Das Dinner mit Beigeschmack: Kanzler trifft Bundesverfassungsrichter

Ein Kanzler, der die Grenzen zwischen Politik und Justiz verschwimmen lässt – das kennt man von Merkel und Scholz. Merz knüpft nahtlos daran an: Während Richterposten im Hinterzimmer verschoben werden und das Bundesverfassungsgericht immer öfter zum politischen Werkzeug gerät, sitzt die Regierung mit den Verfassungsrichtern beim Dinner.

picture alliance/dpa | Uli Deck

Das Bundeskanzleramt vermeldet für den 9. Oktober 2025 ganz offiziell: „Am Donnerstagabend nehmen der Bundeskanzler und das Bundeskabinett an einem Abendessen mit den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts im Bundeskanzleramt teil. Diese Treffen finden seit Jahrzehnten regelmäßig statt und sind ein traditionelles Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung zwischen zwei Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates.“

Ein Déjà-vu-Erlebnis? Nein, es gab solche, oft allerdings geheimnisumwitterte Treffen in zumal politisch aufgeheizter Lage zuletzt mindestens zweimal:

  • Am 30. Juni 2021 trafen sich die Richter der beiden Karlsruher Senate mit dem Merkel-Kabinett zum Abendessen. Das politische Umfeld um diesen Termin war höchstbrisant: „Corona“ war ausgebrochen. Wenig später lehnte das Bundesverfassungsgericht übrigens Beschwerden gegen Infektionsschutzmaßnahmen ab. Die damalige Justizministerin Lambrecht (SPD) hielt einen Vortrag über das Vorgehen der Regierung während der Corona-Pandemie. Zudem stand ein „Karlsruhe“-Urteil zur AfD-Beschwerde gegen Merkel und deren Äußerungen aus dem fernen Südafrika („muss rückgängig gemacht werden“, „unverzeihlich“) zur Wahl des damaligen FDP-Manns Thomas Kemmerich vom 5. Februar 2020 zum (Kurzzeit)-Ministerpräsidenten Thüringens an.
  • Am 15. November 2023 kurz vor einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der milliardenschweren Klima-Umschichtung durch die „Ampel“ trafen sich Richter und Minister ebenfalls zum Abendessen. Im Kern ging es um die Schuldenbremse und den Nachtragshaushalt 2021. Der Termin blieb zunächst geheim. Offiziell ging es um „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“. Vorträge hielten Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein. Weiteres Thema war die „Generationengerechtigkeit“. Hierzu redeten Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sowie Verfassungsrichter Martin Eifert.
Merz einmal mehr instinktlos

Nun setzt Kanzler Merkel 2.0 (pardon: Friedrich Merz, CDU) diese Treffen fort. Und befördert damit wie schon seine Vorvorgängerin Merkel (CDU) und sein Vorgänger Scholz (SPD) den Verdacht, hier drohten die Grenzen der Gewaltenteilung zu verschwimmen. Oder noch konkreter: Hier drohte die wechselseitige Unabhängigkeit zu korrodieren.

Harren wir mal der Informationen, die durchsickern oder nicht durchsickern. In diesem Zusammenhang ist es ja interessant, dass das Bundesverfassungsgericht schon einmal mauerte, als es Anfragen der BILD zu einem dieser Treffen (vom 30. Juni 2021 bei Merkel) gab und „Karlsruhe“ jede Auskunft verweigerte. Damals, mit Urteil vom 14. Juni 2022 (Az. 4 K 233/22), maßregelte das Verwaltungsgericht Karlsruhe das Bundesverfassungsgericht und zwang es zu Auskünften.

Was das aktuelle Abendessen des amtierenden Kanzlers Merz mit dem Verfassungsgericht betrifft, so findet dies aus mindestens zwei Gründen ebenfalls in einer völlig unpassenden Zeit statt. Erstens weil das skandalöse Gewürge und Getrickse um die Neubesetzung von drei der zwölf Richterstellen gerade eben wenige Tage zurückliegen und sich die schwarz-rote Koalition hier nur trickreich durchsetzen konnte, weil sie informell mit den Grünen und mit der Ex-SED- koalierte. Und zweitens weil kaum eine Woche vergeht, in der vom Bundesverfassungsgericht nicht ein Verbot der größten Oppositionspartei, in Umfragen derzeit stärksten Partei, der AfD, gefordert wird.

Ja, auch hier zeigt Merz einmal mehr, dass er kein Gespür, keinen Instinkt hat und der nicht unberechtigten Ahnung Nahrung gibt, dass sich die Regierenden und die Altparteien das oberste Gericht zur Beute gemacht haben. Interessant ist ja nach wie vor: Die wieder einmal aus dem Bundestag hinausgewählte FDP hat nach wie vor ein Vorschlagsrecht bei der Benennung von Richterkandidaten, die AfD nach wie vor nicht: wiewohl in der „Sonntagsfrage“ derzeit stärkste und im Bundestag derzeit mit Abstand zweitstärkest Partei.

Kein Wunder, wenn das Vertrauen des Volkes in diese, in „unsere“ Demokratie erodiert!

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 37 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

37 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Zum alten Fritz
1 Monat her

Dadurch das die Richter von Parteien bestimmt werden gehört das BVG zu dem normalen Politikbetrieb. Die müssen sich halt Urteile ausdenken die begründen warum das so richtig ist wie es eben ist.
Wenn Richter neutral urteilen sollen können diese nicht durch Parteien bestimmt werden bzw. dürften auch keine Parteimitglieder oder ehemaligen Funktionäre sein.
Am Ende verlieren die Verfassungsgerichte ihren Sinn.

CasusKnaxus
1 Monat her

So garantiert man eben, daß diese Richter weiterhin schön unabhängig sind. Selbstverständlich verspricht Herr Pinocchio davon gar nix. Er ist so herzensgut, er weiß wie wenig die in den roten Roben verdienen und wie hart sie dafür arbeiten müssen. Ob da der Fahrplan zum Verbot der AFD besprochen wurde – ich bitte sie, daß ist ins Reich der Phantasie zu verbannen. Das geht nur in Bananenrepubliken!

Jan Frisch
1 Monat her

Mein Vertrauen in die BRD ist seit dem 05.09.2015 mausetot.
An dem Tag hat das Regime beschlossen sich nur noch an die Gesetze zu halten, die sie mögen, und damit den GG Art. 20 Abs. 3 ad absurdum geführt. Das sage nicht ich, sondern das OLG Koblenz schon 2017 (Az 13 UF 32/17).
Damit sind die 5,4 Millionen Handlanger dieses Regimes Kriminelle, Unterschiede gibt es nur bei der Schwere der Straftaten.

Raul Gutmann
1 Monat her
Antworten an  Jan Frisch

Sehr geehrter Herr Frisch, vielen Dank für Ihre luzide und mutige Analyse. Es mag zwar eine nicht verschwindende Anzahl von Bürgern geben, die ähnlich empfinden, doch im Vergleich zur Systemmehrheit ist deren Zahl noch gering. Doch sie werden mehr. Ein politisch begründeter Bewußtseinswandel wenig hoffnungsvoll sei, doch der ökonomische Niedergang wird umso wirkungsmächtiger sein.
Hochachtungsvoll

F. Hoffmann
1 Monat her

Also wenn ich mich richtig an die Antworten auf meine Emails an das BVerfG in dieser Sache erinnere, finden solche Treffen schon viele Jahre, aber nicht regelmäßig statt. Zum zweiten werden die Gespräche nicht protokolliert. Dieses ist zum Beispiel in Großbritannien der Fall, wo sich die Richter des obersten Gerichtshofs regelmäßig mit Politikern treffen, dort vorab kurz zwanglos über andere Dinge geplaudert wird, das dann stattfindende Gespräch über aktuelle politische Themen und gesellschaftliche Entwicklungen aber protokolliert wird.

Wolfgang Schuckmann
1 Monat her

Ich bin eher optimistisch. Warum sollte man den Dienstweg gehen, wenn man es auch ganz einfach haben kann? Das spart Zeit und Geld und wie man bei Corona sah sehr wirksam und ist völlig unkompliziert, wenn man sich kennt, und gegenseitiges Vertrauen vorhanden ist.
Und außerdem, das Ganze wird ja auch keine Ewigkeit mehr halten, oder?

Haba Orwell
1 Monat her

> Diese Treffen finden seit Jahrzehnten regelmäßig statt und sind ein traditionelles Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung zwischen zwei Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates.“

Wie Adenauer es formulierte: Man kennt sich, man hilft sich.

joly
1 Monat her

Zur Info: die AFD ist beides – auch stärkste Partei im BT. Die Union besteht aus 2 Parteien. Eine mit Merz, die kleinere mit Söder als Zampano. Ein doppeltes Lottchen. Man braucht alles 2x.

jsdb
1 Monat her

Befangenheit pur. Waren die zum Befehlsempfanng da?

Dellson
1 Monat her

Allgemeine Frage für alle Staatsbürger im Land. Wer bestimmt was Demokratie ist? Und was ist demokratisch legitimiert? Wenn der Souverän die Demokratie bestimmt, wie kommt es dann, das anteilmässig 20% der Bürger nicht öffentlich erkennbar, verbal, persönlich stattfinden, bzw. berücksichtigt werden? Während indessen kleinere Parteien die zusammen addiert, gerade einmal nur auf die Zustimmungswerte der grössten Oppositionspartei kommen, jeder für sich vielfach und regelmässig in den Foren unserer bezahlten, fürsorglichen Sprachrohre des Souveräns gezeigt werden! Wenn dieses erkennbare Missverhältnis nicht einmal von den übrigen, nicht zwangsweise bezahlten Medien, TV und Printmedien, angeprangert wird, d.h.also stillschweigend unkommentiert hingenommen wird, muss man… Mehr

M. B.
1 Monat her

Das jetzige Verfassungsgericht muss komplett aufgelöst werden und mit erfahrenen parteilosen und unideologischen Richtern besetzt werden. Bei jedem Richter muss genauestens geprüft werden, ob er sich politisch oder ideologisch geäußert hat. Richter sollen allein dem Recht und dem Grundgesetz verpflichtet sein.