Deutsche Angst

Die 26. r+v-Studie über die Ängste der Deutschen gibt vor allem deshalb wertvolle Erkenntnisse über die Wahrnehmung unserer Zeitgenossen von der Welt, in der wir leben, weil der Vergleich über den langen Zeitverlauf möglich ist.

© Getty Images

„Die Angst vor Anschlägen liegt mit deutlichem Abstand auf Platz eins und erreicht mit über 70 Prozent einen der höchsten Werte, der jemals in der Langzeitstudie gemessen wurde“, sagte R+V-Expertin Brigitte Römstedt bei der Vorstellung der Studie „Die Ängste der Deutschen“. Im Juli 2016 hatte Römstedt formuliert: „Nie zuvor im Laufe unserer Umfragen sind die Ängste innerhalb eines Jahres so drastisch in die Höhe geschnellt wie 2016“. Deutsche Angst: ein international gebräuchliches Wort. Das ist ein Ergebnis für sich, das keine Studie braucht.

„2016 ist das Jahr der Ängste“, kommentierte 2016 Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Berater des R+V-Infocenters, dieses Ergebnis. Er registriert „erdrutschartige Verschiebungen“ im Ranking: „Die Sorgen um Geld, Gesundheit und Umwelt – in früheren Jahren noch Top-Themen – sind nicht verschwunden. Aber jetzt werden sie von schwerwiegenden Gefährdungen wie Terror, Extremismus oder EU-Schuldenkrise überlagert.“ 2016 kommt ein weiterer Faktor Deutsche Angst hinzu, so Professor Schmidt: „Die große Mehrheit der Deutschen ängstigt der Kontrollverlust des Staates in der Flüchtlingskrise und die Überforderung der Politiker – ein katastrophales Urteil für die politische Klasse.“ Konkret: Zwei Drittel der Bundesbürger befürchten, dass die große Zahl der Flüchtlinge die Deutschen und ihre Behörden überfordert (66 Prozent) und dass die Politiker ihren Aufgaben nicht gewachsen sind (65 Prozent).

2017 ist das Bild der R+V-Studie dem von 2016 sehr ähnlich. Leicht abgeschwächte Sorgenziffern spiegeln mehr die Wahrnehmungs-Veränderungen im Bereich Arbeit und Wirtschaft. R+V sagt dazu in der Pressemitteilung:

Ergebnisse der 25. R+V-Studie
Kontrollverlust: Terror, Extremismus und Flüchtlingskrise dominieren die Ängste der Deutschen
„Geringer als je zuvor im Verlauf der Langzeitstudie sind die Ängste vor Arbeitslosigkeit und einer Verschlechterung der Wirtschaftslage. Mit 17 Prozentpunkten am stärksten gesunken ist die Befürchtung, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland ansteigen könnten. Sie liegt mit 26 Prozent auf dem vorletzten Platz. Fast ebenso gering ist die Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs (minus 11 Prozentpunkte auf 27 Prozent). Die Furcht vor einem Abwärtstrend der Wirtschaft ist um 15 Prozentpunkte auf 37 Prozent abgesackt – und damit ebenfalls auf Rekordtief. Professor Schmidt deutet den Rückgang der wirtschaftlichen Sorgen als ‚Stimmungsaufheller, der mit der wirtschaftspolitischen Großwetterlage zusammenhängt. Die deutsche Wirtschaft boomt und sorgt dafür, dass die Arbeitslosenquote auf den niedrigsten Wert seit über 25 Jahren sinkt.’“

Ohne dieses positive Bild von Wirtschaft und Arbeit, das allerdings für jeden, der Bescheid weiß, die Sorgen der Bürger ausklammert, die am Rande des allgemeinen Wohlstands unbeachtet bleiben, sähe die Lage für die Verantwortlichen in Parteien, Verbänden, Gewerkschaften und so weiter wesentlich schlechter aus. Wenn sehr viele sich in wirtschaftlich sicherer Lage fühlen, nimmt Deutsche Angst Manches hin, was sonst in Aufruhr versetzen würde. Von 2005 bis 2015 hat sich die Angst vor Arbeitslosigkeit von 65 auf 32% halbiert, vor schlechter Wirtschafts-Entwicklung von 70 auf 40 Prozent gesenkt.

Die Angst vor Terror erreichte 2016 mit 73% ein bisheriges Hoch, wie die r+v-Studie jenes Jahres anschaulich ins Bild setzte. Dass es nun im neuesten Bericht 71 Prozent sind, wird man wohl nicht als Rückgang interpretieren dürfen. Bei jedem Anschlag wird die Zahl sofort ansteigen, auch über die 73 des letzten Jahres hinaus.

Interessante, nicht überraschende Erkenntnisse gibt es bei dem Blick auf Alters-Gruppen (r+v 2017). Mit der Lebenserfahrung steigt das Sensorium für Bedrohungen. Doch vom Trend her sind die Empfindungen der Alterskohorten nicht erwähnenswert verschieden. Mit ihren doch zunehmend unterschiedlichen Medien-Präferenzen kann das Bild nichts zu tun haben. Denn die Internet-affinen Jüngeren und die deutlich mehr bei den alten Medien verorteten Älteren ordnen die Themen, die ihnen Sorge machen, offensichtlich recht gleich ein.

r+v kommentiert die ermittelten Werte: „2017 überspringt fast die Hälfte der abgefragten 20 Sorgen die 50-Prozent-Marke – deutlich mehr als in den meisten Studien zuvor. Vier Ängste erreichen sogar den zweithöchsten Wert seit Beginn der Umfrage: Weit überdurchschnittlich viele Bürger fürchten sich in diesem Jahr vor Terror, Extremismus, Spannungen durch den weiteren Zuzug von Ausländern und vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln. Unvermindert hoch ist mit 57 Prozent auch die seit drei Jahren abgefragte Angst vor der Überforderung von Bürgern und Behörden durch die große Zahl der Flüchtlinge.”

Schaut man sich die Themen mit den höchsten „Angstwerten“ an, bilden Terror, Immigration und der Umgang mit ihnen zusammen den eindeutigen Schwerpunkt der Bürgersorgen. Ein Journalist, den ich schon sehr lange kenne, kommentierte dieses Ergebnis der Studie, haben wir doch noch zu viel darüber berichtet. Wir gerieten in eine recht kontroverse Diskussion, an deren Ende er mir zwar nicht zustimmte, aber auch keine Gegenargumente mehr hatte, wie er unzufrieden mit sich selbst sagte. Ich wiederhole hier meine Hauptthese: Indem Meinungsführer-Medien diese heißen Themen runterspielen oder ausklammern, erreichen sie das exakte Gegenteil des Gewollten. Über nichts ist spannender zu reden als darüber, worüber nicht oder hinweg geredet werden soll.

Einen gesonderten Blick wirft die Studie auf das Themenfeld Schadstoffe in Nahrungsmitteln, das mit 58 Punkten auf der Angstskala sehr hoch liegt, r+v sagt: „Noch bevor der jüngste Lebensmittelskandal mit den Fipronil-belasteten Eiern öffentlich wurde, befürchteten 58 Prozent der Deutschen, dass Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sein könnten …”.

Da weisen die Medien ihre ungebrochene Meinungsführerschaft nach. Dass sich an den Einkaufs- und Konsum-Gewohnheiten gerade derer – mit ganz wenigen Ausnahmen – nichts ändern wird, die hinter dieser großen Angstzahl sind, steht auf einem anderen Blatt. Mit diesem Themenfeld und dem emotional verwandten der Naturkatastrophen, sagte mir ein Grüner, den ich auch schon lange kenne, glauben unsere Vorleute „zurück ins Geschäft” zu kommen. Er glaubt das nicht, ich auch nicht. Die grüne Partei hat ihr Urthema Umwelt verloren. Es ist so erfolgreich in derart große Teile der Völker des Westens eingedrungen, dass sich damit keine breiten politischen Gegnerschaften mehr organisieren lassen, keine Alleinstellung mehr möglich ist. Der Marke Grün ist die Farbe abhanden gekommen.

Die 26. Studie über die Ängste der  Deutschen der r+v-Versicherung gibt vor allem deshalb wertvolle Erkenntnisse über die Wahrnehmung unserer Zeitgenossen von der Welt, in der wir leben, weil der Vergleich über den langen Zeitverlauf möglich ist.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 37 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

37 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Rosi Sims
6 Jahre her

Bei dieser Zahl aus der Arbeitsschutznorm springt aber sofort jeder Journalist auf und verkündet, dass dieser Wert ja „nur bei Arbeitsplätzen gilt, die ein erhöhtes Risiko, … und nur zeitlich befristet ausgesetzt…blablabla“. Alle MSM weigern sich, diesen Fakt auch nur annähernd wahrheitsgetreu darzustellen. Für mich als CE-Dienstleister und Arbeitsschützer sehr erschreckend!

Rosi Sims
6 Jahre her

Dass dem so ist, kann man auch daran erkennen, dass heute in Münster (NRW) über „Betonboller“ um öffentliche Plätze getagt wurde um künftige Volksfeste und Märkte zu schützen. 25 Plätze sollen nun damit „verschönert“ werden! So etwas hat es vor 2015 nicht gebraucht! Ich lebe nicht gut und schon gar nicht mehr gern in so einer Stadt! Ich bin außerdem der Meinung, dass man mit den Betonbollern erst recht Abneigungen schafft. Mich stimmen diese Dinger jedenfalls nicht freundlicher gegenüber den zugereisten Herrschaften in langen, dubiosen Mänteln.

Rainer Neuhaus
6 Jahre her

Schaun mer mal.

Wir können uns unseren kurzen Meinungsaustausch ja mal auf „Wiedervorlage“ legen.

Hans_Nase
6 Jahre her

„Ein Journalist, den ich schon sehr lange kenne, kommentierte dieses Ergebnis der Studie, haben wir doch noch zu viel darüber berichtet.“. Selten so etwas entlarvendes gehört. Jemand, der so etwas von sich gibt, verdient den Titel Journalist nicht. Denn Journalisten – also die 4.Gewalt – haben einzig zu berichten, was ist. Und nicht die Aufgabe, das Volk ruhig zu stellen durch Nichtberichten von Themen. So zeigt sich mal wieder die allgemeine Hybris unter sog. „Journalisten“, die sich nicht als neutrale Berichterstatter sondern als Meinungsmacher (in diesem Fall als Beruhigungspillen) verstehen. Man fragt sich, ob diese Leute einfach kein Kinder haben?… Mehr

Alfred Ost
6 Jahre her

…beim 25,23fachen!

Ghost
6 Jahre her

Es gibt so etwas wie eine „Angsthierarchie“, die sich allerdings situativ und daher nicht stabil ausformt. Die jüngsten Ereignisse und Skandale spielen dabei eine Rolle. Diese Angsthierarchie verdeckt so manches, ist daher mit Vorsicht zu betrachten.

Anne Ku
6 Jahre her

Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wird schneller kommen als die Probanden ahnen. Alles, aber auch alles wird inszeniert, um der deutschen Wirtschaft Schaden zuzufügen.
Die deutsche Wirtschaft etabliert sich allerdings schon längst woanders, mit eben diesen anderen Arbeitnehmern.
Wo kommen dann die Milliarden her, die unsere verantwortungslosen Politiker in aller Welt und im eigenen Land an „Bedürftige (Deutsche ausgeschlossen), Asylsuchende, brauchbare Migranten etc.“ verschenken. Aktuell sollen es ca. 40 Milliarden sein!?
Warum wird, nach Aussagen der „Politbarometer“, nach der Bundestagswahl Frau Angela Merkel wieder Bundeskanzlerin?
Fragen über Fragen!

Rainer Neuhaus
6 Jahre her

Ich sage da nur, mal sehen wie Deutschland am 24.09.2017 gegen 18:30 aussieht.

Mit jedem Tag den wir der BT-Wahl näher kommen, wird meine Laune besser. Wenn ich mich so umsehe, in die diversen Foren schaue, den Politikbetrieb beobachte, der mühsam bemüht ist keinen Staub aufzuwirbeln, sagt mir mein Bauch:

Wir werden eine dicke Überraschung erleben.

Rosi Sims
6 Jahre her
Antworten an  Rainer Neuhaus

Ich würde es uns allen so sehr wünschen! Allein, mir fehlt der Glaube …

Mausi
6 Jahre her

Da merkt man aber ganz schön, wie stark sich die mediale Beeinflussung bemerkbar macht. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass Angst vor politischem Extremismus und Angst vor Giftstoffen in Lebensmitteln ganz weit oben auf der Liste zu finden sind. Die Medien suggerieren ja gerne, dass wir demnächst wieder im Dritten Reich sind, weil überall (besonders in Ostdeutschland) Nazis rumlaufen, oder wir von den bösen Landwirten mit ihren Pestiziden vergiftet werden. Beides ist völliger Unsinn, wenn man die Realität betrachtet.

Alfred Ost
6 Jahre her

Und die Angst vor Stickoxyden? Die müsste doch an erster Stelle zu finden sein, gemessen an der Wallung im ÖR.