Bertelsmann-Studie: „Die Stunde der Populisten?“

Studien setzen Propaganda-Botschaften in die Welt. Hier lautet sie: Populismus von Trump bis Le Pen ist ganz schlimm, aber in Merkel-Country haben wir eher Populismus light. Also Leute lehnt euch zurück, ich mache das schon, eure Angie.

Die neueste „Studie“ der Bertelsmann-Stiftung habe ich zweimal gelesen, weil ich das Gelesene beim ersten Mal nicht glauben wollte.

Sein Wort Propaganda taufte Edward L. Bernays nach 1945 in Public Relations um, weil Goebbels sich seiner Rezepte bedient hatte. Daran muss ich denken, wenn ich sehe, mit welchem Gehorsam Medien den Vorgaben einer „Studie“ gehorchen, die sich die Dinge so hinbiegt, wie sie es will, oder besser, wie es der Auftraggeber wünscht. Lassen Sie sich die folgende „Definition“, die noch nicht mal als „Beschreibung“ taugt, auf der Zunge zergehen:

»Populismus ist also zunächst weder „links“ noch „rechts“. Er begreift gesellschaftliche Auseinandersetzungen als Konflikte zwischen dem „einen“ Volk und den „korrupten“ politischen Eliten. Radikale Populisten erkennt man daran, dass sie die Entmachtung der herrschenden Politik fordern, um den Einfluss des Volkswillens zu stärken. Dazu fordern sie radikale Reformen des politischen Systems, und behaupten, dass sie alleine den wahren Bürgerwillen repräsentieren. In seiner moderaten Variante setzt sich Populismus kritisch mit den etablierten demokratischen Institutionen auseinander, und wünscht sich mehr direkte Beteiligung der Bürger und eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen. Radikaler Populismus stellt die etablierten Institutionen der liberalen Demokratie in Frage und kann zu einer Gefährdung der Demokratie werden. Moderater Populismus ist ein ständiger Begleiter der Demokratie, kann ihre Responsivität erhöhen und ihr Funktionieren verbessern.«

So, ganz langsam zum Mitdenken. Wer die real betriebene Politik und den heutigen Stand der Regeln der Demokratie wie das Wahlrecht ändern möchte, ist ein Populist? Ebenso, wer mehr direkte Beteiligung der Bürger und eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen fordert? Früher nannten wir das Opposition. Also noch mal, ganz langsam: Opposition ist Populismus. Spinnen diese Römer der Bertelsmann-Studie? Oder halten sie selbst denkende Bürger für Idioten? Oder einfach beides?

»Radikale Populisten erkennt man daran, dass sie die Entmachtung der herrschenden Politik fordern, um den Einfluss des Volkswillens zu stärken.«

Die „Entmachtung der herrschenden Politk“ nannten wir früher die Abwahl einer Regierung und ihre Ersetzung durch eine andere. Wer das will, ist „radikaler Populist“, so ein Mist.

»In seiner moderaten Variante setzt sich Populismus kritisch mit den etablierten demokratischen Institutionen auseinander, und wünscht sich mehr direkte Beteiligung der Bürger und eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen.«
 
»Moderater Populismus ist ein ständiger Begleiter der Demokratie, kann ihre Responsivität erhöhen und ihr Funktionieren verbessern.«

Lieber Herr von Arnim, alles klar? Sie (und ich und andere) sind immerhin „moderne“ und „moderate“ Populisten. Aber Vorsicht, bevor wir uns zu sicher fühlen:

»Radikaler Populismus stellt die etablierten Institutionen der liberalen Demokratie in Frage … «

Wenn wir also verlangen, dass die Republik viel föderaler werden muss, in Bund und Ländern, auf allen Ebenen direkte Demokratie in vielfältiger Form ihren Platz braucht, die Parteien ihre Privilegien verlieren sollen, direkt gewählte Abgeordnete statt der Wahl von Parteien der Demokratie viel besser tun, eine gründliche Inventur den Selbstbedienungsladen Bundesrepublik in den Zustand der Herrschaft des Rechts versetzen muss, tja, dann wären wir nach diesen Bertelsmännern „radikale Populisten“. „Radikal“ heißt ja nichts anderes als gründlich, grundlegend, von den Wurzeln her. Aber die Studisten meinen mit „radikal“ selbstverständlich etwas anderes, eine Art Extremismus light. Meine Herren Studisten, Sie schreiben:

»Populismus ist also zunächst weder „links“ noch „rechts“.«

„Zunächst“ – und dann?

»Populistische Einstellungen sind entlang des gesamten ideologischen Links-Rechts-Spektrums zu finden. Mehr als ein Drittel aller populistisch eingestellten Wähler in Deutschland (11,2 Prozent aller Wahlberechtigten) verorten sich selbst in der politischen Mitte. Anteilig sind Menschen mit rechten politischen Einstellungen jedoch häufiger populistisch eingestellt als Menschen aus dem linken Teil des Spektrums oder aus der politischen Mitte. Populistisch eingestellte Wähler vertreten auch bei uns die für den Populismus typischen „Pro-Volkssouveränität“-, „Anti-Establishment“- und „Anti-Pluralismus“-Positionen. Sie lehnen in ihrer großen Mehrheit aber weder die Demokratie als System noch die EU ab, sondern kritisieren ihr derzeitiges Funktionieren. Die meisten Populisten in Deutschland sind keine Feinde der Demokratie, sondern enttäuschte Demokraten.«

Sind Sie noch zu retten? Haben Sie noch alle Sinne beinander? Wer für „Volkssouveränität“ ist, ist „Populist“? Und dann setzen sie dem Fass die Krone auf:

»Die meisten Populisten in Deutschland sind keine Feinde der Demokratie, sondern enttäuschte Demokraten.«

Ja, was denn nun? Da haben die Definitionen die Trennschärfe einer 12-Meilen-
Zone. Welchen Wert soll eine „Studie“ haben, die auf einer solchen Betrachtung von Populisten gründet? Keine natürlich. Aber der Sinn ist es ja auch nicht, solche „Studien“ zu studieren, sondern mit ihnen als Scheinbegründung Propaganda-Botschaften in die Welt zu setzen. Hier lautet sie: Populismus von Trump bis Le Pen ist ganz schlimm, aber bei uns in Merkel-Country ist nicht einmal die AfD ganz so schlimm, also Leute lehnt euch zurück, ich mache das schon, eure Angie. Zählte ich zu den Verschwörungstheoretikern, würde ich die Frage stellen: Lässt Mutti die Bertelsmänner sagen, ein bisschen AfD wählen ist nicht so schlimm? Weil ein relativ hoher AfD-Anteil ja die Machtarithmetik im Parlament Merkel vor jeder Alternative schützt? Je mehr AfD, deso sicherer kann Merkel die bequemste aller Koalitionen fortsetzen, die mit der Rest-SPD. Die anderen Fraktionen kriegt sie kostenlos für ihre über die Regierung hinausreichende Größte Koalition aller Zeiten (GröKaZ) dazu.

„Entäuschte“ Demokraten sind „Populisten“? Werte Studisten, höchste Zeit, in Eurem Oberstübchen auszumisten. Und werte Journalisten, die ihr so etwas einfach unkritisch nachschreibt und den Lesern als Einsicht verkauft, in Eurem auch.

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Kommentare ( 13 )

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Dragan Isakovic
6 Jahre her

Ich übernehme diese unbewußten Denkmuster nicht, mir ist klar, das die Basis einer Demokratie nur der offene und kritische Dialog aller ausstehenden Probleme sein kann. Offenbar will eine Mehrheit der politischen Elite diesen Dialog nicht mehr führen und ihre Anhänger, vor allem auch in den Medien, kommunizieren dies als tragfähigen Konsens oder Alternativlos.

Konsequenz: Leugnen aktueller Probleme, diese Wachsen und werden nach 10-20 Jahren Systemgefährdend. Da geht es dann frei nach Volksmund:
Aus Schaden wird man Klug.

Da werden bald sehr viele Menschen sehr viel Klüger.

Die Zahnfee
6 Jahre her

Ja, leider gibt es nur wenige gute Diskussionsrunden. Das Format der
anderen ist auf Klamauk und oberflächliche Unterhaltung angelegt,
statt neue Gedankengänge oder sogar Lösungen anzuregen. Stimmung
verhindert Inhalte. Die Redezeit wird durch übermäßig viele Fragen
der Moderation begrenzt und dadurch wird Hektik als Stimmungsmacher
eingebaut, sodass jeder Teilnehmer dann nur noch schnell seine
Inhalte als oberflächliche Überschrift vorbringen kann. Wirklich schade. –
Ein sehr guter Beitrag von Ihnen.

Ralf Jörg
6 Jahre her

Als Helmut Kohl regierte, hatten Autoren Schwierigkeiten einen Buchverlag zu finden, wenn sie über Probleme mit der Atomtechnologie berichten wollten. Von allen Freiheitskämpfer die heute bei Tichy schreiben, hat man nichts gehört. Heute ist es umgekehrt, jetzt wo ihre Meinung bedroht ist fällt es ihnen auf. Wir haben ein Gesellschaftsproblem, wir sind nicht mehr zum Dialog fähig. Wir können anderen nicht mehr zuhören, dieses sieht man bei Sendungen wie Maischberger wo man auch Tonbandgeräte der Personen hinstellen könnte. Und wir sind auch nicht bereit nur einen Millimeter von der eigenen Meinung abzuweichen. Wenn wir im Unrecht sind kommen Antworten wie… Mehr

Fritz Goergen
6 Jahre her

Dass Kühe keine Pferde sind, ist keine Definition.

Rapsack
6 Jahre her

Zur Studie: Es ist oftmals schwierig Sinn und Gehalt volles bei vor gegebenen Ausgang zu schreiben. Da kommt dann oft verquarzter unverständliches Mist bei raus. Ich finde die Bertelsleute haben das doch noch ganz ansehnlich hinbekommen. Wo anders wäre der Quatsch noch viel offensichtlicher.

Patriot Gamez
6 Jahre her

Viel erschreckender ist die Tatsache,,,… und dieses „Bertelsmann-Propagandaminsterium“ soll nun in Sachen „Online-Zensur“ eine leitende Funktion einnehmen… Gott bewahre Uns !
Bei RT ist ein Bericht über die Bertelsmann Stiftung zu sehen, die angeblich 30 Mio. Dollar für Clintons Wahlkampf gespendet haben soll…. deren „objektive“ Einschätzung von „Populisten“ kannst somit wohl sonstwo hinspülen.

nachgefragt
6 Jahre her

Wer so etwas schreibt, muss ein echtes Problem mit dem Grundgesetz haben und sollte vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ich zitiere Artikel 20:

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen
und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Illusionslos
6 Jahre her

Lieber Herr Goergen, ich schätze Ihre Beiträge sehr , auch diesen hier. Trotzdem habe ich noch einen anderen Blickwinkel dazu. Zunächst einmal eine Definition des Begriffs Populismus. Mein Duden sagt dazu : Populismus, der – von Opportunismus geprägte, volksnahe , oft demagogische Politik mit dem Ziel, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen. Nach dieser Definition sind alle Parteien populistisch, denn sie wollen alle die Gunst der Masse mit den o.g. Mitteln : Schulz : Flüchtlinge sind wertvoller als Gold, Merkel : Scheitert der Euro, scheitert Europa, fedidwgugl, alternativlos, Könnte man für alle Parteien endlos fortsetzen.… Mehr

Fritz Goergen
6 Jahre her
Antworten an  Illusionslos

Mit der Studie setzte ich mich eben nicht auseinander, weil sie den Begriff Populismus zugrunde legt, aber nicht definiert. Das ist der Gegenstand meines Textes.

Illusionslos
6 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

Danke , die fehlende Definition hat mich verwundert. Eine Studie ohne Definiton eines Begriffs , mit dem sich die Studie dann aber beschäftigt ? Im Deutschunterricht hätte ich dafür ein 6 bekommen.

shade
6 Jahre her

„Weil ein relativ hoher AfD-Anteil ja die Machtarithmetik im Parlament Merkel vor jeder Alternative schützt“: Diese strategische Überlegung dürfte bei der Wahlentscheidung enttäuschter Demokraten der FDP Vorschub leisten. Alte Liebe rostet nicht, Herr Goergen?

Fritz Goergen
6 Jahre her
Antworten an  shade

Besser nicht von sich auf andere schließen.

Antisozialist
6 Jahre her

Populismus ist also zunächst weder „links“ noch „rechts“….
..oder um es mit den Worten Ralf Dahrendorfs auszudrücken:„Des einen Populismus ist des anderen Demokratie, und umgekehrt. Vielleicht ist ein Populist aber auch einfach nur ein populärer Konkurrent, dessen Programm man nicht mag.“
Da wird einem doch mal so richtig bewusst, von was für kleinen Lichtern wir regiert werden.