Tichys Einblick
Grenzkontrollen derzeit nur zu Österreich

Viele Drittstaatler kommen nach Deutschland – Bundespolizisten wehren sich gegen „Racial Profiling“-Vorwurf

Das Innenministerium hat einen EU-Beschluss zu den Ukraine-Flüchtlingen herbeigeführt, doch den praktischen Empfang überlässt man lieber anderen. In Berlin scheint die Lage besonders chaotisch, aber auch an deutschen Grenzen bleibt vieles unklar.

IMAGO / Jens Schicke

Das politische Berlin rief, und alle kamen. Im Ergebnis ist die deutsche Hauptstadt durch den Zustrom der Ukraine-Flüchtlinge überlastet. Bis zu zehntausend Menschen kamen dort zuletzt pro Tag an. Die Busse in andere deutsche Städte blieben leer – vermutlich waren die Zielorte den Flüchtenden schlicht unbekannt. Ihnen ist keinerlei Vorwurf zu machen. Doch was hatte sich die Berliner Politik da eigentlich gedacht, als sie eine Blankozusage an alle Ukrainer hinausschickte, die Organisation aber anderen überließ?

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Nur eines organisierte Innenministerin Nancy Faeser in der Tat: eine auf tönernen Füßen stehende EU-Unterstützung für ihr Projekt der grenzenlosen Aufnahme. Unklar bleibt nämlich, wie viel Konsens sich wirklich langfristig hinter ihr verbirgt. Der taktische Vorteil Faesers und anderer EU-Integrationisten war, dass ihre Hauptgegner in Sachen gemeinsame EU-Asylpolitik in diesem Fall am stärksten von der Fluchtbewegung betroffen sind.

Polen wird bald eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, wenn das nicht bereits jetzt schon ohne das Wissen der Behörden geschehen ist. Ungarn nahm mindestens 133.000 Menschen auf. Daneben organisiert die ungarische Regierung „Rettungsflüge“ für Inder und Nigerianer aus der Ukraine, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollten. 5.700 Menschen haben, laut Ungarn heute, die Konfliktregion auf diesem Wege hinter sich lassen können.

Laut ORF waren die Visegrád-Staaten aber ursprünglich gegen die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie, deren Name allein sich in ostmitteleuropäischen Ohren furchtbar anhören muss. Der Aufnahme von Drittstaatlern stimmten sie überhaupt nicht zu. Ist der Schluss erlaubt, dass für die ausländischen Studenten und anderen Nicht-Ukrainer vor allem Deutschland zuständig sein wird?

Faeser: Drittstaatler müssen kein Asylverfahren durchlaufen

Nancy Faeser hat inzwischen wahrheitsgemäß konkretisiert, dass der Schutz für alle ankommenden Ukrainer in Deutschland „vorübergehend“ sein soll. Das sieht freilich nicht jeder Flüchtling so. In einem RND-Bericht schloss die nach Berlin geflohene Ukrainerin Viktoriia die Rückkehr in eine befriedete Ukraine energisch aus. Gekommen ist sie zusammen mit Navid, laut Wikipedia ein persischer Vorname der Bedeutung „Versprechen, gute Nachricht“. Niemand hat sich wohl einen Begriff davon gemacht, wie multikulturell die Ukraine inzwischen schon geworden ist.

Und natürlich werden die Geflohenen durch bis zu drei Jahre Aufenthalt in Deutschland auch gewisse Ansprüche erwerben, die eine Rückreise dann erschweren könnten. Faesers Tweet gleicht eher einer Generaleinladung als verantwortungsbewusstem staatlichem Handeln: „Auch Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gelebt haben, brauchen kein Asylverfahren zu durchlaufen.“ TE hat dem Innenministerium einige Fragen zu diesem Themenkomplex geschickt. Wir sind gespannt, ob man sie diesmal beantworten wird.

Flüchtlinge aus der Ukraine bekommen also Schutz, ohne Asyl zu beantragen. Sie können damit auch Sozialleistungen erhalten, wie eine Tagesschau-Reporterin hervorhebt. Und auch die drei Jahre Aufenthalt, die Faeser noch als eventuelle Verlängerung ankündigt, sind aus Kristin Beckers Sicht schon gebongt.

Allerdings müssen die flüchtenden Ukrainer sich auch mit dem deutschen 3G-Regime abfinden und damit zurechtkommen. In Stuttgart musste eine Gruppe, die eigentlich weiter nach Frankreich reisen wollte, im Bahnhof übernachten, weil ihnen der 3G-Nachweis für ein Hotel fehlte. Manch ein Hotelier beharrt auch einfach auf 2G. Sieht so wirklich unbürokratische Hilfe aus?

Verdacht auf Menschenhandel am Berliner Hauptbahnhof

Das Innenministerium half zwar, den EU-Beschluss zu organisieren – doch die reale Ankunft Zehntausender Ukrainer scheint man dort nicht wirklich vorausgesehen zu haben. Nicht weniger überrascht und überrannt von der Lage scheint der SPD-geführte Berliner Senat zu sein: Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey forderte in den Tagesthemen, dass „man auch die Entscheidung trifft, nicht alle Sonderzüge und Busse in Berlin anlanden zu lassen“. Es steht nicht gut um die Organisationskraft dieser Stadt, die nun einmal eine der wenigen war, die die Ukrainer beim Namen kannten.

„Massenzustrom“ aus der Ukraine
Anrainerstaaten und Österreich sind gegen die Aufnahme von Drittstaatlern
An den Berliner Bahnhöfen sind derweil vor allem private Helfer und Hilfsorganisationen aktiv, deren Aktionen in Telegram-Gruppen koordiniert werden. Die Ankunftszeiten der Züge werden gepostet, und eine elementare Einweisung in die gemeinsame Tätigkeit findet statt. Ein englischsprachiges Dokument warnt wenige Tage nach Beginn der Hilfsaktion vor zwielichtigen Gestalten, die versuchen, Frauen und Kinder bei sich unterzubringen, und mit Menschenhandel und Prostitution in Zusammenhang gebracht werden: „Wir haben sehr unangenehme Situationen mit Menschen, vor allem Männern, erlebt, die sich unseren Freiwilligen genähert haben und darum baten, Frauen (mit Kindern) bei sich aufnehmen zu dürfen, indem sie sogar Geld dafür anboten.“ Auch hätten diese Menschen, Männer, sich Kindern und unbegleiteten Minderjährigen genähert. So schnell kann eine Flucht also aufhören, eine Rettung zu sein.

Auch am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) dominieren die Helfer in den gelben Warnwesten. Schon seit letzter Woche wurde hier eine Handvoll Zelte aufgestellt, in denen sich die Ankommenden fürs erste warm halten und stärken können. Über den Zelten sieht man den Berliner Funkturm am Messegelände. Ein symbolisches Bild, auch wenn heute fast niemand mehr Funksignale empfängt: Aus Berlin war das Willkommens-Signal in die Welt hinausgesendet worden, und so strömten die Flüchtlinge in die Stadt. Unten bei den Terminals gibt es einen Containerbau, in dem grundlegende Registrierungsarbeiten geschehen. Es fällt nicht schwer, hier neben gebürtigen Ukrainern auch Migranten auszumachen.

Bundespolizeigewerkschaft: Ruf nach geordnetem Verfahren, Notifikation der Grenzen

In einem Brief an Innenministerin Faeser, der TE vorliegt, beklagt der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, die mangelnde Vorbereitung auf den Flüchtlingsstrom. Notwendig sei nun eine Notifizierung der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik, damit „Flüchtlingsströme kanalisiert und ankommende Menschen in einem geordneten Verfahren kontrolliert und registriert werden“ können. Das ist demnach im Moment nicht der Fall, vor allem an der Grenze zu Polen und Tschechien, die ohnehin seit der Weißrussland-Krise unter verstärktem Druck steht. Die Einrichtung von stationären Grenzkontrollen, die durch die „Notifizierung“ der betreffenden Grenzbereiche bei der EU ermöglicht würden, wäre laut Teggatz nicht nur effizienter, sondern würde auch die Akzeptanz der Arbeit der Bundespolizisten erhöhen.

Tatsächlich wurden Vorwürfe im Sinne von „Racial Profiling“ gegen die Bundespolizei erhoben, weil sie bei stichprobenartigen Kontrollen an der Grenze zu Polen mehrere Drittstaatler aus Zügen herauszogen. Die Aktivisten klagen an, dass dies „wegen fehlender Papiere“ geschehen sei. Die Bundespolizei besteht darauf, dass diese Kontrollen ihre Aufgabe sei. Heiko Teggatz weist darauf hin, dass die Drittstaatler der Ukraine, auch wenn sie dort einen sicheren Aufenthaltsstatus hatten, gemäß den geltenden Regelungen nicht ohne Weiteres in den Schengen-Raum einreisen können. Sie sind mit dem Fachwort „sichtvermerkspflichtig“.

Nochmals – er hat das viele Male getan – weist Teggatz in seinem Schreiben darauf hin, dass nach wie vor „nahezu alle Kräfte der Bereitschaftspolizei und der MKÜ (= Mobile Kontroll- und Überwachungseinheiten der Bundespolizei) in die Migrationslage eingebunden“ seien. Die Bundespolizei könne daher auch „zur Bewältigung von Demonstrationslagen“, die mit dem russisch-ukrainischen Krieg zugenommen haben, „kaum noch Kräfte zur Unterstützung anbieten“.

An der Grenze zu Österreich, die bereits für stationäre Kontrollen notifiziert ist, waren gemäß Erkenntnissen von Teggatz in einem Zug 130 von 160 Passagieren Drittstaatler. Meist handele es sich um Menschen aus afrikanischen Ländern wie Marokko und Nigeria, die wie schon gesagt nicht einfach in den Schengen-Raum einreisen können. Zudem bleibt durch die mangelnden Kontrollen unklar, wie viele von ihnen überhaupt über einen ukrainischen Aufenthaltsstatus verfügten. Fragen über Fragen, und das Chaos dieser Tage wird den Regierenden vermutlich auch diesmal wieder erlauben, uns über viele der Antworten im Unklaren zu lassen.

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