Berlinale 2024 – Staat und Kulturschaffende als Komplizen

Wenn Kunst politisch wird, dann braucht sie umso mehr die kritische Selbstreflexion. Dann müssen die Künstler sich Rechenschaft ablegen über die eigene Voreingenommenheit – und immer auch sich selbst und die eigene Haltung hinterfragen. Im verrotteten Kulturbetrieb unserer Zeit findet Letzteres immer weniger statt.

IMAGO / Future Image
Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der Berlinale, 24. Februar 2024
Angeblich sei der Instagram-Account der „Panorama“-Sektion der Berlinale gehackt worden, so die Verantwortlichen, nachdem dort antisemitische Sprüche verbreitet worden waren. In Nullkommanix vom Täter zum Opfer, eine Kunst, die die woke Kulturwelt offensichtlich ebenso perfekt beherrscht wie palästinensische Terroristen.

Die Berlinale rettet diese billige Ausrede – wer’s glaubt, wird selig – nicht: Das Festival hat sich entlarvt als Forum für Hass und Hetze; für den echten Hass: nicht die Verletzung von Gefühlen oder Dissens in Fragen, in denen eine Meinungshegemonie herrscht. Sondern für Hass, der foltert, vergewaltigt, mordet, massakriert. Man findet kaum mehr Worte, um die ekelhafte Nonchalance zu betiteln, mit der man sich als Kämpfer für Freiheit, Frieden, Diversität – kurz: das Gute – geriert, und zugleich unverhohlen ein Land attackiert, dessen Einwohner jeden Tag mit der Bedrohung der Auslöschung konfrontiert sind.

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Dürfen Kulturschaffende das Leid in Gaza thematisieren? Natürlich! Sie sollen es sogar. Gerade wenn „Gut“ und „Böse“ als klar verteilt gelten, bleibt oft nur noch die Kunst, um die Nuancen sichtbar zu machen, die Grautöne zu zeichnen. Aber wo bleibt der Aufschrei für die gepeinigten Frauen, die im Bett ermordeten Familien? Die gnadenlos erschossenen jungen Raver auf dem Nova-Festival, wo Terroristen systematisch selbst Dixiklos beschossen, um zu exekutieren, wer dort Schutz gesucht hatte: Wo bleibt die Richtigstellung, dass die Darstellung von Leid nicht die monströsen Verbrechen des 7. Oktober leugnen oder relativieren solle? Totenstille, eine Wand des Schweigens, an der man sich nur den Kopf einrennen kann. In einer Gesellschaft, in der sonst jeder Versuch, mehrere Seiten darzustellen, der Relativierung verdächtig ist, sieht sich auf der Berlinale niemand genötigt, Israels Leid und palästinensische Täterschaft klar zu benennen.

Wenn Kunst politisch wird, dann braucht sie umso mehr die kritische Selbstreflexion. Dann müssen die Künstler sich Rechenschaft ablegen über die eigene Voreingenommenheit, und dann müssen sie immer auch sich selbst und die eigene Haltung hinterfragen. Im verrotteten Kulturbetrieb unserer Zeit findet Letzteres immer weniger statt, mit dem Ergebnis, dass man besoffen von der eigenen Rechtschaffenheit die eigene moralische Güte auf dem Rücken vergewaltigter Geiseln und erschossener Kleinkinder feiert. Die Filmemacher befinden sich dabei kognitiv und emotional auf dem Stand pubertierender Zwölfjähriger, die gerade ihr erstes Che-Guevara-Poster im Jugendzimmer aufgehängt haben, und von der Weltrevolution schwärmen: Im transparenten Top, mit dem sie in Gaza niemals unbehelligt bliebe, aber mit Palituch geschmückt, steht frau auf der Bühne.

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Pure Dreistigkeit unter einem Deckmantel naiven Pazifismus’ bergend, fordert man politische Lösungen, während die Hamas und ihre Helfer ausreichend deutlich gemacht haben, dass sie nur die „Endlösung“ akzeptieren werden. Dass hier kein Sturm der Entrüstung losbricht, dass niemand den Saal verlässt, dass niemand sich erhebt und gegen diese Verlogenheit das Wort ergreift, ist erschütternd. Auch die anwesenden Politiker klatschen Beifall, schließen sich der Verhöhnung der israelischen Opfer und des israelischen Überlebenskampfes an. Diese Komplizenschaft zwischen Politikern und Kulturschaffenden sollte jedem, der sich für einen Künstler hält, übel aufstoßen.

Dass antisemitische Ideologie vom Staat gefördert und mitfinanziert wird, ist Ausdruck größtmöglicher Heuchelei. Und es ist kein Betriebsunfall, sondern Programm: Denken wir nur an die Documenta, aber auch an die standhaft aufrechterhaltene Behauptung, deutsche Hilfsgelder würden die Hamas nicht unterstützen. Wer kann noch von „Staatsräson“ in Sachen Israel sprechen, ohne dass ihm die Schamesröte ins Gesicht steigt, wenn derweil das Geld deutscher Bürger in die Verbreitung antisemitischer Parolen und Gemeinplätze fließt?

Die Berlinale 2024 ist nur ein Steinchen in einem Mosaik aus Verlogenheit: Wenn auf dem wichtigsten Filmfestival des Landes Antisemitismus unwidersprochen bleibt, und er den Applaus der Politik findet, dann ist, jedem Lippenbekenntnis zum Trotz, Antisemitismus zur Leitkultur geworden. 80 Jahre nach dem Ende des Holocaust hat Deutschland Israel verraten. Nicht zum ersten Mal, aber am umfassendsten. Hätte Claudia Roth nur einen Funken an Integrität und Schamgefühl aufzubringen, sie würde zurücktreten.

— Zeev Rosenberg 🎗️ (@zeevrosenberg) February 25, 2024

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