerdings wäre man in Brüssel und Luxemburg gut beraten, darüber nachzudenken, dass die Autorität eines Gerichtes auch etwas mit Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit zu tun hat. Ein Gericht wie der EuGH, das sich selbst eine politische Mission, nämlich die vollständige europäische Integration, zuschreibt, für die es als Gericht per se keine Legitimation besitzt – eigentlich soll es nur die bestehenden Verträge, Gesetze und Verordnungen möglichst neutral auslegen – riskiert auf Dauer, seine eigene Autorität zu schwächen oder sogar zu zerstören. 

Die EU-Kommission will die europäischen Verträge im Sinne einer Provinzialisierung der Nationalstaaten uminterpretieren.

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Aber für solche Argumente scheint man bei den Fanatikern des europäischen Einigungsprozesses wenig Verständnis zu haben. Eine besonders unglückliche Rolle spielt dabei die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, und dies nicht zum ersten Mal. Eine Frau, deren Eitelkeit das übliche Maß deutlich übersteigt und deren Machtstreben und Ehrgeiz kaum Grenzen kennen, will offenbar ein Exempel statuieren. Sie will, so scheint es, noch in ihrer Amtszeit die Fundamente für einen echten europäischen Bundesstaat legen. In diesem Sinne ist es konsequent, dass sie ihr Heimatland Deutschland in die Knie zwingen will. Sie weiß, dass deutsche Politiker einer offenen Konfrontation mit Brüssel immer ausweichen werden. In Karlsruhe vermutet sie andererseits eine letzte Trutzburg des Widerstandes gegen die weitgehende Abwicklung des demokratischen Nationalstaates; daher gilt es nun die stolzen, wenn auch in Wirklichkeit, wenn es ernst wird, wenig kampfeslustigen deutschen Verfassungsrichter vorzuführen und ein für alle Mal so zu demütigen, dass sie nie wieder gegen Brüssel oder Luxemburg aufbegehren. Der Beifall der deutschlandfeindlichen Medien in der EU und von deutschen und ausländischen Journalisten, die jede Verteidigung deutscher Interessen in Europa für grundsätzlich illegitim halten, ist ihr dabei allemal sicher. So wundert man sich dann auch nicht, auf politico.eu einen Artikel zu finden, der angesichts der bevorstehenden Demütigung des vermeintlich „arroganten“ Deutschlands in ein recht unappetitliches, höhnisches Triumphgeheul ausbricht.

Durch ihr Verhalten provoziert die EU-Kommission freilich eine Grundsatzdebatte, die sehr unerfreuliche Züge annehmen könnte. Bislang war die vorherrschende Rechtsauffassung die, dass die Kompetenzen der EU-Organe auf einer vertragsrechtlichen Ermächtigung durch die souveränen Mitgliedsstaaten beruhen. Da diese Mitgliedsstaaten ein Sezessionsrecht haben, also aus der EU wieder austreten können, wie Großbritannien es ja eben getan hat, muss ihnen logischer Weise auch ein residuales Recht verbleiben, sich im Notfall gegen ausufernde Rechtsakte der EU-Organe und schlimmstenfalls auch gegen eklatante Fehlurteile des EuGH, die das EU-Recht nicht sachgerecht auslegen, sondern aus politischen Gründen uminterpretieren, zu wehren, sonst wären sie am Ende nicht mehr als bloße Provinzen eines gemeinsamen europäischen Staates. So einen Zustand mag man sich wünschen, aber um ihn zu erreichen, müsste, wie Karlsruhe in der Vergangenheit klargemacht hat, im Falle Deutschlands das Grundgesetz durch eine ganze andere Verfassung ersetzt werden, und Ähnliches würde auch für andere europäischen Länder gelten. 

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Sicher darf dieses Notwehrrecht gegen ultra-vires-Akte der EU nur im Extremfall genutzt werden, sonst zerfällt die EU in der Tat zu Staub, weil es dann gar kein gemeinsames Recht mehr gäbe. Es aber grundsätzlich zu negieren, und das in einem Fall, in dem ein deutsches Gerichtsurteil faktisch vollständig folgenlos blieb, muss das Vertrauen in die EU unterminieren, und das am Ende nicht nur in Deutschland, wo einstweilen ja der Wille, sich Brüssel unterzuordnen, viel stärker ist als in vielen anderen Ländern, sonst auch im Rest Europas. Dort mag man sich für den Moment darüber freuen, dass man Deutschland und seinen schwachen Widerstand gegen eine Vergemeinschaftung aller nationalen Schulden in der Eurozone endgültig gebrochen hat, längerfristig werden aber die Sorgen vor einer Erosion der eigenen Souveränität eher zunehmen. Für Ostmitteleuropa, das man durch ein Verfahren gegen Deutschland offenbar auch disziplinieren will, gilt das allemal.

Hat sich die EU-Kommission wirklich überlegt, wohin sie ihr Verfahren gegen Deutschland führen kann? Diesen Eindruck hat man nicht, vielmehr hat sie einen Krieg begonnen, der gerade in diesem konkreten Fall auch aus Brüsseler Sicht durchaus vermeidbar gewesen wäre. Allerdings ist es wohl das Kennzeichen imperialer Herrschaftssysteme, dass sie ihre Macht beständig ausdehnen wollen und dabei, wenn das geeignete Personal bereitsteht, ihre je eigene Form des Cäsarenwahns hervorbringen – in dieser Hinsicht agiert dann auch die EU nicht sehr viel anders als andere ältere Imperien. 

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Kommentare ( 15 )

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Mausi
2 Jahre her

Aber „man“ will doch einen EU-Staat. Und Nationalstaaten, die in ihm aufgehen. Die keinen anderen Status haben als unsere Bundesländer oder sogar komplett verschwinden wie im zentralistischen Frankreich. Von daher sind die Signale doch nur konsequent. Überall, wo die Spitzhacke an den Nationalstaat angelegt werden kann, ohne dass ein einstimmiger Beschluss der Mitgliedsstaaten vorliegen muss, wird sie angesetzt. Jeder EU-Staat, der sich nicht überlegt, wo die Grenze der Käuflichkeit seiner Souveränitätsbestandteile liegt, macht etwas falsch. Die wenigsten sind so konsequent und fragen ihre Bürger.

Cubus
2 Jahre her

Das ist doch nur eine Show. Unser BVG ist doch längst im Sinne einer Abwicklung dieses Landes gleichgeschaltet. Von dort wird es keinen wirklichen Widerstand geben. Läuft alles nach Plan. Die einzigen, die das stoppen können, sind die Bürger. Doch die beschäftigen sich mit Masken, Tests und Impfterminen.

Aegnor
2 Jahre her

Dieses Verfahren ist für jeden klar ersichtlich ein völlig sinnloser Bestrafungsakt, da das BVerfG überhaupt nichts unternommen hat und im Gegenteil jetzt in neuer Besetzung sogar die Anträge der Kläger das Urteil durchzusetzen blockiert hat. Die anderen Länder werden sich das gut anschauen, denn sie sind die Nächsten. Der Gerichtshof der EU ist dagegen schon allein deshalb befangen, weil dessen Richter niemals ein Urteil fällen werden, dass die Existenz des EuGH und damit ihre eigenen hochbezahlten Richterposten in Frage stellt. Was mich am Meisten interessiert ist, wie Frankreich zu dieser Kompetenzausweitung steht, denn die haben ja diesen ganzen EU-Größenwahn angezettelt.… Mehr

HRR
2 Jahre her

Der Wille deutscher Politiker sich vollkommen unberechenbaren politischen Maßnahmen der EU-Bürokraten und nicht zu vergessen, der Staatschefs der EU-Mitgliedsländern, unterzuordnen, ist ungebrochen. Auch das Bundesverfassungsgericht wird letzten Endes kuschen, Grundgesetz hin oder her. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass jede nicht so genehme Maßnahme, sei sie politisch, juristisch, ökonomisch und insbesondere finanzpolitisch, durch faule Kompromisse, meist zum Nachteil Deutschlands, durchsetzbar war. Im Zweifelsfall warteten die Bürokraten auf eine passende Gelegenheit wie z. B. die Corona-Pandemie. Der deutsche Schuldenberg und die immer größer werdenden Summen, für die Deutschland haftet, beweisen das.

Last edited 2 Jahre her by HRR
Joe
2 Jahre her

Das könnte der Anfang vom Ende sein. Deutschland wird sich unterwerfen, aber werden sich das Warschau, Budapest und Prag gefallen lassen?

ShaundasSchaf
2 Jahre her

„Durch ihr Verhalten provoziert die EU-Kommission freilich eine Grundsatzdebatte, die sehr unerfreuliche Züge annehmen könnte.“
Aber nur außerhalb Dummlands??

Leonor
2 Jahre her

Ich kann mich diesmal nicht dafür begeistern für Deutschland bei der EM zu fiebern.
Ich bin fast alles, was aktuell in diesem Land verachtet wird.
Deutsch, Mittelstand, Nettosteuerzahlend, nicht divers, christlich, Bewunderer vom Land der Dichter und Denker.
Das ist aktuell leider nicht mehr mein Land. Und das tut sehr weh.

Babylon
2 Jahre her

Die Degradierung des Karlsruher Gerichts zu einem bloßen Provinzgericht einer zukünftigen Provinz Deutschland als Teilgebiet eines zu bildenden europäischen Bundesstaates im Vorgriff oder einer gewissen Gleichzeitigkeit dieses Prozesses der Implementierung eines europäischen Zentralstaates, scheint in seinem Ablauf von den Karlsruher Richtern sowohl hingenommen, gefördert als auch verzögernd kommentiert zu werden. Diese Ambivalenz hat trotzdem ihre bevorzugte Richtung hin zu einer Selbstentmachtung des Bundesverfassungsgerichts und ist natürlich von Seiten der momentanen deutschen Regierungspolitik auch so gewollt, schon in Abfolge der Zusammensetzung des derzeitigen Richterkollegiums durch die politische Auswahl der Richter. Ob es letztendlich zu einem europäischen Zentralstaat mit mehreren Zwischenschritten kommt,… Mehr

beat126
2 Jahre her

Es ist durchaus möglich Hoheitsrechte der Gesetzgebung zur Harmonisierung an die EU zu übertragen. Das würde ich aber niemals empfehlen, weil erst unterschiedliches Recht Markt und damit wirtschaftliche Vorteile erzeugt. Eine Harmonsierung von Recht führt zu einem Kartell. Also höheren Preisen, tieferen Löhnen und weniger Solvenz. Es ist aber nicht möglich bei Staaten mit Verfassungsgerichtsbarkeit Hoheitsrechte der Rechtsprechung an eine höhere Instanz zu übertragen. Wer hätte das tun dürfen? Bestimmt nicht Gewählte die genau eben von diesem Gericht kontrolliert werden – das BVerfG ist ihr Kontrollorgan. Und das Volk wurde nicht gefragt. Was sich im Grundgesetz findet ist der Abs.… Mehr

Herbert
2 Jahre her

“ …… im Falle Deutschlands das Grundgesetz durch eine ganze andere Verfassung ersetzt werden, und Ähnliches würde auch für andere europäischen Länder gelten.“ Für das gegenwärtige Deutschland trifft dies zu und würde mit den Abnickern im Bundestag schnell und freudig realisiert. Das darauf folgende Aufgehen Deutschlands in einen von Uschi regierten EU-Superstaat würde ganz sicher ohne größeren Widerstand der Bevölkerung stattfinden. Im Fall der übrigen europäischen Staaten müßte allerdings erst der Nationalstolz der betreffenden Völker gebrochen werden. Dies wird in diesem Jahrhundert weder Uschi noch nachfolgenden fähigeren Führungskräften der EU gelingen. Und möglicher Weise zieht bereits im kommenden Jahr Frankreich… Mehr