Linkspopulismus gegen Rechtspopulismus?

Albrecht von Lucke analysiert die SPD und gleich alle anderen Parteien mit.

„In dieser ‚populistischen Situation‘ komme es darauf an, ‚eine klare Grenze zwischen den Eliten des Establishments (la casta) und ‚dem Volk‘ zu ziehen,“ referiert Albrecht von Lucke, seit 2003 Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik, mit Chantal Mouffe, „der gegenwärtig vielleicht wichtigsten europäischen Ideengeberin der radikalen Linken“ die Absage der radikalen Linken an jede Gemeinsamkeit mit linksliberalen oder sozialdemokratischen Parteien.

Linker Populismus gegen rechten Populismus …

Die Witwe des argentinischen Postmarxisten Ernesto Laclau postuliert ganz in seinem Geist: „Ich bin überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren eine tiefe Veränderung der in Europa einst vorherrschenden politischen Grenzen erleben werden und dass die entscheidende Konfrontation zwischen dem linken Populismus und dem rechten Populismus stattfinden wird.“ Wem kommt da nicht gleich Sahra Wagenknecht in den Sinn? Bestimmt sie die Richtung in der Partei Die Linke, setzt sich die Zersplitterung der deutschen Linken fort. Damit begänne eine Polarisierung, in der die staatstragenden sozialdemokratischen Parteien Union, SPD, Grüne und FDP langfristig zerrieben würden.

Von Lucke beschreibt in seinem Buch „Die schwarze Republik“ das Versagen der deutschen Linken – über weite Strecken als historische Schuld von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Doch bleiben wir bei Chantal Mouffe. Sie bricht mit dem vernünftigen Kompromiss als Mittel linker Politik: „Statt auf Vernunft und Konsens setzt Mouffes Strategie der Linken daher auf Emotion und Konfrontation.“ Von Lucke fühlt sich in die Zeit vor 50 Jahren zurück versetzt, wenn nicht nach Weimar. Erst einmal geweckt, würde  linker Populismus die eigenen Kinder fressen, die Geschichte lehre, wer dabei meist gewinnt, die radikale Rechte: „Denn die von Mouffe behauptete Trennschärfe zwischen linkem und rechtem Populismus ist eine bloße Illusion. Faktisch überwiegen die Gemeinsamkeiten: der antliberale Zug und die autoritäre Stoßrichtung gegen das parlamentarische ‚System'“.

… aber zusammen gegen „das System“

Von Lucke sagt, wir hätten uns in der Folge der Achtundsechziger daran gewöhnt, solche Systemkritik „als ein eher linkes Phänomen zu begreifen.“ Die parlamentarische Demokratie sei für Adornos Schüler eine nur „bürgerliche“ gewesen, „gegen die rätedemokratische Formen zu entwickeln seien.“ Heute sei dieses antibürgerliche Ressentiment wieder dort gelandet, wo es ursprünglich herkam – „nämlich von ganz rechts, aus der Kritik an den Parteien des ‚Systems von Weimar'“. Daher sei es so fatal, „wenn Oskar Lafontaine in klassischer NS-Diktion die anderen Parteien als ‚Sytemparteien‘ denunziert.“ Das sei nahe an der neuen Rechten und deren völliger Ablehnung der Eliten von Politik und Medien. Den Volkswillen wollten linke und rechte Populisten nicht mehr in den Parlamenten herstellen, sondern auf der Straße, neben derselben Methode sei auch der gemeinsame Feind klar: „der verlogene Westen.“

Albrecht von Lucke lässt mit seiner Analyse des Niedergangs der SPD keinerlei Hoffnung auf eine Annäherung oder gar Vereinigung von SPD und Linkspartei aufkommen, nicht einmal auf eine rot-rot-grüne Regierungskonstellation – mit einer regionalen Ausnahme, Thüringen: „Dort arbeiten Linksparte und SPD, gemeinsam mit den Grünen, seit dem Dezember  derart reibungslos in der Regierung zusammen, dass die Frage nach einer dauerhaften Vereinigung eigentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen kann.“

Was auf die Leser wartet, signalisieren diese Titel im Inhaltsverzeichnis:

  • Trauma Hartz IV: Gerhard Schröder und die Entsolidarisierung der SPD
  • „Wer hat uns verraten“: Oskar Lafontaine und die Ant-SPD-Linke
  • 2017 zum Ersten: Keine Chance für Rot-Rot-Grün
  • 2017 zum Zweiten: LetzteChance für Schwarz-Grün
  • „Sagen, was ist“: Europa von links

Hätte von Lucke der Agenda 2010 mehr nachgespürt, wäre er auf eine Tatsache gestoßen, die seine Kritik noch verschärft. Mit Hartz hat Schröder die Niedriglohn-Entwicklung in der deutschen Industrie nicht begonnen, sondern legalisiert. Diese Lohnstrategie war – vorneweg in der Leiharbeit – bereits voll im Gang. Es spielt auch keine Rolle, wem das gefällt und wem nicht. Der anhaltende Erfolg der deutschen Wirtschaft findet hier seine viel bessere Erklärung als in der nachhinkenden Innovation.

Damit habe ich ein Stück weit die Rolle des Rezensenten verlassen. Der soziale Preis dieser Entwicklung, das Wachsen eines prekären Sektors, wird ab einer Zahl X von hinzutretenden Migranten unbezahlbar. Womit ich dem zentralen Satz der folgenden Passage vorauseilend gefolgt bin.

Sagen, was ist

Der letzte Titel ist vom Satz des sozialdemokratischen Gründungsvaters Ferdinand Lasalle inspiriert: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen, was ist, und beginnt damit.“ Den Satz steigerte Rosa Luxemburg für die revolutionäre Linke: “ Wie Lasalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ‚das laut zu sagen, was ist'“. Willy Brandt formulierte mit seinem Ahnvater Lasalle die eigene Reformpolitik: „Durch das Erkennen der Lage, wie sie ist, die Lage zu verbessern.“ Der Autor wird mir vermutlich nicht widersprechen, wenn ich die SPD heute von allen Varianten des Lasalle-Satzes weit entfernt sehe. Vielleicht stimmt er zu, wenn ich in seinem Befund auch die anderen Parteien erkenne, die sozialdemokratisch zu nennen gar nicht mehr polemisch ist.

Albrecht von Lucke hat den strukturellen, ja systemischen Stillstand in praktisch allen europäischen Parteien, eigentlich in allen westlichen beschrieben. Bewegung ist nur in den radikalen Zonen. Für Chantal Mouffe ist Linkspopulismus gegen Rechtspopulismus die Strategie der radikalen Linken. Für mich ist das ein wahrscheinliches Szenario.

Von Luckes Buch ist in jedem Fall eine lohnende Lektüre. Ich werde noch öfter in seinem Buch nachschlagen.

Seiner Feststellung zur amtierenden Kanzlerin möchte ich einen Folgeschluss hinterher schicken. Autor: „Die Verantwortung für ihre faktische Alternativlosigkeit trägt jedoch nicht Angela Merkel … Es ist das Versagen einer Linken, die zu einer eigenen Regierungsalternative nicht willens ist … Die Kanzlerin bezieht ihre Macht … aus der geschichtlich beispiellosen Schwäche der deutschen Linken, die auf Bundesebene ohne jede strategische Option auf die Kanzlerschaft ist.“ Rezensent: Damit das so bleibt, tritt Merkel in eine linke Position nach der anderen ein.

Es dauert noch, bis genug Zeitgenossen deutlich und laut genug sagen, was ist.

Albrecht von Lucke: Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken. Droemer 2015.

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